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4 Ausbildungsvorbereitung – Annäherungen und Herausforderungen

In diesem Kapitel erfolgt eine kurze Annäherung an die Strukturen des Bildungs-gangs Ausbildungsvorbereitung in Nordrhein-Westfalen und gibt vor dem Hinter-grund verschiedener Forschungs- und Entwicklungsprojekte Einblicke in die berufs-schulische Bildungsarbeit in diesen Bildungsgängen.

Annäherung an die Ausbildungsvorbereitung und die curricularen Strukturen Der Übergang von Schule in Ausbildung und Beruf zeigt sich für viele Jugendliche auf allen Ebenen als eine Herausforderung. Dies zeigt sich an Studien- und Ausbil-dungsabbrüchen, aber in besonderer Form auch in der Etablierung eines sog. Über-gangssystems, welches Bildungsmaßnahmen zusammenfasst, die einen Übergang in eine berufliche Ausbildung oder eine Arbeitstätigkeit eröffnen sollen. Die nahmen im sog. Übergangssystem werden an verschiedenen Stellen als ein Maß-nahmendschungel gesehen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit kritisch eingestuft.

Dabei bereitet bereits auf der einen Seite die Zuordnung von Bildungsmaßnahmen Schwierigkeiten und auf der anderen Seite ist unscharf, wie Erfolgsfaktoren und Wirksamkeit bestimmt werden können. Der Übergang in eine berufliche Ausbil-dung steht so auch in Abhängigkeit zur Aufnahmefähigkeit des AusbilAusbil-dungssystems und den regionalen Gegebenheiten auf dem Ausbildungsmarkt. Individuelle Ent-wicklungen oder Kennzeichnungen wie z. B. Ausbildungsreife sind wiederum un-scharf und nur sehr begrenzt messbar. Für den berufsschulischen Teil wurde 2015 im Zuge der Neuordnung der Abschluss- und Prüfungsordnungen der Berufskol-legs1 (APO-BK) die Ausbildungsvorbereitung (AV) eingerichtet (Anlage A, Abschnitt 3), welche sich an Jugendliche richtet, die keinen Ausbildungsplatz erhalten haben, und den Erwerb eines dem Hauptschulabschluss gleichwertigen Abschlusses anbie-tet. Als Zielsetzung der Bildungsgänge der AV wird folgendermaßen übergreifend formuliert: „der Erwerb von Kompetenzen, die zur Erfüllung fachlicher Anforderun-gen in einem überschaubaren, klar strukturierten Tätigkeitsbereich führen [ formu-liert; H. K.]. Die Tätigkeiten und Lernhandlungen sollen teilweise selbständig, aber weitgehend unter Anleitung ausgeführt werden können und sind Ausgangspunkt für eine anschließende Ausbildung bei erlangter Ausbildungsreife.“ (QUA-LiS NRW 2015, S. 8). Auch hier kann festgestellt werden, dass weitere Bildungsgänge (u. a. Be-rufsfachschule und Höhere BeBe-rufsfachschule) berufsorientierende und -vorberei-tende Funktionen einnehmen und sich die Herausforderung auf verschiedenen Ebe-nen zeigt.

Die AV ist auf die Dauer eines Schuljahres angelegt und zielt auf die Vermitt-lung beruflicher Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie die Eröffnung be-ruflicher Orientierung. Es werden zwei Typen der AV unterschieden: Die AV des Typs A ist ein Teilzeitmodell, nach dem das Berufskolleg mit Anbietern

berufsvorbe-1 Der vorliegende Beitrag nimmt die Perspektive des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) auf. Berufsbildende Schulen nennen sich hier Berufskollegs (siehe http://www.berufsbildung.nrw.de/cms/das-berufskolleg-in-nordrhein-westfalen/

abschluesse-und-anschluesse/index.html (12.03.2016)).

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reitender Maßnahmen zusammenarbeitet. Es umfasst zwölf Unterrichtsstunden pro Woche. Typ B wird in Vollzeit, d. h. in zwölf bis 36 Unterrichtsstunden pro Woche am Berufskolleg umgesetzt – je nachdem, inwiefern Praktikumszeiten/-formen aus pädagogischer Sicht möglich sind. Das vollzeitschulische Format wird weiter unter-teilt in Regelklassen und Internationale Förderklassen (IFK). In die Regelklassen werden Schülerinnen und Schüler aufgenommen, die sich auf eine Berufsausbil-dung vorbereiten wollen und die Schulpflicht in der Primarstufe und Sekundarstufe I erfüllt haben. Die Aufnahme von jungen Menschen, die bereits einen allgemeinbil-denden Abschluss erworben haben, soll der Ausnahmefall sein, der in begründeten Einzelfällen durch die Schulleitung entschieden werden kann. Eine Klassenbildung, die auf diese Zielgruppe ausgerichtet ist, ist dabei jedoch nicht vorgesehen. Die Aus-bildungsvorbereitung unternimmt damit den Versuch, ein Bildungsangebot für eine Gruppe zu schaffen, der es nicht gelungen ist, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, und die außerdem nicht die Zugangsvoraussetzung für andere berufliche Bildungs-gänge besitzt.

Die Bildungsgänge der Ausbildungsvorbereitung richten sich zudem an Berufs-feldern aus und sollen insbesondere auf die Aufnahme einer Ausbildung in den ent-sprechenden Berufen vorbereiten.

Insgesamt zeigt sich in den betrachteten Bildungsplänen der AV eine deutliche Ausrichtung an den curricularen Vorgaben und Prinzipien des dualen Systems bzw.

der Berufsausbildung. Das curriculare Prinzip der Orientierung an Anforderungs-situationen zeigt sich in der Orientierung an formulierten Handlungsfeldern. Das mitgeführte Kompetenzverständnis richtet sich dabei deutlich an einer kriterienori-entierten Bezugsnorm aus (vgl. Basel & Rützel 2007, S. 77 f.) in Form der Orientie-rung an Lern- bzw. Kompetenzstandards der Allgemeinbildung (insbes. mit Rekurs auf die Bildungsstandards zur Erreichung des Hauptschulabschlusses) bzw. an Stan-dards der Berufsausbildung. Insgesamt werden so die Perspektive einer Anforde-rungsorientierung, eine Schwerpunktsetzung auf die Entwicklung von kognitiven Fähigkeiten und ein defizitorientierter Blick auf die Lernenden forciert. Mit der Auf-nahme eines eindeutigen Berufsfeldbezugs wird daneben davon ausgegangen, dass die Lernenden bereits beruflich orientiert sind und im gewählten Berufsfeld nach ei-ner beruflichen Perspektive suchen.

Der Unterricht soll sich dabei sowohl an den Anforderungsstrukturen der Ar-beitswelt orientieren als auch an den individuellen Ausgangslagen der Lernenden ansetzen. Im Schwerpunkt sollen jedoch die kognitiven Fähigkeiten der Lernenden gefördert werden. Insgesamt ist einem konstruktivistischen Lernverständnis und ei-ner handlungsorientierten Ausrichtung des Unterrichts zu folgen und eine Anbin-dung an die Lebenswirklichkeit der Lernenden ist herzustellen. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die Lernenden häufig über kaum zu überwindende Defizite in grundlegenden Bereichen sprachlicher und mathematischer Kompetenzen verfü-gen. Bevor die Entwicklung von Handlungskompetenz aufgenommen werden kann, sind entsprechend der Hinweise zum Lehrplan zunächst diese Basiskompetenzen fachübergreifend zu fördern.

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Rezeption an den Berufskollegs: Schulische Curriculum- und Unterrichtsarbeit vor Ort

Die Ausbildungsvorbereitung an den Berufskollegs ist damit in der Regel einem Be-rufsfeld zugeordnet und je nach Ausrichtung des Berufskollegs mehr oder weniger stark an dem Berufsfeld in der Bildungsgangarbeit orientiert. Die Jugendlichen sind daher auch aufgefordert, mit der Wahl des Bildungsganges die Zuordnung zu einem Berufsfeld vorzunehmen. Diese Zuordnung kann von sehr unterschiedlichen Moti-ven geprägt sein, sie ist keinesfalls stabil und es ist in vielen Fällen erforderlich, dass den Jugendlichen Einblicke in weitere Berufsfelder gewährt werden können. Zumin-dest die curriculare Gestaltung der Bildungsgänge offeriert hier eine ausreichende berufliche Orientierung und Zuordnung der Jugendlichen.

Die Praxis der Bildungsgangarbeit in den Berufskollegs nimmt die curriculare Ausrichtung auf berufliche Handlungsfelder als einen wichtigen Referenzrahmen.

Darüber hinaus wird die Notwendigkeit gesehen, die individuellen Entwicklungs-bedarfe der Jugendlichen in den Blick zu nehmen und daran ausgerichtet die Bil-dungsgangarbeit in der Ausbildungsvorbereitung zu gestalten. Gerade dann kann sich beispielsweise herausstellen, dass die Zuordnung zu einem Berufsfeld nicht den Vorstellungen der Jugendlichen entspricht und Anbindungen an andere Berufs-felder herzustellen sind. Ebenso wird in den Berufskollegs die hohe Diversität der Jugendlichen hervorgehoben: Die Gemeinsamkeit im Bildungsgang besteht im Nicht-Erreichen eines entsprechenden allgemeinbildenden Abschlusses, dies geht einher mit defizitorientierten Zuschreibungen. Demnach führen verschiedene indi-viduelle und soziale Faktoren sowie angespannte Verhältnisse auf dem Ausbildungs-und Arbeitsmarkt zu (multipler) Benachteiligung (vgl. Bohlinger 2004; Kremer 2010;

zusammenführend Frehe 2015, S. 28 ff.). Neben einer fehlenden Motivation für schu-lisches Lernen und einem noch unzureichenden Entwicklungsstand für den Über-gang in die Arbeitswelt wird insbesondere angeführt, dass ein großer Teil der Ler-nenden noch nicht hinreichend beruflich orientiert ist. Dies leiten die Lehrkräfte daraus ab, dass sie häufig mit unrealistischen Berufsvorstellungen konfrontiert wer-den, die Lernenden über geringe Kenntnisse bzgl. der Arbeitswelt verfügen und die Lehrenden vermehrt eine Bewerbungsverdrossenheit bzw. Vermeidungsstrategien bzgl. beruflicher Orientierung feststellen. Dies führt in der Homogenität der Bil-dungsgänge zu einer hohen Heterogenität und Vielschichtigkeit der Potenziale und Problemlagen.

Ausgehend von den Bedürfnissen der Lernenden beschreiben die Lehrenden die Zielsetzung des Bildungsgangs: Aus ihrer Sicht geht es hier auch darum, den Lernenden eine Art „Lebenshilfe“ entgegenbringen zu können. Die Persönlichkeits-entwicklung der Lernenden spielt dabei eine besondere Rolle. Häufig ist es notwen-dig, dass die Jugendlichen eigene Entwicklungsressourcen und -möglichkeiten erst wieder selbst aufdecken und lernen müssen, mit diesen zu arbeiten. Dies geht ein-her mit individuellen Einschätzungen zur Arbeits- und Berufswelt, die nur begrenzt eine Passung finden oder hinsichtlich der Entwicklungswege nicht eingeschätzt werden können. Neben der äußeren Homogenisierung über allgemeinbildende

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Abschlüsse und Berufsfelder zeigt sich so eine hohe Heterogenität in den verschie-denen Bildungsgängen, die in den Bildungsgängen der Ausbildungsvorbereitung in-dividuelle Förderkonzepte erfordert. Die Lehrenden betrachten es als eine Zielset-zung des Bildungsgangs, dass die Lernenden eine Lebens- und Berufsperspektive entwickeln können und Bewältigungsstrategien im Umgang mit (berufs-)biografi-schen Neu- und Umorientierungen erlernen. Lerngegenstände „jenseits fachlicher Zwänge“ spielen daher eine besondere Rolle.

Die Besonderheit der Bildungsgangarbeit in ausbildungsvorbereitenden dungsgängen zeigt sich darin, dass die curricular-thematische Struktur des Bil-dungsgangs an resp. mit der Person des Jugendlichen reformuliert werden muss.

Damit gewinnt in der Curriculumrezeption die Ausrichtung an der Person an Be-deutung und erfordert eine Passung der auf berufliche Handlungsfelder ausgerichte-ten curricularen Strukturen über die Ausrichtung an individuellen Lern- und Ent-wicklungswegen. Den Jugendlichen sind Möglichkeiten zu eröffnen, Gestalter ihrer eigenen Berufs- und Lebenswege zu werden. Dies erfordert sehr grundlegende Fä-higkeiten zum Handeln (in komplexen Lebenswelten). Damit sind nicht die Anfor-derungen von Ausbildungs- und Arbeitswelt zu negieren, allerdings können diese auch nicht einfach übertragen werden, sondern es ist vielmehr notwendig, dass die Jugendlichen sich selbst Wege in die Ausbildungs- und Arbeitswelt erarbeiten. Der spezifische Handlungszugang für die Bildungsgangarbeit in der Ausbildungsvorbe-reitung wird in der folgenden Abbildung aufgezeigt:

Lernen in der Ausbildungsvorbereitung (eigene Darstellung) Abbildung 2:

176 Didaktische Gestaltung der Ausbildungsvorbereitung am Berufskolleg – Chancen und Herausforderungen der digitalen Transformation

Damit wird auf Ebene der Bildungsgangarbeit ein subjektorientiertes Kompetenzver-ständnis mitgeführt, welches die beruflichen Anforderungen nicht negiert, aber in Auseinandersetzung in den Lernsituationen unterschiedliche individuelle Zielkorri-dore aufnehmen kann und daran angebunden die Aufdeckung und Weiterentwick-lung beruflich relevanter Kompetenzen eröffnet. In diesem Zusammenhang weisen die Lehrenden darauf hin, dass von ihnen auszufüllende unterschiedliche Rollen und Funktionen an Bedeutung gewinnen: Neben einer Unterstützungs- und Begleit-errolle auf dem Weg in die Arbeitswelt werden Rollen wie „Klassenmanager“ und

„Soziallehrer“ angeführt. Bezüglich der Deutung des Bildungsgangs ist auch interes-sant, wie die Perspektive der Schulleitung durch die Lehrenden wahrgenommen wird: So werden an allen Berufskollegs zwar zur Anmeldung Gespräche mit den Ler-nenden geführt und es wird auch versucht, eine Zuordnung anhand von Interessen-bekundungen der Lernenden und deren Schulnoten vorzunehmen. Letztlich sei es aber auch Maßgabe der Schulleitungen, die Bildungsgänge quantitativ zu füllen.

Zusammenführend kann konstatiert werden, dass ein strenger Berufsfeldbezug in berufs- und ausbildungsvorbereitenden Bildungsgängen zu Problemen führen kann. Dies kann auf drei Aspekte zurückgeführt werden:

• Die Lernenden bedürfen in den meisten Fällen noch einer weiter gefassten be-ruflichen Orientierung, die berufsfeldübergreifend verschiedene Formen der Erwerbsarbeit sowie die individuellen Lebensperspektiven der Lernenden auf-nimmt.

• Berufliche Qualifizierung bzw. Grundbildung scheint teilweise in Konkurrenz zu den allgemeinbildenden Bildungszielen der Lernenden zu stehen (Erwerb ei-nes – dem Hauptschulabschluss gleichwertigen – Abschlusses).

• Die starke Orientierung an berufsbezogenen und berufsübergreifenden Fach-inhalten geht mit der Gefahr einher, dass für die Lernenden subjektiv relevante und lebensweltbezogene Lerngegenstände nicht oder in zu geringem Umfang aufgenommen werden.

• Lehren in ausbildungsvorbereitenden Bildungsgängen ist mit verschiedenen Widersprüchlichkeiten, wie z. B. Abschlussorientierung der Bildungsgänge ohne Chancen auf das Erreichen des Abschlusses, Förderung der Jugendlichen als Betreuung vs. komplexe Ziele beruflicher Bildung, wie z. B. den Anforderungen einer vollständigen Handlungen etc. verbunden und erfordert von den Lehren-den eine hohe Ambiguitätstoleranz (vgl. hierzu Kremer 2017).

5 Digitale Transformation – ein Thema für

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