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2 Arbeit 4.0 als Ergebnis der digitalen Transformation

Es ist davon auszugehen, dass die voranschreitende Digitalisierung von Geschäfts-und Produktionsprozessen, wie sie im ersten Kapitel dargelegt wurde, Auswirkun-gen auf die Arbeitswelt haben wird. Gerade die Verfügbarkeit moderner Sensorik und Aktuatorik gepaart mit elaborierten Software-Algorithmen, welche in cyber-phy-sische Systeme eingebettet sind, erlaubt es Maschinen zunehmend komplexere Tä-56 Digitalisierung in der Landwirtschaft: Gründe, Optionen und Bewertungen aus Perspektive von Milchviehlandwirtinnen und -landwirten

tigkeiten zu übernehmen, zu welchen vorher nur Menschen in der Lage waren (Frey

& Osborne 2017). Deshalb ist zu vermuten, dass sich aufgrund der Digitalisierung die Art der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschinen verändert, wovon auch die konkrete Ausgestaltung beruflicher Aufgaben und Tätigkeiten betroffen sein wird (Fischer & Pöhler 2018; Harteis 2018a). Analog zum Begriff der Industrie 4.0 soll diese neue Form von Erwerbsarbeit als Arbeit 4.0 bezeichnet werden (s. u. a.

BMAS 2015; Rump & Eilers 2017).

In der Literatur besteht bisher keine Einigkeit darüber, wie genau Aufgaben und Tätigkeiten im Kontext von Arbeit 4.0 aussehen werden. Vielmehr werden häufig zwei Extremszenarien beschrieben (s. u. a. Ahrens & Spöttl 2015; Düll et al. 2016; Fi-scher et al. 2018; Zinn 2017). Beide Szenarien erlauben es, Anpassungserfordernisse von Beschäftigten abzuleiten sowie Aussagen zu zukünftigen Kompetenzerwartun-gen an diese zu formulieren. Darüber hinaus können auch erste VermutunKompetenzerwartun-gen darü-ber angestellt werden, wie digitalisierte Arbeit von den betroffenen Beschäftigten er-lebt wird.

1. Im Automatisierungsszenario wird davon ausgegangen, dass alle automatisie-rungsfähigen Aufgaben und Tätigkeiten sukzessive von Maschinen übernom-men werden. Für übernom-menschliche Arbeitskräfte verbleiben dann ausschließlich solche Aufgaben und Tätigkeiten, die (a) so einfach sind, dass diese nicht kos-teneffizient automatisiert werden können, bzw. (b) so komplex sind, dass diese nicht von Maschinen übernommen werden können. Als komplex und bisher sowie in naher Zukunft nur schwer automatisierbar gelten vor allem solche Tätigkeiten, die die Wahrnehmung, Differenzierung und Manipulation von Ob-jekten und Phänomenen in schlecht strukturierten und sich dynamisch wech-selnden Kontexten, die kreative Leistungen sowie differenzierte soziale Interak-tionen mit anderen menschlichen Akteur:innen erfordern (Frey & Osborne 2017), sowie solche Tätigkeiten, die notwendig sind, damit vollautomatisierte Produktions- und Geschäftsprozesse gesteuert, überwacht und korrigiert wer-den (können) (Düll et al. 2016). In diesem technologiezentrierten Automatisie-rungsszenario werden einerseits sehr niedrig oder aber sehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte benötigt (Düll et al. 2016; Hirsch-Kreinsen 2015).

2. Im Spezialisierungsszenario (auch Werkzeugszenario genannt; Ahrens & Spöttl 2015) wird davon ausgegangen, dass Maschinen komplementär zur Arbeitskraft von Menschen eingesetzt werden, anstatt diese zu ersetzen. In diesem Szenario übernehmen Maschinen vor allem solche Tätigkeiten, die (a) zu gefährlich oder belastend für Menschen sind sowie Tätigkeiten, zu denen (b) die jeweils han-delnden Menschen aufgrund ihrer Prädispositionen nicht in der Lage sind, z. B.

wegen ihrer speziellen körperlichen und geistigen Ausstattung. Hierdurch wer-den die Beschäftigten einerseits in die Lage versetzt, ihre kognitiven und kör-perlichen Ressourcen freier und somit auch kreativer einzusetzen. Daraus folgt, dass vor allem höher und breiter qualifizierte Arbeitskräfte benötigt werden, da einfache Teiltätigkeiten zunehmend automatisiert werden (Düll et al. 2016). An-dererseits erlaubt eine solche Ausgestaltung von Industrie 4.0 auch

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plätze zu schaffen, die von unterschiedlich qualifizierten Personen gleicherma-ßen ausgefüllt werden können. Maschinen agieren hier als Assistenzsysteme, die sich adaptiv an das Kompetenzniveau sowie die körperliche Ausstattung der Arbeitskräfte anpassen. Somit wird eine breite Inklusion von Beschäftigten mit besonderen Bedürfnissen, z. B. aufgrund körperlicher, geistiger oder psychi-scher Funktionsbeeinträchtigung als Resultat von Behinderungen, Krankheit oder auch Alter, in existierende Arbeitsprozesse ermöglicht (vgl. dazu bspw.

Zimmermann & Falkner 2018 sowie entfernter Böhm, Baumgärtner & Dwert-mann 2013).

Keine Einigkeit besteht darüber, ob sich eher das Automatisierungs- oder aber das Spezialisierungsszenario durchsetzen wird. Denkbar wäre, dass beide Szenarien in Abhängigkeit betrieblicher Erfordernisse und Ziele gleichzeitig auftreten (zu Misch-oder Hybridszenario vgl. Ahrens & Spöttl 2015). Trotz der Ungewissheit bzgl. der konkreten Auswirkungen der Digitalisierung auf die Ausgestaltung von Arbeit las-sen sich aus den momentanen Diskurlas-sen zur Thematik gleichzeitig jedoch einige Aussagen zu den beruflichen Kompetenzerfordernissen, der Notwendigkeit und Möglichkeit des beruflichen Kompetenzerwerbs sowie der Bedeutung von Arbeit für die Beschäftigten ableiten. Im Folgenden sollen diese benannt und diskutiert wer-den.

Sichere Aussagen zu den Kompetenzerfordernissen in zunehmend digitalisierten Arbeitskontexten gestalten sich schwierig, da die angesprochenen Szenarien unter-schiedliche Prognosen darüber anbieten, welche Aufgaben und Tätigkeiten zukünf-tig von Beschäfzukünf-tigten zu übernehmen sind. Gleichzeizukünf-tig erscheint plausibel, dass in einer Arbeitswelt, die zunehmend durch den Einsatz moderner Computer gekenn-zeichnet ist und in der ein hoher Anteil der Arbeitstätigkeit in der Bedienung, Steue-rung und Kontrolle dieser Technologie erbracht werden wird, Beschäftigte von Ma-schinen bereitgestellte Daten und Informationen auswerten, interpretieren und mit Informationen aus anderen Kontexten verknüpfen können müssen. Gerade die Kompetenz mit Daten und Informationen zweckmäßig und auch kritisch umgehen zu können, wird für die Zukunft als hoch relevant eingeschätzt (vgl. auch Apt et al.

2016; Hackel et al. 2015).

Da ein Großteil vormals manuell ausgeführter Tätigkeiten in digitalisierten Unternehmen von Maschinen übernommen wird, entfallen auf menschliche Ar-beitskräfte zunehmend Steuerungs- und Kontrollaufgaben. Daraus folgt ein zuneh-mender Bedarf an Überblickswissen anstelle von wohl definierten fachlichen Kompe-tenzen, die sich auf einzelne, in sich abgeschlossene Tätigkeiten beziehen. Hiermit ist vor allem Wissen über Geschäfts- und Produktionsprozesse, das Zusammenwir-ken einzelner Elemente des CPS sowie die Einbettung der horizontalen Vernetzung des betrieblichen CPS mit vor- und nachgelagerten Akteur:innen der Wertschöp-fungskette gemeint (Bochum 2015; Hirsch-Kreinsen 2015; Zinn 2017). Erst solches Wissen ermöglicht den Beschäftigten, die hauptsächlich automatisiert ablaufenden 58 Digitalisierung in der Landwirtschaft: Gründe, Optionen und Bewertungen aus Perspektive von Milchviehlandwirtinnen und -landwirten

Produktionsprozesse zu verstehen und zu überwachen sowie bei Bedarf steuernd einzugreifen (Harteis 2018a).

Unklar bleibt, wie Arbeitskräfte die mit diesen Aufgaben verbundenen Kompe-tenzen sowie das dafür nötige Wissen erwerben. Aufgrund der Aktualität und des noch nicht abgeschlossenen digitalen Transformationsprozesses muss davon ausge-gangen werden, dass weder die berufliche Erstausbildung noch existierende Weiter-bildungen adäquat auf die neuartigen beruflichen Anforderungen vorbereiten können (Harteis, Goller & Fischer 2019). Dies liegt vor allem an der existierenden Trägheit von Bildungssystemen, aktuelle Entwicklungen curricular festzuschreiben bzw. in die Lehrpraxis einzubinden. Entsprechend wird es für die ersten Generationen von Beschäftigten, die von der Digitalisierung betroffen sind, unausweichlich sein, dass diese die benötigten Kompetenzen anderweitig erwerben – z. B. durch non-formale und informelle Lernprozesse unmittelbar am Arbeitsplatz, welche größtenteils er-fahrungsbasiert stattfinden (Harteis 2019; Harteis, Goller & Fischer 2019).

Konstituierend für die digitale Transformation von Geschäfts- und Produktions-prozessen ist die zunehmende Automatisierung von Tätigkeiten, da diese von Com-putern und Maschinen übernommen werden. Hieraus folgt jedoch fast zwangsläufig, dass die automatisierten Prozesse den beteiligten Arbeitskräften nicht mehr zugäng-lich sind und größtenteils im Verborgenen ablaufen. Mit anderen Worten, in solchen Arbeitskontexten entfällt für Beschäftigte zunehmend die Möglichkeit, unmittelbare Erfahrungen mit den Arbeitsprozessen machen zu können (Billett 1995, 2018). Es besteht die Gefahr, dass u. a. sinnliches Erfahrungswissen (z. B. „Wie muss eine Ma-schine klingen?“; vgl. Bauer et al. 2002; Hirsch-Kreiensen 2015; s. auch Lewis 2011) nicht erworben werden kann (Windelband et al. 2010). Vielmehr noch vermag die Funktionsweise der eingesetzten CPS grundlegend unzugänglich zu sein, wodurch diese keine oder nur unzureichend passende mentale Modelle der Arbeitsprozesse aufbauen können (Ahrens & Spöttl 2015). Es kommt dann zu den sogenannten Ironies of Automation, welche im ingenieurwissenschaftlichen Kontext bereits von Bainbridge (1983) beschrieben wurden: Die zunehmende Automatisierung von Pro-zessen führt dazu, dass das zur Fehlerbehebung benötigte Erfahrungswissen nicht mehr erworben werden kann. Dies ist einerseits aus ökonomischer Perspektive pro-blematisch, da die Sicherstellung der betrieblichen Leistungserstellung somit nicht mehr gewährleistet ist. Aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive wird darüber hinaus die berufliche Mündigkeit der Beschäftigten infrage gestellt, wenn diese die für sie intransparenten Systeme nicht mehr verstehen, den Entscheidungen nicht nachvollziehbarer Algorithmen ausgesetzt sind und im ungünstigsten Falle aktions-unfähig werden (Harteis 2018a).

Aus anthropologischer bzw. psychologischer Perspektive stellt sich die Frage, wie digitalisierte Arbeit von den Beschäftigten erlebt wird, welche Bedeutung diese für sie einnimmt und welches Identifikationspotenzial diese birgt bzw. bergen kann. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang die Gefahr der Entfremdung (z. B. Die-wald et al. 2018; Wörwag & Cloots 2018) sowie der Entgrenzung (z. B. Apt et al. 2016;

Fischer & Pöhler 2018; Harteis 2018) angesprochen und diskutiert. Der Begriff der Entfremdung beschreibt hierbei ein „gestörtes oder mangelhaftes Verhältnis [von

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Mensch und Arbeitstätigkeit, d. V.], in dem eine ursprünglich natürliche-wesenhafte oder ideale Beziehung fremd geworden, aufgehoben oder entäußert ist“ (Amlinger 2018, S. 64).1 Entfremdungserfahrungen entstehen u. a. dann, wenn Arbeit aufgrund von Autonomieverlust zunehmend fremdbestimmt wird, aufgrund ihrer Partialisie-rung in Teiltätigkeiten ihren Ganzheitlichkeitscharakter verliert sowie aufgrund von zunehmender Intransparenz in Verbindung mit fehlender Gegenständlichkeit ver-wehrt, den eigenen Aufgaben Bedeutung und Sinn zuzuschreiben (Jaeggi 2013, 2016; Kübler 2013). Mit Bezug auf Pfeiffer (2001) sowie Vašek (2016) sehen Wörwag und Cloots (2018) die Gefahr der Entfremdung digitaler Arbeit darin, dass (a) sich Menschen zunehmend für sie unverständlichen bzw. nur bedingt nachvollziehbaren Algorithmen unterwerfen, welche die Durchführung ihrer Arbeit bestimmen, (b) ein Großteil der Arbeit von Maschinen übernommen wird und der Mensch sich nur noch auf die Bearbeitung einzelner, routinierter Teiltätigkeiten beschränkt, welche von den Maschinen vorgegeben werden, (c) die von Menschen zu bewältigenden Aufgaben einem von Maschinen vorgegebenen Zeitregime unterworfen werden, und (d) Menschen sich aufgrund steter Überwachung und der Angst vor Repressa-lien zu einer übertriebenen Zeiteffizienz genötigt sehen.

Neben potenziellen Entfremdungstendenzen bestehen im Zusammenhang mit der digitalisierten Transformation für die betroffenen Beschäftigten auch Risiken der zunehmenden Entgrenzung von Arbeit. Unter Entgrenzung wird die Aufhebung bzw.

Verwässerung etablierter zeitlicher, räumlicher, fachlicher oder auch sozialer „Struk-turen und Organisationsprinzipien von Arbeit und Betrieb“ (Voß 2018, S. 30) verstan-den. Fischer und Pöhler (2018) weisen beispielsweise darauf hin, dass Informatio-nen, welche zur Ausführung von Arbeit durch Menschen benötigt werden, schneller und zunehmend ortsungebunden zur Verfügung stehen. Es ist daher nicht mehr nö-tig, dass Beschäftigte ihre Erwerbsarbeit zu einer gewissen Zeit an einem gewissen Ort erbringen, z. B. weil Kontrolle und Steuerung von Maschinen über mobile digi-tale Endgeräte über das Internet möglich sind. Damit einher geht auch eine gewisse Notwendigkeit, dass Beschäftigte, die zeitlich und örtlich flexibel arbeiten, aus eige-nen oder betrieblichen Gründen heraus ständig erreichbar sind bzw. sein sollen, z. B. weil dienstliche E-Mails auf dem Smartphone gelesen werden oder die Ma-schine auch am Abend noch überwacht wird, und somit die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer stärker verwischt (s. auch Apt et al. 2016; Harteis 2018). Dies birgt für Beschäftigte sowohl Chancen als auch Risiken zugleich, z. B. Möglichkeit der Wahrnehmung privater Termine während der sonst üblichen Kernarbeitszeit vs.

ständige Unterbrechung von Erholungsphasen. Neben diesen innerbetrieblichen Auswirkungen ermöglicht jedoch die angesprochene zeitliche und örtliche Flexibili-sierung von Arbeit gleichzeitig das Outsourcen von Beschäftigten. Durch Arbeitsmo-delle wie beispielsweise Crowdwork oder Clickwork können Betriebe Tätigkeiten zu-nehmend an externe Dienstleister:innen auslagern und dadurch die Kernbelegschaft mit Normalarbeitsverhältnissen reduzieren (s. z. B. Apt et al. 2016).

1 Es ist darauf hinzuweisen, dass die ()Deutung des Entfremdungsbegriffs weiter zu fassen ist, als dem hier mit Be-zug auf die Digitalisierung von Arbeit Rechnung getragen wird. Für eine Übersicht über die Verwendung des Begriffs in der Literatur kann z. B. auf Amlinger (2018) oder tiefergehend auf Schmid (1984) verwiesen werden.

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Nachdem nun das Phänomen der digitalen Transformation von Arbeit im Allge-meinen dargelegt wurde, wird im folgenden Teilkapitel auf momentane Digitalisie-rungstendenzen in der Landwirtschaft eingegangen. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der Befunde des empirischen Teiles dieses Beitrages (Kap. 6).

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