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3 Dimensionen des digitalen Wandels

Die Auswirkungen von Digitalisierung lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen trachten und diskutieren: Zunächst einmal ist auf der Ebene der Technologie be-schreibbar, welche neuen Arten von Maschinen durch die Digitalisierung erschaffen werden und welche Art der Bedienung sie erlauben oder benötigen. Der Einsatz neuer Maschinen hat darüber hinaus Auswirkungen auf die Ebene der Arbeitsorga-nisation und die Arbeitsteilung. Schließlich führen die Veränderungen auf der tech-nologischen und organisationalen Ebene zu Änderungen der Arbeitsanforderungen an den betroffenen Arbeitsplätzen (Harteis 2018).

3.1 Ebene der Technologie

Die Referenz des Begriffs Industrie 4.0 auf frühere Umwälzungen der industriellen Arbeit deutet darauf hin, dass Innovationen auf technischem Gebiet seit jeher Be-standteil der Entwicklung von Industrie und Beschäftigungssystem waren. Die Auto-matisierung manueller oder geistiger Tätigkeiten stellt folglich kein neues Phäno-men dar. Allerdings hat die jüngere Entwicklung von Rechnerkapazitäten, Sensor-technik und Software neue Optionen der Vernetzung von Menschen und Maschinen 36 Auswirkungen der Digitalisierung industrieller Arbeit auf die berufliche und allgemeine Bildung

hervorgebracht. So können mit Sensoren, Schaltern und Aktuatoren, d. h. Bauein-heiten, die mit digitalen Signalen Einfluss auf ihre Umgebung ausüben können, so-wie mit Software versehene Maschinen aktiv und ohne menschliche Einflussnahme Abläufe verändern und initiieren. Eine derartige Vernetzung löst die tradierte Tren-nung von Operator (vormals ausschließlich der Mensch) und Werkzeug (vormals ausschließlich die Maschine) auf und verteilt die Rollen zwischen Mensch und Ma-schine neu. Softwaregesteuerte MaMa-schinen werden im Betriebsgeschehen zu aktiven Akteuren, die gleichberechtigt zu Menschen auf die Arbeitsabläufe einwirken.

Aus technischer Sicht müssen hierfür zwei Voraussetzungen gegeben sein:

Diese Maschinen müssen auf ein virtuelles Abbild aller relevanten Arbeitsprozesse zugreifen und mit der realen Welt interagieren können. Solche Maschinen werden Cyber-Physical Devices (CPD) genannt. Die Gesamtheit aller in ein Netzwerk inte-grierter CPD wird als Cyber-Physical System (CPS) bezeichnet. In solchen Netzwer-ken sind auch Menschen eingebunden, die in Arbeitsteilung mit den CPD an der Leistungserstellung, z. B. in der Produktion, beteiligt sind. Im virtuellen Abbild sind Mensch wie Maschinen in ihrer Funktion repräsentiert. Auf dieses Abbild bezieht sich der Begriff des digitalen Zwillings (vgl. auch Tao et al. 2018). Es ist auch weiter-hin ein Anstieg der Qualität und Kapazität von Sensoren und Aktuatoren zu erwar-ten, sodass CPD immer besser menschlichen Input verarbeiten können. Je exakter CPD auf Menschen reagieren können, desto bedeutsamer werden die Algorithmen, welche die Reaktion des Systems determinieren. Denn es sind die Algorithmen und nicht die bedienenden Menschen, die den Handlungsspielraum und den Arbeitsauf-trag bestimmen.

3.2 Ebene der Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung

Die Neuverteilung der Rollen von Operator und Werkzeug, zwischen Mensch und Maschine, kann zu einer neuen Arbeitsteilung führen und somit auch zu neuen Organisationsstrukturen von Arbeit. Ein Netzwerk von algorithmen- und software-gesteuerten Maschinen kann einzelne menschliche Arbeitsschritte oder längere Tätigkeitsabfolgen ersetzen, gleichzeitig aber auch neue Aufgaben für Menschen erzeugen. In Echtzeit werden die Details sämtlicher Abläufe erfasst und weitergege-ben, und zwar nicht nur die maschinellen Daten, sondern auch jene, die über Mensch-Maschine-Schnittstellen erfasst werden. Auf dieser Basis kann Arbeit in ei-nem System so organisiert und verteilt werden, wie es nach bestimmten Gesichts-punkten zu einem gegebenen Zeitpunkt am effektivsten und effizientesten er-scheint.

Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts wurde die Idee soziotechnischer Systeme entwickelt (Trist & Bamforth 1951). Demnach besteht industrielle Arbeit aus den wechselseitig abhängigen Teilsystemen Mensch, Organisation und Technik. Die Au-toren untersuchten im Kohlebergbau die Effekte der Einführung neuer Technik und zeigten auf, dass bei Berücksichtigung aller drei Teilsysteme die Automatisierung von vormals von Menschen durchgeführten Arbeitsschritten nicht notwendigerweise zu Rationalisierung und Effizienzsteigerung führt. Die entscheidende Frage ist,

wel-Angelina Berisha-Gawlowski, Carina Caruso, Michael Goller, Christian Harteis 37

che Rolle der Mensch in diesem Kontext spielt. In den 1970er Jahren wurde das Kon-zept der Humanisierung der Arbeitswelt – auch – als Reaktion auf die damalige Welle der Automatisierung und Rationalisierung von Produktionsprozessen disku-tiert. Dessen zentrale Idee war die der vollständigen Handlung als Voraussetzung einer lernförderlichen Arbeitsorganisation (Hacker 1973; Volpert 1974). Da eine flä-chendeckende Digitalisierung industrieller Produktionsarbeit noch bevorsteht, wird sich erweisen müssen, ob an den Mensch-Maschine-Schnittstellen lediglich ausfüh-rende oder eben auch steuernde und organisieausfüh-rende Aufgaben im Sinne einer voll-ständigen Handlung vorgesehen sind (vgl. auch Goller et al. in diesem Band).

Ein entscheidender Aspekt der Arbeitsorganisation im Sinne von Industrie 4.0 ist, dass die Steuerung über Eingriffe in das oben genannte virtuelle Abbild des ge-samten Produktionssystems erfolgt. Diese Eingriffe werden von Menschen oder Ma-schinen vorgenommen. Aus pädagogischer Sicht ergibt sich hierdurch das Problem, dass die Rolle des Menschen im Produktionssystem über die vorab festgelegten Frei-heitsgrade seines digitalen Zwillings definiert wird.

3.3 Ebene der Arbeitsplätze

Die Integration von Arbeitsplätzen in CPS führt dazu, dass die Funktionen und Handlungsoptionen im digitalen Zwilling definiert werden. Die Einbettung des Menschen in den digitalisierten Arbeitsprozess verursacht also, dass für die Beurtei-lung individuellen Handelns der Beschäftigten die Maßgaben aus der virtuellen Ab-bildung der Arbeitsprozesse Anwendung finden. Eine bislang noch nicht geklärte Frage zielt auf die Qualität der sich aus digitalisierter Arbeit ergebenden Arbeitsan-forderungen. In der Literatur werden zwei Szenarien diskutiert:

1. Dem Automatisierungsszenario folgend werden all jene Arbeitsplätze von Ma-schinen, konkreter: von CPD übernommen, deren Anforderungsprofil vollstän-dig automatisiert werden kann. Aufgaben, die dann noch von Menschen über-nommen werden, sind entweder so einfach, dass sich deren Automatisierung aus Kostengründen nicht lohnt, oder sie sind so komplex, dass ihre Automati-sierung unmöglich ist. Diese Aufgaben würden sich also entweder auf bloßes Exekutieren von Arbeitsschritten beschränken oder wären so komplex, dass de-ren logische Abbildung in einem CPS unmöglich erscheint. Es bestünde also ein Bedarf an extrem niedrig und/oder extrem hoch qualifizierten Arbeitskräf-ten (Düll et al. 2016).

2. Im Werkzeug- oder Spezialisierungsszenario dienen CPD als Werkzeug zur Inter-aktion mit dem CPS. Die CPD erübrigen den Menschen die Übernahme niedri-ger oder gefährdender Arbeitsaufgaben und eröffnen so die Optionen zur ander-weitigen Nutzung des kognitiven und mentalen Potenzials von Beschäftigten.

Beispiele solcher Arbeitsplätze beschreiben Konstellationen, in denen die Tech-nik kontextspezifische und -sensitive Informationen bereitstellt, ohne die Auf-merksamkeit der Beschäftigten für die Informationssuche zu beanspruchen.

Realisiert werden kann dies durch Augmented-Reality-Systeme (Gorecky et al.

2014) oder Fernüberwachung und -assistenz (Wang et al. 2016). In diesem Sze-38 Auswirkungen der Digitalisierung industrieller Arbeit auf die berufliche und allgemeine Bildung

nario erweitert sich das Fähigkeitsspektrum der Beschäftigten durch die Nut-zung der CPD und sie können für anspruchsvollere Aufgaben eingesetzt wer-den. Es bestünde also ein Bedarf an einer generell höheren Qualifikation der Beschäftigten (Düll et al. 2016).

Beide Szenarien beschreiben einen quantitativen Rückgang des Bedarfs an mensch-licher Arbeit. Obwohl der viel referierte Aufsatz von Frey und Osborne (2017) oft auf-grund seiner Forschungsmethodik und der Referenz auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt kontrovers diskutiert wird (Bonin, Gregory & Zierahn 2015; Dengler &

Matthes 2015; Diewald, Andernach & Kunze 2017), bleibt dessen Kernaussage davon unberührt, dass nämlich keinesfalls nur technische Berufe, sondern auch insbeson-dere primäre symbolverarbeitende Tätigkeiten der Gefahr der Automatisierung aus-gesetzt sind, z. B. kaufmännische Berufe an Computerarbeitsplätzen. Das Bundes-institut für Berufsbildung (BIBB) prognostiziert im Saldo ein leichtes Minus des absoluten Arbeitskräftebedarfs bis 2035 durch Digitalisierung (BIBB 2019, S. 421).

Selbstverständlich beschreiben beide Szenarien Extrempositionen dessen, wie sich die Digitalisierung auf die Arbeitsplätze auswirken kann. Obwohl sie in der An-tizipation des Ausmaßes an Kontrolle und der Qualität der Anforderungen, die dem Menschen in der digitalisierten Arbeit zugesprochen werden, zu unterschiedlichen Ergebnissen tendieren, so stimmen sie in dem Punkt überein, dass Beschäftigte in Zukunft gehäuft mit Maschinen und CPD interagieren werden. Welchen Einfluss dies auf die Interaktion zwischen Menschen in digitalisierten Arbeitsprozessen hat, ist noch ungeklärt. Dass die zwischenmenschliche Interaktion weiterhin zuneh-mend verstärkt medial gestützt sein wird, lässt sich auch von dem Verständnis von Digitalisierung bei Müller et al. (2018) als einhergehend mit einer vermehrten Nut-zung von Informations- und Kommunikationstechnologien und einer zunehmen-den Individualisierung von Arbeit ableiten.

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