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3 Neue Kompetenzen für Berufstätige

Eine VUKA-Arbeitswelt steht demnach für eine Arbeitswelt, in der Volatilität, Unsi-cherheit, Komplexität und Ambiguität zum Arbeitsalltag gehören. Hiermit umzuge-hen ist nicht nur Auftrag für Führungskräfte, sondern auch für alle Mitarbeiter:in-nen. Der folgende Abschnitt beleuchtet, was Beschäftigte brauchen, um in der VUKA-Welt zu bestehen. Es ist folglich eine praktische Beschreibung dessen, worauf Lernende in der beruflichen Bildung vorbereitet werden sollten. Diese künftigen Kompetenzen und Qualifikationen sind unabhängig von Branche oder Bereich zu verstehen.

3.1 Flexibilität: die Antwort auf Volatilität

Volatilität steht für die Instabilität von Veränderungen. In einer volatilen Umgebung können wir uns über verfügbare Informationen ein Verständnis der Situation erar-beiten. Doch Veränderungen sind oftmals nicht vorhersehbar (Bennett & Lemoine 2014, S. 313). Daher ist Agilität die zentrale Antwort auf Volatilität. Organisationen müssen in der Lage sein, ihre Ressourcen und ihre Orientierung schnell zu verän-dern. Hierzu steht aufseiten der Mitarbeitenden Flexibilität im Zentrum der benötig-ten Kompebenötig-tenzen. Flexibilität steht dafür, dass Mitarbeibenötig-tende in einer Situation Zu-griff auf mehrere Handlungsoptionen haben und auch selbst generieren können.

Unter dem Stichwort „wenn Weg A nicht funktioniert, hat das Alphabet noch 25 wei-tere Buchstaben“ steht Flexibilität für die Fähigkeit, viele mögliche Wege zu einem Ziel zu denken und umsetzen zu können. Diese Definition beinhaltet sowohl fach-liche Flexibilität als auch Verhaltensflexibilität. Ersteres steht für die verschiedenen Möglichkeiten, in denen Mitarbeitende ihre fachlichen Fähigkeiten einsetzen kön-nen, Letzteres für die Fähigkeit, das eigene Verhalten an veränderte Umstände anzu-passen (Beltrán-Martín & Roca-Puig 2013, S. 648). Für zukünftige Mitarbeitende be-deutet das, dass sie nicht nur fachliche Fertigkeiten einüben, sondern auch die Bandbreite von Möglichkeiten verstehen sollten, in denen diese zum Einsatz kom-men können. Andererseits müssen sie in immer wieder neuen Situationen bestehen lernen und können nicht davon ausgehen, dass Prozesse immer gleich ablaufen wer-den.

3.2 Lernen und Kooperation: die Antwort auf Unsicherheit

Die Unsicherheit in der VUKA-Welt bezieht sich darauf, dass wir oft nicht wissen können, wie relevant eine Veränderung ist. Wir verstehen zwar Ursachen und Wir-kungen, nicht jedoch das Ausmaß der Wirkung (Bennett & Lemoine 2014, S. 314).

Im Gegensatz zur Volatilität, in deren Kontext wir bereits wissen, dass eine Verände-rung auf uns wirken wird, benötigen wir an dieser Stelle primäre Informationen. Re-cherche und Lernen stehen daher im Mittelpunkt des Umgangs mit Unsicherheit.

In dem Wissen, dass wir vollumfängliche Informiertheit nicht erreichen können, gilt es für alle Beschäftigten des Unternehmens, sich schnell in neue Themenfelder ein-zuarbeiten, um eine bessere Einschätzung der Situation vornehmen zu können.

Mit-84 Lernen für die Arbeitswelt von heute

arbeitende können sich nicht mehr auf ein Fachwissen der Vergangenheit verlassen.

Beide Aspekte werden abgelöst: Es benötigt weit mehr als das Wissen eines Faches.

Recherchefähigkeiten und Lernkompetenzen sollten interdisziplinär ausgerichtet sein. Mitarbeitende müssen in der Lage sein, sich auch fachfremde Inhalte schnell zu erschließen, um Situationen besser einschätzen zu können. Der zweite Aspekt, das „Lernen in der Vergangenheit” bzw. das gedachte Nacheinander von Lernen und Arbeiten, muss ebenfalls aufgehoben werden. Lernen ist lebenslang und eng mit dem Arbeitsalltag verknüpft, entsteht aus dem akuten Bedarf, den die Unsicherheit mit sich bringt. Lernen wird zur Grundlage des Erhalts der individuellen Beschäfti-gungsfähigkeit (Bünnagel 2012). Der interdisziplinäre Anspruch des Lernens erfor-dert ein höheres Maß an Kooperation zwischen den Fachbereichen. Daher entschei-den sich immer mehr Unternehmen für eine vernetzte Arbeitsform statt für ein in Bereiche gegliedertes Organigramm. So fließen Informationen schneller und das Lernen voneinander wird durch übergreifende Kooperation gefördert. Netzwerkför-mige Kooperationsformen sind unternehmensintern, immer häufiger auch unter-nehmensübergreifend. In „communities of practice” lassen sich Unsicherheiten in der Branche besser handhaben (Schilcher et al. 2012, S. 12). Lernen und Kooperation sind daher eng miteinander verknüpft.

Kooperation ist die schnellste Form des Lernens. Nach Behaviorismus, Kogniti-vismus und KonstruktiKogniti-vismus entwickeln sich Lerntheorien gerade hin zum Kon-nektivismus. Hierbei geht es im Wesentlichen darum, Wissen nicht zu erhalten, sondern gemeinsam zu entwickeln. Diese Entwicklung ist eine direkte Wirkung der digitalen Welt, in der nicht mehr Menschen Informationsträger sind, sondern das Internet, und in der das Chaos der Informationsflut gemeinsam strukturiert werden muss (Siemens 2005, S. 3 ff.). Für die berufliche Bildung bedeutet das, dass Lernen ein kollektiver und informationsnutzender Prozess wird.

3.3 Entscheiden und Mustererkennung: die Antwort auf Komplexität

Komplexität bedeutet, dass eine Situation nicht mehr umfassend beschreibbar ist.

Snowden beschreibt in seinem Modell „Cynefin“ (Kurtz & Snowden 2003) vier unter-schiedliche Situationen, die unterunter-schiedliche Herangehensweisen benötigen: Im

„Known“ haben wir es mit simplen Situationen zu tun, in denen wir nach Erfahrun-gen bzw. Regeln agieren können. Im „Knowable“ sind die Situationen sehr kompli-ziert, können jedoch mit Analyse und Expertise durchgearbeitet werden, um klare Ursache-Wirkung-Logiken aufzudecken als Basis von Entscheidungen. Im „Chaos“

gibt es keine Ursache-Wirkungs-Logiken. Hier muss es darum gehen, Stabilität her-zustellen, um wieder handlungs- und entscheidungsfähig zu werden. In der „Com-plexity“ jedoch sind wir mit Situationen konfrontiert, in denen sich Ursache und Wirkung erst im Nachhinein erkennen lassen und die oftmals nicht wiederholt wer-den können. Der einzig mögliche Umgang mit solchen komplexen Situationen ist daher ein „probe – sense – respond“-Ansatz (Kurtz & Snowden 2003). In diesem An-satz werden durch kleine Interventionen Konsequenzen eruiert, um eine Muster-erkennung zu ermöglichen, die dann die Basis von Entscheidungen werden kann.

Martina Lucht, Monia Ben Larbi, Sabine Angerhöfer 85

Aufgrund der zunehmenden Komplexitäten in beruflichen Handlungssituationen gibt es nicht mehr die eine richtige Entscheidung. Dies erzeugt Unsicherheit. Es geht nun darum, Arbeitnehmer:innen dazu zu befähigen, in diesen unklaren Situationen in der Lage zu sein, trotzdem Entscheidungen zu treffen. Dieses Vorgehen erfordert eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit und des Vertrauens, da sich Unternehmen nur mutig Schritt für Schritt vorwärtsbewegen können; es nicht nur möglich ist, dass fal-sche Wege eingeschlagen werden, sondern notwendig, um eine Mustererkennung zu ermöglichen. Für die Mitarbeitenden bedeutet das, dass sie die Fähigkeit zur sys-temischen Beobachtung entwickeln müssen sowie den Mut, Entscheidungen zu tref-fen, obwohl sie wenig Wissen darüber haben können, wie diese wirken. „Der Glaube an einen perfekten Plan wird ersetzt durch schnelles Feedback auf die Wirkung von Entscheidungen und Handlungen. Eine zwanghafte finale Zielerreichung wird auf-gegeben und durch eine konsequente kontinuierliche Verbesserung abgelöst“ (Graf 2018, S. 31).

Das Entscheiden selbst sowie der Umgang mit den Konsequenzen der eigenen Entscheidungen wird somit zum zentralen Lernthema. Die Basis von Entscheidun-gen in der komplexen Arbeitswelt ist jedoch die Fähigkeit, Muster im scheinbaren Chaos zu erkennen und sich forschend Stück für Stück vorwärts zu arbeiten. Neben dem analytischen Denken, das alles für Forschungszwecke in seine Einzelteile zer-legt, steht das konstellative Denken im Mittelpunkt, das alles wieder zusammenführt und in Beziehung zueinander setzt (Glatzeder et al., 2010).

3.4 Selbstreflexion und Umgang mit Vielfalt: die Antwort auf Ambiguität Ambiguität steht für die Mehrdeutigkeit einer Information oder Situation (Kammer 2009, S. 9). Wir können das, was passiert, auf sehr unterschiedliche Art bewerten. Es liegt kein Informationsdefizit vor, oftmals sogar ein Informationsüberschuss. Diese Vielfalt an Informationen hilft jedoch nicht automatisch bei einer klaren Beschrei-bung einer Situation. Ambiguität führt zu Ambivalenz, ein Zustand innerer Zerris-senheit, die wiederum zu Entscheidungsunfähigkeit führt. Doch auch wenn wir nicht in der Lage sind, Situationen eindeutig zu interpretieren, haben wir doch Ein-fluss auf die Gestaltung unserer eigenen Prozesse und unserer Zusammenarbeit.

Klarheit wird zur zentralen Herausforderung für Unternehmen (Euchner 2013, S. 11). Die Arbeitswelt entwickelt sich daher hin zu immer größerer Rollenklarheit oder Klarheit in der Vision und dem Zweck der Existenz. Die Mitarbeitenden müs-sen genau wismüs-sen, was sie entscheiden dürfen und was nicht, was das übergeordnete Ziel im Rahmen ihrer Arbeit ist und mit wem Kommunikation und Kooperation notwendig sind.

Doch die Klarheit der neuen Arbeitswelt ist nicht die Klarheit des Qualitäts-managements. Ein Festschreiben von Prozessen widerspricht der Notwendigkeit von Agilität und Flexibilität. Vielmehr geht es um die Klarheit in der Veränderung. Mitar-beitende müssen so deutlich wie möglich verstehen, was heute anders ist als ges-tern. Die Veränderung benötigt Transparenz, darf jedoch nicht behindert werden.

Für Mitarbeitende bedeutet das, dass sie selbst in der Lage sein müssen,

Transpa-86 Lernen für die Arbeitswelt von heute

renz und Klarheit herzustellen. Hierzu gehört die Fähigkeit zur Reflexion, um die verschiedenen Mehrdeutigkeiten der Ambiguität zu erkennen, zu beschreiben und mit der Vielfalt umzugehen.

„Selbstkritik und Reflexionsfähigkeit beruhen auf einer menschlichen Grund-kompetenz, nämlich der Fähigkeit mit Widersprüchen umzugehen, diese zuzulas-sen und keine vorschnellen Auflösungen der daraus resultierenden Spannungen zu fordern“ (Novy & Nossek 2001). Häufige Reflexionsprozesse müssen daher ein we-sentlicher Bestandteil der beruflichen Bildung werden.

3.5 Zwischenfazit

Zusammenfassend reagieren die Unternehmen auf die zunehmende Entwicklung hin zu einer VUKA-Arbeitswelt mit Agilität, Vernetzung, Fehlerfreundlichkeit und Transparenz.

Dimensionen der VUKA-Arbeitswelt Tabelle 1:

VUKA Unternehmen Beschäftigte

Volatilität Agilität Flexibilität

Unsicherheit Vernetzung Lernen & Kooperation

Komplexität Mut/Fehlerfreundlichkeit Entscheiden & Mustererkennung Ambiguität Transparenz/Klarheit Selbstreflexion & Umgang mit Vielfalt

In agilen, vernetzten, mutigen und transparenten Unternehmen können jedoch nur Menschen bestehen, die gelernt haben, flexibel, kooperativ, entschieden und reflek-tiert zu sein. Berufliche Bildung muss daher neben der Vermittlung von fachlichen Inhalten auch eine Entwicklung der Lernenden in eben diese Richtung ermöglichen.

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