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4 Didaktisch-methodische Gestaltung von E-Learning für Menschen mit Lernschwierigkeiten: Theoretische

Grundlagen

Damit E-Learning dem Anspruch gerecht wird, Menschen mit Lernschwierigkeiten mehr Teilhabe an Bildung zu ermöglichen bzw. Bildungsprozesse zu verbessern, muss es die Anforderungen der Lernenden adäquat berücksichtigen. Im Förderpro-gramm Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener sind da-her Anforderungscharakteristika an Lerninhalte identifiziert worden, die den An-sprüchen heterogener Zielgruppen nachkommen (vgl. Alphabund o. J.):

• Praktikabilität und Anwendbarkeit im Alltag oder Beruf,

• Passgenauigkeit zur Problemlösung,

• Flexibilität hinsichtlich konkreter Bedarfe,

• Anschlussfähigkeit und Erweiterbarkeit in Bezug auf eine weitere Kompetenz-aneignung.

Nachfolgend werden daran angelehnt verschiedene Gestaltungsprinzipien für eine zielgruppengerechte Bildung vorgestellt.

4.1 Technische und didaktische Barrierefreiheit

Vielfalt im Lernen ist normal. Lernende haben unterschiedliche Fähigkeiten und Fer-tigkeiten, sie haben unterschiedliche Lernstile und Vorerfahrungen sowie unter-schiedliche Lernbiografien. Entsprechend haben die Lernenden unterunter-schiedliche Lernzugänge und -bedürfnisse. Moderne Technologien und digitale Medien können hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten. Technische und didaktische Barrierefrei-heit sind für E-Learning-Angebote essenziell, um diesen unterschiedlichen Anforde-rungen gerecht zu werden. Dem Leitprinzip Pädagogik vor Technik (vgl. Zierer 2017, S. 4) kommt mit Blick auf heterogene Zielgruppen eine zentrale Rolle zu.

4.2 Universal Design für Learning

Im Kontext der Barrierefreiheit ist das Universal Design von großer Relevanz. Ge-meint ist „ein Design von Produkten, Umfeldern, Programmen und Dienstleistun-gen, die von allen Menschen im größtmöglichen Umfang genutzt werden können, ohne dass eine Anpassung oder ein spezielles Design erforderlich ist“ (vgl. UN-BRK 2017, S. 8). In Anlehnung an das Universal Design wurde in den 90er Jahren das Universal Design for Learning (UDL) entwickelt. Ziel ist es, den vielfältigen Lern-gewohnheiten, -ständen, -bedarfen und damit einhergehenden Lernbedürfnissen gerecht zu werden. Dabei setzt das Universal Design for Learning auf den Erkennt-nissen, wie Menschen lernen, der Neuro- sowie der Bildungswissenschaften auf.

Danach sind beim Lernen insbesondere drei Gehirnareale aktiv:

1. Recognition Networks: Aufnehmen und Analysieren von Informationen, 2. Strategic Networks: Planen und Ausführen von Handlungen,

3. Affective Networks: Bewerten und Priorisieren (vgl. Rose et al. 2006; Rose &

Meyer 2002).

194 Digitalisierung – ein „eMotor“ für berufliche Inklusion?!

Parallel hierzu lassen sich Voraussetzungen für das Lernen setzen, wie sie von Vygotsky formuliert wurden:

1. Wahrnehmung und Information, 2. Strategien der Informationsverarbeitung,

3. Verbundenheit mit Lernaufgaben (vgl. Dolan & Hall 2001, S. 2).

Das UDL stellt entsprechend drei Grundprinzipien des UDL auf:

1. Stellen Sie mehrere Darstellungsmöglichkeiten zur Verfügung.

2. Ermöglichen Sie vielfältige Handlungs- und Ausdrucksmöglichkeiten.

3. Bieten Sie mehrere Möglichkeiten der Beteiligung und des Engagements.

Es setzt damit ein Framework für die Gestaltung von Unterrichtszielen, Bewertun-gen, Methoden und Materialien, die an die individuellen Bedürfnisse angepasst wer-den können.

4.3 Leichte Sprache

Leichte Sprache ist ein Schlüssel für gesellschaftliche und berufliche Teilhabe. Sie unterstützt unterschiedliche Personenkreise bei Verständigungsproblemen und er-möglicht eine verständliche Informationsvermittlung (vgl. BMAS 2018, S. 3). Der Ratgeber für Leichte Sprache des BMAS nennt rund 30 Regeln, von denen nachfol-gend einige aufgeführt werden:

• Benutzen Sie einfache und bekannte Wörter.

• Verzichten Sie auf Fach- und Fremdwörter sowie Abkürzungen.

• Benutzen Sie immer die gleichen Wörter für die gleichen Dinge.

• Benutzen Sie kurze Wörter. Trennen Sie lange Wörter mit einem Bindestrich.

• Vermeiden Sie den Genitiv.

• Benutzen Sie einen kurzen, einfachen Satzbau mit nur einer Aussage.

• Benutzen Sie eine einfache Schrift (Arial, Tahoma, Verdana, Century Gothic) in Schriftgröße 14 oder größer und einen großen Zeilenabstand.

• Schreiben Sie immer linksbündig und jeden Satz in eine neue Zeile.

• Benutzen Sie Bilder, die das Textverständnis unterstützen.

Die in Kapitel 6 vorgestellten Lernangebote orientieren sich im Wesentlichen an die-sen Regeln. Allerdings wurden wenige Ausnahmen vor dem Hintergrund der Ein-satzfelder gemacht. Hierzu zählen nicht Duden-konforme Schreibempfehlungen, wie die Trennung langer Wörter mit Bindestrich und die Empfehlung, Fachwörter zu vermeiden. Beide Empfehlungen widersprechen der in den Projekten angestrebten Unternehmens- und Fachspezifik sowie der Arbeitsprozessorientierung der Lernan-gebote und ihrer Alltagstauglichkeit in Unternehmen. Zudem sollen keine falschen Lernimpulse gesetzt werden, insbesondere nicht für Menschen, die Leichte Sprache nur über einen gewissen Zeitraum bedürfen. Ein weiterer Aspekt, der zu bedenken ist, ist der Wiedererkennungswert von Wörtern abseits der Leichte-Sprache-Situa-tion. Gerade dann, wenn es um Sicherheitshinweise, Arbeitsanweisungen oder

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dienungsanleitungen in Unternehmen geht, ist dieser Aspekt sehr bedeutsam (vgl.

Maaß 2015, S. 88 ff.). Darüber hinaus ist ein Verzicht auf Fachbegriffe im beruflichen Kontext nahezu unmöglich.

4.4 Vollständige Handlung und Arbeitsprozessorientierung

Im Kontext der beruflichen Bildung sind Handlungs- und Arbeitsprozessorientie-rung elementare didaktische Prinzipien, denn sie befördern den Aufbau beruflicher Handlungskompetenzen und befähigen zum selbstständigen Planen, Durchführen und Beurteilen von beruflichen Aufgaben (vgl. KMK 2018, S. 17). Die Konstrukte Handlungs- und Arbeitsprozessorientierung sind einem konstruktivistischen Ver-ständnis des Lernens zuzuordnen. Hierbei wird Lernen als ein Prozess angesehen, bei dem Lernende Wissen aktiv und selbstständig konstruieren – das selbstständige Entdecken des Wissens, das situativ und kontextuell gebunden ist, steht im Vorder-grund.

Ausgangspunkt der Planung handlungsorientierter Lernsituationen ist das Pro-dukt oder die Dienstleistung an sich. Welche Arbeitsschritte respektive welche Ar-beitsprozesse müssen durchlaufen werden, um das Produkt herzustellen bzw. die Dienstleistung zu erbringen? Die vollständige Handlung durchläuft die Phasen In-formieren, Planen, Entscheiden, Ausführen, Kontrollieren und Bewerten (vgl. Ott 2011, S. 222 f.). Sie kann methodisch mithilfe des Kundenauftrags umgesetzt werden.

Dieser umfasst die Phasen Auftragsplanung, -durchführung, -auswertung und -ana-lyse. Die nachfolgende Abbildung zeigt, wie die vollständige Handlung und der Kun-denauftrag ineinandergreifen.

Das Ineinandergreifen von vollständiger Handlung und Kundenauftrag

Diese methodische Gestaltung der Lernszenarien unterstützt den Aufbau kontextua-lisierten und transferfähigen beruflichen Wissens, das die Bewältigung beruflicher Anforderungen fördert (vgl. Sonntag & Stegmaier 2007, S. 12 f.). Das Prinzip der Ar-beitsprozessorientierung ist darüber hinaus auch ein Indikator für die Erwachsenen-gemäßheit und Problemhaltigkeit der Lernangebote (vgl. Kunzendorf 2015, S. 138).

4.5 Konstruktion mit Instruktion

In situierten Lernumgebungen können Desorientierung und Überforderung Folge fehlender oder mangelnder Anleitung und Unterstützung sein. Dies kann sich ins-besondere bei Menschen mit Lernschwierigkeiten negativ auswirken (vgl. Rein-mann-Rothmeier & Mandl 2001, S. 623). Dies heißt nicht, dass konstruktivistisch

Abbildung 1:

196 Digitalisierung – ein „eMotor“ für berufliche Inklusion?!

orientierte Lernszenarien für Menschen mit Lernschwierigkeiten ungeeignet sind, sondern bedeutet vielmehr, dass Lernsituationen, die ganzheitliche Arbeitsaufträge bzw. Kundenaufträge beinhalten, sowohl die Lernkompetenzen als auch die Vorer-fahrungen der Lernenden mit Lernschwierigkeiten in besonderer Weise berücksich-tigen sollten (vgl. Reinmann-Rothmeier & Mandl 2001, S. 624).

In einer Untersuchung von Stark, Graf, Renkl et al. (1995) zum Computerunter-stützten Lernen unter multiplen Perspektiven konnte nachgewiesen werden, dass sich bei allen Lernenden die Potenziale für einen anwendungsbezogenen Wissenserwerb insbesondere dann entfalten, wenn sie instruktional unterstützt werden (in Rein-mann-Rothmeier & Mandl 2001, S. 619). Es gilt, ein Gleichgewicht zwischen In-struktion und KonIn-struktion zu finden. Denn Personen mit geringer Lernerfahrung benötigen mehr Instruktion als diejenigen mit viel Lernerfahrung. Andersherum profitieren Personen mit viel Lernerfahrung von ganzheitlichen, konstruktiven Lern-aufträgen. Für die nachfolgenden Forschungsvorhaben ist daraus zu schließen, dass sie die Balance zwischen Konstruktion und Instruktion ausloten müssen. Dabei er-halten Personen mit geringer Lernerfahrung mehr Instruktion als diejenigen mit viel Lernerfahrung.

5 Umsetzungsbeispiele

Die nachfolgenden Praxisbeispiele zeigen exemplarisch, wie digitales Lernen unter Rückgriff auf die vorgestellten Prinzipien und Leitlinien in der beruflichen Bildung umgesetzt werden kann.

Für die Umsetzung digitaler Lernangebote in der beruflichen Bildung sind Lernmanagementsysteme (LMS) zentral. Viele LMS, so auch das in den Vorhaben eingesetzte LMS Moodle, unterstützen sowohl die Erstellung von digitalen Lernan-geboten als auch die Bereitstellung dieser Lernmaterialien. Darüber hinaus umfas-sen LMS Kommunikations- und Kooperationswerkzeuge zur Ermöglichung vielfälti-ger Sozial- und Arbeitsformen. Eine besondere Anforderung an das LMS ist seine Barrierefreiheit.

Für die Vorhaben ist das LMS Moodle ausgewählt worden. Anpassungen wur-den insbesondere am Theme vorgenommen, welches das optische Erscheinungsbild des LMS bestimmt. Durch die Verbesserung der Kontrastverhältnisse, Farb-Hellig-keitsdifferenz und Farbsättigung konnte die Barrierefreiheit für Sehbeeinträchtigun-gen optimiert werden. Des Weiteren wurden Möglichkeiten integriert, die

• die barrierefreie Erstellung und Nutzung von mathematischen Formeln unter-stützen,

• die Tastaturbedienbarkeit verbessern,

• die Integration und Nutzung alternativer Inhalte ermöglichen,

• die Integration von Untertitel-Spuren für Lernvideos erlauben,

• die Musteranmeldung anbieten (vergleichbar mit Smartphone),

• die Verständlichkeit der Kursstruktur visuell unterstützen.

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5.1 ELoQ – E-Learningbasierte Logistik Qualifizierung

Logo des Forschungsvorhabens ELoQ – E-Learningbasierte Logistik Qualifizierung

Das Forschungsvorhaben ELoQ zielt auf eine zukunftsorientierte Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderung oder Benachteiligung im Fachbereich Logistik.

Konkret wurde ein digitales Lernangebot für junge Menschen in den Ausbildungsbe-rufen Lagerfachhelfer:in und Fachlagerist:in entwickelt, das möglichst vielfältig nutz-und einsetzbar ist. Vor dem Hintergrnutz-und der Adressaten sind technische nutz-und didak-tische Barrierearmut gestaltungsleitend.

Logo der Modellfirma AUTOKrad

Für ELoQ wurde die Modellfirma AUTOKrad als Lernsetting kreiert, in das zahlrei-che Lernsituationen und Inhaltsmodule integriert sind. Mittels konkreter Arbeitsauf-träge, für die unterschiedliche Schwierigkeits- und Instruktionsgrade realisiert sind, werden die Lernprozesse initiiert. Zudem stehen diverse Reflexionsaufträge, Tests und Musterlösungen o. Ä. zur Verfügung, um Lernende bei der Selbststeuerung ih-res Lernprozesses zu unterstützen. Die Lernenden können zudem auf Kommunika-tions- und Kooperationswerkzeuge zurückgreifen. Ziel dieser didaktischen Konzep-tion ist es, die Lernenden zu motivieren und für sie Möglichkeiten der IdentifikaKonzep-tion mit den Lernthemen zu schaffen. Zudem avisiert dieses Vorgehen die Ermöglichung von Handlungs-, Arbeitsprozess- und Problemorientierung sowie Kontextualisie-rung.

Das Berufsbildungswerk des CJD Dortmund qualifiziert junge Menschen mit Beeinträchtigungen. Im Ausbildungsbereich Logistik können die Teilnehmenden den Berufsabschluss als Fachlagerist:in erlangen. Sowohl im Berufsschulunterricht als auch in der praktischen Ausbildung können die Auszubildenden sowie auch die Ausbilder:innen und Berufsschullehrer:innen ELoQ nutzen. Des Weiteren können die Lernenden das E-Learning Angebot von zu Hause nutzen.

Abbildung 2:

Abbildung 3:

198 Digitalisierung – ein „eMotor“ für berufliche Inklusion?!

Fallbeispiel:

Thomas E. macht im CJD seine Ausbildung zum Fachlageristen. Aktuelles Thema in der Ausbildung ist das Laden von Gütern. In der Berufsschule hat der Lehrer Herr Schmidt in Absprache mit der praktischen Ausbilderin Frau Müller in das Thema Beladung eines Lastkraftwagens eingeführt. Dass die Ladung korrekt gesichert wer-den muss, hat ein kurzes Video im Unterricht schnell sichtbar gemacht, und wie die Ladung mit Zurrgurten gesichert wird, fand Thomas auch leicht zu verstehen. Aber wie er berechnen soll, wo auf der Lagefläche die Ladung stehen darf, damit die Last richtig verteilt wird, war für Thomas ganz schön schwierig. Er muss Lastendia-gramme richtig lesen und den Gesamtschwerpunkt berechnen können. Morgen soll Thomas in der Praxis zum ersten Mal eine Beladung allein planen. Er ist unsicher und möchte sich auf seinen Einsatz noch einmal vorbereiten. Dafür haben Herr Schmidt und Frau Müller in ELoQ einige Informationen und Übungen zusammen-gestellt. So kann er anhand eines konkreten Beladungsauftrags in ELoQ sein Vorge-hen planen. Rückmeldung, ob er alles richtig gemacht hat, gibt ihm das Programm auch. Für alle Aufträge sind mindestens Musterlösungen mit den Lösungswegen hinterlegt. Nach der Berufsschule übt Thomas in ELoQ das Ablesen der Lastendia-gramme und sogar an eine Berechnung wagt er sich. Alles kann er in seinem Tempo üben – lernen ohne Druck und so oft wiederholen, wie er möchte. An einer Stelle der Berechnung hakt er immer wieder – das will er sich morgen noch einmal von Frau Müller erklären lassen, bevor er seine erste Beladung allein plant. Er ist froh, dass er zur Planung auch auf ELoQ zugreifen darf.

5.2 DoQ – Dortmunder Grundbildungsqualifizierung

Logo des Forschungsvorhabens DoQ – Dortmunder Grundbildungsqualifizierung

Das Vorhaben DoQ hat arbeitsplatzorientierte, digitale Grundbildungsangebote für geringqualifizierte Arbeitnehmer:innen in Unternehmen entwickelt. Dabei ist „die enge Verzahnung von berufsfeldbezogenen Inhalten und den persönlichen Ziel- und Wunschvorstellungen beim Lesen und beim Schreiben lernen [der Teilnehmer:in-nen] ein wichtiger Motor“ (Steindl 2002, S. 48). Die Angebote sollen also einerseits die Grundbildung der Teilnehmenden verbessern, hier steht die Alphabetisierung im Vordergrund, und andererseits die Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer:in-nen befördern, indem diese bspw. die Einarbeitung auf neue Arbeitsplätze oder die Arbeit am Arbeitsplatz unterstützen. Daher können sich die Lernenden über ver-schiedene, individuell präferierte Zugänge erforderliches Wissen erschließen und gleichzeitig ihre Lese- und Schreibkompetenzen verbessern.

Abbildung 4:

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