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Soziale Konstruktion planungsbezogenen stadtpolitischen Protests

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 166-171)

Ressourcenmobilisierung und Prozessmodell

5.3.3 Soziale Konstruktion planungsbezogenen stadtpolitischen Protests

Bereits innerhalb des Modells der planerisch-stadtpolitischen Möglichkeitsstruktur wurde auf die Zweiteilung des politischen Prozesses hingewiesen: die Protestformation innerhalb eines

„Möglichkeitsfensters“ und die Protestdurchführung in Interaktion mit den Protestobjekten und der Öffentlichkeit (12.2.1, 13.2.2). Im Folgenden soll die soziale Konstruktion des Planungs-protests genauer untersucht werden, die im Moment der Protestformation am deutlichsten wird, jedoch auch in der Weiterentwicklung beständig fortgesetzt wird. Dabei wird dieser Prozess zwar als interaktiv beschrieben, jedoch besonders auf die Bedeutung des – in der Regel – kol-lektiven Handelns der Protestakteure und ihrer strategischen Entscheidungen eingegangen. Als wesentliche strategische Konstruktionsleistungen werden dabei das primär nach außen ge-richtete politische framing und die primär nach innen gege-richtete kollektive Identität angesehen (12.2.2, 13.2.3).

Daraus ergibt sich auch, dass die – auch verbalen (5.4.1) – Protesthandlungen Ausdruck sub-jektiv wahrgenommener Rationalitäten sind (Flyvbjerg 1998). Für den politischen Prozess und die lokale räumliche Planung folgt daraus, dass Beiträge aus dem Protest stets einer politischen – wie auch planerischen – Bewertung bedürfen, weil sie keine positive, abgestimmte und de-mokratische Entwicklung481 garantieren und vielfältigen strategischen Zielsetzungen dienen können (5.2.4, 5.3.4, 3.4). Auch Protestnetzwerke richten sich nicht nur „against elites [and]

480 Wie der Untertitel „Commercialization of Human Feeling“ zeigt, liegt der Schwerpunkt der Auseinadnersetzung bei Hochschild (2012 [1983]) allerdings bei der unternehmerischen Verwendung von Emotionen innerhalb von Ge-schäftspraktiken.

481 Eine andere, weniger allgemeine Formulierung wäre die Gewährleistung des gesetzlichen Planungsauftrags einer „geor-denten städtebaulichen Entwicklung“ (§1 BauGB).

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authorities“ sondern auch gegen „other groups, or cultural codes”, die sie herausfordern (beide Tarrow 2011:9, 3.7.1). Für eine wertfreie wissenschaftliche Analyse bedeutet dies, dass der politische Kontext von Protest, Protesthandlungen und -beiträgen stets beachtet werden muss.482

Soziale Konstruktion von Protest in Zeit und Raum

Folgt man dem konstruktivistischen Ansatz, so werden Proteste, ihre Anlässe, Ziele und Orga-nisation, ja auch ihre Rahmenbedingungen durch Wahrnehmung, Diskurs und Handlung kon-struiert. Es bestehen keine Protestanlässe, solange niemand ihretwegen protestiert, und nie-mand protestiert, solange sich keine Individuen zusammengefunden haben, die solche Anlässe definiert und Forderungen aufgestellt haben. Damit ist die Protestorganisation nicht länger nur eine Frage des Wie, sondern auch des Wann und – für eine planungswissenschaftliche Arbeit von entscheidender Bedeutung (vgl. 3.7, 5.1.2) – auch des Wo. Die soziale Konstruktionsleis-tung ist maßgeblich von zeitlich und örtlich gebundenen kulturellen Bedingungen beeinflusst (5.3.1). Gleichzeitig ist die doppelte Konstruktionsleistung von Protestinhalt und -organisation nicht innerhalb eines plötzlichen Ausbruchs zu leisten, sondern als ein Punkt in einem langfris-tigen Konstruktionsprozess gesellschaftlicher Deutungen zu verstehen: Ähnlich gelagerte Netz-werke bestehen bereits und werden für den Protest aktiviert, Abgrenzungen verfestigt oder für Allianzen reduziert, um sich zu einem neuen „Wir“ der kollektiven Identität der Protestieren-den zusammenzufinProtestieren-den (vgl. insg. 3.6.3). Auch werProtestieren-den bestehende Deutungen der sozialen Wirklichkeit für die Beschreibung von Protestinhalten genutzt.

Damit wird auch die indirekte Verknüpfung von Krisen, Konflikten, Anlässen, Anliegen und Protest näher bestimmt (3.1, 5.2.2). Dass konstruktivistische Ansätze Proteste wieder in Bezug setzen zu ihrer sozialen Umwelt, bedeutet eben nicht, Protest als quasi körperlichen Reflex auf gesellschaftliche Veränderungen und Herausforderungen zu begreifen (3.3.1) und somit keine Abkehr von einem rationalen, strategischen Verständnis von politischem Protest (3.2, 3.4.1, 3.5, 5.2.1). Durch die beschriebenen sozialen Konstruktionsleistungen bleiben die Protestak-teure handelnde Subjekte und ihre politischen Aktivitäten werden noch stärker denen anderer politischer Akteure gleichgestellt (s.u.). Allerdings wird gleichzeitig betont, dass sie nicht un-abhängig von ihrer sozialen Umwelt handeln, sondern mit ihr interagieren und sich mit ihr in Beziehung setzen (3.6, 5.3.1).

Für diese Arbeit sind dabei zwei Beziehungen zu speziellen sozialen Konstrukten von besonde-rer Bedeutung: Protest wird hier einerseits als anlassbezogen, andebesonde-rerseits als planungsbezogen verstanden. Zumindest auf der hier untersuchten lokalen Ebene reagieren Proteste stets auf konkrete Protestanlässe – im Gegensatz zu abstrakten Zielen und Ideologien (5.2.2). Diese Beziehung wird dabei einerseits durch die Protestierenden selbst, andererseits auch durch wei-tere politisch Handelnde aktiv konstruiert. Lokale räumliche Planung mit ihren Inhalten und Verfahren wird in der Protestkonstruktion zum Protestobjekt und ggf. -adressat. Sie wird zum einen als ein Anlass für Protest verstanden: Planung zielt auf soziale Veränderung und kann etwa eine materielle Herausforderung für Betroffene bedeuten, ihre Prozesse können zum Bei-spiel als Ausdruck von Fremdbestimmung verstanden werden. Planung kann aber auch aufge-fordert werden, eine gewünschte Veränderung zu bewirken oder potentielle Konfliktlösungen zu bieten. Auch hier ist es eine Konstruktionsleistung, die Planinhalte und Planungsverfahren zum Anlass werden lässt: Erst durch framing wird ihnen die Bedeutung zugeschrieben, die dazu führt, dass sie als Ausgangspunkt von Betroffenheit verstanden werden oder in ihnen eine

482 Dies schließt unter anderem Fragen ein wie: Welche von wem formulierten Planungen werden zurückgewiesen? Welche, wem nutzende Situation wird als Herausforderung und Zumutung verstanden? Für wen stellt der Protest selbst eine Her-ausforderung dar? Welchen Zielen jenseits des Protests dienen die Protestforderungen?

Möglichkeit für alternative Lösungen erkannt wird (7.1.4, s.u.).

Zu den sozialen Konstruktionsleistungen der Protestierenden zählen auch verschiedene Akti-onsformen (7.3.3). Ein spezifisches Repertoire von politischen Handlungen und Handlungsfor-men wurde lange als Definitionskriterium für Protest angeführt. Jedoch erscheint es wenig plausibel, Protest per se als „marked by interrupting, obstructing, or rendering uncertain the activities of others“zu verstehen (Tarrow 2011:9). Dies sind vielmehr übliche Ausdrucksfor-men, doch gehören auch „zivilere“ Formen wie „petitions, declarations, and mass mee-tings“ zum Protestrepertoire (Tilly 2004:4). Neben weiteren direkten, demonstrativen, informa-tiven, plakativen und expressiven Aktionsformen besitzen mittlerweile auch digitale Handlun-gen im Internet eine wesentliche Bedeutung (Blood 2010).

Framing: Strategische Konstruktion von Protestbedeutung als alternative Problemlösungsansätze

Zuvor wurden die sozialen Konstruktionsleistungen beschriebenen, die von Individuen und Gruppen teils bewusst und teils unbewusst vollzogen werden (Herkenrath 2011:49f.), um Pro-teste entstehen zu lassen und durchzuführen. Der framing-Ansatz hingegen untersucht nur be-stimmte soziale Konstruktionsleistungen, die Protestakteure im Rahmen ihrer Strategie nutzen, um ihre Ziele umzusetzen. Hierbei geht es um die bewusste Produktion und Auswahl von für sie nützlichen Deutungen. Die lokale räumliche Planung wird dabei entsprechend der Unter-scheidung von Snow/Benford vor allem im Rahmen des diagnostic framing als auch des prog-nostic framing angesprochen werden (1988:200ff.; vgl. Pollack 2000:45, 3.6.1). Innerhalb die-ser Konstruktionen werden durch die Protestierenden vor allem Protestanlass und -anliegen hergestellt. Eine mobilisierende Ansprache im Sinne des motivational framing findet auch im Planungsprotest statt, bezieht sich aber vermutlich seltener direkt auf Planungsinhalte und -ver-fahren.483

Protestanlass und -anliegen stellen insofern eine im Rahmen des framing erdachte Kausalbezie-hung von Problem und Lösung dar: Weil A geplant wird (oder nicht), soll B geschehen (oder nicht). Der in dieser Kausalität beschriebene Problemlösungsansatz stellt innerhalb einer poli-tischen Auseinandersetzung stets nur eine mögliche Alternative dar (7.1.5). Im Unterschied zu anderen Einsatzbereichen des politischen framing wird dies im Protest besonders deutlich, da sie ja stets – zumindest implizit – im Widerspruch zu einer anderen Alternative formuliert wer-den. Im Sinne einer relationalen Betrachtung von Protest steht der im Protest artikulierte alter-native Problemlösungsansatz in Konkurrenz mit den innerhalb hegemonialer Institutionen for-mulierten Beschreibungen einer solchen Kausalität und den darauf ausgerichteten Handlungen einschließlich der Bestimmung von Planungsinhalten und -verfahren.484

Die Beziehung zwischen Planung und Protest wird dadurch zudem mehrdimensional und nicht auf die Konstruktion von Planung als Protestanlass beschränkt. Eine hinsichtlich ihrer Ergeb-nisse und Verfahren veränderte Planung kann auch Ziel von Protest sein oder als Mittel angese-hen werden, andere Protestziele zu erreicangese-hen.

483 In Abschnitt 7.1 werden Begründungen und die Artikulation von Betroffenheit als planungsbezogene Aspekte des motiva-tional framing untersucht.

484 Protest ähnelt hier dem Begriff der Sozialen Bewegungen nach Toch (1965), der ihr Ziel in der Lösung gemeinsamer Probleme sieht. Vgl. 3.1.1.

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Agency strategischer Entscheidungen

Für die Planungswissenschaft als einer handlungsleitenden Disziplin besitzt das sozialwissen-schaftliche Agency-Konzept große Attraktivität (3.3.2).485 Durch seine Verwendung würde eine tatsächliche Untersuchung von Handlungen jenseits der sie leitenden und aus ihnen entstehen-den Strukturen ermöglicht. Das Planen und Protestieren und die Interaktionen zwischen beientstehen-den Handlungen ständen dann im Vordergrund. Dem stehen allerdings zwei wesentliche Argumente entgegen: Zum einen steht ein tatsächliches handlungstheoretisches „rethinking social move-ment“ noch aus (Goodwin/Jasper 2004b). Die Kritik an der bestehenden strukturalistischen Protestforschung ist noch nicht in ausreichendem Maße in operationalisierbare Ansätze zur Be-forschung von Protest übergegangen – außer in dem Sinne, dass Aspekte von agency mittler-weile auch in strukturalistischen Ansätzen auftauchen. Zum anderen wurde bereits auf das Er-fordernis einer Anschlussfähigkeit an den sozialwissenschaftlichen Stand der Forschung hinge-wiesen, die eine Qualifizierung der planungswissenschaftlichen Protestanalyse ermöglichen soll (1.2, 1.3, 5.1.1). Somit erscheint aber auch eine Orientierung am sozialwissenschaftlichen Mainstream gegeben – auch wenn dessen strukturalistische Ausrichtung innerhalb der Diszip-lin umstritten ist und eine handlungstheoretisch fundierte Alternative wünschenswert er-scheint.486

Insofern bleibt für das eigene Protestverständnis dieser Arbeit und den darauf aufbauenden em-pirischen Ansatz vor allem, die handlungsbezogenen Ansätze innerhalb der bestehenden Theo-rien zu betonen. Die Untersuchung individueller und kollektiver Entscheidung für (oder gegen) Protest sowie möglicher alternativer politischer Strategien ist dabei in Einklang mit den Aus-führungen von Jasper von besonderer Relevanz (2004:6ff., 3.4.1).

Zusammenschluss in Protestnetzwerken

Egal, ob irrational oder rational, Verhalten oder Handeln, es wird innerhalb der sozialwissen-schaftlichen Protestforschung – auch in den so genannten „individualistischen“ Ansätzen (3.2.3) – stets von Protest als einem kollektiven Phänomen ausgegangen. Kollektivität und der Akt der „Versammlung“ (Butler 2016) oder „Vereinigung“ (Warren 2001) sind trotz des umfas-senden Paradigmenwechsels die weitgehend konstanten Aspekte der Protest- wie auch Bewe-gungsforschung. Dass „[humans] band together with others to change things“ (Goodwin/Jas-per 2003:3) ist der „irreducible act“ (Tarrow 2011:7) des „collective struggle“ (McAdam et al.

2001:5), der von der unpolitischen Beschwerde maßgeblich durch den Zusammenschluss zu unterscheiden sei. Neben dem organisatorischen Aspekt gehört zum Zusammenschluss auch die Ausbildung einer einheitlichen kollektiven Identität für das Protestnetzwerk, die im Zuge der Vereinigung gebildet und in ihrer Fortentwicklung beständig erneuert wird. Die kollektive Identität bietet dabei über das innerhalb des Netzwerks gebildete Wir-Gefühl den Protestakteu-ren „informelle“ Ressourcen wie Solidarität, Zugehörigkeit, soziale Kontrolle und Rückhalt (McAdam et al. 1996b:3, Hunt/Benford 2005:448, 3.6.3). Die mit dem Zusammenschluss ver-bundene Grenzziehung führt auch zu einer inhaltlichen Selbstverstärkung und beständigen Ver-gewisserung über das framing (Polletta/Jasper 2001:284).

Sofern eine planungswissenschaftliche Beforschung von Protest anschlussfähig an die sozial-wissenschaftlichen Erkenntnisse sein soll, scheint hier eine Angleichung geboten. Nur: Die Vorstellung steht im Widerspruch zur Protestwahrnehmung und -einschätzung von Planungs-

485 Vgl. hierzu insbesondere agonistische Ansätze.

486 Allerdings sei an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, dass die alleinige Betrachtung der Mikroebene als sozialer Basis nicht befriedigend erscheint. Damit erscheinen die strukturalistischen Ansätze als Kontext der Entscheidungen auf der Makroebene durchaus hilfreich um zu erklären, wann solche Entscheidungen (un-)wahrscheinlicher sind, wie Entschei-dungen getroffen und Entscheidungsfindung organisiert wird etc.

und Protestakteuren487 und zu emergenten Phänomenen im Bereich „virtuellen“ Protests.488 Und auch innerhalb der sozialwissenschaftlichen Forschung wird die Mikroebene der Indivi-duen immer wieder benannt. So beschreiben Goodwin/Jasper noch auf der gleichen Seite, auf der sie die zuvor zitierte Kollektivität des Phänomens betonen, dass sich Protest auf die Hand-lungen „by some individual or group“ beziehe (2003:3). Auch Rucht et al. erweitern den Erhe-bungsrahmen von PRODAT, in dem „Träger der Aktion […] kollektive […] Akteure“ sind, um die Ausnahme, dass auch Einzelpersonen erfasst werden können, hinter denen „eine aktiv un-terstützende – und nicht nur sympathisierende – Gruppe“ steht (beide 1992:6). Auch werden sowohl in der neueren Krisentheorie als auch im Ansatz der Möglichkeitsstruktur stets Indivi-duen als Ausgangspunkt genommen, an dem gesellschaftliche Einflüsse stattfinden.489 Für eine empirische Untersuchung ist es insofern durchaus möglich, auch die Handlungen von Einzel-personen als politischen Protest zu verstehen (5.4.1). Damit wird hinsichtlich der Protestak-teure und ihrer Organisation die größtmögliche, aus den verschiedenen sozialwissenschaftli-chen Ansätzen ableitbare Öffnung vorgenommen und in eine Erweiterung der Forschungsfrage überführt, die zwar angesichts des Projektumfangs nicht umfassend bearbeitet, jedoch ansatz-weise untersucht werden kann (7.3.1).

Es ist jedoch zu vermuten, dass kollektive Akteure dennoch den wesentlichen Teil der Proteste tragen. Die Form ihres Zusammenschlusses und die Protestorganisation spielen damit auch in einer planungswissenschaftlichen Untersuchung eine gewisse Rolle, wenngleich ihre Bedeu-tung weniger hoch eingeschätzt wird, als dies insbesondere innerhalb des Ressourcenmobilisie-rungsansatzes der Fall ist.490 Wichtiger aber ist, die Organisation von Protest in Beziehung set-zen zu können zur Analyse weiterer Akteure. Insofern bietet es sich an, das analytisch offene Verständnis von Protestorganisation in Netzwerken zu übernehmen, wie es etwa Tilly formu-liert hat (1978, 3.5.1).491 Dabei bleibt der Begriff des Protestnetzwerks offen für alle Formen der Verstetigung, Strukturierung und Formalisierung bis hin zur (partiellen) Institutionalisier-ung.492

Zugleich wird der Begriff des Protestnetzwerks im Rahmen dieser Arbeit stets für Netzwerke verwendet, die einen Protest durchführen und nicht für eine Verbindung bzw. Vernetzung mehrerer Proteste. Um solche Verbindungen zu beschreiben, die jenseits des einzelnen Protests und damit in dessen Kontext liegen (5.4.5), werden im Rahmen der quantitativen Untersuchung die Begriffe Soziale Bewegung und stadtpolitischer Protestkomplex genutzt (7.3.1). Beide bezeichnen die teils organisatorische, teils aber auch nur inhaltliche Zugehörigkeit eines Pla-nungsprotests zu einem übergeordneten Sinnzusammenhang, der insbesondere über den konkreten Protestanlass hinausgeht. Insbesondere um den definitorischen Schwierigkeiten der

487 Innerhalb der partizipativen Befragung wurde die Aussage „Protest geht nur von Gruppen, nicht von Einzelpersonen aus“ einhellig abgelehnt.

488 Die „Clicktivisten“ bei so genannten „Online-Petitionen“ mögen zwar eine „virtuelle Versammlung“ im Sinne Butlers (2016) darstellen, ob sie allerdings als Kollektivierung oder „Vereinigung“ anzusehen sind, wie sie etwa Warren (2001) beschreibt, scheint überaus fraglich. Vgl. Wallner/Wimmer (2013), Blood (2010), Hoecker (2006a), van Laer (2010), Schwartz (1996), allerdings auch Hensel et al. (2013), die die „Vernetzung“ von Online-Protestakteuren betonen.

489 Opp (2009:179f.) kritisiert an den verschiedenen Ansätzen der politischen Möglichkeitsstruktur auch das „missing micro-macro model“.

490 Dort wird nicht nur großer Wert darauf gelegt, dass Organisation an sich bedeutend für den Erfolg von Protest ist, sondern auch die ideale Form diskutiert, Protest zu organisieren. Dies erscheint für den planungswissenschaftlichen Diskurs um Protest weniger bedeutend. Die empirisch – oder ggf. auch analytisch – bestimmbare tatsächliche Stabilität und Hand-lungsfähigkeit der Protestakteure, die sich auch aus ihrer Organisation ergibt, ist für die Analyse des Planungsprozesses bedeutsamer als Idealformen der Protestorganisation.

491 Protestierende verfügen damit bereits über eine – ggf. vorläufige – Organisation, wenn ihre personellen Verbindungen relativ lose sind und sich (noch) keine materielle und formalisierte Organisationsstruktur herausgebildet hat – eine Grup-pen oder auch eine stärker hierarchische Organisationsform vgl. etwa Fuhse (2006). Gleichzeitig besteht zwischen den

„Mitgliedern“ des Protestnetzwerks bereits eine gemeinsame Vorstellung einer sozialen Kategorie, an deren Konstruktion sie teilnehmen, der sie sich selbst zuordnen und die sie ideologisch von anderen Gesellschaftsteilen unterscheidet.

492 Eine genaue Definition von Bewegung als Netzwerk wie sie etwa Neidhardt (1985), Diani (1992:13) oder McCarthy/Zald (1977:1218) formulieren, ist hierfür hingegen nicht erforderlich. Vgl. 3.1.1.

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unterschiedlichen Bewegungsbegriffe zu entgehen, werden als Soziale Bewegungen hier zunächst nur gesamtgesellschaftlich und langfristig bestehende Bewegungen bezeichnet und dabei eine bestehende Aufzählung durch Roth/Rucht verwendet (2008a). Die Protestkomplexe sind hingegen solche vor allem thematischen Zusammenhänge, die innerhalb der quantiativen Erhebung jenseits dieser Aufzählung nachgewiesen werden konnten.

Auch die Protestnetzwerke sind dynamisch und unterliegen Wandlungen, die nicht allein auf ihre Ressourcen wie etwa die Organisationsstruktur beschränkt sind. Neben weiteren struktu-rellen Veränderungen, die sowohl die Beziehungen von Netzwerkmitgliedern (Bildung von Hierarchien, Institutionalisierung, Professionalisierung etc.) als auch die Außenbeziehungen des Netzwerks (Kommunikation, Allianzen etc.) betreffen, werden auch die sozialen, ideologi-schen Kategorien, die zur Bildung des Netzwerks geführt haben (Tilly 1978), weiterentwickelt, eigene Inhalte verfeinert und verändert (etwa Radikalisierung oder Moderation) sowie Grenzen zu anderen Netzwerken gezogen. Je nach Offenheit der Netzwerkgrenzen ändern sich dadurch die Möglichkeiten, Mitglieder zu gewinnen und zu halten.

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 166-171)

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