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Von der Marginalisierung des Lokalen zu Städtischen Sozialen Bewegungen

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 116-119)

Vom „Dagegen“ zum „Dafür“? 117

Grundlagen in der Critical Urban Theory

Wesentliche international beachtete Beiträge sind dabei innerhalb des nur bedingt homoge-nen331 Forschungsfelds der Critical Urban Theory332 verortet, zu dem „leftist or radical urban scholars“ (Brenner 2009) wie Henri Lefebvre, Manuel Castells und David Harvey gehören (4.1, 4.2, 4.3).333 Neben „research on the various dimensions and consequences of capitalist forms of urbanization“334 bestehen hier verschiedene Ansätze der „consolidation of diverse forms of urban social mobilization, conflict and struggle“ (beide Brenner et al. 2009:178; vgl.

auch insg. 178-179). Der wesentliche Beitrag ist dabei der Ansatz der „Städtischen Sozialen Bewegungen“ von Castells (1977 [im Original 1972], 1975 [im Original 1973], 1983). Sie sol-len im Folgenden einerseits um den US-amerikanischen Ansatz der „urban political move-ments“ von Fainstein/Fainstein (1974, 1985, 4.4) sowie andererseits um die vorwiegend deutschsprachige Forschung zu Bürgerinitiativen (4.5) ergänzt werden. Weiterhin wird auf den Forschungsstand zum Protest marginalisierter Bevölkerungsteile (4.6) eingegangen.

Nahezu alle diese Beiträge entstanden dabei relativ isoliert von der nicht-urbanen Protest- und Bewegungsforschung (Pickvance 2003:102) – was zu einem eigenständigen Forschungsstrang geführt hat, der sich – zumeist unter dem Begriff „Städtische Soziale Bewegungen“ bzw. „ur-ban social movements“ – ur„ur-banen Protestphänomenen widmet (Bertram 2013; vgl. 4.2). Die geringen Bezüge zu den zuvor wiedergegebenen Werken der nicht-urbanen Protestforschung werden durch disziplinäre Schranken noch weiter reduziert: Im Gegensatz zur dortigen Domi-nanz politökonomischer Ansätze besitzen hier Soziolog/inn/en und Geograph/inn/en besondere Bedeutung.335

331 Brenner et al. (2009:179) führen mit Verweis auf Überblickswerke von Saunders (1984), Katznelson (1993), Soja (2000) aus:

„This is not, however, to suggest that critical urban studies represents a homogeneous research field based on a rigidly orthodox or paradigmatic foundation. On the contrary, the development of critical approaches to the study of capitalist urbanization has been fraught with wide-ranging disagreements about any number of core theoretical, methodological and political issues“

332 Brenner (2009:198), wortgleich Brenner (2011:11), umschreibt das Forschungsfeld der Critical Urban Theory wie folgt:

„Critical urban theory rejects inherited disciplinary divisions of labor and statist, technocratic, market-driven and market-oriented forms of urban knowledge. […] Rather than affirming the current condition of cities as the expres-sion of transhistorical laws of social organization, bureaucratic rationality or economic efficiency, critical urban theory emphasizes the politically and ideologically mediated, socially contested and therefore malleable character of urban space […]. Critical urban theory is thus grounded on an antagonistic relationship not only to inherited urban knowledges, but more generally, to existing urban formations. It insists that another, more democratic, so-cially just and sustainable form of urbanization is possible, even if such possibilities are currently being suppressed through dominant institutional arrangements, practices and ideologies. In short, critical urban theory involves the critique of ideology […] and the critique of power, inequality, injustice and exploitation, at once within and among cities.“

333 Vgl. auch insg. Katznelson (1993), Merrifield (2012).

334 Wesentliche Themenfelder der seit den 1970er Jahren entstandenen Critical Urban Theory sind nach Brenner et al.

(2009:178)

„patterns of industrial agglomeration and inter-firm relations, the evolution of urban labor markets, the political economy of real estate and urban property relations, problems of social reproduction, including housing, transpor-tation, education and infrastructure investment, the evolution of class struggles and other social conflicts in the spheres of production, reproduction and urban governance, the role of state institutions, at various spatial scales, in mediating processes of urban restructuring, the reorganization of urban governance regimes, the evolution of ur-banized socio-natures, and the consolidation of diverse forms of urban social mobilization, conflict and struggle“.

Umfassende Überblicke finden sich bei Dear and Scott 1980, Soja 2000 und Heynen et al. 2006.

335 Als (Stadt-)Soziologen haben sich hier insbesondere Henri Lefebvre und Manuel Castells, als Humangeograph vor allem David Harvey verdient gemacht. Andy Merrifield (2011), der vor allem durch Reflexion und Kritik der vorgenannten her-vorgetreten ist, ist in beiden Disziplinen beheimatet. Die wesentliche deutschsprachige Vertreterin im Forschungsfeld, Margit Mayer, ist zwar Politikwissenschaftlerin, bezieht sich in ihrem Werk aber immer wieder auf die genannten Soziolo-gen und Geographen. Auch Susan und Norman Fainstein sind Politikwissenschaftlerinnen, erstere hatte zuletzt eine Pla-nungsprofessur inne.

Mayer (2014:25f.) nennt ergänzend weitgehend unverbundene politikwissenschaftliche Ansätze wie die von Boudreau (2010) und Negri (2007) und weist zudem darauf hin, dass

„[j]e nach disziplinärer Ausrichtung […] höchst unterschiedliche Konzeptionen der Rolle des Städtischen im Kon-text zeitgenössischen Wandels zur Anwendung [kommen] – so die Rolle der Stadt bzw. des Urbanen überhaupt als

Bürgerinitiativen als bundesdeutsche Spezifik

Deutlich stärkere Bezüge sowohl zum Planungsdiskurs als auch zu Teilen der Bewegungsfor-schung besitzen Ansätze zur Untersuchung und Konzeptualisierung von Bürgerinitiativen (4.5).

In der deutschsprachigen Forschung der 1980er und frühen 1990er Jahre wurden sie zumeist im Zusammenhang mit den „Neuen Sozialen Bewegungen“ gesehen (vgl. Roth/Rucht 2008b:17f.). – Entsprechend wurden sie als ein damals in der Bundesrepublik als neu begriffe-nes Phänomen aus unterschiedlichen disziplinären Zugängen untersucht. Durch die relativ ge-ringen Bezüge des Ansatzes der „Neuen Sozialen Bewegungen“ zu anderen, zumeist US-ame-rikanischen, sozialwissenschaftlichen Ansätzen sowie den Rückgang ihrer Erforschung mit dem Ende des „Bewegungsbooms“ der späten Bonner Republik336 ist der Forschungsstand al-lerdings auch hier disparat.337 Es fehlen wesentliche Verknüpfungen zu den zuvor beschriebe-nen Theorien.

Aktuelle Weiterentwicklung

Dem Befund der Marginalisierung lokalen Protests steht entgegen, dass etwa für die Bundesre-publik „ein anhaltendes Übergewicht von Protesten unterhalb der nationalen Ebene“ und sogar eine Zunahme des „Anteil[s] von Protesten mit lokalem Mobilisierungsraum“ konstatiert wird (beide Rucht/Roth 2008:652). Dennoch ist die Protestforschung weiterhin im Wesentlichen an Phänomenen auf der nationalen und zunehmend der internationalen bzw. globalen Ebene inte-ressiert (etwa della Porta 2009, Lipschutz 2006, Magnusson 1996). Dadurch, dass in den letzten Jahren im Zuge von „spatial turn“ und „urban age“ beispielsweise die Stadtsoziologie an Bedeutung gewonnen hat, werden städtische Proteste – auch wenn darunter sehr

Unterschiedliches verstanden wird – vermehrt zum Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung.

Diese Auswahl „städtischer“ Protestforschung müsste also recht historisch und damit ggf. „ver-altet“ (Mayer 12.10.2012)338 anmuten, wären nicht mehrere Aktualisierungen vorgenommen worden, die sich nur teilweise an den genannten Forschungsständen orientieren und daher ei-genständig behandelt werden sollen. Zunächst wird in 4.3 die aktuelle Wiederaufnahme des Diskurses um die Verbindung von Stadt und Protest bzw. Bewegung thematisiert und damit zu-gleich der Diskursstrang der Critical Urban Studies aus den vorangegangenen Abschnitten fortgeführt: Die am prominentesten von Harvey formulierte These einer aktuell zu beobachten-den „urban revolution“ (2012). Sie besagt – im Gegensatz zur Lefebvreschen Begriffsverwen-dung (Lefebvre 2003 [1970], 4.1) –, dass die bisherige Marginalität städtischen Protests für die Untersuchung Sozialer Bewegungen durch die steigende Bedeutung von Städten und Metropo-lregionen als strategischen Knotenpunkten der Globalisierung aufgehoben sei. Damit bestehen deutliche Bezüge zu Diskursen um die „Neoliberalisierung des Städtischen“ bzw. der neolibe-ralen Stadtentwicklung, die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft werden können.339 Die Darstellung der vielfältigen Forschungsstände endet an dieser Stelle hingegen mit einem

relevant erachtet wird.“

336 Vgl. Geißel/Thillman (2006:178f.).

337 Dies gilt auch für Zusammenhänge mit den teilweise vergleichbaren, zumeist aber als stärker institutionalisierten Interes-sengruppen oder pressure groups. Vgl. Pickvance (2003:106). Deren Untersuchung wurde etwa in der angloamerikani-schen Forschung mit dem Paradigmenwechsel von der Protest- zur Bewegungsforschung vernachlässigt, so dass ihre Be-deutung innerhalb des nunmehr stark veränderten Forschungsfelds kaum geklärt ist. Vgl. aber Gamson (1990 [1975]:9).

338 Wie Mayer (12.10.2012) zeigt, hantiert die „städtische“ Bewegungsforschung größtenteils noch mit den analytischen Kon-zepten aus der Zeit der keynesianischen Stadt, deren Übertragbarkeit auf die aktuelle Phase der Stadtentwicklung ihr frag-lich erscheinen.

339 Einige Hinweise auf diesen Diskurs finden sich bereits in Kapitel 1.4.3. Dort wird insbesondere der zeitgenössische plane-rische Diskurs über „NIMBYs“ und „Wutbürger“ aufgegriffen, wobei die Bezüge dieser zumeist negativ besetzten Be-griffe zum bis heute überwiegend positiv aufgefassten Phänomen der Bürgerinitiative herausgestellt werden soll (2.3.2).

Die „urbane Revolution“ und das „Recht auf Stadt“ als Ausgangspunkt der Critical Urban Studies 119

Verweis auf Proteste und ähnlichen Handlungen, die von weniger privilegierten und nur in ge-ringem Maße organisierten Bevölkerungsteilen ausgehen und daher häufig nicht hinreichend beachtet werden (4.6).

Begrenzung der Diskussion

„Alternative“ städtische Praktiken, die durch ihre aktive Umsetzung von „Gegenentwürfen“ zu hegemonialen gesellschaftlichen Normen eine Schnittmenge zu Protest und auch Planungspro-test besitzen, können im Folgenden nicht eingehend thematisiert werden. Die Forschung zu Phänomenen der Aneignung urbaner Freiräume hat in den vergangenen Jahren eine erhebliche Konjunktur erlebt, ohne dass bislang eine Systematisierung stattgefunden hätte. Eine Aufarbei-tung der disparaten Forschungsstände würde an dieser Stelle allerdings zu weit führen. Wichtig ist allerdings, solche Praktiken bei der Identifikation und weiteren Untersuchung von Pla-nungsprotesten nicht vorschnell auszuschließen, da auch sie mögliche Aktionsformen sein kön-nen (vgl. 7.3.3).

Trotz Bemühungen einer Integration von Diskursen um städtische Proteste im Globalen Süden (etwa Köhler/Wissen 2003; vgl. 4.3) sollen diese wahlweise als „rebellion of the poor“ (Ale-xander 2010) oder „urbane Kämpfe ‚gegen das teure Leben‘“ (Engels 2014) verstandenen Pro-teste an dieser Stelle keine weitere Beachtung finden, wenngleich nicht zuletzt die globale Ver-teilung der Praxisbeispiel bei Porter/Shaw zeigt (2009), dass in einer globalisierten Welt zu-mindest die Anlässe lokalen Protests ähnlich sein können.

4.1 Die „urbane Revolution“ und das „Recht auf

Stadt“ als Ausgangspunkt der Critical

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 116-119)

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