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Forschungsdesign der quantitativen Erhebung Erhebung

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 189-193)

Teil C Quantitative Erhebung

6 Quantitative Methodik

6.1 Forschungsdesign der quantitativen Erhebung Erhebung

Hauptziel des quantitativen Empirieteils ist die systematische Erfassung der Ausprägungen stadtpolitischen bürgerschaftlichen Planungsprotests in Berlin im Zeitraum von Anfang 2005 bis Mitte 2015. Mit der – im Sinne des claim making erweiterten – Protestereignisanalyse liegt eine innerhalb der Bundesrepublik ausführlich erprobte Methode zur systematischen Erfassung und Analyse von Protesten vor (Rucht 2001, 6.3.1). Jedoch bestanden erhebliche Zweifel da-ran,532 dass diese maßgeblich zu Beginn der 1990er Jahre für überlokale Proteste entwickelte Methodik ausreicht, um den spezifischen Untersuchungsgegenstand der Arbeit sinnvoll erfas-sen zu können: Einerseits hat bereits Hocke seine erstmalig lokale Anwendung wohlbegründet um eine Untersuchung von Polizeidaten ergänzt (2002:63ff., 6.3.2). Andererseits hat insbeson-dere die Entwicklung des Internets zu einer veränderten Erhebungssituation geführt (vgl. etwa Sassen 2011, 6.3.3). Die Erhebungsergebnisse bestätigen grundsätzlich die Sinnhaftigkeit einer gewissen methodischen Vielfalt.

Um eine möglichst große Bandbreite des planungsbezogenen stadtpolitischen bürgerschaftli-chen Protests in Berlin erfassen zu können, wurde ein Forschungsdesign entwickelt, das fünf weitgehend getrennt voneinander eingesetzte (s.u.) Methoden miteinander verbindet:

• Protestereignisanalyse auf der Basis von Zeitungsartikeln (PEA)

• Inhaltsanalyse von Polizeidaten zur politisch motivierten Kriminalität (PD)

• Internetanalyse digitaler protestproduzierter Daten (IA)

• Expertenbefragung unter Berliner Planungsakteuren und weitere Personen (EB)

• Raumbeobachtung protestproduzierter Daten im öffentlichen Stadtraum (RB) Dabei orientieren sich die vier letztgenannten Methoden an den Vorgaben der Protestereig-nisanalyse, die selbst an die besonderen Erfordernisse des lokal begrenzten Untersuchungsge-genstands angepasst wurde. Diese ergänzenden Erhebungen dienen im Wesentlichen dem Aus-schluss von unerwünschter Vorselektion der medialen Berichterstattung. Die Inhaltsanalyse von Polizeidaten lässt für bestimmte, etwa gewaltförmige Ausdrucksformen von Protest einen hohen Erfassungsgrad erwarten, während die Internetanalyse in besonderem Maße digitale Ak-tionsformen wie so genannte „Online-Petitionen“ erfassen wird.533 Als vierte Methode wird eine standardisierte Telefon- und Onlinebefragung von lokalen Akteuren durchgeführt, bei de-nen eine Kenntnis von Teilen des örtlichen Protestspektrums angenommen werden kann. Kern der Befragung ist die Nennung bekannter Planungsproteste. Eine stichprobenartige Raumbe-obachtung dient insbesondere der Erfassung kleinteiliger Proteste, die unter die Wahrneh-mungsschwelle der übrigen Methoden fallen, weil sie z. B. quartierbezogen sind, spezielle Öf-fentlichkeiten ansprechen oder spezifische Artikulationsformen nutzen. Hierfür werden ausge-wählte öffentliche Räume systematisch nach Hinweisen auf laufende oder vorangegangene Proteste abgesucht (ausliegende Flyer, Plakate, Aufkleber, Graffiti, Banner etc.).

532 Diese Zweifel wurden einerseits durch den Autor selbst frühzeitig formuliert und durch den Antragsteller des Forschungs-vorhabens mitgetragen, in etwas anders gelagerter Form jedoch auch durch die Begutachtung des Forschungsantrags be-stätigt. Diese Gutachterkritik ist jedoch maßgeblich für den explorativen Charakter der Methodik verantwortlich. Vgl.

1.3.1.

533 Sie ist aber darauf ausgelegt darüber hinaus im „Schneeballsystem“ Internet- und Social-Media-Seiten von Protestnetz-werken auszuwerten und nach dort verlinkten weiteren ProtestnetzProtestnetz-werken abzusuchen. Sie wird insofern auch Aktivitäten erfassen, die „offline“ stattfinden. Vgl. 6.3.3.

Im Folgenden wird zunächst das prinzipielle Vorgehen über alle fünf Methoden hinweg erläu-tert (6.1.1). Es folgen Hinweise zur grundsätzlichen Begrenzung der Aussagekraft der erhobe-nen Daten und ihrer Auswertung durch den explorativen Charakter der Untersuchung (6.1.2) und unterschiedliche Datenqualitäten (6.1.3). Eine Darstellung der Auswertung mittels der ge-meinsamen Datenbank folgt im nächsten Unterkapitel 6.2.

6.1.1 Erhebungsübergreifender Ansatz

Trotz der unterschiedlichen Vorgehensweisen und des Prinzips der testweisen Trennung der Methoden (6.1.2) folgen alle fünf Erhebungen dem gleichen Schema, dass auch jeweils zur Strukturierung der Methodenbeschreibungen in Unterkapitel 6.3 dient:

1. Bildung der Stichprobe und Vorbereitung der Erhebung 2. Identifizierung von relevanten Protestdaten

3. Sortierung und ggf. Zusammenführung von Protestdaten 4. Auswertung der Protestdaten mittels gemeinsamer Datenbank

Obwohl das Erhebungsziel eine Abbildung der unterschiedlichen Ausprägungen planungsbezo-genen, stadtpolitischen Protests in Berlin zwischen 2005 und 2015 ist, ist keine der Methoden auf eine Vollerhebung hin konzipiert. Vielmehr werden mit Ausnahme der Internetanalyse534 erstens stets vorab Stichproben gebildet, um den Untersuchungsaufwand zu begrenzen und gleichzeitig Rückschlüsse auf die Gesamtheit des Protestspektrums zu ermöglichen.535 In allen fünf Erhebungen ist es zweitens erforderlich, die erhobenen Daten beständig auf die Übereinstimmung mit dem konkreten Untersuchungsgegenstand hin zu prüfen (5.4). Da die er-hobenen Fundstücke in der Regel zu umfangreich für eine detaillierte Auswertung sind, bedarf es dabei jeweils eines angepassten gestuften Vorgehens, das in jedem Arbeitsschritt zu einer sinnvollen Abgrenzung führt, ohne vorschnell Funde auszuschließen, die bei genauerer Prü-fung relevante Inhalte enthalten. Auch ist drittens in allen fünf Methoden eine Mehrfacherhe-bung gleicher Proteste und Protestereignisse möglich, so dass es erforderlich ist, Protestdaten zusammenzuführen und die Fundstücke zu verbinden und zu vergleichen (6.4).536 Viertens wer-den sämtliche, in wer-den fünf Erhebungen zunächst getrennt erfasste Protestdaten inhaltsanalytisch ausgewertet, in einer gemeinsamen Datenbank erfasst und anschließend PSPP-gestützt statis-tisch ausgewertet (6.2.2, 6.2.3). Die Datenbank dient dabei einerseits der Systematisierung und in Teilen auch Quantifizierung der zunächst in relativ hohen Maße interpretativen, qualitativ-inhaltsanalytischen Datenauswertung. Andererseits vereinheitlicht dies den Aussagewert der unterschiedlichen Daten durch eine generelle Orientierung der Eintragungen am framing der Protestakteure, die nur bei fehlenden Daten durch Angaben von Planungsakteuren oder Dritten ergänzt werden. Ziel ist es, innerhalb des zunächst allgemein gefassten Phänomens der Pla-nungsproteste zu einer fallbezogenen Unterscheidung von Protestarten und Bezugsgraden zur lokalen räumlichen Planungen zu gelangen. Daneben sollen auch Ergebnisse zu Art und Um-fang des Protests und des Akteursspektrums sowie seiner zeitlichen und räumlichen Verteilung erzielt werden. Die Unterscheidung dient auch der Auswahl der Fallbeispiele für die qualitative Empirie.

534 Bei der Internetanalyse ist dies so nicht möglich. Die Erhebung ist noch stärker explorativ mit einer fortlaufend bestimm-ten Stichprobe und einem pragmatischen Erhebungsende (6.3.3).

535 Für die systematische Anwendung jeder Methode wurden zudem Erhebungskonzepte und Anleitungen erstellt, die Metho-dentests durchgeführt und studentische Hilfskräfte für die Durchführung der Erhebungen geschult (1.3.1).

536 Zur Organisation der Fundstücke wird jedem Fund eine über alle fünf Erhebungen eindeutige Fundstücknummer zugewie-sen, die wesentliche Informationen zur Nachvollziehbarkeit der Quelle enthält. Typischerweise ist diese Fundstücksnum-mer dabei wie folgt aufgebaut: [NumFundstücksnum-mer der Erhebung][Jahr][Teilstichprobe][FundnumFundstücksnum-mer dreistellig][Bewertung]. Der exakte Aufbau wird in den Erhebungskonzepten beschrieben.

Forschungsdesign der quantitativen Erhebung 191

6.1.2 Begrenzter Untersuchungsumfang und Methodentest

Die Methodik der quantitativen Empirie einschließlich der statistischen Auswertung ist gleich in mehrerlei Hinsicht nicht dem Untersuchungsgegenstand angemessen. Dies liegt einerseits daran, dass die Methodenauswahl und -weiterentwicklung sich an einem zunächst angedachten größeren Umfang orientiert. Andererseits wurde die Methodik im Rahmen der „Vorstudie“ pri-mär für Testzwecke ausgelegt und dadurch insbesondere die fünf Erhebungen stärker als sinn-voll voneinander getrennt. Die erfassten und ausgewerteten Protestdaten stellen hier streng ge-nommen nur „Beifang“ dar.

Auswirkungen des begrenzten Untersuchungsumfangs

Wie in Abschnitt 1.3.1 dargelegt, besitzt die gesamte Empirie nicht den bei ihrer Konzeptionie-rung angedachten Umfang. War zunächst eine Untersuchung aller bundesdeutschen Großstädte mit mehr als einer halben Million Einwohner/inne/n geplant, musste der Untersuchungsrahmen aufgrund von Ressourcenbeschränkungen auf das Land Berlin begrenzt werden, ohne dass die Methodenauswahl und insbesondere der Analyseumfang angepasst wurden. Die Arbeit basiert so auf einer stark eingeschränkten Stichprobe, die entsprechend weniger Fallzahlen erzeugt.

Diese geringeren Fallzahlen bedeutet auch, dass eine statistische Auswertung nur eingeschränkt möglich ist bzw. früher an ihren Grenzen gerät. Dies führt letztlich dazu, dass die Auswertung extensiv, wenn nicht gar übertrieben wirkt, und – weit schlimmer – eine Neigung besteht, Er-gebnisse trotz geringer Datenbasis und Validität zu exemplifizieren.537

Dies ist nur möglich, weil alle formulierten Ergebnisse und abgeleiteten Erkenntnisse – mehr noch als bei einer angemessen proportionierten Untersuchung – einen hypothetischen Charak-ter besitzen. Dieser CharakCharak-ter betrifft letztlich auch die Methodik. Sie stellt einen – alles in al-lem gelungenen – Versuch dar, wie die gewünschten Daten erhoben werden können. Das Er-gebnis ist zwangsläufig ortsspezifisch für den Untersuchungsraum Berlin und kann nicht ver-allgemeinert oder auf andere Städte übertragen werden.

Bedeutung des Methodentests

Die Vorstudie wurde als Methodentest konzipiert. Ziel war es hier, Ergebnisvergleiche durch-führen zu können, da die Vorstudie zusätzlich zu den inhaltlichen Forschungsfragen in erster Linie methodologische Fragen beantworten sollte.538 Daraus ergaben Folgen, die hier nur kurz benannt werden können:

• Die Stichprobe der Protestereignisanalyse wurde so gebildet, dass eine spätere Erwei-terung möglich gewesen wäre.

• Die Polizeidatenanalyse wurde auf einen deutlich begrenzten Datensatz beschränkt.

Es ist zu vermuten, dass bei einer koordinierten Untersuchung über mehrere Bundes-länder ein anderer Zugang möglich gewesen wäre.

• Die Internetanalyse wurde insgesamt stark explorativ angelegt. Daten aus anderen Er-hebungen wurden gesondert markiert. Es fand keine gezielte Nacherhebung von feh-lenden Angaben in den Datensätzen der übrigen Erhebungen statt.

• Die Expertenbefragung wurde akteursabhängig telefonisch oder internetbasiert durch-geführt und nicht gezielt dazu genutzt, bestehende Datensätze zu ergänzen und das

537 Für den qualitativen Teil wiederum konnte nur eine sehr begrenzte Anzahl von Fallstudien ausgewertet werden und blei-ben damit sowohl die Auswahlkriterien als auch die Aussagen deutlich stärker exemplarisch (11.1).

538 Innerhalb des Forschungsantrags wurde diese methodologische Forschungsfrage wie folgt umschrieben:

„Eignet sich die Protestereignisanalyse zur Identifikation von planungsbezogenen stadtpolitischen Protesten? Wel-che Vor- und Nachteile besitzen alternative bzw. ergänzende Methoden? Wie wirkt sich die Methodenauswahl auf Art und Umfang der identifizierten Proteste aus?“

Potenzial einer Expertenbefragung damit insgesamt nicht ausgeschöpft.

• Die Untersuchungsräume der Raumbeobachtung wurden nicht aus den Ergebnissen der übrigen Erhebungen heraus begründet. Es wurde ergänzend eine unstrukturierte Erhebung durchgeführt.

• Die Datenbank wurde zwar gemeinsam aufgebaut, die Daten jedoch zunächst getrennt erfasst und erst im Anschluss zusammengeführt. Es wurde ein zunächst deutlich um-fangreicheres Datenblatt entwickelt und später reduziert.

6.1.3 Qualitätsunterschiede der erhobenen Daten

Eine besondere Herausforderung bei der Auswertung der Daten besteht dabei in der sehr unter-schiedlichen Qualität der auszuwertenden Daten. Alle fünf Methoden speisen eine gemeinsame Datenbank, die nach einer Zusammenfassung von gleichen Fällen ohne beständige Unterschei-dung der Datenherkunft in jeder einzelnen Merkmalsausprägung ausgewertet wird. Jedoch werden alle Ergebnisse hinsichtlich von Zusammenhängen auf die Datenherkunft und weitere Kriterien der Datenqualität hin überprüft und ggf. entsprechend diskutiert. Insbesondere erfolgt eine fallweise Markierung von bestimmten Aspekten, die übergeordnete Relevanz besitzen (6.5):

• Erhebungsmethode

• Selbst- und/oder Fremddarstellung

• Herkunft aus „besonderen Quellen“

Abbildung 6.1: Schematische Darstellung der Zusammenhänge zwischen den fünf Einzelerhebungen

Während die Unterscheidung von Selbst- und/oder Fremddarstellungen sich sowohl aus der Kombination unterschiedlicher Methoden ergibt als auch für viele Merkmale einzeln erfasst wurde, gibt die Angabe der Erhebungsmethode die meisten Qualitätsunterschiede wieder.539 Die fünf Methoden eint grundsätzlich das Erhebungsziel, das zu einer Erfassung identischer Merkmale und Merkmalsausprägungen führt. Daher ist in mehreren Fällen eine Zusammenfas-sung von Protestereignissen zu Protesten, die mehrere Ereignisse umspannen, erforderlich.

539 So werden Proteste oder Protestereignisse je nach Methode entweder direkt, in ihrer (massen-)medialen Resonanz und/o-der aufgrund ihrer sonstigen Spuren erfasst. Die folgende Tabelle zeigt die erhebbare Protestdaten nach Methode (* = nicht erhoben):

Methode Proteste Protest-

ereignisse direkt Resonanz spurenhaft

PEA *

PD

IA *

EB *

RB * *

Mehrere Formen von Protestdaten wurden entweder aus systematischen Gründen oder aufgrund der Datenlage im Feld nicht erhoben.

Gemeinsame Datenbank und Grundzüge der statistischen Auswertung 193

Darüber hinaus laufen sie prinzipiell parallel zueinander, jedoch wurden die übrigen vier Me-thoden dazu genutzt, Internetquellen zu erheben und diese innerhalb der Internetanalyse als Einstiegsdatensatz zu verwenden (6.3.3, Abbildung 6.1)

Gleichzeitig ist auch der Umfang der Daten zu den identifizierten Fällen über die Methoden hinweg sehr unterschiedlich ausgeprägt.540 In einzelnen Fällen, werden die Datensätze daher als aus einer „besonderen Quelle“ stammend markiert.541

6.2 Gemeinsame Datenbank und Grundzüge

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