• Keine Ergebnisse gefunden

Ambivalenz der Bewertung, des Umgangs und der Verhältnisse von Planung und und der Verhältnisse von Planung und

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 51-54)

2.2.3 „Versteckte“ planungswissenschaftliche Protesttheorie

2.3 Ambivalenz der Bewertung, des Umgangs und der Verhältnisse von Planung und und der Verhältnisse von Planung und

Protest

„Ist Protest politisches Handeln und demokratisches Korrektiv oder störendes „Queru-lantentum“ und eine Bedrohung des ohnehin durch Beteiligungsverfahren erweiterten repräsentativ-demokratischen Entscheidungsprozesses?“ (Bertram/Altrock 2018)

Aus der Perspektive zweier Studierender der Kulturwissenschaften, die 2014 an der Humboldt Universität zu Berlin ein Kolloquium zum Thema „Wie plant die Planung?“ veranstalteten, ergibt sich ein zugleich prägnantes wie ambivalentes Verhältnis der Planung zum Protest:

„Die Reaktionen aus dem Feld der Raumplanung selbst [auf zivilgesellschaftliche Pro-teste] reichen […] von empathischer Fürsprache und der Forcierung kleinräumlicher und partizipativer Planung bis zur Abwehr unter Verweis auf den drohenden Verlust der Expertise und Gestaltungsmacht.“ (Lange/Müller 2014)

Innerhalb der partizipativen Befragung ist nur ein Planungsakteur der Meinung, es sei „besser, wenn weniger protestiert würde“, drei verneinen diese vorgegebene Aussage.106 Der eine Pla-nungsakteur hat jedoch auch eine deutliche Meinung, „was seitens der Planung getan werden müsste, damit weniger protestiert wird“, nämlich: „Bürgerinitiativen mehr in die Verantwor-tung für die Planungsentscheidungen nehmen“.

Um diese Ambivalenz zu beschreiben, soll zunächst das Protestverständnis von Planenden und Protestierenden untersucht werden. Dabei werden nachfolgend ausgehend von Othengra-fen/Sondermann drei Bewertungen bestimmt und in drei Abschnitten beschrieben (2015a:13ff., 2.3.1, 2.3.2, 2.3.3). Sie folgen dabei zunächst der von Lange/Müller beschriebenen Dualität (2014), zeigen aber in diskursiver Form auf, wie sie zu den sich bei Othengrafen/Sondermann zeigenden vielfältigen Bewertungen und drei idealtypischen planerischen Reaktionen verhalten (2015a:13ff.).

2.3.1 Protestverständnisse von Planungs- und Protestakteuren

Planer/innen, die Planungswissenschaft und letztlich die verschiedenen, am politischen Prozess beteiligten Akteure besitzen ein sehr vielstimmiges, aber nicht immer gleichermaßen viel-schichtiges Protestverständnis im Spannungsfeld zwischen „Störenfrieden“ (Selle, 2011:1) und

„Instandbesetzern“ (Brandes/Schön 1981). Protestierende sind ein zumeist nicht näher be-stimmter „intermediärer Akteur in der Stadtentwicklung“, werden als „Protestierer“, aber deut-lich von den ebenfalls in diesem Feld aktiven „Mittler[n und] Macher[n]“ getrennt (sämtdeut-lich Beck/Schnur 2016).

Dieser Dreiklang von zivilgesellschaftlichen Akteuren zwischen Verhinderung, Aushandlung

106 Die Protestakteure wurden hierzu nicht befragt. Die Protestakteuren wurden hingegen gefragt, wie Planung auf Proteste reagieren sollte. Zwei Antworten sind dabei durchaus weitreichend: „auflösen“ und „grundsätzliches Hinterfragen der ka-pitalistischen Logik und der Machtkonstellationen: wer darf wann wie warum planen?“ Zwei weitere Antwortende wollen vor allem, dass Planende Protest „ernst nehmen“, eine/r führt dies weiter aus: „Sie sollte die Proteste ernst nehmen und ggf. Planungsinteressen anpassen oder Planung völlig aussetzen. Es muss nicht immer alles reguliert werden.“

und Stadtproduktion, die bei Beck/Schnur eine eindeutige Position für die Protestakteure vor-sieht (2016), spiegelt sich letztlich aber auch in den Protestverständnissen wider. Die bereits erwähnten drei prinzipiellen Optionen auf Proteste zu reagieren, die Othengrafen/Sondermann für die lokale räumliche Planung sehen (2015a:15; vgl. insg. 14-19), verdeutlichen auch diese verschiedenen Grundlagen.107 So unterscheiden sie als mögliche Formen „mit Konflikten und Protestbewegungen umzugehen:

1. Konflikte werden als „Nebeneffekt“ in einem Planungsprozess gesehen, der nach Auffas-sung von Politiker*innen und Planer*innen lediglich einen Einzelfall darstellt. Als solche werden Konflikte ignoriert und Expertenwissen bzw. bürokratischen Verfahren auch weiter-hin Vorrang eingeräumt.

2. Konflikte werden als „störendes Element“ verstanden, das innovative Lösungen verhindert.

Deshalb sollen sie durch kooperative und konsensorientierte Prozesse gelöst werden.

3. Konflikte werden als Ausdruck von Ungleichheit und Meinungsvielfalt gewertet und als Ausgangspunkt von Planungsprozessen akzeptiert. In diesem Sinne ist Planung als offener und grundsätzlich unendlicher Prozess zu verstehen, in dem die beteiligten Akteure immer wieder neue Wege beschreiten und ihre Meinungen einbringen können.“

In diesen idealtypischen Handlungsoptionen stehen sich drei ebenso vereinfachte Protestver-ständnisse gegenüber:108 Protest als „störendes“ Element, als bürgerschaftliche Unmutsäuße-rung und als „normale“ Partizipation. Sie spiegeln sich auch in den Antworten der Teilnehmen-den an der partizipativen Befragung wider (vgl. 1.3.2.) und können insofern an dieser Stelle hilfsweise für eine komplexere Untersuchung stehen. Auf die Fragen, was die teilnehmenden Planungs-, aber auch Protestakteure unter Protest verstehen, kamen sehr unterschiedliche Ant-worten zwischen einem „absoluten Dagegensein“, „Unmutsbekundungen […] gegen gesell-schaftliche Missstände“ und „bürgergesell-schaftlichem Engagement“ als „demokratisches Recht“ (Tabelle 2.1).

107 Diese Optionen verbinden Othengrafen/Sondermann (2015a:13ff.) in dieser Aufstellung von planerischen Planungs- und Protestverständnissen mit „Schulen“ der sozial- und planungswissenschaftlichen Konflikttheorie und planungspraktischen Ansätzen bzw. unterschiedlichen empirischen Befunden. Während die Strategie des „Ignorierens“ vor allem aus einer kri-tischen Reflektion der Planungspraxis heraus beschrieben wird, steht die zweite Option der Lösung und Vermeidung in Verbindung mit der kooperativen Planungstheorie und die Integration als Ergebnis des „neuen Planungsverständnis-ses“ des kritischen Pragmatismus, der auch auf agonistische Theorien innerhalb der Sozialwissenschaften Bezug nimmt.

Vgl. 2.2.3.

108 Othengrafen/Sondermann (2015a) verknüpfen hier stets ein Protestverständnis mit einer planerischen Reaktion bzw. Hal-tung: Aufgrund der Be- bzw. Abwertung als Unmutsäußerung erfolgt eine Nichtbehandlung. Das „störende Element“, das sich gegen die innovative Planung richtet, wird mit einem Beteiligungsangebot versucht einzuhegen und der immanente Konflikt einer pluralen Gesellschaft wird akzeptiert – was immer Letzteres konkret heißen mag. Interessanterweise fassen sie dabei die „Forcierung kleinräumlicher und partizipativer Planung“ im Gegensatz zu Lange/Müller (2014) nicht als Teil der Empathie, sondern der Abwehr auf.

Sie begreifen diese Handlungsoptionen als „idealtypisch“ und sehen vor allem mögliche Schlussfolgerungen für das Pro-testverständnis. Hierin deuten sich vielfältige Bewertungsmöglichkeiten zwischen Einzel- und Sonderfall, Anormalität und Normalität, Unmut und Konflikt sowie Störung und Beitrag an – um nur die in dem wiedergegebenen Zitat auffälligsten Punkte zu nennen. Die drei innerhalb dieser Pole zusammengefasst beschriebenen Protestverständnisse können hier den-noch eine gute Ausgangsbasis für eine Diskussion bieten, solange keine eingehendere Untersuchung der Protestverständ-nisse in Feld und Theorie möglich ist.

Ambivalenz der Bewertung, des Umgangs und der Verhältnisse von Planung und Protest 53

Protest als… Protestbegriff Befragte*r

Planungsakteure Protestakteure

„störendes“

Verhalten

„Absolut dagegen sein; Veränderung ablehnen; sich auf-regen; es ‚denen da oben‘ zeigen“

„Widerstand der Bürger gegen Planungen, die vorrangig der Wirtschaft nutzen und erkennbare Nachteile für Mensch und Natur bringen.“

„wenn gegen Ende eines gesellschaftlichen oder politi-schen Entscheidungsprozesses alle Argumente ausge-tauscht sind und eine Person damit nicht einverstanden ist, bleibt ihr nur der Protest. […]“

„protest [sic!] ist ein mittel [sic!] um sich gegen Un-gerechtigkeiten in der Planung oder unsinnige Projekte zu wehren“

„individuelles oder kollektives deviantes Verhal-ten, was mindestens in seinem Resultat eine Form von Öffentlichkeit erlangt“

einfache Unmutsäußerung

„Unmutsbekundungen und ziviler Ungehorsam gegen ge-sellschaftliche Missstände“

„wenn andere Wahrheiten gegen die reale Praxis gestellt werden“

„Protest ist eine Äußerung gegen voraussichtliches Ver-halten, das durch verschiedenste Protestaktionen in eine andere Richtung gelenkt werden soll.“

„Artikulieren einer gegenteiligen Meinung bzw,.

von Unzufriedenheit in unterschiedlichen Formen“

„Äußerung von fachlicher / emotionaler Kritik bezogen auf ein Thema, um diese in die Öffentlichkeit zu tragen.

[…]“

„[…] Allgemein geht es darum, auf seine Meinung /Posi-tion in einem Planungsprozess aufmerksam zu machen und Entscheidungen [sic!] die zumeist auf politischer Ebene getroffen werden [sic!] öffentlichkeitswirksam zu hinterfragen, um diese möglichst zu revidieren.“

„normale“

Partizipation

„Bürgerliches Engagement, dass [sic!] sich ausschließlich gegen etwas richtet, jedoch keine positiven Ziele formu-liert“

„Bürgerschaftliches Engagement in Fragen der räumli-chen Planung in Form von Bürgerinitiativen oder durch die Bildung von Interessengruppen (z.B. Gewerbetrei-bende) --> Versuch der Beeinflussung von politischen Entscheidungen, auch Anwohnerproteste im Vorfeld von Baugenehmigungsverfahren bzw. nach erteilten Bauge-nehmigung“

„Protest ist eine Form der politischen Äußerung von Missständen, die ihrerseits räumliche Gestal-tungsvorstellungen derjenigen artikuliert, die pro-testieren und gleichzeitig zur sozialen Produktion von Raum beiträgt.“

„Gezielte politische Einflussnahme in außerparla-mentarischen Umfeld [sic!] mit dem Ziel öffentlich-keitswirksam auf das eigene Anliegen aufmerk-sam zu machen.“

„Wahrnehmung demokratischer Rechte“

Tabelle 2.1: Protestbegriffe der befragten Planungs- und Protestakteure (Kursiv = Teilnehmende des Pretests) Auch innerhalb der partizipativen Befragung von Protest- und Planungsakteuren zeigt sich ein strittiges Bild von Protest, wenn die vermeintlichen Gründe für Protest anhand von üblichen Aussagen überprüft werden (Tabelle 2.2). Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass Protest als Teil der politischen Auseinandersetzung auch zur Mobilisierung von Anhängern jenseits der ei-gentlichen Protestnetzwerke genutzt wird. Auch ein geringeres Vertrauen in Demokratie und Verwaltung wird von Planungsakteuren und Protestakteuren gesehen, bei den Protestakteuren aber nur durch die Hälfte der Teilnehmenden. Die Vorstellung eines „Rentnerprotests“ wird insgesamt nicht geteilt (vgl. Kurbjuweit 2010). Alle weiteren möglichen Gründe sind umstrit-ten. Die Mehrheit der Planungsakteure, aber kein Protestakteur sieht eine grundsätzliche Hal-tung oder Einstellung als eine Ursache an. Eine Massendynamik und eine stärkere Emanzipa-tion, die sich in verschiedenen Formen zeigt,109 wird ebenfalls nur von einer Mehrheit der Pla-nungsakteure, aber jeweils nur von einzelnen Protestakteuren gesehen.

109 Dass die Protestakteure hier mehrheitlich nicht zugestimmt haben, mag auch an der Verknüpfung zweier Aussagen in der Antwortvorgabe gelegen haben.

Aussage Planungsakteure Protestakteure Zustim-mung ku-muliert % Stimme

(eher) zu

Stimme (eher) nicht zu

Stimme (eher) zu

Stimme (eher) nicht zu „Manche Menschen haben eine grundsätzliche

Protesthal-tung und protestieren gegen alles.“

4 3 0 7 28,6%

„Protest ist Teil der politischen Auseinandersetzung. Par-teien und andere politische Organisationen wollen durch Proteste Anhänger mobilisieren.“

8 0 5 2 86,7%

„Protest hat eine Eigendynamik. Ein paar Menschen stört et-was und sie fangen an zu protestieren. Die anderen machen mit, ohne sich viele Gedanken zu machen.“

4 4 1 5 35,7%

„Protest entsteht, weil das Vertrauen in die Demokratie und die öffentliche Verwaltung abgenommen hat.“

6 2 5 2 73,3%

„Die Menschen sind politisch stärker emanzipiert. Sie wollen sich beteiligen und engagieren sich - mal in Parteien und Verbänden, mal in Bürgerinitiativen und Protestgruppen.“

4 4 2 1 64,3%

„Die, die 1968 demonstriert haben, sind heute in Rente und haben wieder Zeit zu protestieren.“

1 3 1 5 20,0%

Tabelle 2.2: Antworten der befragten Planungs- und Protestakteure zu Gründen für Planungsproteste

2.3.2 Von „Wutbürgern“ und „NIMBYs“: Protestakteure als

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 51-54)

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE