• Keine Ergebnisse gefunden

Politisch statt sozial? Urban Political Movements Movements

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 136-139)

4.3.2 „Cities breed contention“: Zur Rolle des städtischen Raums

4.4 Politisch statt sozial? Urban Political Movements Movements

Weit weniger prominent als Castells‘ Ansatz der städtischen Sozialen Bewegungen hat sich ins-besondere in den Vereinigten Staaten ein weiterer Strang der Erforschung städtischer Bewegun-gen entwickelt (1977 [im Original 1972], 1983, 4.2; vgl. insg. Mayer 2008:295), der auf den

397 Merrifield (2011:477) ergänzt dies um einen Hinweis auf Sartre (1976):

„The city, from this standpoint, isn’t so much a Lefebvrian dialectical oeuvre as a Sartrean practico-inert, the pri-son-house of past actions, the formless form of a passive totality, of inert bricks and mortar that gnaw away, that inhibit active praxis. The practico-inert, Sartre (1976) insists, opposes active activity because its anti-dialectic an-nounces that dead labor dominates over living labor, that praxis has been absorbed into an objective alien form, into the city itself“.

398 Damit widerspricht sich Merrifield (2011:477; vgl. 474) allerdings teilweise selbst, weist er doch auch selber darauf hin, dass für Lefebvre im Rahmen der planetaren Urbanisierung auch eine Peripherisierung von Standorten innerhalb der Städte entstehen.

399 Bei Merrifield (2012: 275-276) wird diese Kritik jedoch verbunden mit seinem eigenen Konzept einer „Politik der Begeg-nung“ (4.1), das er ebenfalls auf Lefebvre (1989) bezieht, und einer daraus abgeleiteten Relevanz des „Städtischen“ – al-lerdings innerhalb der gegenwärtigen planetaren städtischen Gesellschaft und damit – wie bei Harvey (2014 [2012]) – auch jenseits der geografischen Grenzen der Städte in sub- und exurbanen Gebieten. Vgl. Davis 2011, Keil 2011; vgl. Ma-yer (2014:32)).

Städtischen Bewegungen gelinge es demnach, so Merrifield (2012:279) zitiert in Mayer (2014:32; vgl. insg. 31-32), eine neue Form von Zentralität zu schaffen, die auch von gesamtgesellschaftlichen Bewegungen genutzt werden könne:

„[…] the stake of protest is not strictiy the city nor even the urban, yet perhaps […] it is something about contempo-rary planetary urban society that enables these protests to be made, that permits […] such a definition of protest, a definition in which peopie collectively can now publicly define themselves, encounter one another […] as citizens in front ofthe whole wide world.“

Politisch statt sozial? Urban Political Movements 137

Begriff der „urban political movements“ von Fainstein/Fainstein zurückgeht (1974; vgl.

1985:189). Die bereits angedeutete bewusste Begrenzung auf lokale bzw. kommunale Phäno-mene mag die geringere Prominenz des Ansatzes erklären, beschränkt er doch auch ihre Reich-weite und Relevanz auf den quasi doppelt „marginalisierten“ Teil der Forschung, der sich mit lokalen Phänomenen und mit Protest beschäftigt (vgl. 4). So haben sich letztlich auch Fain-stein/Hirst (1995) Castells‘ (1983) Definition angeschlossen. Entsprechend erscheint es sinnvoll, diese nachfolgend diskursiv zu behandeln, um auf eine ausführliche Darstellung der Kritik an beiden Werken sowie der weiteren, zum Teil aus der Diskussion entstehenden Ansätze verzichten zu können.

So besitzt der Begriff „urban political movements“ aufgrund seines US-amerikanischen Ent-stehungszusammenhangs400 zwar einen „more pragmatic, perspective take hold“

(Ma-yer/Boudreau 2012:275; vgl. insg. 275-276), war aber zunächst auf das politische Handeln von und für ethnische(n) Minderheiten beschränkt (Fainstein/Fainstein 1974:xi). Damit bezieht er sich auf konkrete Protestphänomene:

„The rediscovery of the urban poor by the larger society, which took place in the 1960s, was partly precipitated by, and itself reinforced, a rediscovery of the political process by urban minority groups. […], its most notable manifestation was in the development of noninstitutionalized attempts by inner-city residents to gain power over public service bureaucracies on a neighborhood basis. […] these activities required the development of new organizations, the use of nonroutine channels of communication, and heavy reli-ance on mobilization and protest as means of articulating demands and source of bar-gaining strength.“ (Fainstein/Fainstein 1974:xi)

Entsprechend beobachteten Fainstein/Fainstein im Wesentlichen „alte“ Bewegungen (1974),

„[that] were based on groups that shared racial, territorial, and client statuses“ (Fainstein 1999), die sich ansonsten aber als sehr vielfältig hinsichtlich ihrer Lebensdauer, Bedeutung, Organisationsstruktur und Zielsetzung darstellen (Fainstein/Fainstein 1974:53ff.). Allerdings wird diese Beobachtung nicht in eine inhaltliche Kategorisierung oder restriktive Beschreibung überführt. Vielmehr führt sie zu einer allgemeinen Definition, die sich fast vollständig von dem zeitlichen und räumlichen Kontext ihrer Entstehung löst. Fainstein/Fainstein definieren „urban political movements“ als

„a type of social movement rooted in collectivities with a communal base and/or with the local state as their target of action. The communal base of such movements may de-rive from common locations in real space (i.e., contiguous territory) or in the organiza-tion of the built environment (e.g., public housing occupants, renters)“ (1985:189).

Die Definition fasst damit letztlich drei verschiedene Kollektivierungen zusammen: Erstens Bewegungen, deren Teilnehmer/innen der gleichen geografisch bestimmbaren Einheit angehö-ren, etwa einer Nachbarschaft oder auch Stadt, zweitens Bewegungen mit einer Teilnehmen-denschaft innerhalb einer Gliederung der gebauten Umwelt sowie drittens alle Bewegungen, die mit ihrem Protest eine Stadtverwaltung adressieren.401

Zusätzlich wird auch betont, dass der Begriff der „politischen“ Bewegung nicht ausschließend

400 Mayer/Boudreau (2012:275f.) verweisen hier neben den Minderheitenprotesten auch auf die lange Tradition des „commu-nity organizing“ (Fisher 1994) und umfassende Auseinandersetzungen um Flächensanierung einschließlich Vertreibung.

Vgl. Fainstein/Hirst (1995:190).

401 Fainstein/Fainstein (1985:189) verdeutlichen dabei explizit, „[that t]he local state need not to be the object of urban so-cial movements. Their activities may range from rent strikes against private landlords to efforts at self-help and autono-mous communalism.“ Allerdings bedeutet dies für sie nicht, dass die Lokalregierung nicht dennoch involviert wäre, da „in the advanced capitalist nations with large welfare states and governmental penetration of civil society, USMs almost al-ways collide with the local state as it acts to service, police, and redevelop urban communities“, schreiben Fainstein/Fain-stein(1985:189).

gegenüber „efforts with different or broader aims“ gemeint ist (Fainstein/Fainstein 1974:xi).

Basierend auf einer umfassenden, aber notwendigerweise eklektischen und interpretativen Aus-wertung der bestehenden sozialwissenschaftlichen Protest- und Bewegungsforschung402 wer-den Politische Bewegungen als eine spezielle Form Sozialer Bewegungen angesehen (vgl.

3.4),403 die auf eine Reform der politischen Allokation von Werten oder der Verfahren der Wer-teallokation abzielen. Politische Bewegungen können daher bei Fainstein/Fainstein im Gegen-satz zu Castells‘ Positionierung in der radikalen Linken sowohl konservativ als auch radikal sein und werden dennoch stets als „innovativ“ begriffen: „‘Innovation’ here refers to deep-sea-ted change, regardless of its direction“ (1974:239).

Ganz im Gegensatz zu Castells‘ „urban social movements“ – zumindest in ihrer ursprüngli-chen Konzeptualisierung – werden die „urban political movements“ als lokal begrenzt und für die überlokalen Politikebenen häufig marginal betrachtet, obwohl sie umgekehrt „within the context of both routine urban politics and national political events“ verstanden werden müssen (Fainstein/Fainstein 1985:187). Allerdings wird zudem sogar ihre Bedeutung für die Kommu-nalpolitik als beschränkt angesehen, da

„popular urban protest was commonplace, yet was channeled and contained by the po-litical system. […] communal protest is isolated, institutionalized in various mecha-nisms of citizen participation, and results, at best, in a few concessions.“ (Fain-stein/Fainstein 1985:187)

Dennoch sehen Fainstein/Fainstein urban political movements keineswegs als bedeutungslos an (1974:54, 215). Ihre wesentliche Aufgabe sehen sie darin, ihre Adressaten auf Missstände und aus ihrer Sicht erforderliche Innovationen aufmerksam zu machen. Neben der Adressie-rung sozialer Probleme und Artikulation von Interessen geht es aber auch um politische Sozia-lisation und Emanzipation sowie die Schaffung und Anwendung von Macht. Sie füllen dem-nach für die Bedem-nachteiligten bzw. Minderheiten (vgl. 3.7.3), die ja im phänomenologischen Ur-sprung die Teilnehmer/innen von „urban political movements“ sind, die Lücken, die für sie of-fenbar in den gewöhnlichen politischen Organisationen auch in freiheitlich demokratischen Ge-sellschaften bestehen.404

402 Dem Datum der Veröffentlichung entsprechend wird dabei – trotz der Betonung eines intentionalen, rationalen Charakters von Protest – noch weitgehend der Stand vor dem Paradigmenwechsel verwendet. Dies führt eher zu einer diskursiven Begriffsbestimmung, die eklektisch Teile aus der gewissermaßen veralteten, in Teilen von Fainstein/Fainstein (1974:238) abgelehnten übernimmt. Die Rational-Choice-Theorie wird direkt angesprochen und die Vorstellung von Kosten-Nutzen-Erwägungen zumindest teilweise übernommen, auch ein Ressourcenansatz wird integriert. Andererseits schließen sie sich aber zum Beispiel der Vorstellung einer „relativen Deprivation“ als Protestursache an (3.3.1), wenngleich die Rückfüh-rung auf (structural) strains direkt abgelehnt und lieber von „social discontent“ gesprochen wird. Vgl. Fainstein/Fainstein (1974:237-258, 53).

403 Die Unterscheidung wird zwar auf die Definition des Politischen als „the authoritative allocation of values for a society“ von Easton (1953:50) zurückgeführt, ist aber nicht an eine allgemeine Definition von „Politischen Bewegun-gen“ gekoppelt.

404 Im Original bei Fainstein/Fainstein (1974:215):

„Urban political movements are vehicles by which minority groups have attempted to address their social problems through collective political action. Movements have sought to act as agents of political socialization, as interest articulators, and as means of creating and utilizing power. Each of these functions is also performed by routine or normal institutions in a liberal-democratic society- by political parties, electoral competition, and legislative bod-ies. The existence of urban movements and the reasons given by members for participation, however, attest to the inadequacy of routine political institutions for serving the needs of urban minority groups. Urban movements have constituted an attempt by minority group activists to perform functions which other institutional forms have served inadequately.“

139

4.5 Bürgerinitiativen: Von der nachgeholten

Im Dokument „Aber nicht so!“ (Seite 136-139)

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE