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Partizipation: Die Umweltverträglichkeitsprüfung

Im Dokument Nukleare Entsorgung in der Schweiz (Seite 154-157)

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5. Fallstudie 4: Endlagerprojekt für hoch- hoch-aktive Abfälle, Olkiluoto

5.4 Nukleare Einrichtungen in der Region Eurajoki

5.4.3 Partizipation: Die Umweltverträglichkeitsprüfung

Untersuchungsprogramm und Ziele

Die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), die wie erwähnt an vier potentiellen Standorten durchgeführt wurde beschreibt im sozio-ökonomischen Teil9:

Wirtschaftliche Auswirkungen auf die Standortregion: Beschäftigte, Landwirt-schaft, Tourismus, Gemeindestruktur und Infrastruktur, Gemeindefinanzen, Wert von Immobilien.

Gesellschaftliche Auswirkungen: Bevölkerungsentwicklung, Auswirkungen auf Landnutzungen, Immobilien, Kulturerbe, Landschaft und Ortsbilder. Einfluss von Verkehr inkl. Unfällen, Luftbelastung, Lärm, Vibrationen, Abwasser, sowie Aus-wirkungen möglicher Strahlung auf die Gesundheit.

Psychosoziale Auswirkungen: Effekte auf die Lebensbedingungen (Livingcondi-tions) und die Wohlfahrt (Wellbeeing). Wahrnehmung der Bevölkerung in Bezug auf die Entsorgungseinrichtungen (Imagefragen) sowie Zukunftsperspektiven.

Ein wichtiges Ziel der UVP war die Verbesserung der Information der Einwohner-/innen und deren Einbezug in die Standortsuche zu einem Zeitpunkt, in dem noch keine Entscheidungen getroffen sind. Die UVP sollte überdies Hintergrund-informationen sowie die Ansichten der allenfalls Betroffenen zum Projekt für den Grundsatzentscheid der Regierung zusammenfassen. Daher wurde bereits das Untersuchungsprogramm der UVP in einem breit abgestützten partizipativen Ver-fahren zusammengestellt. Bei dessen Ausarbeitung waren die in das Projekt invol-vierten Firmen, die staatlichen Aufsichtsbehörden, die Strahlenschutzbehörde so-wie die potentiellen Standortregionen beteiligt. Das Programm wurde öffentlich zur Diskussion gestellt (in Finnisch, Schwedisch und Englisch) und eine Zusam-menfassung davon überdies in alle Haushalte der potentiellen Standortregionen verteilt. Weiter wurden Informationsveranstaltungen durchgeführt. Die Bevölkerung konnte in schriftlicher oder mündlicher Form Stellung nehmen. Die verschiedenen Stellungnahmen wurden ebenfalls publiziert. Weiter wurde das Programm auch international zur Diskussion gestellt.

In den potentiellen Standortregionen wurden Kooperationsgruppen eingesetzt, welche die Kommunikation zwischen den Gemeinden und Posiva sicherstellen sollten. Die Kooperationsgruppen hielten es für besonders wichtig, so viele betrof-fene Einwohner/innen wie möglich in den UVP-Prozess einzubeziehen.

Um die Öffentlichkeit für eine breite Partizipation an der UVP zu gewinnen, wurde die Bevölkerung über ihre Beteiligungsmöglichkeiten informiert,

wurde umfassend über die Projektplanung, den UVP Prozess, den Fortschritt der UVP und die Abschlussberichte informiert,

wurde ein dauerhafter Dialog zwischen den Bewohner/innen der potentiellen Standortgemeinden initiiert,

fanden öffentliche Diskussionen über das Projekt, dessen Auswirkungen und die UVP statt,

9 Nebst den sozio-ökonomischen Auswirkungen untersucht die UVP auch die sicherheitstechnischen Aspekte und die Auswirkungen auf die Umwelt. Weiter beschreibt sie Alternativen zum Endlagerkonzept und evaluiert Massnahmen.

wurde die Angemessenheit der Projektberichte sowie die Akzeptanz der Me-thoden erfragt,

wurden Bevölkerungsbefragungen, Fokusgruppen und Interviews durchgeführt.

Beurteilung des partizipativen Prozesses

Im Rahmen ihrer Aktivitäten führt die Nuclear Energy Agency (NEA), die Behörde für Nuklearenergie der OECD, Workshops in Ländern mit Entsorgungsprogramm-en durch. Das finnische Beispiel wurde in einem Workshop in Turku, im November 2001 (kurz nach dem Grundsatzentscheid für den Standort Olkiluoto) vorgestellt und diskutiert. Im Folgenden sind Aussagen zur Partizipation aus den Vorträgen dieses Workshops zusammengefasst (NEA, 2002):

Das Vorgehen im Rahmen der UVP, insbesondere die breit angelegten Mög-lichkeiten zur Partizipation, wurde in den meisten Beiträgen positiv kommentiert.

Kritisch äusserte sich das Ministerium für Umwelt dazu, dass Posiva bereits einen Grundsatzentscheid für den Standort Olkiluoto anstrebte bevor die Arbei-ten an der UVP fertig waren, und dass die Informationen von Posiva während der UVP teilweise den Anstrich einer Werbekampagne gehabt hätten10.

Von Seite der (nationalen) Gegnerschaft wurde kritisiert, dass die UVP ein

„Schauspiel“ gewesen sei, in dem jeder Stakeholder seinen bereits vorbe-stimmten Part hätte spielen müssen11. Es sei von Anfang an klar gewesen, dass nur eine der beiden Kernkraftwerkstandorte als Endlagerstandort in Frage käme, da nur diese das Lager akzeptieren würden. Die Gegnerschaft wirft dem Verfahren der UVP vor, dass es nicht unabhängig durchgeführt worden sei. Der Umweltbericht sei von Posiva erstellt und von Gremien beurteilt worden, die mit der Energiewirtschaft verbunden sind. Weiter wird von der Gegnerschaft das Fehlen von Alternativen zum Konzept der geologischen Endlagerung be-mängelt.

Gemäss Hokkanen12 - einem Sozialwissenschafter der Universität Tampere, der den Partizipationsprozess in der UVP wissenschaftlich begleitete - ist die Beteiligung der Bevölkerung trotz den grossen Anstrengungen der Organi-satoren nicht zufriedenstellend gewesen. Hokkanen führt dazu verschiedene Gründe ins Feld:

Traditionsgemäss basiert die politische Partizipation in Finnland auf einer re-präsentativen nicht auf einer direkten Demokratie.

Die direkte Partizipation im Rahmen der UVP war also eine neue Form der politischen Partizipation.

Für das Publikum war der Einfluss der Partizipationsgruppen auf die Ent-scheidungsfindung unklar. Man zweifelte an der Wirkung.

Der gesamte Prozess war sehr lang, es traten Ermüdungserscheinungen auf.

Durch die hohe Informationsdichte fühlte sich die Bevölkerung gut informiert und sah keinen Grund mehr, an den Veranstaltungen Teil zu nehmen.

Hohe Belastung der Teilnehmenden.

10 Jantunen, J., in NEA, 2002, S. 62.

11 Rosenberg, T., in NEA, 2002, S. 65.

12 In NEA, 2002, S. 59.

Während der gesetzlich vorgesehenen Auflage der UVP und der Auflage des Gesuchs der Posiva für den Standort Olkiluoto (beim Ministerium für Handel und Industrie) sind nur wenige Einsprachen eingegangen13. Von Organisationen sind zur UVP lediglich vier Einwendungen eingegangen, zum Standortgesuch keine einzige. Von Einzelpersonen sind zur UVP 15 Einwendungen einge-gangen, zum Standortgesuch 100.14

Entscheidungsfindung in der Gemeinde Eurajoki

In Eurajoki begann im Dezember 1973 das Atomzeitalter, als der Gemeinderat dem Bau eines Kernkraftwerkes in Olkiluoto zustimmte15. Eine Voraussetzung für die Zustimmung war damals, dass die abgebrannten Brennelemente für die Wie-deraufbereitung ins Ausland geschickt und nicht in Olkiluoto gelagert werden sol-len. 1978 vergab das Ministerium für Handel und Industrie die Betriebsbewilligung für das erste Kernkraftwerk Olkiluoto.

Bevor die Untersuchungen im Rahmen des Regierungsprogramms in Eurajoki begannen, hielt der Stadtrat von Eurajoki seine strikt negative Haltung gegenüber der Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Strategieplan fest. Die Gemeinde Eurajoki wollte die Lagerung von abgebrannten Brennelementen auf ihrem Ge-meindegebiet verhindern. 1993 fand im Stadtrat eine hitzige Debatte und eine Ab-stimmung zu dieser Frage statt, welche mit dem Resultat von 13:13 Stimmen, bei einer Stimmenenthaltung ausging. 1994 diskutierte der Stadtrat erneut über das Thema und ein Endlager wurde schliesslich mit 15:10 Stimmen, bei zwei Enthal-tungen, abgelehnt.

Nach den verschiedenen Prozessen im Rahmen der UVP wurde 2000 schliesslich jedoch die Zustimmung des Stadtrates zum Endlagerprojekt erreicht. Die Ent-scheidung fiel nicht einstimmig aus. Zwei Drittel der Räte votierten für, ein Drittel gegen das Endlagerprojekt. Die Diskussion und die Stimmung im Stadtrat waren wie berichtet wird ruhig, die Diskussionen verliefen sachlich, ohne grosse Emotio-nen.

Weshalb letztlich Ende des Jahres 2000 ein zustimmendes Ergebnis für das End-lager erreicht werden konnte, wird folgendermassen erklärt:

Ein wichtiger Faktor für die Zustimmung soll die Informationsbereitschaft von Posiva gewesen sein. Zwischen Posiva und der Gemeinde bestanden während der Phase der Standortfindung eine ständige Arbeitsgruppe (Liason Group).

Diese tagte drei bis viermal im Jahr. Die Arbeitsgruppe diente hauptsächlich dem Informationsaustausch.

In dieser Gruppe wurden verbindliche Abmachungen zwischen Posiva und der Gemeinde Eurajoki hinsichtlich bestimmter Projekte mit Entschädigungs-charakter getroffen.16

Der Gemeinderat sah es als seine Aufgabe an, die Einnahmen der Gemeinde zu verbessern.

13 Väätäinen in NEA 2002, S. 57.

14 Dies ist sehr wenig, verglichen mit mehr als 10’000 Einwendungen, die zum Schweizerischen Zwi-schenlager in Würenlingen eingingen. Dies spricht allenfalls für die Effektivität des UVP-Prozesses, der die Bedenken der Bevölkerung vor der Auflage ausräumen konnte, ist jedoch möglicherweise auch ein Zeichen für ein eher geringes öffentliches Interesse oder für die in Abschnitt 6.4.4 erwähnte „politische Kultur“ Finnlands.

15 Lucander, A. in NEA 2002, S. 51.

16 Posiva hat der Gemeinde Eurajoki ein Darlehen gegeben für den Bau eines Altersheims.

Die von Posiva im Rahmen der UVP in Auftrag gegebenen Bevölkerungs-befragungen waren für den Stadtrat massgeblich bei seiner Entscheidung pro Endlagerprojekt. Die Bevölkerungsbefragungen zeigten, dass eine Mehrheit für das Endlagerprojekt war (Abschnitt 5.6.2).

Die umliegenden Gemeinden in der Provinz hatten keine Mitentscheidungs-befugnisse. Allerdings war die Zusammenarbeit zwischen Eurajoki und den Nach-bargemeinden stets gut. Der Stadtrat von Eurajoki holte die Meinung der anderen Gemeinden in der Provinz schriftlich ein. Die umliegenden Gemeinden waren dem Projekt gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt. Sie erwarteten die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen auch für ihre Einwohner/innen.

Die Rolle der Provinz in der Entscheidungsfindung war eine rein formelle. Nach-dem die Gemeinde Eurajoki offiziell ihre Zustimmung zu Nach-dem Projekt erteilt hatte, wurde um die Zustimmung und die Unterschrift des Län (Provinz) gebeten. Diese wurden erteilt.

Im Dokument Nukleare Entsorgung in der Schweiz (Seite 154-157)