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Aktivierung/Hemmung des endogenen Entwicklungspo- Entwicklungspo-tenzials

Im Dokument Nukleare Entsorgung in der Schweiz (Seite 132-141)

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4. Fallstudie 3: Zwischenlager und sistier- sistier-tes Endlagerprojekt Gorleben

4.5 Wirtschaftliche Auswirkungen der Entsorgungsan- Entsorgungsan-lagen

4.5.8 Aktivierung/Hemmung des endogenen Entwicklungspo- Entwicklungspo-tenzials

Positive Wirkungen

Durch den jahrzehntelangen Widerstand sind in der Region Initiativen und Projekte entstanden, die für die zukünftige Entwicklung der Region ein wirtschaftliches Po-tenzial erschliessen könnten.

Eine solche Initiative stellt z.B. der Verein WendenEnergie e.V. dar. WendenEner-gie ist aus dem Projekt „Stromsparlotterie“ der „Integrierten Umweltberatung“, einer Stelle, die beim Landkreis Lüchow-Dannenberg angesiedelt war, hervorgegan-gen.40 Nach der Auflösung der „Integrierten Umweltberatung“, wurde im Jahr 2000 der gemeinnützige Verein WendenEnergie e.V. gegründet, um die Initiative zur Energieeinsparung am Leben zu erhalten. Der erste Schwerpunkt von Wenden-Energie blieben Wenden-Energieeinsparung und Wenden-Energieeffizienz. Von Anfang an bestand der zweite Schwerpunkt des Vereins jedoch in der Umstellung der Energieversor-gung im Landkreis auf regenerative Energien mit dem Endziel der vollständigen Energieautarkie. Die Idee der Energieautarkie basierte auf einem Kreistagsbe-schluss aus dem Jahr 1997. Sie wurde damals vom Arbeitskreis „Klimaschutz und Energie“ der lokalen Agenda 21 des Landkreises in die Diskussion eingebracht.

Der Kreistagsbeschluss wurde fraktionsübergreifend gefasst.

40 Die Stelle Integrierte Umweltberatung wurde im Landkreis auf Initiative der Universität Bielefeld geschaffen, der Landkreis gehörte zu einer der Pilotregionen des universitären Projektes.

2001/1 2001/2 2002 2003 2004

WendenEnergie e.V. initiiert und fördert seit seiner Gründung vor allem innovative Projekte im Bereich regenerativer Energien und informiert Energieverbraucher über den Einsatz bzw. die Nutzung von regenerativen Energien und über Energie-sparmöglichkeiten. Darüber hinaus bietet WendenEnergie Beratung zur Nutzung regionaler Energiepotentiale und zu den Möglichkeiten, Fördermittel zu beziehen.

Durch das starke Engagement für regenerative Energien in der Region ist schon Mitte der 90er Jahre aus einem kleinen Heizungsbaubetrieb eine Werkstatt für Biogasblockheizkraftwerke entstanden. Dieser Betrieb beschäftigt inzwischen rund 30 bis 40 Arbeitskräfte.

Es existieren weitere, schon länger bestehende Initiativen in der Region, welche die Förderung und Verbreitung regenerativer Energien zum Ziel haben. Als Bei-spiele seien hier noch die Wendland Wind-Betreibergemeinschaften genannt, die seit rund 15 Jahren Gemeinschaftswindkraftanlagen geplant und realisiert haben, sowie auch die Biomasse Wendland GmbH.

Nach Ansicht regionaler Expert/innen hat die Wendländische Widerstandsbewe-gung gegen die nuklearen EntsorWiderstandsbewe-gungsanlagen in Gorleben massgeblich zur Ent-stehung von WendenEnergie e.V. und der anderen Initiativen zur Förderung der erneuerbaren Energien beigetragen: Die zugrundeliegende Idee aller Initiativen war und ist die Suche nach Alternativen zur herkömmlichen nuklearen und fossilen Energieversorgung. Die Initianten wollten „nicht nur Nein zur Atomkraft sagen, sondern zeigen, wie es anders geht.“41

Eine weitere Initiative, die u.a. von Mitgliedern der bäuerlichen Widerstandbewe-gung initiiert worden ist, ist die Initiative Gentechnikfreie Anbauregion im Wend-land/Elbetal. Diese wurde von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dem Landvolk Kreisverband Lüchow-Dannenberg und der Region Aktiv Wend-land/Elbetal e.V. ins Leben gerufen. Ziel ist die Schaffung einer gemeinsamen gentechnikfreien Anbauregion auf freiwilliger Basis in der Region Wendland/ Elbe-tal. Die bäuerlichen Mitglieder verpflichten sich, kein gentechnisch verändertes Saat- und Pflanzengut in ihren Betrieben einzusetzen. Von externen Zulieferern werden u.a. schriftliche Garantieerklärungen und von der Politik die Schaffung angemessener Rahmenbedingungen gefordert. Zur Zeit ist die Initiative noch in der Gründungsphase.

Negative Wirkungen

Im Rahmen des EU-Forschungsprojekts Dynamics of Rural Areas, DORA42 wur-den u.a. gesellschaftliche Faktoren untersucht, welche die Entwicklung ländlicher Räume während der letzten Jahrzehnte massgeblich beeinflusst haben. Die Studie machte deutlich, dass im Landkreis Lüchow-Dannenberg das regionale Akteurs-netzwerk in zwei Lager gespalten ist und ein gesellschaftlicher Konsens über Massnahmen der Regionalentwicklung nur schwer zu erzielen ist. Im Ergebnis werden Prozesse der wirtschaftlichen Entwicklung der Region massgeblich behin-dert (die Studie spricht von eigentlichen Verhinderungskoalitionen). Die Spaltung des Akteursnetzwerkes entspricht derjenigen zwischen Gegnern und Befürwortern der Entsorgungsanlagen.

41 Zitat vom Vorstand der WendenEnergie e.V.

42 Masurek, Lars; Hachmöller, Gerd, 2002.

Zusammenfassung und Fazit: Wirtschaftliche Auswirkungen

Die Entsorgungsanlagen sind bedeutende Arbeitgeber, die rund ein Drittel bis zwei Drittel (je nach Arbeitsanfall) der Arbeitsplätze in der SG Gartow und 3-4% der Arbeitsplätze im LK Lüchow-Dannenberg stellen.

Die Entsorgungsanlagen tätigten zwischen 1980 und 2000 Umsätze und In-vestitionen von durchschnittlich 65 Mio. pro Jahr wovon rund 4 Mio. jährlich im LK Lüchow-Dannenberg verblieben.

Das lokale Gewerbe, insbesondere die Bauwirtschaft, konnte von den Auf-trägen der Entsorgungsanlagen profitieren. Die Höhe der Aufträge ist jedoch stark schwankend, was zu grossen Umsatz- und Beschäftigungsschwan-kungen in der Bauwirtschaft führt(e).

Das Qualifikationsniveau in der lokalen Bauwirtschaft konnte durch die Auf-träge aus den Entsorgungsanlagen gehoben werden.

Von Bundesseite sind bis 1992 die sog. Gorleben-Gelder in die Region ge-flossen. Die Bertreiber des Zwischenlagers zahlen im Rahmen von Ansied-lungsverträgen erhebliche Beträge an die Gemeinde und den Landkreis.

In der Samtgemeinde Gartow haben die Zahlungen aus den Ansiedlungs-verträgen und die Einnahmen über die Gewerbesteuern zu einer grund-sätzlichen Verbesserung der Gemeindefinanzen geführt. Im übrigen LK Lü-chow-Dannenberg hingegen sind die Gemeindefinanzen durch die Zu-wendungen nicht wesentlich verbessert worden.

Die Ansiedlungsverträge sind für die Gemeinden wesentlich, da darin auch geregelt ist, dass wenn möglich Mitarbeiter/innen aus der Region beschäf-tigt werden sollen.

Die Arbeitslosenquote wird durch die Anlagen nicht messbar beeinflusst, da sich die Qualifikationen der Erwerbslosen nicht mit den Ansprüchen der Ent-sorgungsfirmen decken.

Die verbesserte Finanzlage der Standortgemeinde Gorleben und der SG Gartow hat dazu geführt, dass verschiedene wichtige Investitionen in die lo-kale Infrastruktur getätigt werden konnten. Weiter wurden touristische Ein-richtungen finanziert.

Für Gorleben und die SG Gartow besteht eine hohe Abhängigkeit von den Steuern und Zahlungen der Entsorgungsanlagen, sowie im Falle der Wend-landtherme auch die Gefahr einer Überinvestition.

Die verbesserte Finanzlage von Gorleben und der SG Gartow führt dazu, dass diese Körperschaften an Förderprogrammen des Bundes partizipieren können, da sie in der Lage sind, die nötigen Eigenmittel aufzubringen.

Die Entsorgungsanlagen haben keine eindeutig messbaren Auswirkungen auf den privaten Wohnungs- und Grundstückmarkt. Die Bodenpreise sind zum Teil keine Marktpreise, da die Gemeinde Gorleben und die SG Gartow Boden zu sehr günstigen Bedingungen anbieten.

Die Entsorgungsanlagen haben nicht zu nachweisbaren Absatzproblemen bei landwirtschaftlichen Produkten geführt.

Die Widerstandsbewegung hat zu einer Belebung des Biomarktes geführt.

Die Entsorgungsanlagen haben zu keiner messbar negativen Beeinflussung des Tourismus geführt.

Umgekehrt konnte mit den Geldern aus den Entsorgungsanlagen Touris-musinfrastruktur geschaffen werden.

Die Besucher/innen der Anlagen führen zu einer besseren Auslastung der lokalen Infrastruktur. Weiter wirken sich auch die Protestaktionen im Rah-men der Castor-Transporte, die in die touristische Tiefsaison fallen, positiv auf das Gastgewerbe und den Handel aus.

Der Polizeieinsatz zur Überwachung der Castor-Transporte kostet das Bun-desland Niedersachsen jedes Jahr zwischen 20 und 30 Mio. .

Die Kontroverse um die Nukleartechnologie hat im Raum Gorleben zu einer Ansiedlung von Firmen aus dem Bereich regenerativer Energien geführt, die Arbeits- und Lehrstellen geschaffen haben.

Die Spaltung des regionalen Akteursnetzwerkes in zwei Lager, behindert die Entscheidungsfindung in der Region und wirkt sich hemmend auf die wirt-schaftliche Entwicklung aus.

4.6 Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt

4.6.1 Bevölkerungsentwicklung

Aus den statistischen Daten (Abb. 50) geht nicht hervor, dass sich die Entsor-gungsanlagen negativ auf die Bevölkerungszahl ausgewirkt hätten. Die demogra-phische Entwicklung wird hauptsächlich durch die Öffnung gegen Osten bestimmt.

Der Zuzug von Personen im Zusammenhang mit den Entsorgungsanlagen ist al-lenfalls für die Samtgemeinde Gartow ein relevanter Faktor, der jedoch nicht quan-titativ erfasst werden kann.

Entsprechend sind im LK Lüchow-Dannenberg nur 8% der Bevölkerung spontan resp. 4% auf die geschlossene Frage hin der Ansicht, dass das Zwischenlager zum Bevölkerungswachstum beigetragen hat. In der SG Gartow will ein etwas höherer Anteil, nämlich 11% der Bevölkerung, einen Anstieg beobachtet haben (Abb .104 und 105, Abschnitt 7.5.11).

4.6.2 Lebensqualität und gesellschaftliches Leben

Die folgenden Abschnitte beruhen auf den Ergebnissen der Bevölkerungsbefra-gung im LK Lüchow-Dannenberg und in der SG Gartow sowie auf Experteninter-views mit regionalen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Tourismus, Widerstands-bewegung und Kirche. Es ist zu beachten, dass es sich um persönliche, subjektive Wahrnehmungen und Einstellungen der Bevölkerung handelt. Die Ergebnisse der Bevölkerungsbefragung sind zum Teil konträr zu den Ergebnissen von statisti-schen Analysen und Experteninterviews.

Verlust von Wohnortattraktivität

Dass das Lager zu einem Attraktivitätsverlust des Wohnortes für potenzielle Neu-zuzüger/innen bzw. Unternehmen geführt hat, meinen im Landkreis Lüchow-Dannenberg 51% der Bevölkerung spontan und 55% auf die entsprechende Ant-wortvorgabe (28%: sehr, 27%: ziemlich, Abb. 102 und 103, Abschnitt 7.5.10).

Frauen wollen signifikant häufiger als Männer einen Attraktivitätsverlust ihrer Regi-on für Neuzuzüger/innen als Folgen des Zwischenlagers festgestellt haben. Ein

Aspekt der Wohnortattraktivität ist die natürliche Umwelt. 41% der Bevölkerung im Landkreis Lüchow-Dannenberg äussern auf die offene Frage hin spontan, dass das Zwischenlager zur Verseuchung bzw. Verstrahlung der Umwelt geführt habe.

Auf konkrete Auswirkungen angesprochen meinen jedoch mit 11% deutlich weni-ger Bewohner/innen des Landkreises, dass sich die Zwischenlaweni-ger negativ auf die Umwelt ausgewirkt habe (5%: sehr, 7%: ziemlich). Frauen im Landkreis Lüchow-Dannenberg bekräftigen signifikant häufiger als Männer, dass es in Folge des Zwi-schenlagers zur Verseuchung der Umwelt gekommen ist. Aus den Medien und aus den im Rahmen dieser Studie durchgeführten Recherchen und Experteninterviews sind allerdings keine Beeinträchtigungen der Umwelt bekannt, die als Verseuchun-gen bezeichnet werden könnten.

Attraktivitätsverlust im Bereich Freizeit, Erholung und Tourismus

Die Mehrheit der Bevölkerung im Landkreis Lüchow-Dannenberg stellt einen Att-raktivitätsverlust für die Region im Bereich Freizeit, Erholung und Tourismus durch das Zwischenlager fest (59% spontan, auf die Antwortvorgabe 26% sehr; 34%

ziemlich, Abb. 102 und 103, Abschnitt 7.5.10).).

Gesundheitliche Probleme

Im Landkreis Lüchow-Dannenberg sind 44% der Bevölkerung spontan und ein Drittel auf die Antwortvorgabe hin, der Ansicht, dass das Zwischenlager gesund-heitliche Probleme verursacht habe (Abb. 104 und 105, Abschnitt 7.5.10). Frauen äussern signifikant häufiger als Männer, dass es als Folge des Zwischenlagers zu gesundheitlichen Schäden gekommen ist.

Spannungen und Unruhe in der Bevölkerung

Die am häufigsten genannten gesellschaftlichen Auswirkungen des Zwischenla-gers sind im Landkreis Lüchow-Dannenberg mit jeweils 70% Spannungen in der Bevölkerung des Wohnorts und Unruhe durch Protestveranstaltungen in der Regi-on (offene Fragestellung). Ähnlich hoch ist der Anteil Befragter, welcher auf die geschlossene Frage hin negative Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben bemerkten: Nahezu zwei Drittel der Bevölkerung des Landkreises Lüchow-Dannenberg geben an, dass das Lager in ihrer Region zu Spannungen in der Be-völkerung geführt hat (Abb. 102 und 103, Abschnitt 7.5.10). Vor allem zu Beginn der Planungen für ein Endlager und ein Zwischenlager in der Region soll es Streit wegen der Frage der Entschädigungszahlungen gegeben haben. Zur Integration zugezogener Facharbeiter des Zwischenlagers bzw. der mittlerweile eingestellten Erkundungsarbeiten für ein potenzielles Endlager gibt es widersprüchliche Aussa-gen. Diese reichen von gut integriert bis absolut nicht integriert. Von einigen regio-nalen Interviewpartnern wird ausgesagt, dass die Entsorgungsprojekte einen Gra-ben durch die Bevölkerung gezogen haGra-ben. Es wird von dieser Seite auch ausge-sagt, dass die Mitarbeiter/innen des Zwischenlagers stark isoliert vom Rest der Bevölkerung leben und dass die Strategie der Lagerleitung, Personen aus der Region als Mitarbeiter/in zu gewinnen, nicht wie erwartet funktioniere. Diese wider-sprüchlichen Aussagen führen zu der Annahme, dass entweder die Wahrnehmung der einzelnen Personen von ihrer Einstellung zu den Entsorgungsanlagen geprägt ist oder dass einige Befragte (Bevölkerungsbefragung und/oder Experteninter-views) sich strategisch verhalten.

Unruhe durch Protestveranstaltungen nennen 70% spontan und auf die Antwort-vorgabe hin über die Hälfte der Bevölkerung als negative Auswirkung des Lagers (Abb. 102 und 103, Abschnitt 7.5.10). Die Situation in der Region zur Zeit der so-genannten Castortage wird als Belagerungszustand beschrieben. Das grosse Poli-zeiaufgebot, Hubschrauberlärm, Sirenen, umfangreiche Absperrungsmassnahmen und Kontrollen der Einwohner/innen belasten das gesellschaftliche Leben während zweier Wochen pro Jahr stark. Vor allem Kinder und Jugendliche werden beein-trächtigt, da ein Schul- oder Kindergartenbesuch während der Castortage nicht möglich ist.

Neue Gemeinschaften entstanden

Durch den Widerstand breiter Bevölkerungskreise gegen die Entsorgungsprojekte ist eine neue Gemeinschaft in der Region um Gorleben entstanden. Die zwei gros-sen regionalen Widerstandsorganisationen, die Bürgerinitiative Umweltschutz Lü-chow-Dannenberg und die Bäuerliche Notgemeinschaft mobilisieren jährlich Tau-sende für ihren Widerstand gegen die Castor-Transporte und das geplante Endla-ger. Beide Organisationen pflegen Kontakte zu gesellschaftlichen Gruppen, die ursprünglich nicht aus der Widerstandsbewegung stammen, wie Künstler, Ärzte und Kirchgemeinden. Die Bürgerinitiative Umweltschutz wird nach eigenen Anga-ben zudem durch Ortsgruppen unterstützt, „in denen von der Oma bis zum Enkel alle drin sind"43.

Die Bevölkerungsgruppe die dem Lager positiv oder neutral gegenübersteht ist nicht im selben Masse in sich vernetzt. Kontakte zwischen der Gruppe der Geg-nerschaft und Personen, die den Entsorgungseinrichtungen positiv gegenüberste-hen existieren kaum.44

Lebensqualität insgesamt

Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Meinung, dass sich die generelle Lebensqua-lität in ihrer Region in Folge des Zwischenlagers negativ verändert hat. Gut ein Drittel der Bevölkerung ist der Ansicht, dass das Zwischenlager die Lebensqualität im Landkreis Lüchow-Dannenberg nicht verändert hat (Abb. 106, Abschnitt 7.5.12).

Die Sicht der Bevölkerung in den Kerngemeinden ist signifikant positiver als im äusseren Kreis: 17% der Bevölkerung in den Kerngemeinden meinen, dass das Zwischenlager positiv auf die Lebensqualität in der Region eingewirkt hat (gegen-über knapp 7% im äusseren Kreis).

4.6.3 Protest gegen das Lagerprojekt

Erste Reaktion auf die Endlagerpläne

Im Landkreis Lüchow-Dannenberg steht die Bevölkerung den Plänen für ein End-lager für hochradioaktive Abfälle in der Region mehrheitlich negativ gegenüber.

Nur 13% der Bevölkerung machen sich keine Sorgen und nehmen die Endlager-pläne positiv auf. 33% haben ein ungutes Gefühl, akzeptieren die Pläne aber

43 Aussage aus Interview. Es besteht innerhalb der Bürgerinitiative auch eine sogenannte Initiative 60, in der sich Personen im Alter von über 60 Jahre engagieren.

44 Masurek, Lars; Hachmöller, Gerd, 2002.

noch. Weitere 33% haben ein ungutes Gefühl und sind gegen die Pläne. 21% weh-ren sich aktiv dagegen (Abb. 97, Abschnitt 7.5.9). In der Samtgemeinde Gartow stossen die Endlagerpläne allerdings auf ein positiveres Echo als im übrigen Land-kreis Lüchow-Dannenberg. Männer stehen einem potenziellen Endlager in der Region signifikant positiver gegenüber als Frauen.

Gründe, warum ein Teil der Bevölkerung im Landkreis Lüchow-Dannenberg die Pläne für die Lagerprojekte positiv aufnimmt, sind vor allem die Hoffnung, dass das Lager Arbeitsplätze in der Region schafft und dass die regionale Wirtschaft vom Bau und Betrieb des Lagers profitiert. In der Samtgemeinde Gartow nehmen signi-fikant mehr Personen als im übrigen Landkreis Lüchow-Dannenberg das Lagerpro-jekt positiv auf, weil sie sich davon Vorteile für die regionale Wirtschaft verspre-chen.

Der am häufigsten genannte Grund, das Lagerprojekt abzulehnen ist im Landkreis Lüchow-Dannenberg die Angst vor Verstrahlung. Weiter wird es als unfair empfun-den, dass die Region eine Anlage dulden soll, welche keine andere Region haben will. Es sind vor allem Frauen, die angeben, Angst vor einer Verstrahlung zu ha-ben. So ist im Landkreis Lüchow-Dannenberg die Angst vor Verstrahlung als Ab-lehnungsgrund bei Frauen mit rund 80% gegenüber Männern (rund 60%) signifi-kant grösser.

Protestdemonstrationen und organisierte Opposition als Ausdrucksmittel des Widerstands

Im Landkreis Lüchow-Dannenberg haben von denjenigen 21% der Befragten, die angeben, sich aktiv gegen die Endlagerpläne zu wehren, 96% an Protestdemonst-rationen teilgenommen. 41% sind einer Oppositionsgruppe beigetreten (Abschnitt 7.5.9). Frauen und Männer haben gleich häufig an Protestdemonstrationen teilge-nommen, Männer sind mit 52% jedoch signifikant häufiger einer Oppositionsgrup-pe beigetreten als Frauen (30%).

Wegzug aus der Region wegen des Lagerprojekts

Im Landkreis Lüchow-Dannenberg geben 19% der Bevölkerung an, für den Fall der Realisierung des Endlagers zu erwägen, aus der Region wegzuziehen (Abb.

99, Abschnitt 7.5.9). Der Anteil derjenigen, die einen Wegzug erwägen, ist im übri-gen LK Lüchow-Dannenberg mit 19% grösser als in der SG Gartow (14%). Es zeichnet sich auch eine Differenz zwischen den verschiedenen Altersgruppen ab:

Jüngere Menschen im übrigen LK Lüchow-Dannenberg (15- bis 29jährige) tendie-ren zu 30% (in der SG Gartow zu 13%) dazu, die Region im Falle eines Endlager-baus zu verlassen, während nur 15% der älteren Menschen (54-jährige und ältere) diesen Schritt tun würden.

12% der Bevölkerung kennen Personen, die wegen dem Zwischenlager oder der Pläne für ein Endlager der Region den Rücken gekehrt haben (Abb. 100). Aus der amtlichen Statistik lässt sich nicht ablesen, wie viele Personen tatsächlich wegen dem Zwischenlager weggezogen sind.

Stimmung in der Region gegenüber den Lager(projekten) heute

Zwei Drittel der Bevölkerung nehmen die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber dem geplanten Endlager heute als negativ wahr: 66% meinen, dass die Mehrheit der Bevölkerung besorgt ist und das Lager ablehnt (Abb. 101, Abschnitt 7.5.9).

Dabei sind im übrigen LK Lüchow-Dannenberg mit 68% wesentlich mehr Personen der Meinung, dass das Endlager heute von der Mehrheit der Bevölkerung abge-lehnt wird, als in der SG Gartow (51%). Darüber hinaus sind signifikant mehr Frau-en als Männer der Ansicht, dass die Bevölkerung besorgt ist und das Endlager ablehnt bzw., dass das Endlager noch ein wichtiges Thema ist.

4.6.4 Auswirkungen auf das Image der Region

Das Image der Region hat sich durch den 30-jährigen Widerstand gegen die Ent-sorgungsprojekte in Gorleben grundsätzlich gewandelt. Selbstverständlich sind dafür aber auch andere sozio-politische Entwicklungen verantwortlich. Vielleicht kann man das Image der Region heute eher als vielschichtig denn als negativ be-zeichnen. Nach aussen hin hat die Widerstandsbewegung Gorleben das Bild des kleinen unbeugsamen Galliens auf Niedersächsischem Boden eingebracht, dessen Bewohner sich tapfer gegen die Energiewirtschaft zur Wehr setzen. Reisen in die Region und Gespräche mit Personen aus der Widerstandsbewegung bestätigen dem Besucher dieses Bild. Symbole des Widerstands sind an jeder Strassenkreu-zung zu treffen, das Thema Entsorgungsprojekte ist vielerorts lebendiger Gegen-stand der alltäglichen Diskussion.

Andererseits gehört zum Image der Region auch ihre Abgeschiedenheit von gros-sen städtischen Zentren, ihre Ländlichkeit und Naturnähe, in der die Entsorgungs-projekte auf viele Gäste wie unpassende Fremdkörper wirken müssen. Die Region um Gorleben wurde mit der Grenzöffnung und politischen Wiedervereinigung Deutschlands aus ihrer Zonenrandlage – jedoch nicht aus der wirtschaftlichen Randlage – befreit, verlor jedoch dadurch ihren Status als Naherholungsraum für die Westberliner/innen. Durch die allgemeine Zunahme der Fernreisen hat die Region zudem als Ferienregion für andere Grossstädte Norddeutschlands an Att-raktivität eingebüsst. In dieser bereits angespannten Konkurrenzsituation des Tou-rismus sind weitere Beeinträchtigungen des Images als nicht vernachlässigbar einzustufen. Bislang liegen allerdings keine erhärteten Indizien für durch die Ent-sorgungsprojekte bedingte direkte negative Auswirkungen auf den Tourismus vor.

Durch die Widerstandsbewegung erhielt die Region auch neue, identitätsstiftende Impulse. Sämtliche Interviewpartner erwähnten nicht ohne Stolz das reiche kultu-relle Leben in der Region. Künstler und andere Freigeister, die das Gebiet seit jeher als Lebensraum und Inspirationsquelle nutzten, sympathisieren mit der Wi-derstandsbewegung und unterstützen diese durch zahlreiche Veranstaltungen. Für ausserregionale Gäste sind diese positiven Aspekte des Widerstands im Gegen-satz zu den sich alljährlich abspielenden Szenen anlässlich der Castor-Transporte eine Überraschung.

Die Region hat sich ferner einen Namen für Bio-Lebensmittel gemacht. Die Region um Gorleben bzw. der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist auch als Wendland be-kannt und wird touristisch unter diesem Namen vermarktet. Die Marke Wendland

Die Region hat sich ferner einen Namen für Bio-Lebensmittel gemacht. Die Region um Gorleben bzw. der Landkreis Lüchow-Dannenberg ist auch als Wendland be-kannt und wird touristisch unter diesem Namen vermarktet. Die Marke Wendland

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