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Analyse von Faktoren, die zum Konflikt um Gorleben bei- bei-getragen haben

Im Dokument Nukleare Entsorgung in der Schweiz (Seite 118-122)

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4. Fallstudie 3: Zwischenlager und sistier- sistier-tes Endlagerprojekt Gorleben

4.4 Die Projekte zur Entsorgung radioaktiver Abfälle in Gorleben

4.4.4 Analyse von Faktoren, die zum Konflikt um Gorleben bei- bei-getragen haben

Der folgende Abschnitt ist ein Versuch, den Konflikt um den Standort Gorleben auf der Basis der in 4.4.2 gekürzt wiedergegebenen Darstellung des Planungs- und Realisierungsprozesses sowie der Befragungen und Expertengespräche zu analy-sieren und die hauptsächlichen Konfliktpunkte zu identifizieren. Es soll damit die

Frage beantwortet werden, welche Aspekte zu dem mittlerweile 30-jährigen Kon-flikt um die Entsorgungsprojekte in Gorleben beigetragen haben.

Laut Kassel (2003) geht es bei dem Konflikt nur vordergründig darum, welche Sei-te die Einsicht in die richtigen wissenschaftlichen FakSei-ten besitzt, auch wenn beide Seiten, die Energiewirtschaft einerseits und die Wendländische Widerstandsbewe-gung andererseits, hauptsächlich mit wissenschaftlich-technischen Fakten argu-mentieren.

Auf der Grundlage der Analysen lässt sich folgern, dass der Konflikt aus den fol-genden Aspekten resultierte:

Von Bedeutung ist eine anti-nuklearen Haltung grosser Teile der Bundesdeut-schen Bevölkerung. Dieser Haltung liegen die Angst vor Verstrahlung und Ver-seuchung der Umwelt und damit verbunden, die Angst um die eigene Gesund-heit und das eigene Leben zu Grunde. Aber auch die Ablehnung einer den Menschen entfremdeten Grosstechnologie mit dem Makel der letztlichen Unbe-herrschbarkeit durch den Menschen spielt eine Rolle.

Weiter war der politische Entscheidungsprozess von Absprachen unter politi-schen und wissenschaftlichen Eliten und gesellschaftlicher Nicht-Partizipation geprägt (vgl. auch Duphorn 2003). Die Auswahl von Gorleben als Standort für ein nukleares Entsorgungszentrum und später als Standort für Zwischenlager und Endlager für radioaktive Abfälle basierte weder auf rein wissenschaftlichen Kriterien noch auf einem transparenten, partizipativen Verfahren. Beides wird heute vom AkEnd als wichtige Voraussetzungen für das Gelingen einer Stand-ortsuche bezeichnet. Die Bevölkerung in der Region Gorleben wurde vor voll-endete Tatsachen gestellt, und das, obwohl ihre Sensibilität gegenüber der Kernenergie bereits durch einen früheren Konflikt um ein Kernkraftwerk im glei-chen Landkreis bekannt war und dementspreglei-chend mit Widerstand gerechnet werden musste.

Von Anfang an standen sich mit den Betreibergesellschaften und der Wider-standsbewegung zwei Konfliktparteien unversöhnlich gegenüber. Gegenseitige Beschuldigungen und Bedrohungen sowie ein rauher Umgangston schaukelten den Konflikt immer weiter auf. Es kam zum gegenseitigen Aufbau von Feindbil-dern, für die weitere bundesdeutsche Öffentlichkeit entwickelte sich das Bild vom David gegen Goliath, von Gorleben als kleinem, unbeugsamen „Gallier-dorf“, das seine Rechte gegenüber der Elektrizitätsbranche verteidigte.

Es ist zu beachten, dass die Standortentscheidung zu einer Zeit gefällt wurde, als die politische Diskussion in Deutschland durch die Ereignisse um die terro-ristische Rote Armee Fraktion (RAF), aber auch durch die erstarkende Anti-atom- und Umweltbewegung, stark aufgeheizt war.

Die Gemeinderäte der Standortgemeinden als Volksvertreter setzten sich aus wirtschaftlichen Gründen für die Entsorgungsanlagen ein. Das Interesse an ei-ner Konfliktlösung war wenig erkennbar. Heute wird von offizieller Seite der Standortgemeinden gesagt, dass der Konflikt kleiner geworden sei oder nicht mehr existiert.

Die niedersächsische Landesregierung und die Bundesregierung, die jeweils von gegensätzlichen Parteien geführt wurden, waren sich in der Vorgehenswei-se nicht einig. Schritte in Richtung eines offenen, gesamtdeutschen Auswahl-verfahrens wurden erst sehr spät, Ende der 90er-Jahre, eingeleitet.

Kassel (2003) liefert aus Sicht eines der politischen Gegnerschaft nahestehenden Journalisten einen weiteren interessanten Einblick in die Strukturen des

Gorlebe-ner Konflikts. Er unterscheidet dabei vier Erfahrungskreise, die den Streit um Gor-leben ausmachen.34

Wissenschaftlich-technischer Erfahrungskreis

Hierzu gehören Erfahrungen der Endlagergegner mit Wissenschaft und Tech-nik, mit Planern und Genehmigungsbehörden.

Die Ausgangsbedingungen der Endlagerung im Gorlebener Salzstock wurden zehn Jahre nach der Standortbenennung von Wissenschaftlern anders benannt als zu Beginn, was zu einem Vertrauensabbau führte. Die Gegner hatten Zwei-fel an den anfänglichen Behauptungen, diese kritischen Stimmen wurden je-doch als unhaltbar abgetan.

Unklarheit herrschte darüber, inwiefern der Standort aus politischen Gründen und nicht aus Sicherheitsüberlegungen gewählt worden war.

Änderungen im Sicherheitskonzept (erst Verdünnung von evtl. austretenden Stoffen, dann drei Barrieren-Konzept). Diese Umdefinition wird von den Geg-nern dahingehend gedeutet, dass das Deckgebirge des Salzstockes nicht dicht sei.

Diese Entwicklungen forderten laut Kassel die Gegnerschaft heraus, den Pla-nern und Wissenschaftlern besonders kritisch auf die Finger zu sehen.

Hinzu kamen Erfahrungen mit der anscheinenden Unzulänglichkeit der Betrei-bergesellschaften. So passte z.B. ein Probecastor nicht durch das Eingangstor der Castor-Halle, Fässer bekamen plötzlich Beulen und wurden als illegal ent-tarnt (Transnuklear-Skandal). Im Nachhinein lieferte die Betreibergesellschaft stets Erklärungen und tat die Bedenken der Bevölkerung bzw. der Gegnerschaft bezüglich der Sicherheit des Entsorgungskonzepts als "falsche Annahmen" ab.

Zu Beginn übten sich die Gegnerschaft in Kritik an der "Herrschaft des Fach-wissens". Heute ist es laut Kassel dagegen "oft der mühsame Habitus von Au-todidakten, selbst bessere Fachleute zu sein" (Kassel 2003, S. 47).

Soziale Ausgrenzung

Atomkraftgegner waren in der Minderheitenrolle, selbst wenn sie die Mehrheit waren. In der Region entstand „ein Klima der Ausgrenzung und des vorausei-lenden Verdachts". Die soziale Ausgrenzung nach aussen gab der Gegner-schaft ein Gefühl der Bestätigung und förderte den internen Zusammenhalt.

Die Endlagergegner wurden von der anderen Seite (Politik, Verwaltung, Betrei-bergesellschaften) als Industrieflüchter angesehen (Kassel 2003, S. 47). Jeder der für das Endlager war, durfte "sich als besserer Mensch fühlen", weil er Ver-treter einer "nationalen Aufgabe" war. Die Gegner "schadeten" dem Land. Leute aus der Gegnerschaft wurden bewusst ausgegrenzt. Andererseits wurden Mit-arbeiter/innen der Entsorgungsanlagen zumindest anfänglich von Gegnern be-droht.35 Angeblich kam es auch zu Bespitzelungen von Gegnern durch Befür-worter und es entstand ein „ganzes Überwachungs- und Meldegeflecht von Ortsvertrauensleuten, Gemeinderäten, dem Ordnungsamt des Landkreises, Po-litikern der Mehrheitspartei und deren Freunde bei der Polizei" (Kassel 2003, S.

48).

34 Zu einem seiner Meinung nach fünften Erfahrungskreis, der Erfahrung des Zusammenspiels von Macht, macht Kassel keine weiteren Angaben.

35 Information aus den Experteninterviews in der Region.

Erfahrungen mit polizeilicher Verfolgung

Hierzu gehörten Erfahrungen mit der Polizei und deren Hilfskräften als staatli-che Institutionen.

Die Gegnerschaft hat durch ihren Protest oftmals Regeln bzw. Gesetze übertre-ten und die Polizei durch bis anhin ungewohnübertre-ten zivilen Ungehorsam vor neue Herausforderungen gestellt. Am Anfang gab es noch eine Strategie der Dees-kalation der Polizei, nach und nach ging man jedoch zu einer Strategie der

"Generalprävention" über. Bei den Castortransporten kam es immer öfter zu Festnahmen von Protestierenden. Ausserdem wurde gegen eine angeblich ter-roristische Vereinigung im Landkreis ermittelt.

Erfahrungen mit der Justiz

Der Glaube daran im Recht zu sein und vor Gericht trotzdem nie Recht zu be-kommen: Immer wieder versuchten die Endlagergegner, ihre Ansichten und Meinungen vor Gerichten durchzusetzen. Sie machten jedoch die Erfahrung, letztendlich nie Recht zu bekommen; Recht bekam juristisch immer die Seite der Betreiber. Daraus wurde zunehmend auf "dunkle Machenschaften", korrup-te oder "feige" Richkorrup-ter geschlossen.

Nach Demonstrationen gab es jeweils Serien von Strafgerichtsverfahren. Von über 500 polizeilichen Strafanträgen nach einem Castor-Transport kam es zu rund zwei Dutzend Verurteilungen. Vorher „wurde mit der Liste der Beschuldi-gungen Politik gemacht. So und so viele Straftaten, dieses und jenes an krimi-nellen Handlungen" (Kassel 2003, S. 54).

Zusammenfassung und Fazit: Entsorgungsprojekte, Rahmenbedingungen und Prozess

Der Bund ist für die Sicherstellung der Entsorgung zuständig. Das Land (Niedersachsen) ist für die atomrechtliche Genehmigung, der LK Lüchow-Dannenberg für die baurechtliche Genehmigung und die Gemeinde für den Raumordnungsplan (Zonenplan) zuständig. LK und Gemeinden haben kein Vetorecht.

Heute sind ein Zwischenlager (HAA und SMA) und eine Pilotkonditionie-rungsanlage in Betrieb. Weiter besteht ein Erkundungsbergwerk für ein End-lager. Die Erkundungsarbeiten sind infolge eines Moratoriums eingestellt.

Landkreis und Standortgemeinde forderten und erhalten Kompensationszah-lungen von Bund und Betreibergesellschaft.

Mit wechselnder politischer Führung in Bund, Land und Landkreis wechselte auch die offizielle Politik in Bezug auf das geplante Endlager.

Aus heutiger Sicht erfolgte die Standortsuche in Niedersachsen seit den Siebzigerjahren nicht streng nach vorgängig festgelegten wissenschaftlichen Kriterien.

Im Entscheidungsprozess für den Standort haben keine partizipativen Pro-zesse stattgefunden, die Einflussmöglichkeit der Bevölkerung war dement-sprechend gering.

Das geplante Vorgehen wurde im Laufe der Prozesse mehrfach geändert, was es angreifbar machte.

Den Entsorgungsprojekten in Gorleben stellte sich eine starke, in der Bevöl-kerung und auch überregional vernetzte, Opposition entgegen, die für ihre

Proteste unter anderem Mittel wählt, die als ziviler Ungehorsam bezeichnet werden können.

Die Anfänge des Standortentscheidungsprozesses fiel in eine Zeit, die durch eine politische Polarisierung gekennzeichnet war. Dies führte verstärkt zum Aufbau von Feindbildern und zu eine entsprechenden Umgang zwischen Gegnern und den für die Gewährleistung der Entsorgung zuständigen Insti-tutionen bzw. der Polizei.

Die Prozesse um die Entsorgungsanlagen haben zu grossen Spannungen und Konflikten in der Bevölkerung und zwischen Bevölkerung und Betreibern der Entsorgungsanlagen geführt.

Die Bevölkerung hätte für sich umfassendere Mitbestimmungsrechte ge-wünscht. Weiter ist sie der Meinung, dass vor dem Entscheid für ein Endla-ger Standortalternativen evaluiert werden müssen.

Im Jahr 2002 wurde im Atomgesetz die geordnete Beendigung der Nutzung der Kernenergie zur Stromerzeugung festgelegt. Zudem wurde die Zwi-schenlagerung auch rechtlich als Entsorgungsnachweis anerkannt. Das Ver-fahren für die Standortsuche ist heute in Diskussion.

4.5 Wirtschaftliche Auswirkungen der

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