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5. FÖRDERUNG PHONETISCHER KOMPETENZEN DURCH DEN AKTIVEN EINSATZ VON TEXTBEZOGENER MUSIK:

5.2 EXKURS: Linguistische und kulturelle Rahmenbedingungen der Zielgruppe

5.2.2 Kulturelle Rahmenbedingungen

5.2.2.4 Musikstile in Saudi-Arabien

Zu unterscheiden sind in arabischen Ländern und insbesondere in Saudi-Arabien folgende musikalische Kategorien:

A. (Islamische Rezitation) B. Islamische Musik C. Traditionelle Musik D. Klassische arabische Musik

E. Zeitgenössische westlich beeinflusste Musik

Diese Musikkategorien sollen hier kurz einzeln vorgestellt werden, wenngleich sie sich natürlich teilweise auch überschneiden. Hierbei werden insbesondere zur zeitgenössischen westlich beinflussten Musik ausnahmsweise Internetquellen herangezogen, deren Daten nicht so zuverlässig sind wie Daten aus der Fachliteratur. Aufgrund des Verbotes von Musik in der Öffentlichkeit findet diese vor allem im Privatraum und mithilfe des Internets statt. Daher existiert kaum aktuelle Fachliteratur zur derzeitigen Lage der Musikszene in Saudi-Arabien. Die Internetquellen geben so eine erste Orientierung. Bei den anderen Musikkategorien werden Internetquellen durch Fachliteratur abgesichert (vgl. Urkevich 2000; Touma 2003; Long 2005; Campbell 1999; Campbell 2007).

A. Islamische Rezitation

Die islamische Rezitation ist eine Art Sprechgesang. Sie wird immer ohne Instrumentalbegleitung durchgeführt und legt den Schwerpunkt vor allem auf die deutliche Aussprache des Textes, für die ein detailliertes Regelsystem (DMG: Taǧwīd)68 vorliegt:

„tajwīd preserves the nature of a revelation whose meaning is expressed as much by its sound as by its content and expression, and guards it from distortion by a comprehensive set of regulations which govern many of the parameters of the sound pruduction, such as duration of syllable, vocal timbre, and pronunciation. Furthermore, tajwīd links these parameters to the meaning and expression, and indicates the appropriate attitude to the Qur’anic recitation as a whole.“ (Nelson 2002: 14)

Taǧwīd umfasst die Produktion der Phoneme, die Verlängerung der Dauer von bestimmten Silben und die Pausenbildung (vgl. ebd. 21-31).

Die islamische Rezitation wird beim Gebetsruf, bei den fünf täglichen Gebeten sowie bei der Rezitation des Korans verwendet. In Koranschulen erlernen alle Saudis von Kindheit an intensiv alle Grundregeln der Aussprache und lernen viele Abschnitte der 114 Suren auswendig, manchmal sogar den gesamten Koran, was in der Gesellschaft zu großer Anerkennung führt. In der Öffentlichkeit erfolgt die Rezitation durch professionelle Rezitatoren, die sich voneinander durch unterschiedliche Traditionen und Stilrichtungen unterscheiden (vgl.

Elashiry 2008: 57ff.; Nelson 2002: 20-21). Die islamische Rezitation wird immer wieder klar abgegrenzt von der Musik, obwohl sie viele Parameter mit der Musik teilt: „Qur’anic recitation may share a number of parameters with music, most obviously, melodic and vocal artitistry, but the nature of the text and the intent of its performance require its separate and unique categorization“ (Nelson 2002: 153). So ist das Rezitieren sowohl eine künstlerische als auch religiöse Disziplin (vgl. Long 2005: 95).

B. Islamische Musik

Die islamische Rezitation wird deutlich von der islamischen Musik unterschieden, welche „die muslimische, im privaten Bereich oder zu islamischen Festen gesungene oder gespielte geistliche Musik“ (Internetquelle 19) bezeichnet. Die islamische Musik umfasst zunächst Naschid (DMG: našīd). Diese Musikform wird oft bei öffentlichen religiösen Feiern gesungen und gespielt. Sie gilt bei den meisten Muslimen als erlaubt, da der Gesang meist a-cappella vorgetragen oder ausschließlich mit Perkussionsinstrumenten begleitet wird und die Texte nur islamisch-religiöse Inhalte umfassen. Weiterhin zählt zur islamischen Musik die Sufi-Musik. Sie ist Teil einer rituellen Glaubenspraxis, die von Anhängern des Sufismus, einer spirituellen und mystischen Tradition des Islams, praktiziert wird. Der Sufismus sieht in der Musik ein wesentliches Element der Andacht.

Eine starke Sufi-Tradition ist im Hijaz vertreten.

68 Zum Taǧwīd siehe auch Khan (2013).

149 Insgesamt ist festzustellen, dass es – bedingt durch die Diskussion, ob Instrumentalmusik im Islam erlaubt ist – eine starke a-cappella-Tradition in der islamischen Musik gibt:

„Einige Muslime halten allein Vokalmusik für legitim (halal) und lehnen Musikinstrumente ab (haram). Folglich gibt es eine starke a-cappella-Tradition des kultischen Gesangs. Andere Muslime lassen Trommeln zu, jedoch keine anderen Instrumente. Wieder andere Muslime halten jedes Instrument für legitim, solange es für die zulässigen Musikstile genutzt wird.“ (Internetquelle 19)

Da der Islam eine multikulturelle Religion ist, ergeben sich zudem diverse musikalische Ausdrucksweisen in den verschiedenen Kulturen. Vor allem die Musikformen der klassischen arabischen Musik, persischen Musik und indischen Musik haben die heutige islamische Musik stark beeinflusst (vgl. ebd.).

C. Traditionelle Musik

Eine weitere Musikform stellt die traditionelle saudische Musik dar. Sie ist eng verbunden mit der arabischen Dichtung und dem traditionellen Tanz.69 Der Gesang wird dabei in der Regel mit verschiedenen Trommeln und Tanz begleitet: „A lead singer, or mutriba, heads a group that usually has between 10 and 15 players as chorus and drummers, many of whom are friends and family“ (Campbell 1999: 82). Die musikalische Struktur wird dabei bestimmt durch „A simple, repeated melody passed back and forth by a soloist and a chorus forms the core of most Saudi folk songs“ (Campbell 2007: 5). Die eher simple Melodie wird dabei mit komplexen sich wiederholenden Polyrhythmen der Trommeln unterlegt. Als weiteres Perkussionselement wird außerdem das rhythmische Klatschen (tasfiq) hinzugefügt (vgl. ebd. 6).

Seit einigen Jahren ist in Saudi-Arabien eine Wiederentdeckung der traditionellen Wurzeln in der Öffentlichkeit zu beobachten. Man spricht von einem „reawakening of their country’s Islamic cultural heritage, evidenced in private museums, art galleries, and dance and music groups. Poetry outsells prose in the bookstores. This cultural reawakening has been reinforced by public events“ (Long 2005: 92).70 In der traditionellen saudischen Musik sind Improvisation und Spontanität für den Musikstil charakteristisch. In der Regel wird nicht für ein Publikum getanzt, sondern zum eigenen Vergnügen im Alltag.71 Jede Region hat dabei ihre eigenen Tänze und Musikstile (vgl. ebd. 97). Insbesondere die Hijaz-Region ist berühmt für ihre komplexen Melodien und ausdrucksvollen Instrumente sowie für ihre traditionellen Lied- und Tanzstyle wie beispielsweise majrur und mizmar von Taʾif und Mekka (vgl. Campbell 2007: 9). Die Tänze sind geschlechtergetrennt. Die Tänze der Frauen werden ebenfalls in Gruppen mit gelegentlichen kleinen Solos aufgeführt, allerdings nur unter Frauen:

„in the context of family celebrations like weddings, religious holidays, national holidays and - more recently - school graduations“ (Campbell 1999: 81).

Trotz Modernisierung und der globalen Musikszene lebt die traditionelle Musik auch in der jüngeren Generation weiter. Allerdings sind Veränderungen zu beobachten:

„While these traditions are certainly colorful and lively, drawing young and old alike, Saudi youth are also tuned in to the global music scene. Like their peers all over the Middle East, young Saudis enjoy listening to pan-Arab and Gulf-style pop music that’s broadcast on satellite networks, like Saudi Arabia’s Rotana, and Arab networks like lbc and MBC.“ (Campbell 2007: 6)

Insgesamt wird somit versucht, traditionelle islamische Werte und die Realität der Informationstechnologierevolution in Einklang zu bringen (vgl. Long 2005: 90). So existieren bei der jungen Generation saudische Traditionen und moderne arabische oder englische Popmusik oft parallel nebeneinander.

69 Zur saudischen Musik und Ethnomusikologie siehe auch:

http://www.saudiaramcoworld.com/index/Subjects.aspx#SAUDIARABIAMUSIC (abgerufen am 15.11.2013; teilweise mit Audioaufnahmen) und Urkevich (2000; 2015).

70 So gelangen traditionelle saudische Musik und Tänze auf dem jährlichen Janadriyah-Kultur-Festival, das seit 1985 in Riad stattfindet (vgl. Campbell 1999: 80), zur Aufführung.

71 Zu bekannten saudischen Tänzen und Liedformen siehe: Long 2005: 97-98; Campbell 2007.

150 Berühmte saudische Künstler der traditionellen Musik sind unter anderem Tariq Abdulhakim aus Taʾif (vgl. ebd.

10ff.) und Fathia Hasan Ahmed Yehya, bekannt als Tuha (vgl. ebd. 11ff.). Beide wurden stark vom Hijazi Stil beeinflusst.

D. Klassische arabische Musik

Während in der traditionellen Musik die Melodie sehr einfach aufgebaut ist und saudische Dialekte verwendet werden, entwickelte sich in islamischen und arabischen Höfen im direkten Kontrast dazu eine stark verzierte Form des Singens auf Hocharabisch (vgl. Campbell 1999: 82-83). Auf diese Weise entstand die klassische arabische Musik, die sich als Kunstmusik entwickelte und auf das arabische Musiksystem basiert, das sich von dem westlichen Musiksystem wesentlich unterscheidet (vgl. Touma 2003). Der Gesang steht weiterhin im Vordergrund und wird auf Grundlage des Vierteltonsystems (24-tönige Oktave) mit einer Vielzahl von Maqām-Reihen (heptatonische Modi des Vierteltonsystems) (vgl. Touma 2003: 38ff.; Long 2005: 95) gebildet.

Außerdem sind rhythmische Strukturen (das Wazn-Repertoire) bedeutend (vgl. Touma 2003: 46ff.), die der Musiker mithilfe von lautnachahmenden Silben (dum, tak, mah, kah etc.) lernt.

Der Aufbau der Musik unterscheidet sich somit wesentlich von westlicher Musik und ist stark geprägt durch Improvisation und Interpretation auf der Grundlage von Maqām-Reihen. In der klassischen arabischen Musik können die Maqām-Reihen innerhalb eines Stückes wechseln, in traditioneller Musik benutzt man dagegen nur eine Maqām-Reihe. Durch den Kontakt zu den Kolonialmächten und ihren Musikkulturen fanden immer mehr europäische Musikinstrumente wie beispielsweise Violine, Cello und Kontrabass Eingang in das arabische Ensemble oder Orchester.

Die saudische Musik ist hierbei durch eine starke Bindung an die eigenen Wurzeln gekennzeichnet, wenngleich auch seit den 1970er-Jahren ausländische Einflüsse zu neuen Stilen geführt haben:

„Because Saudi Arabian music has remained closer to its roots than many of the other modern styles of regional Arab music, its collision with modernization has produced a uniquely creative regional style of its own. In the 1970s and 1980s, Saudi traditional singers began experimenting with the use of large ensembles and choruses that included Western instruments as well as traditional ones, modeled on modern Egyptian and Lebanese music. Two saudi singers, Muhammad Abdu and Tallal Madah, gained popularity throughout the Arab world. More recently, a new generation of singers has appeared, blending traditional Arabian style with electronic and other Western musical innovations.“ (Long 2005: 96)

Der saudische Stil unterscheidet sich somit von anderer arabischer Musik dadurch, „that there is more regional folk influence and less Western influence, less ornamentation, and a more distinctive syncopation“ (ebd. 95).

Berühmte saudische Künstler dieses Musikstils sind vor allem Mohammed Abdu (1949-) und Talal Maddah (1940-2000).

E. Zeitgenössische westlich beeinflusste Musik

Im 20. Jahrhundert entstand eine neue Form arabischer und auch saudischer Musik, die durch westliche Musik beeinflusst wurde – die zeitgenössische westlich beeinflusste Musik: „By the twentieth century, a new genre of Arab popular music evolved that is heavily influenced by secular Western music and instruments. Radio and television have spread this new, secular, Arab pop music throughout the Arab world“ (Long 2005: 95). So wurden Sänger und Sängerinnen der klassischen arabischen Musik bereits in den 1920er-Jahren als arabische Stars gefeiert (vgl. Internetquelle 20). Es folgten regionale westlich beeinflusste Musikstile in verschiedenen arabischen Ländern wie der ägyptische Al-Jil und Shaabi (1970er-Jahre), der kuwaitische Sawt (1970er-Jahre) und der algerische Raï (1980er-Jahre). In Saudi-Arabien sind bisher vor allem folgende westlich beeinflusste Musikformen zu beobachten:

• Arabischer und islamischer Hip-Hop und Rap

• Rock- und (Heavy) Metal

• Elektronische Musik

Als eine der bedeutendsten Bewegungen wird der arabische Hip-Hop oder Rap bezeichnet, der auch arabischsprachige Texte verwendet. Hierbei ist weltlicher und islamischer Hip-Hop oder Rap zu unterscheiden.

Eine Liste bisheriger arabischer Künstler wird auf den Webseiten (siehe Internetquellen 21) vorgestellt. Eine

151 weitere Form, die insbesondere in den letzten Jahren in Saudi-Arabien sehr präsent ist, stellt der gitarren- und schlagzeugorientierte Rock- und (Heavy) Metal dar, bei dem eher englischsprachige Texte gesungen werden.

Eine Liste saudischer Künstler findet sich hierzu in den Internetquellen 14, 16, 17 und 18.

Insbesondere die Webseite My Space wird hierbei stark zur Verbreitung von Musik in Saudi-Arabien genutzt, da öffentliche Aufführungen nicht möglich sind. Die Elektronische Musik könnte eine weitere Form sein, die sich in der Zukunft auch in Saudi-Arabien weiterentwickelt.72 Neben islamischen Hip-Hop und Rap gibt es zudem weitere Vermischungen zwischen islamischer Musik und westlich beeinflussten Musikformen (siehe zeitgenössische muslimische Musik: Internetquelle 22).