• Keine Ergebnisse gefunden

5. FÖRDERUNG PHONETISCHER KOMPETENZEN DURCH DEN AKTIVEN EINSATZ VON TEXTBEZOGENER MUSIK:

5.2 EXKURS: Linguistische und kulturelle Rahmenbedingungen der Zielgruppe

5.2.2 Kulturelle Rahmenbedingungen

5.2.2.1 Überblick: Saudische Gesellschaft und Kultur

Das heutige Saudi-Arabien ist in die vier Regionen Najd, Hijaz, ʿAsir und Ostprovinz unterteilt, die bis ins 18.

Jahrhundert verschiedene politische Systeme sowie eigene kulturelle Traditionen entwickelten (vgl. Steinberg 2013: 26). So ist für die von außen zunächst stark homogen scheinende saudische Bevölkerung (gleiche Religion, Kleidung etc.) immer noch eine Vielfalt an kulturellen und religiösen Traditionen kennzeichnend (vgl.

ebd. 142). Den größten Einfluss auf die saudische Kultur und Gesellschaft hat der Islam (vgl. ebd. 140ff.). Er ist der prägendste Faktor, ohne den die saudische Kultur und Gesellschaft nicht zu verstehen ist: “It is impossible to gain an accurate understanding of Saudi culture and society, traditional or modern, without a basic understanding

58 Zu didaktischen Konzepten zur Förderung phonetischer Kompetenzen arabischer Deutschlernenden siehe: Lerchner (1971) für irakische Studierende; El Nady (2006) für ägyptische Lernende/Hörverstehen; Asali van der Wal (2008) mit speziellen Lehr- und Lernmitteln zur Phonetik für jordanische Lernende; Mahmood (2013) für irakische Lernende.

!"#$%&'()'$&%*$+&'#$+,-)).*'&'/0"%/)1$2,'/0"

!"

!

"#$%&'$()*%#+,-&',./,)$-0,-#$% &'()*+,-.'% /'0% 1./2+,-.'% 3.40.'% 0*.% ().*,-.'% 5.*,-.'+6+2.$.% 7.43.'0.28 39:.*% ;.09,-% ().*,-.% <,-4*=2>.*,-.'% 9=2$?)+% /'2.4+,-*.0)*,-.% @?/2.% +6$:9)*+*.4.'A B9)(.'0.% <,-4*=2>.*,-.'% /'0% <,-4*=2>.*,-.'C9$:*'?2*9'.'% /'2.4+,-.*0.'% +*,-% *'

*-4.4%D.?)*+*.4/'(A

1+,2*/()%3!433"#$%&'$()*%#+,-&',./,)$-0,-3/536-07/*(),-3$-839,$%*(),-:()2/;%.,/(),- "#$%7/(),3<,#7/*#%/=-3>5/%3',/*?/,7,-@

6-07/*() 9,$%*()

? !

"#$ -?28%-?$$.4

,-?9+8%'?$.

%&% -?28%E?$$.4

F?28%G?$.

?* "#$ $?*08%4?*' %"$ H?*08%D?*'

,- '

() I+6,-9)9(6

H?',-.+2.4

+* '

J+6,-9)9(*.

K9,-.

L-94

.. ,& =..8%+.. "& B..8%<..

.* "#$

,& 4.*'8%7.*'

,.*)*'(

%"$ 4.*'8%K.*'

./ -.& =./0?) /0$ =./0?)

( 12

3 (*4?==.8%(?4?(.

(?+ 3

'2

M*4?==.8%M?+

F?(

M?4?(.

99 .&

4 :9928%>99

=992

5& N9928%599

; 12 ;.28%;/+2

-2 ;.2>28%;/+2 O9/4'?)*+2

C' 6 C'..8%C'92 '6 P'*.8%P'92.'

+2 7( +2?'08%+2*))

=*4+2

)(7( +2?'08%+2*))

=?+2

2- 8 $.2-908

2-.?24.

( H.2-90.8

F-.?2.4

7 9 7*+?8%7.4+. 9

: Q*+?

Q.4+

3 ; 3*'2.48%39)= 9 K*'2.48%K9)=

> < >*',8%>99 (7 5*'C8%599

139 of Islam. Since its birth 1,400 years ago, it has had by far a greater impact on present-day Saudi society than any other single factor” (Long & Maisel 2010: 50).

Im Folgenden soll ein Überblick zu der saudischen Geschichte, den Gesellschaftsstrukturen, den Kunstformen, dem Bildungssystem und dem Fremdsprachenunterricht gegeben werden, da sich die saudische Gesellschaft und Kultur von der deutschen sehr unterscheidet. Dies ist insbesondere beim Einsatz von Musik im Unterricht von großer Bedeutung.

A. Historischer Überblick

Die vorislamische Zeitepoche wird von der islamischen Zeitepoche (ab 622 n. Chr.) abgegrenzt und darauf aufbauend ein eigener islamischer Kalender verwendet. Die vorislamische Periode wird als Zeit der Unwissenheit (ǧahiliyya) in der islamischen Literatur in der Regel negativ bewertet und von islamischen Historikern teilweise sogar völlig ignoriert (vgl. Long 2005: 5).

Ausgangspunkt für das heutige Saudi-Arabien war das Bündnis zwischen Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (1703-1792), dem Begründer der wahhabitischen Glaubensauslegung des sunnitischen Islams, und Muhammad Ibn Saʿud (1742-1765), dem damaligen Oasenherrscher von al-Dirʿiya in der Region Najd (vgl. Sons 2013: 28).

Seit diesem Bündnis ist die saudische Identität gekennzeichnet durch die Macht des saudischen Königshauses al-Saʿud einerseits und den Wahhabismus als konservative Rechtslehre des sunnitischen Islams andererseits. Der Wahhabismus versucht durch die Wortauslegung von Koran und Sunna sich auf den eigentlichen Kern des Islams, der Theologie, und deren Wesenskern, dem absoluten Monotheismus, zurückzubesinnen (vgl. Steinberg 2013: 34).Die extrem konservative Auslegung des Islam verbietet dabei bis heute viele kulturelle Aktivitäten im westlichen Sinne wie beispielsweise Konzerte, Kino und Theater. Die Religionspolizei kontrolliert die Einhaltung dieser strengen religiösen Vorschriften.59

Sowohl die Familie Saʿud als auch die Wahhabiten kamen aus der Region Najd im Zentrum des Landes. Durch die gewaltsame Einigung des Königreichs im Jahre 1932 ist Saudi-Arabien bis heute ein gespaltenes Land geblieben (vgl. ebd. 26).60 Es ist stark von der Kultur und Religion der Najdis geprägt, die bereits vor dem 18.

Jahrhundert die sunnitische Rechtsschule von Ibn Hanbali befolgten, welche als die strikteste der vier sunnitischen Rechtsschulen gilt (vgl. ebd. 140). In den übrigen Provinzen existierten dagegen andere Rechtsschulen und Praktiken mit nicht so strengen Interpretationen des Islams. Sie wurden erst im 20.

Jahrhundert – vor allem in den 1950er Jahren – wahhabisiert (vgl. ebd. 150). So ist der Hijaz beispielsweise bekannt für seine kosmopolitisch orientierte Bevölkerung und seine Tradition des spirituellen Sufismus (vgl.

ebd. 142-143), während in der Ostprovinz auch der schiitische Islam praktiziert wird. Diese Traditionen standen im Gegensatz zu den Ansichten der Najdis und verursachten immer wieder Spannungen. Zudem stießen beduinische und städtische Lebensweise und Kultur aufeinander (vgl. Freitag 2010b: 19; Steinberg 2013: 26).

Saudi-Arabien und insbesondere die Region Najd waren aufgrund der geografischen, klimabedingten und politischen Lage bis 1930 stark isoliert vom Rest der Welt, sodass sich die traditionelle Gesellschaft nur wenig seit Einführung des Islams geändert hatte (vgl. Long & Maisel 2010: 63). Dies hatte zur Folge, dass die Saudis und insbesondere die Najdis eine geschlossene, extrem konservative Gesellschaft bildeten (vgl. Long 2005: 17).

Auf die lange Geschichte der Isolation beruht auch der stark ethnozentrische Grad der saudischen Kultur (vgl.

ebd. 26). Im Gegensatz zu anderen arabischen Ländern war das Land niemals unter kolonialer Herrschaft. Von den Saudis selbst wird die islamische Kultur im Vergleich zur westlichen Kultur als überlegen wahrgenommen (vgl. ebd.). Erst die Modernisierung im 20. Jahrhundert beendete die Isolierung des Landes; sie erforderte aber auch eine Restrukturierung von Gesellschaft und Kultur (vgl. ebd. 35). Hierbei stand eine Modernisierung im Einklang mit den islamischen Werten im Vordergrund (vgl. ebd. 32-33).

B. Strukturen der Gesellschaft

Neben dem Wahhabismus und der Macht der Königsfamilie Saʿud aus dem Najd hat die Stammeszugehörigkeit eine große Bedeutung in Saudi-Arabien. Schon in der vorislamischen Zeitepoche war die saudische Gesellschaft stark tribal geprägt, das heißt, es war und ist von Bedeutung, zu welchem Stamm und welcher Sippe eine Person

59 Zur Rolle der wahhabitischen Gelehrten siehe auch Steinberg (2006).

60 Zur Geschichte Saudi-Arabiens siehe auch Al-Rasheed (2002); Freitag (2010b: 16-28); Steinberg (2013: 33ff.).

140 gehört.61 Wer keine tribale Abstammung nachweisen kann, gilt häufig als sozial unterprivilegiert. Dabei gelten die Stämme der Najdis als die edelsten Stämme (vgl. Steinberg 2013: 29). Allerdings ist heute oft nur noch ein diffuses Zugehörigkeitsgefühl zu den Stämmen zu beobachten, während die erweiterten Familien (mit Großeltern, Cousinen und Cousins, Onkeln und Tanten) als nächste Untergruppe aktuell die wichtigste Rolle für das tägliche Leben der Saudis spielt (vgl. ebd. 31-32). So wird das traditionelle Familien- und Geschlechterbild als weiterer Faktor der saudischen Identität bezeichnet (vgl. ebd. 34.). Während bisher erweiterte Familien in großen Wohnanlagen zusammenlebten, ist inzwischen auch die europäische Kernfamilie immer mehr anzutreffen (vgl. ebd. 32). Viele der sozialen Interaktionen finden in der Familie statt, nur wenige dagegen im öffentlichen Leben (vgl. Buchele 2008: 61). Das private Leben ist strikt von dem öffentlichen getrennt und auch das Verhalten differiert erheblich (vgl. Hahn 2005: 17). Dabei wird das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern als eine Mischung von ‚autoritär’ und ‚überbehütet’ beschrieben (vgl. ebd.). In den letzten Jahren ist jedoch bei den jüngeren Generationen immer mehr ein paralleles Sozialleben außerhalb der des Hauses zu beobachten: „For the younger generations, a parallel social life exists outside the home. Young people go in groups to malls, not merely for shopping but as a form of recreation“ (Long 2005: 65). Dennoch findet nach westlichen Maßstäben das soziale und kulturelle Leben62 auch bedingt durch die strikte Geschlechtertrennung nur in eingeschränkter Form statt (vgl. ebd. 64).

Weiterhin sind Familie und Gesellschaft stark von patriarchalischen und geschlechterspezifischen Strukturen geprägt:63

„Within the family structure, two characteristics of family dynamics stand out: patriarchy and gender roles. These two related themes are critical aspects of Saudi culture, because they shape the way daily life is lived in the family, as well as in the wider community. Patriarchal values, or the system of male dominance, hold strong positions on gender appropriate behaviours and gender segregation in public places, which goes beyond the confines of religious dogma. The patriarchal control imposed upon a woman is due to the strong belief in the woman’s family honour and pride. Family honour and pride of a woman’s family is directly related to her chastity.“ (Almutairi 2008: 7)

So wird auch aktuell immer wieder über die Rolle der Frau in Saudi-Arabien diskutiert. Die Vorschriften zum Schutz der Familie und Frau unterscheiden sich stark von denen in westlichen Gesellschaften und sind durch zahlreiche Einschränkungen der Rechte der Frauen charakterisiert (vgl. Almutairi 2008; Sons 2013; Steinberg 2013: 137ff.). Die Geschlechtertrennung startet mit sechs Jahren (Almutairi 2008: 9) und zieht sich durch alle Lebensbereiche (Schule, Studium, Beruf, Kleiderordnung, Rechte etc.). Die Isolation der Frauen von der Öffentlichkeit führt zu zahlreichen Konsequenzen:

„Sie gehen von der Verantwortung des Vaters in der Regel direkt in die Verantwortlichkeit des Ehemannes über, verfügen über keine individuelle Autonomie und nur einen eingeschränkten Spielraum zur Selbstverwirklichung.

Die Grundlage dieser Geschlechterordnung bildet das mahram-System, das dem Mann die Vormundschaft über die Frau überträgt.“ (Sons 2013: 33)

Dagegen „fungiert die Frau innerhalb der Familie, unsichtbar von der Öffentlichkeit, als wichtige Entscheidungsträgerin“ (ebd.). Das soziale Leben der Frauen ist in der Regel begrenzt auf „visiting other female friends and relatives in the women’s quarters of another family home“ (Buchele 2008: 67). Zur Rolle der Frau bestehen nicht nur externe (traditionelle und kulturelle), sondern auch interne Barrieren (durch den Sozializierungsprozess der Frauen selbst) (vgl. AlArifi Pharaon 2001). Dominant ist dabei das geschlechtsspezifische Klischee der Frauen selbst, welches durch den Sozialisierungsprozess in Saudi-Arabien erheblich verstärkt wird (vgl. ebd.).

Von großer Bedeutung ist in der saudischen Gesellschaft auch die Loyalität zum Stamm, zur Familie zu Freunden, zur saudischen und arabischen Nation sowie zur muslimischen Gemeinschaft (ummah) (vgl. Buchele 2008: 57). Nicht das Individuum steht im Vordergrund, sondern die Gruppe (der Stamm bzw. heute die

61 Siehe Karte mit Stämmen Saudi-Arabiens in Steinberg (2013: 31).

62 Zum sozialen und kulturellen Leben sowie vielen weiteren Aspekten von Saudi-Arabien sowie der arabischen und islamischen Welt mit dem Ziel der interkulturellen Verständigung siehe die seit Mitte der 1960er Jahre zweimonatlich erscheinende Zeitschrift „Saudi Aramco World“ von der amerikanischen Ölfirma Aramco, abrufbar unter:

http://www.saudiaramcoworld.com

63 Zum maskulinen Staat siehe Al-Rasheed (2013); zur symbolischen Geschlechterpolitik siehe Schmid (2010).

141 erweiterte Familie). Persönliches Vertrauen ist die Grundlage aller sozialen Transaktionen (vgl. Long 2005: 25).

Das saudische Verhalten basiert dabei auf islamischen moralischen Werten, sodass eigene Meinungen oder Gefühle zu einem Thema in der Kommunikation nicht direkt genannt werden. Oft ist das saudische Verhalten daher nur im Kontext zu verstehen:

„understanding Saudi behavior requires understanding not only the substance of a situation, but the context in which it is being viewed. Because of the differences of expression of situational behavior and absolute Islamic moral values, taking Saudi verbal communication at face value often does not convey what the speaker/writer intends or actually thinks about a subject.“ (ebd.)

Diese Indirektheit – auch bedingt durch saudi-arabische Höflichkeitsformeln in Form von Bescheidenheit – ist ebenfalls im Deutschunterricht zu beachten (vgl. Al-Wadie 2013: 222ff.). So gilt ein direktes ‚Nein’ auf eine Bitte als unhöflich und sogar verletzend. Stattdessen werden Umschreibungen verwendet (beispielsweise:

vielleicht; ungefähr, ich muss darüber nachdenken etc.) (vgl. ebd.). Charakteristisch für das saudische Verhalten sind neben der Loyalität auch Geduld und Stolz (vgl. Buchele 2008: 164). Gegenüber Fremden ist der Saudi weniger kontaktfreudig als andere Araber – aus Schüchternheit oder dem großen Respekt vor der Privatsphäre (vgl. ebd.: 74; 96). Das Verhältnis zum Westen ist ambivalent, einerseits bedient man sich der technischen Neuerungen, fördert staatlich und privat angesehene Ausbildungen im westlichen Ausland, welche als hochwertig angesehen werden, andererseits ist eine Ablehnung westlicher Kulturen und Werte zu beobachten.

Diese Ambivalenz ist auch für die Politik des Landes kennzeichnend (vgl. Steinberg 2013: 176).

C. Kunstformen der saudischen Kultur

Die saudische Kultur ist aufgrund des Wüstenklimas und des nomadischen Lebens seit der Antike vor allem durch transportable Kunstformen gekennzeichnet und umfasst „linguistic and literary expression, handicrafts including jewelry and needlework, and performing art forms such as tribal folk music and dance“ (Long 2005:

91). Insbesondere die Dichtung ist in der arabischen wie auch saudischen Kultur eine der angesehensten Kunstformen, die schon lange vor dem Islam existierte (ebd. 93). Die Nabati-Dichtung (DMG: šiʿr nabaṭī) stellt hierbei im Kontrast zur klassischen Dichtung eine saudische Sonderform dar, welche die Dichtung des Volkes ist und in einem der saudischen Dialekte vorgetragen wird (vgl. ebd.). Die Dichtung ist eine der wenigen Elemente, die sich trotz Modernisierung kaum verändert hat (ebd. 94). Hierbei wird auch die hoch entwickelte Oraltradition deutlich, in der die Memorierung und der phonetische Klang der Sprache schon immer eine wichtige Rolle spielten:

„The Arabs have a highly developed oral tradition, notably in poetry. Poetry was composed and committed to memory, and was passed on in this way from generation to generation. Rather than viewing language as a means of transmitting information, emotional resonance is stressed through the social channel of the language. With the stress always on style, the sounds of the phonetic combinations and plays on words in the recitation of Arabic prose and poetry have been linked to music.“ (Al-Mutairi 2008: 5).

Neben der Dichtkunst sind traditionelle Musik und Tänze (vgl. Long 2005: 97-98) von großer historischer Bedeutung in der saudischen Kultur64 Dabei gibt es zahlreiche regionale Varianten. Zu beachten ist hierbei, dass die wahhabitischen Gelehrten Musik und Tanz in der Öffentlichkeit für lange Zeit im 20. Jahrhundert verboten haben. Es herrscht strenge Geschlechtertrennung, sodass separate Tänze für Männer sowie Frauen existieren.

Seit den 1980er Jahren ist allerdings eine Wiederentdeckung des islamischen Kulturerbes von Saudi-Arabien zu beobachten, welche vom Staat gefördert wird (vgl. ebd. 92).

Die Einführung von Radio und Fernsehen in den 1960ern und vor allem Satellitenfernsehen für Privathaushalte in den 1990ern (vgl. ebd. 88) sowie das Internet ermöglichten nach langer Isolation einen direkten Einblick der saudischen Bevölkerung in die westlichen Kulturen. Aufgrund der starken Isolation war es zunächst sicherlich ein Kulturschock für die Saudis: „But so deeply ingrained were their traditional Islamic values that coming face-to-face with secular Western cultural values was a shock“ (ebd. 29). Es entstanden zahlreiche neue Möglichkeiten, welche die bisherige strenge Kontrolle und Zensur durch den Staat nicht länger möglich machte:

64 Zur traditionellen saudischen Musik und zum traditionellen Tanz siehe auch Campbell (1996); Campbell (1999); Campbell (2007).

142

„The spread of modern communications technology – satellite television, the Internet, and cell phones – has had an enormous liberating effect on the Saudi general public that is so irresistable that it is difficult to see how it could be reversed. The print media can still be censored, and a degree of monitoring can be achieved in the electronic media, telephones, and the Internet, but large-scale control of information is no longer possible. Nevertheless, one cannot overemphasize how basically conservative Saudi society has been and continues to be, despite rapid technological change.“ (ebd. 89)

Trotz der schnellen Modernisierung und des steigenden Wohlstands- und Bildungsniveaus bleiben allerdings traditionelle Werte und konservative Anschauungen weiterhin identitätsbildend (vgl. Sons 2013: 29).

Charakteristisch ist für Saudi-Arabien somit die Verbindung traditioneller islamischer Werte mit der Realität der Informationstechnologie-Revolution (vgl. Long 2005: 90).

D. Saudisches Bildungssystem

Große Probleme des Landes bilden in der Gegenwart der rapide Anstieg der Bevölkerungszahl sowie die hohe Arbeitslosenquote. In den letzten 40 Jahren kam es zu einer Bevölkerungsexplosion, die immer noch andauert (vgl. Long & Maisel 2010: 65-66). Fast 40% der Bevölkerung sind unter 15 Jahre (vgl. Dehne 2010: 158). Die hohe Arbeitslosigkeit ist allerdings das größte gesellschaftliche Problem. Ein Schwachpunkt bildet dabei insbesondere das saudische Bildungssystem. Zwar wird es seit den 1970er-Jahren quantitativ ausgebaut, dennoch wird es qualitativ und auch quantitativ in vielen Bereichen als mangelhaft eingestuft (vgl. Almutairi 2008; Hahn 2005: 18; Long & Maisel 2010: 69ff.; Steinberg 2013: 127ff.). Aufgrund der hohen Geburtenrate und den stark ansteigenden Schülerzahlen gibt es einen Lehrermangel. Zudem sind stark traditionelle und religiös geprägte Unterrichtsmethoden dominant, die kaum kritisches Denken, Kreativität und soziale Fähigkeiten vermitteln: „Wie seit Jahrhunderten werden Stoffe auswendig gelernt, oft ohne sie in ihrer inhaltlichen Reichweite zu verstehen. Vom Schüler wird weitgehender Respekt vor Autoritäten verlangt.

Kritische Nachfragen und Diskussionen sind nicht erlaubt“ (Steinberg 2013: 129). Der Lehrplan selbst besteht bis zu einem Drittel aus religiösen Inhalten und wird von religiösen Gelehrten bestimmt. Religiöse Unterrichtsinhalte nehmen daher viel Zeit in Anspruch. Es wird immer wieder kritisiert, dass Schüler und Studierende unzureichend auf den sich modernisierenden Arbeitsmarkt vorbereitet werden.

Das Schul- und Studiensystem ist angelehnt an das amerikanische System:

„The educational system in Saudi Arabia is divided into three main levels. The first level is the elementary stage, lasting six years. The second level is divided into two stages – intermediate and high – each lasting three years. In the last two years of high school, the curriculum has a basis for either Science or Humanities to prepare students for higher education. The third level is higher education, which includes a number of universities and colleges in different parts of the kingdom.“ (Almutairi 2008: 11)

Die Bildung an Schulen und Universitäten erfolgt streng geschlechtergetrennt.65 Vorlesungen von männlichen Dozenten verfolgen die Studentinnen an einem Bildschirm. Die Religion ist immer ein Teil der Bildung und mit den einzelnen Fächern in Schule und Studium verknüpft. Zu unterscheiden sind staatliche und private Schulen.

In den staatlichen Schulen ist die Unterrichtssprache Arabisch, in den privaten und internationalen Schulen Englisch. Das Curriculum ist zwar exakt gleich (vgl. ebd. 11), dennoch gibt es große Unterschiede in der Unterrichtsmethodik. Das Ziel bei der Erziehung der weiblichen Schüler und Studierenden ist „to bring her up in a proper Islamic way so as to perform her duty in life, be an ideal and successful housewife and a good mother, ready to do things which suit her nature such as teaching, nursing and medical treatment“ (ebd. 12). So sind Frauen immer noch von vielen Studiengängen wie beispielsweise Jura, Ingenieurwissenschaften und Architektur ausgeschlossen (vgl. Steinberg 2013: 137).

E. Fremdsprachenunterricht

Einen recht aktuellen Überblick zum Fremdsprachenunterricht (Englisch als Fremdsprache) an saudischen Schulen – inklusive einer empirischen qualitativen Studie – gibt Almutairi (vgl. Almutairi 2008: 13-15). An

65 Zum saudischen Bildungssystem siehe auch Al-Salloom (1995); zum saudischen Hochschul- und Studiensystem siehe Hahn (2005: 28ff.); zum saudischen universitären Übersetzungsunterricht Arabisch-Deutsch siehe Al-Wadie (2013) und http://education.stateuniversity.com/pages/1302/Saudi-Arabia-EDUCATIONAL-SYSTEM-OVERVIEW.html (abgerufen am 15.11.2013). Eine aktuelle Darstellung der 26 staatlichen Universitäten in Saudi-Arabien (mit jeweiliger Webseite) findet sich zudem in Al-Wadie (2013: 478).

143 staatlichen Schulen ist der Englischunterricht kaum interkulturell, sondern stark auf die saudische Kultur ausgerichtet. Der Englischunterricht beginnt hier erst ab der sechsten Klasse verpflichtend, obwohl sie als erste Fremdsprache eine bedeutende Rolle für die Kommunikation zwischen Saudi-Arabern und anderen Nationalitäten in verschiedenen Lebensbereichen übernimmt (vgl. Al-Wadie 2013: 69). Syllabus und Textbuch sind an allen staatlichen Schulen des Landes identisch (vgl. Almutairi 2008: 13). Der Schwerpunkt liegt auf

„reading and writing, which involves filling in blanks, reordering words to form sentences, handwriting, dictation, and elementary composition. Speaking and listening receive little attention and are limited to fixed drills“ (ebd. 13). Die Abschlussprüfungen am Ende jedes Schulhalbjahres sind begrenzt auf die Fertigkeiten Leseverständnis und Schreiben, sodass für die Lehrenden „the main concerns are to prepare the students for examinations and cover the syllabus in the time allotted. The main focus of the students is on what is covered in the final exams“ (ebd.).

An privaten Schulen beginnt der Englischunterricht dagegen schon mit dem ersten Schuljahr. Die Bücher sind für bilinguale Kinder ausgerichtet und enthalten vielfältige Themen und Aktivitäten:

„In private schools, the teaching of English starts from the first grade as an extra curricular activity of one period a day. Textbooks are designed for bilingual children with a wide variety of topics and activities. Teachers are mostly non-Saudis, either native English speakers or other Arabs. In middle and high schools, students take the school curriculum in addition to the national curriculum for English. It is noticeable that most students who come from private schools are more proficient in general English skills than those from government schools.“ (ebd. 14) Der Unterricht erfolgt dort in der Regel von Muttersprachlern. Die Unterrichtsmethodik ist nicht auf traditionelle Methoden begrenzt. So sind bei den meisten Lernenden von privaten Schulen die Englischfertigkeiten besser als bei denen von staatlichen Schulen (vgl. ebd. 14). Zudem existieren auch größere Unterschiede in den Lernstilen und Lernstrategien. Almutairi kommt zum Ergebnis, dass insbesondere fünf Lernstile für saudische weibliche Lernende charakteristisch sind:

„(1) a stronger preference for a visual mode of obtaining information than for a hands-on or the auditory mode; (2) a preference for using extrovert styles on the social level and introvert on the learning level; (3) a bi-stylistic intuitive and concrete styles; (4) a strong preference for approaching tasks using a closure oriented style rather than an open one; and (5) a global rather than an analytical way of understanding information.“ (ebd. 155)

Interessant ist vor allem die schwache Präferenz für auditive Lernstile, obwohl saudische Studierende aus einer oralen Tradition kommen, in der der Schwerpunkt auf das gesprochene Wort liegt (vgl. ebd. 162). Dagegen werden Lernstrategien der Memorierung wie erwartet stark genutzt (vgl. ebd. 161).

Trotz der Gewohnheit an traditionellen Unterrichtsmethoden bevorzugen die Lernenden selbst interaktive und kommunikative Methoden (vgl. ebd. 169).