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3. FÖRDERUNG DER PHONETISCHEN KOMPETENZEN DURCH MUSIK

3.3 Musik im Fremdsprachenunterricht

3.3.3 Einsatz von Musik im Unterricht: Pro und Kontra

80 Abb. 3.9: Überblick über die Verwendung von Liedern und Musik in Lehrwerken für Erwachsene (Karyn 2006: 551) Badstübner-Kizik (2006) stellt insgesamt fest, dass Musik meistens „in Form vertonter Texte präsent und dementsprechend hauptsächlich auf ein Training sprachrezeptiver Fertigkeiten ausgerichtet (Hörverstehen, gelegentlich auch Leseverstehen)“ (Badstübner-Kizik 2006: 39) ist. Das Hauptgewicht liegt dabei auf

„Textpräsentation, Textrezeption und Textanalyse sowie auf Fragen der verbal geäußerten Bewertung und Beurteilung“ (ebd.).

Auch bei ihrer Lehrwerkanalyse (Stand: Lehrwerke 2009) kommt Badstübner-Kizik (2010a: 112ff.) zu einem ähnlichen Ergebnis. Musik wird in der Regel begrenzt auf Lieder oder Raps zum Hören oder seltener Singen und genutzt als Impuls für den kommunikativen Sprachunterricht und die Kultur- und Landeskunde. Gesungen oder gerappt wird „in erster Linie im Kontext von Lexik, gelegentlich auch im Zusammenhang mit Grammatik oder Phonetik, immer aber mit dem Ziel, Strukturen zu festigen bzw. aufzufrischen“ (Badstübner-Kizik 2010a: 114).

Mit zunehmendem Alter und Sprachniveau findet dabei eine Verschriftlichung von Musik statt. Auch sie stellt überraschend viele Eigenkompositionen der Lehrwerkautoren und wenig abwechslungsreiche Aufgaben mit oft überdeutlicher Didaktisierung fest. Dabei fällt auf, dass in englischen und französischen Lehrwerken eine geringere Scheu vor authentischem Liedmaterial besteht als im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Aufgaben zur Schulung von Wahrnehmungs-, Aufnahme- und Merkfähigkeit sind eher selten, wobei eindeutig das mnemotechnische Potenzial von Rhythmus und Melodie dominiert. Abschließend kommt sie zum Ergebnis, dass in den untersuchten Lehrwerken „Musik in Form von Texten im Umfeld von Rezeption und Produktion und (ansatzweise) für die Förderung eines kulturspezifischen Basiswissens genutzt wird“ (ebd. 117). Die Beschäftigung mit der rein klanglichen und interkulturellen Dimension von Musik erscheint dagegen defizitär.50

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• Popsongs verlieren schnell ihre Aktualität

• Wortschatz in Liedern ist konnotativ geprägt

• Wörter in Liedern sind unklar und schwer für L2-Lernende zu verstehen

• Satzzeichen fehlen

• Abwertende Reaktion erfolgt von Institution oder Kollegen zum Einsatz von Liedern

Hierbei lassen sich zwei Argumenttypen bei Lehrenden unterscheiden (vgl. Murphey 1990: 214):

• Lehrende finden Lieder zum L2-Erwerb nicht geeignet und möchten sie daher auch nicht im Unterricht einsetzen (Einstellung der Lehrenden)

• Lehrende haben Lieder ohne Lernerfolg im Unterricht eingesetzt (Erfahrung der Lehrenden)

In der ersten Gruppe werden viele Gegenargumente gefunden, die meisten davon sind jedoch auch in authentischer Sprache generell präsent und lassen sich durch geeignete Transferübungen lösen. In der zweiten Gruppe fehlt ein Lehrertraining zum Einsatz von Liedern „in selection, adjusting, and management for specific classes at specific levels for any material to work well“ (ebd. 215). So kommt Murphey zur Schlussfolgerung:

„Thus, it is my criticism of songs that one cannot acquire a language for active use only through listening to and singing songs. Yes, they are useful in and of themselves for motivation, examples of authentic language, and for acquiring ‚the sound’ of a language, but they will not do the whole job. The teacher needs to know how to manipulate them, have the students manipulate the language in them, and to take advantage of their full potential for classroom interaction.“ (ebd. 218)

Wie bei allen anderen Input-Quellen sind demnach auch bei Liedern und Musik Transferübungen zum aktiven Gebrauch notwendig. Beim Einsatz von deutschsprachigen Liedern im DaF-Unterricht wird außerdem kritisiert, dass die deutsche Sprache in aktuellen Popliedern nicht so stark verbreitet wie die englische Sprache ist. Dies ist sicherlich korrekt, allerdings ist in den letzten Jahren eine positive Entwicklung im Hinblick auf die Bedeutung deutschsprachiger Lieder in Deutschland und auch international zu beobachten.

Weiterhin wird vor allem immer wieder auf die Problematik der unterschiedlichen Wirkung von Musik auf die Lernenden, insbesondere bedingt durch den unterschiedlichen Musikgeschmack und folglich der Auswahl geeigneter Musik hingewiesen. Quast (2005: 83) differenziert auch die Wirkungen verschiedener Musikgenres beim Einsatz von Hintergrundmusik und ergänzt insgesamt, dass bei musikalischen Lernern strukturierte Musik möglicherweise vom Lernen ablenkt, da sie dazu neigen, Musik eher zu analysieren. So benötigen gute Lerner oft keine ‚Stütze’ beim Lernen, während bei schlechten Lernern Psyche, Physis und Stimulus beim verbalen Lernen aktiviert werden (vgl. Quast 2005: 83). Feindert (2007) beobachtet bei Lernenden der Sekundarstufe I einen höheren Behaltenseffekt durch Lieder, allerdings bemerkt sie ebenfalls, dass nicht jeder Hörertyp gleichermaßen profitiere, da die Musik ihm gefallen müsse. Außerdem „spielen der erreichte Sprachstand und die Anzahl der Wiederholungen des Musikbeispiels, sowie Hör- und Lerngewohnheiten eine entscheidende Rolle“ (Feindert 2007: 34).

Holoubek (1998) beschreibt die enorme Bandbreite möglicher Wirkungen von Musik in einer Unterrichtsklasse:

„Musikalische Rezeptionsprozesse sind so komplex und werden von so vielen Variablen beeinflußt, daß man am besten zunächst davon ausgeht, daß eine eingespielte Musik von jedem Einzelnen (etwas oder völlig) anders verarbeitet wird. Dabei sollte man sich davor hüten, bestimmte musikalische Präferenzen sowie bestimmte (vor allem die eigenen!) Hör- und Verarbeitungsweisen als Norm zu setzen und andere Hörweisen pauschal abzuwerten.“ (Holoubek 1998: 383)

Er spricht dabei von einer Unberechenbarkeit der Wirkung von Musik – nicht von der Musik gehe die Wirkung aus, sondern vom Hörenden (vgl. ebd. 379). Er formuliert deshalb die These:

„ob und in welcher Weise der Mensch von einer bestimmten Musik ‚angesprochen’ wird, welche Wirkung eine bestimmte Musik auf einen bestimmten Menschen hat, was ein Hörer aus einer Musik ‚macht’, das ist unvorhersehbar. Musik hat Wirkungen; aber die Wirkungen sind nicht kalkulierbar.“ (ebd. 382)

Andererseits sorge Musik gerade durch diese Unberechenbarkeit musikalischer Wirkungen für eine Offenheit von Lernsituationen und könne dem Deutschunterricht zu mehr Authentizität verhelfen (vgl. ebd. 386). So

82 könnten verkrustete Strukturen aufgebrochen und in produktive Dynamik verwandelt werden. Zudem sei keine Methode des Deutschunterrichts in ihrer Wirkung kalkulierbar und immer vom ‚Zutun’ des Lernenden abhängig (vgl. ebd. 391).

Aufgrund der Problematik der Auswahl geeigneter Musik werden in der Fachliteratur durchgängig Kriterien zur Auswahl aufgestellt (vgl. Murphey 1990: 152ff.; Karyn 2006: 548; Allmayer 2008: 138ff., Popelka 2008: 13;

Wiesnerová 2008: 41ff.). Generell soll bei Anfängern der Text einfach sein, die Melodie ins Ohr gehen, leicht zu behalten sein und den Lernenden möglichst auch gefallen (vgl. Allmayer 2008: 139). Murphey (1990: 157-158) zitiert sieben Orientierungshilfen zum Einsatz von Liedern (ursprünglich Folksongs) bei Anfängern, die hilfreich bei der Auswahl sein können:

1. Does the song have repitition of words, phrases, lines or chorus?

2. Can the tune be learned easily?

3. Does it have a strong rhythmical pattern?

4. Does it have useful language structures?

5. Is the vocabulary useful?

6. Does it reflect some aspect of culture, custom, tradition, historical era or event that is useful for the students to know about?

7. Do you know the song to be one that continues to be sung by people in this country?

Popelka (2008: 13) fasst nach Dolores Rodriguez Cemillan (2000) folgende Auswahlkriterien für Lieder zusammen (siehe Abb. 3.10):

Abb. 3.10: Auswahlkriterien für Lieder (Dolores Rodriguez Cemillan 2000, zit. n. Popelka 2008: 13)

Allmayer (2008: 138ff.) betont bei der Auswahl insbesondere die Struktur des Strophenliedes mit Refrain und Wiederholungen. Sie unterteilt die Auswahlkriterien nach thematischer, sprachlicher, musikalischer, kognitionspsychologischer und (hier) grammatikalischer Relevanz. Hinzu kommen gerade bei aktuellen authentischen Liedern und insbesondere Raps auch soziale und kulturelle Aspekte der jeweiligen Zielgruppe sowie ethische Ansätze. Laut einer Anfrage beim Goethe-Institut San Francisco im Juni 2013 werden für das Online-Portal ‚Step into German – Music’ (Goethe-Institut San Francisco 2006ff.) bei der Auswahl der Lieder für amerikanische Lernende der Sekundarstufe II beispielsweise folgende Grundsätze beachtet:

„Lyrics need to be clear, understandable and shouldn't hurt American sensibilities (no vulgar speech). Visuals need to be interesting, not just concert clips, and shouldn't hurt American sensibilities (no alcohol, sex, drugs, smoking...). Both lyrics and visuals have to appeal to our target group, i.e. American high school students.

Artists/labels have to be willing to present material on SiG.“ (Goethe-Institut San Francisco; Anfrage im Juni 2013) Feindert (2007) kritisiert weiterhin die oft nicht altersadäquaten Unterrichtsmaterialien für den Anfangsunterricht Jugendlicher, welches sich ebenfalls auf Grundstufenmaterial für Erwachsene übertragen lässt:

„Was den Einsatz von Texten, Liedern und musikalischen Werken betrifft, muss reiflich überlegt und sorgfältig ausgewählt werden. Von nicht zu übersehender Gefahr erscheint mir auch das Faktum, dass Unterrichtsmaterialien für den Anfangsunterricht oft zu sehr im Grundschulbereich und Elementarunterricht verhaftet sind und daher den Anforderungen der Sekundarstufe I mit einem altersadäquaten Kontext in Bezug auf Themen und Inhalte nicht genügen. Möglicherweise wird den Sprachlernenden zumindest unbewusst suggeriert, dass der Spracherwerb schon viel früher hätte stattfinden sollen. Nicht zu Unrecht erscheinen ihnen die Arbeitsunterlagen oft zu kindlich.“

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4. Kriterien der Liederauswahl

Wenn man mit den Liedern im Deutschunterricht zielstrebig arbeiten will, muss man auch gute Entscheidung treffen, welche Lieder am besten sind. Wonach sollte man sich richten? Von Dolores Rodriguez Cemillan (2000) bietet solche Kriterien der Liederauswahl an:

Lieder, die Spaß machen und motivieren

Lieder, deren Themen den Schüler anspricht

Lieder, die dem Schüleralter entsprechen

Lieder, die dem Sprachstand der Lernergruppe entsprechen

mit einem geeigneten Rhythmus

nicht zu lang

mit deutlicher Aussprache des Sängers

mit Refrain

mit landeskundlichen Aspekten

wenn möglich, ideal für konkrete/gezielte Übungen Esa (2007) ergänzt oben genannte Kriterien durch eigene Gedanken:

Fast alle Texte (Musiktexte) eignen sich für den Fremdsprachenunterricht

Die Liedtexte müssen Schüler/Studenten freundlich gemacht werden, d.h. mit guten Übungen begleitet werden

Die LehrerInnen sollen nicht immer darauf bestehen, dass die Schüler jedes Wort verstehen

Die Übungen sollen den Schülern das Verstehen der Texte erleichtern

Die Lehrer sollen Musik/Lieder im Unterrichtsstoff angemessen einbauen. Wir sind in erster Linie Deutschlehrer und keine Musiklehrer.

Autor denkt noch darüber nach, was man mit den Liedern sonst noch machen kann:

die Unterrichtsroutine/Monotonie durchbrechen

Singen ist gut für Ausspracheschulung/Intonation/Rhythmus

als Werbung/Promotion der Fremdsprache

Wortschatzfestigung und -erweiterung

Landeskunde vermitteln

Einführung von Dialekten/Umgangssprache

grammatische Strukturen üben/wiederholen

Leseanlass zum Thema(Lektüre)

83 (Feindert 2007: 34)

Murphey betont schließlich zum Erfolg eines Liedes im Unterricht: „there is no guarantee that what has been popular with one audience will be welcomed by another at a different time and place“ (Murphey 1990: 164).

Immer wieder wird daher auch die Auswahl der Musik durch die Studierenden selbst befürwortet (vgl. ebd.

161ff.; Goethe-Institut Brüssel: 2013), wobei ein Konflikt zwischen den ausgewählten Liedern und dem sprachlichen Potenzial der Lieder und dem Sprachniveau entstehen kann, welcher oft Kompromisse erfordert und nicht immer didaktisch gelöst werden kann. Zudem scheint diese Methode in der Praxis sehr zeitaufwändig, da die Lehrkraft für jede Klasse unterschiedliches Material didaktisieren muss und oft nur einmal verwenden kann. Hinzu kommt, dass in der Klasse selbst sehr unterschiedliche und wechselnde Präferenzen vertreten sind.

Um ein geeignetes Lied für jeweilige Lehr- und Lernziele zu finden, bedarf es somit oftmals mehrerer Kompromisse. Lernziel und Lerngegenstand (die Musik) sind hierbei aufeinander abzustimmen und der Musikgeschmack so gut wie möglich zu berücksichtigen. Hierbei können die obengenannten Kriterien eine erste Orientierungshilfe sein.

Trotz der genannten Kritikpunkte wie beispielsweise der unterschiedlichen Wirkung von Musik auf Lernende sowie der nicht einfachen Auswahl geeigneter Stücke gibt es zahlreiche Begründungen, warum Musik im Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden sollte. Bereits vorgestellt wurden in Kapitel 3.1 und 3.2 ausführlich diverse interdisziplinäre Erkenntnisse der letzten Jahre zur Verbindung von Sprache und Musik aus den Bereichen der kognitiven Neurowissenschaft und Kognitionspsychologie, die den Einsatz von Musik aus neurowissenschaftlicher und kognitionspsychologischer Sicht begründen. Daneben existieren auch zahlreiche biologische und soziokulturelle Verbindungen (siehe Kap. 3.1).

Feindert (2007: 27ff.) fasst Begründungen für den Einsatz von Musik zusammen, die meistens zunächst in der FSU-Fachliteratur genannt werden:

„Für den Einsatz von Musik im Fremdsprachenunterricht spricht die Tatsache, dass mit Musik (z.B. einprägsamen Volksliedern) gelernte Texte besser memorisiert werden können. Durch psycho- und physiogene Effekte erhöht Musik - speziell beim Liedgesang - auch die Lust am Singen durch Klang, Rhythmus, Textoriginalität etc.. Im chorischen Sprechen eines Liedtextes vor dem Singen kann Aussprache, Artikulation, Grammatik, Satzbau, Sprechmelodie u.v.m. geübt werden, ohne dass dies als langweilige Repetition erlebt wird, denn es motiviert der Wunsch nach der richtigen Beherrschung des Liedes.“ (Feindert 2007: 33)

Bei einer Analyse von englischen Popsongs stellt Murphey (1990: 231ff.) weiterhin fest, dass die Popsongs sprachlich einfach aufgebaut sind. Die Längen der Phrasen sind extrem kurz, Wörter sind meistens einsilbig, Phrasen und Wörter sind in großem Umfang repetitiv. Auch erfolgt das Sprechtempo in Liedern insgesamt langsamer: „the word per minute rate was about half that of normal speech“ (Murphey 1990: 232). Englische Poplieder sind zudem geprägt durch verbale Dichte, die Präsens-Zeitform, Pronomen der ersten und zweiten Person und indizieren daher einen dialogorientierten Diskurs. Murphey bezeichnet sie als ‚dialogal monologues’

(vgl. ebd. 232) und ‚motherese of adolescence’ (ebd.), da Poplieder eine einfache hoch emotionale Sprache darstellen, die den Themen und der Sprache von Jugendlichen angepasst ist. Musik und Lieder sind authentische allgegenwärtige Elemente in der Umgebung Jugendlicher, sodass die meisten sich sehr dafür interessieren.

Außerdem begründet Murphey (1992: 6ff.) die Bedeutung von Musik und Liedern beim L2-Erwerb wie folgt:

• Singen einer Sprache scheint leichter zu sein als Sprechen

• Allgegenwärtigkeit von Musik (außer in Schulen!)

• ‚Ohrwurm’ als Beleg zum Einfluss von Liedern auf Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis

• starke Aktivierung von Repetition-Mechanismen beim L2-Erwerb

• Motivation

• Emotion

• Entspannung

Das Goethe-Institut Brüssel (Stand Juni 2013) fasst zudem folgende Gründe für den Einsatz von Popsongs zum Lernen von Sprache zusammen (siehe Abb. 3.11).

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Abb. 3.11: Zur Bedeutung von Musik zum Lernen von Sprache (Goethe-Institut Brüssel 2013: 1)

In der DaF-Fachliteratur wird der Einsatz von Musik weiterhin auch mit den Wirkungen von Musik auf L2-Lernprozesse und Speicherungsprozesse und den damit möglichen Funktionen von Musik im Fremdsprachenunterricht begründet. Quast (1996: 107) geht hierbei von einem integrativen Konzept von Musik und Fremdsprache aus – von „Musik als begleitende Markierung zur Effektivierung von Spracherwerbs-, Sprachrezeptions- und Sprachproduktionsprozessen“ (Quast 1996: 107) – und beschreibt sieben grundlegende Funktionen der Musik im Fremdsprachenlernprozess aus Sicht der Musikpsychologie und Musiktherapie (vgl.

ebd. 107ff.):

- physiologische Funktion (Förderung der Behaltensleistung, Sprachrezeptionsprozesse und Sprachproduktion) - psychohygienische Funktion (Erzeugung von Entspannung)

- emotionale Funktion

- sozialpsychologische Funktion (Stärkung der Gruppendynamik)

- Förderung kognitiver Prozesse (Verknüpfung von Informationen im Gehirn)

- Förderung unbewussten Lernens (Wissensaneignung und -speicherung ohne aktive Reflektierung)

- Auslöser von Kommunikationsprozessen (prozessual-strukturelle Elemente in Musik und gesprochener Sprache:

synchronisierende, strukturierende, verstärkende und akzentuierende Wirkung beim Einsatz von Musik in Verbindung mit Sprache)

Diese Funktionen von Musik im Fremdsprachenunterricht wurden in der DaF-Fachliteratur immer wieder aufgegriffen (vgl. Grätz 1997: 5; Blell 2006: 115; Esa 2008: 3; Schmidt 2013: 65-66) und von Badstübner-Kizik (2010b: 1598) aktuell nochmals erweitert:

- simulative Funktion: akustische Präsentation fremder Kultur - dekorative Funktion: illustrativ

- persönlichkeitsbildende Funktion: Wecken von Vorstellungskraft und Kreativität

- sozialpsychologische Funktion: Aufbau und Intensivierung von Kontakt-, Erlebnis- und Empathiefähigkeit - lernpsychologische Funktion:

- physiologisch (als ‚Ohrenöffner’)

- psychohygienisch (Entspannung/Aktivierung)

- suggestiv-kognitionsfördernd (Optimierung von Wissensaufnahme und -verankerung) - emotiv-motivatorisch (Auslösen von lern- und erkenntnisfördernden Emotionen) - assoziationsauslösend (Vorbereitung und Intensivierung sprachlicher Kreativität)

(Pop-)Musik im DaF-Unterricht

A. Grundsätzliche Überlegungen:

Warum überhaupt Musik im Unterricht?

Zur Bedeutung von Musik zum Lernen von Sprache:

• Der Mechanismus des Spracherwerbs basiert u.a. auf dem Prinzip der Wiederholung: Musik besitzt sehr stark wiederholende Strukturen (Melodie, Refrain)

• Popmusik enthält oft einfache, leicht zugängliche Sprache, die zugleich emotional berühren und daher hoch motivierend sein kann

• Musiktexte sind kurz und leicht zu verarbeiten, können dabei aber auch anspruchsvoll sein und viele thematische Anknüpfungspunkte liefern

• Musik entspannt und wirkt zugleich stimulierend: z.B. brachte der Einsatz von Musik in der Suggestopädie nachweislich überdurchschnittliche Lernerfolge im Fremdsprachenunterricht

• Mit Musik lassen sich positive Assoziationen mit dem Fremdsprachenlernen verbinden (Bsp. Tokio Hotel)

• Weitere Aspekte zum Einsatz von Musik

o Vermittlung von (musiktypischer) (Umgang)sprache und Dialekten o Vermittlung von Landeskunde

o Wortschatzerweiterung, -umwälzung, -festigung (Wiedererkennung) o Schulung von Text-/ Hörverständnis

o Auflockerung, Durchbrechen der Unterrichtsroutine, Gruppendynamik o Spielerische Wiederholung grammatischer Strukturen

o Gefühl für Satzmelodie entwickeln

o Kreative Anknüpfungsmöglichkeiten (z.B. eigene Strophen verfassen) B. Auswahl von Aktivitäten vor, bei und nach dem Hören

(wenn möglich in Absprache und unter Beteiligung der Schüler):

Höraufträge sollten nicht wahllos, sondern zielgerichtet sein. Neben „traditionellen Aufgaben“ wie „multiple choice“ sind Aufträge zur Informationsbeschaffung nötig, die weiteres, kreatives Handeln erlauben.

Höraufgaben müssen so interessant sein, dass Schüler nicht die Lust bei mehrfachem Hören verlieren. Diese Aufgaben sollten daher auch dem kommunikativen Interesse der Lerner Rechnung tragen.

85 Die Funktionen zeigen die große Bandbreite der Möglichkeiten von Musik, die in theoretischen Beiträgen immer detaillierter herausgearbeitet werden und eine solide Grundlage für einen zielgerichteten methodisch-didaktischen Einsatz von Musik im Unterricht DaF bilden. Allerdings wurden bisher nur wenige dieser Möglichkeiten in der Unterrichtspraxis genutzt (siehe Kap. 3.3.2). Ein Richtungswechsel hin zum interkulturellen Einsatz von Musik ist in aktuellen Beiträgen immer mehr sichtbar (vgl. Bayer 2007; Blell 2010;

Schmidt 2013).

Insbesondere bei Kindern sowie Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird zudem der hohe Stellenwert von Musik auch aus musikpsychologischer Sicht immer wieder stark hervorgehoben (vgl. Gembris 2005: 435). Das Musikhören gehört laut Schramm & Kopiez (2008: 253) in allen Altersgruppen zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen – zumindest in westlichen Industrienationen wie Deutschland – und stellt auch die zeitlich umfangreichste Alltagsaktivität vieler Menschen dar. Zu berücksichtigen ist dabei, dass Musikhören oft in Verbindung mit Paralleltätigkeiten stattfindet (Schramm & Kopiez 2008: 261ff.). Bereits 2008 waren 79% der deutschen Jugendlichen im Besitz eines MP3-Players oder iPods und fast alle nutzten ihn täglich oder mehrmals pro Woche (ebd. 255). Zudem sprechen Jugendliche am liebsten über Musik (vgl. Rentfrow & Gosling 2006).

Dabei lässt sich aus dem Musikgeschmack sogar recht zuverlässig die Persönlichkeit ableiten (vgl. Rentfrow et al. 2009). Jugendkulturen orientieren sich bei der Identitätsbildung an der populären Musik, so wurden auch in Studien zu Musikpräferenzen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor allem Popsongs angegeben (vgl.

Kleinen 2008: 48). Mit ca. 25 Jahren kommt es zu einer Abschwungphase mit Abnahme des Musikinteresses, der Dauer des Musikhörens und des Stellenwertes von Musik. Laut Gembris (2005: 433-434) hat Musik bei Jugendlichen vielfältige Funktionen, u.a. auch als Informationsquelle über neue Lebensstile, Moden, Verhaltensweisen, als Aufforderung zum Aktivsein sowie als Mittel der Aufheiterung, guten Laune und Stimmungskontrolle. Zusammengefasst gehört die Musik und insbesondere die Popmusik zum Alltag und zur Sprache von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und sollte daher bei diesen Altersgruppen auch im DaF-Unterricht genutzt werden.

Aus lernpsychologischer Sicht ist zusammengefasst ein ganzheitliches und abwechslungsreiches Lernen Voraussetzung für das effektive Lernen (vgl. Quast 2005: 22ff.; Edelmann & Wittmann 2012). Ein ausgewogenes Verhältnis der folgenden Lernarten ist dabei bedeutend:

- kognitives und emotionales/motivationales Lernen

- verbales und non-verbales Lernen (mit allen Sinnen, mehrkanalig) - bewusstes und unbewusstes Lernen

Durch die Verknüpfung von Sprache und Musik ist die Nutzung all dieser Lernarten möglich (vgl. Quast 2005:

22ff.). Eine sinnvolle Methodik-Didaktik ist dafür jedoch notwendig. Auf diese wird im Folgenden eingegangen.