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Teil II Drei Lehrstücke

II. Arbeitsfelder der Dramaturgie

6. Melodik / Melodieren

2.1 Vorüberlegungen

2.1.3 Der Weg zum Lehrstück

2.1.3.3 Kritische Betrachtung der Lehrstückvorlagen und Eigenentwurf

Die Vorlagen sind sehr unterschiedlicher Natur, zudem beziehen sie sich alle auf einen eher physikalisch orientierten Unterricht. Sie müssen also zumindest auf die Bedürfnisse des Geo-graphieunterrichtes zugeschnitten werden. Hinzu kommt, dass der imaginative Bericht eigent-lich ein Plan eines Unterrichtes ist, der bis zur Studienwoche 2007 nie so stattgefunden hat, das Frontenpuzzle ist lediglich eine Etüde im Rahmen der Lehrerfortbildung. Einzig der Wochenplan ist in einer Studienwoche umgesetzt worden. Die Adaption auf den Unterricht in Geographie mit zwei Lektionen pro Woche verlangt eine Konkretisierung zu den geographisch bedeutsamen Inhalten hin. Die im Anschluss folgende kritische Betrachtung beruht auf eigenen, nicht dokumentierten Erfahrungen mit Howards Wolken.

Das Lehrstück beginnt und endet stets am Phänomen, mit dessen intensiver Beobachtung. Die Eröffnung ist in ihrem phänographischen Charakter typisch für die Lehrkunst und sollte so übernommen werden. Aus organisatorischen Gründen werde ich auf die Zusammenarbeit mit der Lehrerin oder dem Lehrer für Kunst oder Gestaltung zunächst verzichten. Kollegiale Ko-operation ist etwas für alle Seiten sehr Anregendes, wenn aber alle Facetten des Gegenstandes aus einer Hand beleuchtet werden können, ist es weitaus überzeugender und besser: Ein Geograph, der sich auch in Kulturgeschichte auskennt, ein akzeptabler Zeichner ist und flies-send Gedichte vorträgt, erinnert an die Universalisten in der Bildungstradition Humboldts.

Der Gegenstand ist als Ganzes erfasst und wird als Ganzes weitergegeben, der Verweis auf andere Fächer stört dieses Bild. Der Hausaufgabenauftrag vor dem eigentlichen Beginn ist vorteilhaft, wenn klar ist, um was es geht. Es besteht aufseiten der Schülerinnen und Schüler die Gefahr, dass kurz vor Beginn des Unterrichts Bilder aus dem Internet ausgedruckt oder die Wolken lediglich mit der allgegenwärtigen Handykamera geknipst werden. Da auf diese Weise keine intensive Erstbegegnung mit den Wolken erreicht werden kann, sollte der Auftrag angepasst werden. Er sollte die gestalterischen Kräfte anregen und dürfte auch sprachliche – zunächst muttersprachliche – Formen umfassen, wie es in Marc Eyers Programm für die Studienwoche 2007 unter dem Begriff ,Wolkentagebuch„ angedeutet wird.

Wird das Tagebuch über die ganze Zeit hinweg geführt, sollte auch erkennbar werden, wie der Stil der Einträge zunehmend an Fachsprache gewinnt. Alle Arten des „Festhaltens“ der Wolken führen die Flüchtigkeit und Veränderlichkeit ihrer Formationen vor Augen. Die zeichnerische Skizze eignet sich besonders zum schnellen Fixieren eines Zustandes, das Schriftliche eher für das Prozessuale. Es erscheint daher nützlich, den gewählten Himmelsausschnitt zuerst zu skizzieren, ihn dann 5-10 Minuten lang sprachlich zu erfassen und am Ende erneut eine Skizze anzufertigen.

Im vierteiligen Kern beginnt der erste Akt mit der Ausstellung und der Begegnung mit den Künstlern, an die sich das Erstellen einer eigenen Ordnung anschliesst. Diese Szene soll beibehalten werden. Die Werke der Schülerinnen und Schüler müssen unbedingt gewürdigt und intensiv betrachtet werden, Geschriebenes muss gelesen bzw. vorgelesen werden. Aus der Betrachtung der Wolkenbilder und der Lektüre der Texte können direkt Impulse für die nachfolgende eigene Ordnung gewonnen werden, die Verständigung über die erlebten Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Aufgabe führt zu wesentlichen Eigenschaften der Wolken. Die Wolkenbilder anderer Künstler sollten handlich sein und etwa die gleiche Grösse haben wie die Bilder der Jugendlichen. Daher sind Kunstpostkarten in dieser Szene sehr geeignet. Es ist aber auch denkbar, den Raum mit Postern zu behängen, allerdings können diese dann nicht in das eigene Sortieren und Ordnen einbezogen werden. Im günstigsten Fall ist beides vorhanden. Die Wolkenkunstwerke sollten eine grosse Zahl verschiedener Epochen und Stile umfassen, unverzichtbare Repräsentanten sind Howard, Constable, Turner, Goethe, Magritte – gerade so, wie sie auch in der Ausstellung „Wolkenbilder. Die Entdeckung des

Himmels“ in Hamburg, Berlin und Aarau nebeneinander zu sehen waren. Da die Wolken in der Kulturgeschichte als „Sitz der Götter“ einen engen Bezug zu religiösen Inhalten haben, ist auch eine kleine Sammlung bildnerische Darstellungen von z. B. Bibeltextstellen notwendig (z. B. Turmbau zu Babel, Jakobs Traum). Zusätzlich ist es wünschenswert, dass holländische Meister (z. B. Ruisdael), moderne plastische Kunstwerke (z. B. Arp, Calder) und lokale Künstler vertreten sind.

Das Erstellen einer eigenen Ordnung läuft in der Regel auf die Gruppierung der Bilder und Kunstwerke nach sekundären Merkmalen hinaus. Dies ist nur dann sinnvoll, wenn die zusammenfassenden Bezeichnungen der Wolkengruppen auch mit Definitionen festgehalten werden, die eine klare Abgrenzung zu anderen Gruppen ermöglichen. Ohne Definition ist eine wissenschaftliche Begriffsbildung nicht möglich. Die Klasse sollte dazu angehalten werden, im Diskurs eine stringente und vollständige Ordnung festzulegen. Dabei werden Farbe oder Form in der Regel als leitend wahrgenommen, seltener kann die Höhe ebenfalls eine Rolle spielen. Ursache davon ist, dass die Wolken nicht in ihrer Veränderlichkeit wahrgenommen werden, sondern vielmehr als statische Individuen mit festgelegten Eigenschaften. Der Weg in die Veränderlichkeit ist zwar mit den schriftlichen Beschreibungen angebahnt, kann jedoch an dieser Stelle noch nicht nützlich umgesetzt werden. Um das regelmässige und verlässliche Übergehen einer Wolkengattung in eine andere beobachten und somit in einer Klassifikation berücksichtigen zu können, müssten ausgedehnte Wolkenstudien in einer sehr günstigen Wettersituation stattfinden.

Das Howard-Spiel des zweiten Aktes mit dem pantomimischen Vortrag von dessen Systematik ist ein spannendes Element und ein Höhepunkt des Lehrstückes, es kann langfristig als Begegnung mit einem jungen Genie in Erinnerung bleiben. Eine knappe Einführung durch den Lehrer zur Person von Howard könnte auch am Anfang dieses Aktes stattfinden statt im dritten Akt. Bei dieser Gelegenheit könnte z. B. Howards Name an die Tafel geschrieben werden, sodass dieser während der szenischen Darstellung stets vor Augen ist. Um Howard darstellen zu können, benötigt der Lehrer ein einfach handhabbares Requisit, das die Verwandlung anzeigt. Wie Marc Eyer es vorschlägt, sollten die von Howard verwendeten Zeichnungen, vor allem jene aus dem Aufsatz von 1802/03, in einer Mappe mitgebracht und nach und nach mit den dazu gehörigen Namen an die Tafel gebracht werden.552 Das Wesentliche von Howards Klassifikation, die Möglichkeit der Wolken aus einer Gattung in eine andere überzugehen, wird bislang nicht ausreichend deutlich. Neben der Verwendung von lateinischen Bezeichnungen ist dieser Aspekt letztlich dafür verantwortlich, dass Howards System sich durchsetzen konnte.

Auch das Ausprobieren der Ordnung Howards in der nachfolgenden Szene ist ebenfalls unverzichtbar, da es ermöglicht, das Gelernte anzuwenden und zu üben. Dies darf in zwei Durchgängen geschehen. Den ersten Durchgang regt Howard selber an. Er rückt die zusam-mengestellten Tische auseinander und legt jeweils sein Musterbild (zweites Exemplar) einer Wolkengattung mit dem Namen auf einen Tisch. Er nimmt sich eine Schülerzeichnung und zeigt sie einem nahe stehenden Jugendlichen. Nach einer schweigenden abwägenden Beratung (z. B. mit Daumen hoch, Daumen runter) wird das Bild zur entsprechenden Vorlage gelegt. Dann fordert Howard die Klasse auf, es ihm gleich zu tun und alle eigenen Werke und die Kunstbilder den Mustern zuzuordnen. Wenn dieser Auftrag ebenfalls pantomimisch gestellt wird, geht normalerweise auch die Klasse schweigend zur Tat. Wenn alle Bilder zugeordnet sind, verabschiedet sich Howard und der Lehrer kehrt zurück. Damit die neuen

552 Andere Wolkenbilder von Howard können schon in der Begegnung mit den Wolkenkünstlern auf die Tische kommen. Wenn Howard die Ausstellung der Wolkenwerke betrachtet, könnte er an dieser Stelle auf seine eigenen Bilder stossen und so noch einmal betonen, dass auch er die künstlerische Seite repräsentiert.

Bezeichnungen wirklich verstanden und akzeptiert werden, sollte eine kritische Diskussion über die howardsche Klassifikation stattfinden. Dabei werden ihre Vorteile und die Grenzen der selbstgefundenen Ordnung besonders berücksichtigt werden müssen. Bei einem anschlies-senden Durchgehen durch die Tischreihen sammeln die Schülerinnen und Schüler alle nicht korrekt abgelegten Bilder wieder ein. Im zweiten Durchgang mit dem Ziel nun alle Werke korrekt zuzuordnen, darf und soll möglichst fachsprachlich gesprochen werden. Zum Ab-schluss wird die heute gültige Klassifikation der Wolken und der Weg zu ihr dargestellt.

Eyers vierter Akt in Eyers Entwurf ist m. E. kein Teil des Lehrstücks, er thematisiert im Sinne regulären Unterrichts die physikalische Seite der Wolken. Im Geographieunterricht würden an dieser Stelle analog die geographischen Inhalte platziert werden. Der imaginative Bericht endet schliesslich im Finale mit der Thematisierung der Dynamik des Himmels. Dieser Inhalt wäre aus der Sicht der Geographie in der Klasse 10 des Berner Gymnasiums sinnvoll, gehört aber – wie z. B. auch der Zusammenhang zwischen Wolken und Klimawandel – m. E.

ebenfalls in einen Unterrichtsteil ausserhalb des Lehrstücks.

Auffällig ist, dass die Physik im Wochenplan von Marc Eyer in den Hintergrund getreten ist und an ihrer Stelle die Literatur Eingang ins Lehrstück gefunden hat. Die literarisch-poetische Seite der Wolken kann ebenfalls mit gross kopierten Texten an der Wand des Unterrichts-zimmers vertreten sein. Die besondere Bedeutung, die die Wolken und Howards Leistung für Goethe hatten sind hingegen erneut unverzichtbar. Goethes entschiedenes Eintreten für das System des Engländers hat dazu beigetragen, dass es sich international durchsetzen konnte.

Goethe kann mit seinen Gedichten und mit seiner Erkundigung nach Howards Leben, die zur einzig verfügbaren autobiographischen Schrift Howards führt, am Schluss des Lehrstücks platziert werden. So werden im Sinn einer Wiederholung in einem kulturell bedeutsamen Kontext noch einmal alle Wolkengattungen (mit dem Gedicht „Atmosphäre“) und die Person Howards in den Blick genommen.

Das Ende von Eyers Studienwoche markiert das Erstellen der Poster. Im Rahmen der Lehr-kunstdidaktik hat sich diese Präsentationsform bewährt und sollte grundsätzlich in Betracht gezogen werden. Der Aufbau des Lehrstücks sollte dem Inhalt des Posters entsprechen:

Eigene Bilder, Kunstbilder und Wolkenbilder des gültigen Wolkenatlas sollen im Sinn einer eigenen Ausstellung „Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels“ gleichrangig nebeneinander stehen, Howards Systematik und die heute gültige sollten erkennbar sein und zuletzt darf auch Goethe mit seinem Gedicht „Howards Ehrengedächtnis“ nicht fehlen. Es bietet sich an, die Senkrechte des Posters als Atmosphärenhöhe, die Waagerechte als Zeitachse zu setzen. Howards Cirrus wäre also links oben bei 8-12 km Höhe zu finden, ein Stratus aus dem aktuellen Wolkenatlas rechts unten bei 1 km Höhe. Andere Formen der Aufarbeitung des Gelernten müssen erprobt werden. Ein Faltblatt liegt im Entwurf vor, ein szenisches Spiel ist ebenfalls denkbar.