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Teil I Lehrkunstdidaktik und Dramaturgie

2.3 Der Sinn in Dramaturgie und Didaktik: Bildung

2.3.3 Diskurs

da ja nicht die Katharsis im Sinne von Aristoteles gemeint sein kann, welche als Theorie der Gefühlsbildung gelesen wird, sondern, wie besonders Schulze allerdings zu einseitig betont, auch eine analog zu setzende kathartische Wirkung auf die Gedanken; eine Gedanken-Bildung. Zu der Frage, was in diesem Sinne bildend wirkt, befindet Hausmann, dass sowohl der Vollendung eines Werkes,209 als auch „vorgegeben Vollendetem“, also grossen weltver-ändernden Erfindungen, Entdeckungen oder Erkenntnissen (Schulze) Bildungswirksamkeit innewohnt. Das Bildungsgeschehen soll dabei den Menschen mit Befriedigung erfüllen und ihm das Bewusstsein eines (kulturellen) Reichtums mitteilen.

Schulze und Hausmann sind mit Herder einig, dass immer das Besondere im vermittelten Allgemeinen anschaubar werden sollte. Im Sinne des Exemplarischen gilt vor allem auch die Umkehrung: Das Allgemeine soll am Besonderen sichtbar werden. Schulze deutet auch an, auf welche Weise sich diese läuternde Gedankenbildung erreichen lässt, wenn er den Weg von Versuch und Irrtum zur Erkenntnis, die im Unterrichtsverlauf geordnete Vielfalt oder den durch ihn geöffneten Horizont anspricht. Hier deutet sich an, welche Forderungen die er-strebte bildende Wirkung an die Methodik und den Aufbau des Unterrichts stellen sollte.

Ein Unterschied von Hausmanns Feststellungen gegenüber Schulzes ist, dass ersterer ausdrücklich die Zweiseitigkeit der bildenden Wirkung des Unterrichts betont: Auf der einen, äusseren Seite steht das vollendende Werkschaffen und Wahrnehmen von Vollendetem, auf der anderen die darauf abgestimmte analoge Steigerung des Inneren während dieses Prozesses. Der Inhalt muss in den Lernenden genauso reifen können wie das Werk selbst, da, wie Hausmann betont, das Reifen als Steigerung des Menschen Bildung sei. Die Lehrkunst-didaktik berücksichtigt diesen Aspekt des parallelen Reifens deutlich in der genetischen Komponente der Methodentrias.210 Diese Zweiseitigkeit ist im Gesamtaufbau eines Lehr-stücks angelegt. Dem Reifenlassen der inneren und äusseren Prozesse wird z. B. durch eine zeitlich grosszügige Unterrichtsplanung, durch die ‚Ich-Wir-Balance„ und das gemeinsame und individuelle Werkschaffen Rechnung getragen.

Ein Querblick auf Klafkis Schriften zur Bildungstheorie zeigt einige markante Parallelen zum oben Genannten. Absicht und Merkmal von Klafkis ‚kategorialer Bildung‟ ist, dass der Mensch sich eine Wirklichkeit erschliesst und er für diese Wirklichkeit erschlossen worden ist. Hier besteht vom Lernenden ausgehend ebenfalls ein nach aussen gerichtetes (Wirklich-keit erschliessendes) und ein nach innen gerichtetes Moment (das Erschlossenwerden). Die in der kategorialen Bildung zu wünschenden Inhalte weisen nach Klafki eine Reihe von Eigen-schaften auf: Nur Repräsentatives und in komplexeren Ganzheiten eingebettetes Wissen soll Gegenstand des Unterrichts sein. Gleichzeitig soll es einen erfahrbaren Bezug zur eigenen (vergangenen, zukünftigen oder aktuellen) Wirklichkeit der Lernenden haben und ermögli-chen, in der Beschäftigung damit zum Fundamentalen und zu den Grundkräften des geistigen Lebens vordringen zu können

Etliche der hier aufgeführten Kriterien überschneiden sich mit den von Hausmann und Schulze oder den Dramentheoretikern gemachten Feststellungen über die Eigenheiten des Dramas und der Theaterwelt. Aufzuführen sind z. B. Herders Forderung danach, das Allge-meine im Besonderen anschaubar zu machen oder auch Schulzes Hinweis auf die grossen

209 Z. B., wie Schulze vorschlägt, auch einer „zusammenfassenden ‚Aufführung‟ eines Lehrstückes“. Dort kön-nten sich „Momente der Wiederholung und Festigung und des Lernens durch Lehren mit dem befriedigenden Er-lebnis, ein gelungenes Werk vorzustellen, vereinen.“ (Schulze 1995, S. 380, unter „Figuren“)

210 Das Genetische bedenkt das äussere Moment unter dem Begriff der ‚Kulturgenese‟ (dem „Werdegang des Gegenstandes“ in der Kulturgeschichte, „sachgenetisch“), das innere mit der ‚Individualgenese‟ („Werdegang des Lernens“, „individuell wissensgenetisch“).

weltbewegenden Erfindungen, Entdeckungen und Erkenntnisse oder die kulturellen Reich-tümer, an die Dilthey erinnert, welche alle einen klar erfahrbaren Vergangenheits-, Zukunfts- und Wirklichkeitsbezug haben. Von herausragender Prägnanz ist in diesem Zusammenhang Hausmanns 6. Leitsatz, welcher das Exemplarische, Fundamentale und das Vordringen zu den Grundkräften des geistigen Lebens umreisst: „Im dramatischen Bildungsgeschehen wird der Gestaltenreichtum der Welt sichtbar, ihre Widersprüchlichkeit wird sinnbildlich offenbar und an Hand eines einzelnen Falles zu einer Lösung gebracht. Dieses Ereignis spricht den inneren Sinn an und drängt ihn von einem bestimmten inneren Blickpunkt aus perspektivisch zu einem tieferen Erfassen der Welt. Es macht ihm die Urphänomene fasslich und lässt ihn durch den Wechsel und die Reziprozität der Perspektiven auch noch der Hintergründe des Fasslichen infinitesimal inne werden.211

In Klafkis Sinn-Dimensionen allgemeiner Bildung wird schliesslich nicht mehr nur der Sinn der Wissensvermittlung betrachtet, sondern die Mehrdimensionalität allgemeiner und katego-rialer Bildung (und auch unter dem Gesichtspunkt der Sinnstiftung unterrichtlichen Handelns) generell entfaltet. ‚Bildung„ bleibt für Klafki in diesem Zusammenhang der entscheidende pädagogische Zielbegriff, womit er die von Schulze und Hausmann geteilte Bestimmung bestätigt. Klafkis Bildungsziele, die Fähigkeiten zur Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität müssen im Rahmen allgemeiner Bildung erreicht werden, wobei Bildung hier „den Prozess der Aneignung von Kategorien der Wirklichkeits- und der Selbsterkenntnis“, aber auch das „jeweils erreichte, nie endgültige, nie abschliessbare Ergebnis solcher Bildungspro-zesse“ bezeichnet.212

Aus dem bislang Gesagten ist zweierlei hervorzuheben: Zum einen bestätigt Klafki, dass der Sinn, also die Wirkung des Unterrichts, in der Bildung liegt, zum anderen gibt er mit seinen vier ausformulierten Dimensionen einen klaren Hinweis auf die dazu notwendigen Inhalte und Gegenstände: Neben den ‚epochaltypischen Schlüsselproblemen„ werden explizit auch die in der Lehrkunstdidaktik zentralen ‚Menschheitsthemen‟ aufgeführt. Diese fokussieren „ent-scheidungsentlastete epochenübergreifende Grundfragen des Mensch-Welt-Verhältnisses“213, in denen Klafki Horizont aufschliessende und Interesse weckende Wirkung erkennt. Die

„prägnanten Beispiele“ der Lehrstücke machen es möglich, die innere Systematik von Ent-deckungen und Erkenntnissen nachzuvollziehen. An dieser Stelle greifen Lehrkunstdidaktik, kategoriale Bildung und allgemeine Dramaturgie in eins: In allen drei Fällen geht es um besondere, aufschlussreiche, also exemplarische Erfahrungs- oder Erkenntnissprünge oder ihre Ergebnisse, die derart verdichtet und verdeutlicht in Erscheinung treten, dass alle sie nach- und mitvollziehen können.

Zusammenfassend stelle ich fest: Klafki betont, dass jedes unterrichtliche Handeln einerseits den Sinn hat, Bildung zu ermöglichen oder zu erreichen, andererseits eine oder mehrere Sinn-Dimensionen allgemeiner Bildung berühren soll. Die lehrkunstdidaktische Konzeption erfüllt damit die Ansprüche der kategorialen Bildungsdidaktik.

211 Hausmann 1959, S. 145f.

212 Klafki 2003, S. 13.

213 Klafki 2003, S. 25.