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Konversionen zu Neureligiösen Gemeinschaften bezogen auf das Internet

2 Das Internet als Quelle zur religionsgeschichtlichen Forschung

2.5 Internetnutzer als Zielgruppe, Teilnehmer und Mitglieder von religiösen Gemeinschaften

2.5.4 Konversionen zu Neureligiösen Gemeinschaften bezogen auf das Internet

Inwieweit das Medium Internet eine Konversion zu einer neuen Gemeinschaft ermöglicht, den Weg dazu ebnet203 oder verstellt, kann noch nicht mit abschließender Sicherheit gesagt werden204. Dokumentiert sind bislang nur wenige Fälle205. Es ist dabei nicht untersucht worden, ob dies Einzelfälle oder Repräsentanten umfassender Vorgänge sind206. Grundsätzlich mag eine Konversion unter virtuellen Gegebenheiten durchaus möglich sein.

Bei der Zusammenstellung von Religionskompilationen, die zumindest in Teilen mit den eigenen übereinstimmen, ist durch das Internet ein weit größerer Rahmen gegeben, als dies bisher geographisch und damit oft auch inhaltlich möglich war.

„A religious seeker is no longer confined to using social networking, community bulletin boards or newspapers to discover new and potentially interesting groups.

By using search engines, and following the trail of links, a seeker can encounter many groups of possible interest in a very short time. But we know that the sheer

203 Bei einer Untersuchung über religiöse Websites und deren Kommunikationsformen mit „Gegnern“ oder

„früheren Mitgliedern“ hat Jean-François Mayer einige wichtige Strategien identifiziert: „(1) aggressive counter-attack, (2) development of a strong official Web presence, (3) encourage members to create pages, (4) de-legitimate the Web as a source of information, and (5) ignore the Internet.” J.-F., 2000, S. 252. Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Mayer bei seiner Analyse sich nicht nur philologischer Methoden bedient, sondern auch das sog. „Flooding“ untersucht. Unter „Flooding“ versteht man das

„Überschwemmen“ eines Gebietes mit Informationen. Flooding wird auch dazu benutzt, Mailserver

„gegnerischer“ (Religions-)Gemeinschaften lahm zu legen.

204 „We begin with the question of whether the Internet has proves to be viable instrument for recruiting new members. The short answer to this question is that there is not much supporting evidence.” Mayer, J.-F., 2000, S. 258.

205 Als Beispiel wird immer wieder der Fall einer Person angeführt, die über das Internet Zugang zu den Vorstellungen der Heaven´s-Gate-Gemeinschaft gefunden haben soll. Aber auch Beckerlegge sowie Dawson und Hennebry sehen diesen Einzelfall als ungenügenden Beweis. Vgl. Beckerlegge, G., 2001a, S. 223 sowie Dawson, L., L., / Hennebry, J., 1999, S 19ff. Zur Verbreitung von Überzeugungen wie, der Heaven´s-Gate-Gemeinschaft aber auch der Vorstellungen um das Roswell-Problem vgl. hierzu die eher exzeptionelle Theorie über die Meme von Aaron Lynch. Lynch, A.: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/bio/2167/1.html (28.11.02).

206 Mayer, J.-F., 2000, S. 250ff. Beim Thema Konversion verweist auch Mayer auf Dawson und seine

Vorstellung, dass Konvertiten schon zuvor soziale Bindungen innerhalb der neuen Gemeinschaft haben. Vgl.

Ebd. S. 252.

and immediate availability of nearly unlimited number of messages does not necessarily constitute an incentive to a commitment.”207

Es gibt noch keine gesicherten Daten, wie sich innerhalb der religiösen Prozesse, die sich im Internet abbilden, durch und über dieses Medium völlig neue religiöse (Erst-)Begegnungsarten entwickeln208. Es ist aber anzunehmen, dass diese Vorgänge in großem Maße stattfinden.

“Today, seekers can initiate contacts without restoring to traditional means for learning about groups. And they can do so without even leaving home. For example, in 1998, a teenager in a small city in Switzerland reported to me about schoolmates who were attempting to spread satanic ideas based upon American Satanist literature. When I [ J. F. Mayer / G. M.] asked how they gained access to those books – which cannot be found in Swiss bookshops […] – the teenager explained how they got in touch with Temple of Set over the Internet. These young people did not become members of the Temple of Set, but borrowed ideas that allowed them to articulate their chosen worldview much more elaborately than they could have without access to such sources of information. This example may better portend the use of the Internet in the future than the hypothesis that the groups will attract large numbers of recruits via the Internet.”209

Andere Möglichkeiten eines Erstkontaktes und der Integration von Vorstellungen in eine individuelle Kompilation dürfen an dieser Stelle nicht vernachlässigt werden. Bei einigen Religionsgemeinschaften können ohne zeitliche Beschränkung (Erst-)Besuche gemacht werden, denn es ist in der Regel nicht notwendig, sich an „Öffnungszeiten“ zu halten210. Online Religionen sind so leichter zu rezipieren oder in individuelle Kompilationen einzubauen, da der Informationsfluss zeitlich unabhängig von vielen äußeren Faktoren ist wie z.B. der Tageszeit und den damit einhergehenden Rahmenbedingungen. Bisherige Untersuchungen zu Konversionsmodellen orientierten sich weitgehend an

207 Ebd. S. 252f. Vgl. hier auch Beckerlegge: “As noted earlier, however, even a casual hit on a religious web site may stimulate real interest, closer acquaintance and eventual membership or conversion.” In einem

Rückbezug auf Dawson und Hennebry (Dawson, L., / Hennebry, J., 1999) stellt Beckerlegge auf Grund der Möglichkeiten des Internets fest: “It would seem that the inquirer to make an effective tool for those who wish to employ aggressive recruitment techniques. High quality graphics, multi-media presentation an impressive web site design, however, may well assist in bringing individual inquirers more rapidly to the point where are willing to disclose themselves an initiate a personal contact.” Beckerlegge, G., 2001a, S. 233.

208 Einige Religionsgemeinschaften versuchen vermeintlich „negative“ Einfluss des Internets auf die Gemeinschaft durch die Forderung zu unterbinden, Webbrowser zu deinstallieren, um so das Surfen der Anhänger möglichst zu unterbinden. Vgl. Beckerlegge, G., 2001a, S. 242.

209 Mayer, J.-F., 2000, S. 253.

210 Vgl. Brasher, E., B., 2001, S. 5.

Gemeinschaften. Ob und in welchen Formen diese Rahmenbedingungen jedoch auf Kommunikationsformen im Internet übertragen werden können, ist noch völlig offen.

Lorne Dawson und Jenna Hennebry benennen die landläufige Erwartung, dass der „typische Anhänger” einer Neureligiösen Bewegung jung und naiv sei und sich leicht übertölpeln lasse211. Bezugnehmend auf Konversionsstudien stellen sie aber fest, dass die Gründe, warum Menschen zu Neureligiösen Bewegungen finden, nicht in die populäre Diskussion eingegangen sind212. Ihrer Ansicht nach gibt es gegenwärtig drei Rahmenkonzepte für Konversionen zu Neureligiösen Bewegungen:

„(1) “studies of conversion and case studies of specific groups have found that recruitment to NRMs happens primarily through pre-existing social networks and interpersonal bonds. Friends recruit friends, family members each other, and neighbours recruit neighbours” [...];

(2) ”in general, case studies of individuals who joined NRMs or of the groups themselves commonly reveal the crucial role of affective bonds with specific members in leading recruits into deeper involvements” […];

(3) ”equally strongly, from the same studies it is clear that the intensive interaction of recruits with the rest of existing membership of the group is pivotal to the successful conversion and maintenance of new members […].”213

Dabei streichen die Autoren einen Befund besonders heraus: “First and foremost, the process of converting to NRM is a social process.”214 Es ist unzweifelhaft, dass man den zweiten und dritten der oben genannten Punkte in einer Internetkommunikation erkennen kann. Bezüglich des ersten Aspekts liegt das Problem weniger in der grundsätzlichen Möglichkeit als vielmehr in der Nachweisbarkeit (s.o.). Auch langfristige soziale Netzwerke werden im Internet aufgebaut. Aber ob die Beziehung, die sich nach dem Kennenlernen von Personen einer VR-Gemeinschaft ergibt, die gleichen Phasen und Dimensionen wie bei einer RL-VR-Gemeinschaft durchläuft, ist noch nicht bekannt. Dass im Internet dauerhafte Beziehungen geknüpft werden

211 Dawson, L. / Hennebry, J., 1999, S. 26.

212 Ebd..

213 Ebd. S. 28. Die Autoren beziehen sich auf folgenden Artikel: Dawson, L. 1996 S. 147. In diesem Artikel geht der Satz unter 1. folgendermaßen weiter: “Contrary to public belief and the assertions of many proponents of the “brainwashing” theory of cult conversion, the figures available support neither the proposition that everyone is equally susceptible to recruitment, nor that most converts are recruited through individual

contacts in public places. […] Rather, the majority of recruits to the majority of NRMs come into contact with the groups they join because they personally know one or more members of the movement.” Die

Vorstellungen von Dawson und Hennebry nimmt auch Jean-François Mayer auf und weist auf den zentralen Charakter der sozialen Bindung hin. Mayer, J.-F., 2000, S. 252.

214 Dawson, L., / Hennebry, J., 1999, S. 28.

können, ist an der Tatsache der Eheschließungen erkenntlich, die in einem Chat ihren Ursprung fanden. Aufgrund dieser Befunde kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Konversionen (im Sinne des „total convert“215) zu einer RL- oder VR-Gemeinschaft über das Internet möglich sind. In einigen Fällen erfolgen diese nach einer langen elektronischen Korrespondenz216.

Es stellt sich nun die Frage, ob erkennbar ist, welche Internetuser zu Neureligiösen Bewegungen tendieren. Dass es möglich ist, Strukturen aufzubauen, die dem Selbstverständnis nach nicht den RL-Begegnungen entgegen stehen, wurde oben gezeigt.

Dawson und Hennebry ziehen aus der Verbindung zwischen Internetnutzern und den New Religious Movements folgende Schlüsse:

“Both groups [Mitglieder NRMs und Internetnutzer / G. M.] tend to be drawn disproportionately from the young adult population, to be educated better than the general public, and they seem to be disproportionately from middle to upper classes. In the case of Internet users, the latter conclusion can only be inferred from their levels of education and occupation. But it is fair to say that the fit between this profile and the stereotypes of cult converts is ambiguous at best. By conventional social inferences, it would seem to be inappropriate to view these people as losers or marginal. Nor clearly do they constitute ´everybody´. Are they more naïve and prone to behind duped or manipulated? That would be difficult to determine. But we do not have any reliable evidence to believe such is the case, certainly not for Internet users. On average, they are not as young as most converts to NRMs, even better educated, and overwhelmingly from professional occupations (or so they report). Given the extent of their probable professions, it is more plausible to speculate that they will be more sceptical, questioning and worldly-wise (in at least a cognitive sense) than other segments.”217

Dawson und Hennebry halten zwar eine Überschneidung zwischen Personen, die Neureligiösen Bewegungen zuzurechnen sind, und Internetnutzern für möglich, doch sie bleiben bezüglich einer direkten Übertragbarkeit letztlich sehr vorsichtig in ihren Aussagen.

Abschließend lässt sich sagen, dass Aussagen über Konversionen oder die Anwendbarkeit von Theorien aufgrund der bisher nicht erhobenen Datengrundlage meines Erachtens auch nicht möglich sind.

215 Der Begriff erfolgt im Rückgriff auf das Lofland / Stark-Modell der Konversion. Vgl. Dawson, L., 1996, S.

14, bzw. Lofland, J., / Stark, R.,. 1965.

216 Mayer, J.-F., 2000, S. 251.

217 Dawson, L., / Hennebry, J., 1999, S. 28f.

2.6 Die Erschließung der religionsgeschichtlichen Quelle Internet –

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