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Allgemeine Vorüberlegungen

„Außerirdische“ und „Neureligiöse Bewegungen“

3.5 Konstruktion einer Prophetenbeauftragung

3.5.1 Allgemeine Vorüberlegungen

Wie aus dem vorherigen Abschnitt klar wurde, übernehmen viele Neureligiöse Bewegungen mit einem geographischen Rahmen auch die Motive und Inhalte apokalyptischer oder messianischer Strömungen und Bewegungen. In den obigen Beispielen werden mit den Rahmen auch die zukunftsprognostischen Ortskonzepte übernommen.

Ein ähnlicher Vorgang lässt sich auch im Zusammenhang mit der Übernahme der Begriffe

„Prophet“, „Künder“, „Bote“ oder „Messias“ erkennen. So scheinen in vielen Neureligiösen Bewegungen, wie auch bei religionsgeschichtlich „alten“ Vorstellungen Gestalten wichtig zu sein, die sich selbst als prophetische Gestalt, Prophet, Künder, Messias oder Bote identifizieren oder von der Ziel- oder Trägergruppe als solche bezeichnet werden. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, dass es bei Neureligiösen Bewegungen und in der älteren Religionsgeschichte unterschiedlichste Formen von Propheten und Prophetinnen339, Kündern und Boten gibt. Die breite Aufnahme der Begrifflichkeit lässt darauf schließen, dass diese Motiv- und Begriffsgruppen konstituierend für eine Gemeinschaft sein können. Diese Einschätzung wird durch den Befund der Websites gestützt. Im Bereich der Neureligiösen Bewegungen gibt es Vorstellungen, dass das Internet als Gesamtstruktur dem Boten einer neuen Zeit entspricht.340

338 Vgl. z.B. „If you've read any of our teachings – the information that we have – you know that our discipline is strict, that we teach "overcoming human ways," overcoming human addictions. The purpose of that is not for religious reasons, or for morality, or in order to become "righteous." The purpose of that is to go to the heavens.”

339 Vgl. Beckmann, H., 2000, S. 70ff.

340 Da diese Vorstellungen im Altertum keine Parallelen kennen und dieser Sachverhalt auch für die Analyse der FIGU-Gemeinschaft und der Ashtar-Command-Bewegung unrelevant ist, wurde er hier nicht aufgenommen.

Der Befund kann aber durchaus in einer weiteren Analyse für andere, sich im Internet darstellende Gemeinschaften besondere Beachtung finden.

Die Bandbreite reicht von singulären Gestalten, die alle zugeschriebenen Funktionen und Formen auf sich zu vereinigen suchen und in einigen Fällen eine Parallelisierung zwischen sich und Personen aus der Religionsgeschichte341 vornehmen, bis hin zu der Vorstellung, dass jeder und jede innerhalb der Gemeinschaft ein Prophet oder eine Prophetin, ein Künder oder eine Botin sein kann. Gemeinsam scheint einigen Gemeinschaften die deutlich zu erkennende Konzeption zu sein, dass extramundane Informationen oder Zukunftswissen für die Erde eine hohe Relevanz haben. Prophetische Gestalten aus den Neureligiösen Bewegungen beispielsweise eindeutig als Apokalyptiker zu verorten oder diese der Messiasvorstellung zuzuordnen, ist aufgrund der heterodoxen Befunde der Websites kaum möglich. Viele Gestalten aus den Neureligiösen Bewegungen verbinden unterschiedliche Formen miteinander und generieren so neue Mischformen342. Auffällig ist jedoch, dass im Bereich der Neureligiösen Bewegungen, innerhalb ihrer Genese und der weiteren Entwicklung dieser Gemeinschaften, ein weiter Motivrahmen des Propheten oder Botens in variabler Ausprägung zu finden ist. Demgegenüber wird aber die personale „Berufung“, „Beauftragung“ 343 oder die Erkenntnis einer speziellen Herkunft und Zugehörigkeit innerhalb eines engen Motivrahmens konkretisiert, der von großer Bedeutung zu sein scheint.

So zeichnen sich zunächst Propheten, Künder und Boten von transmundanen Wesen oder Gottheiten in vielen Fällen durch eine Art „initiatorisches Berufungsgeschehen“ aus, das ausladend beschrieben wird. Die große Anzahl der Berichte sowie das Charakteristikum, dass

341 Bei der Frage der Parallelisierung zwischen aktuellen Personen und religionsgeschichtlichen Gestalten sei auf die neue Untersuchung von Tabor, J. D. hingewiesen. Er zeichnet die Vorstellungswelt der Branch Davidian Gemeinschaft und ihres Führers David Koresh nach. Signifikant an seiner Untersuchung ist das

Herausarbeiten einer möglichen Parallelisierung bzw. direkten Lineage, die ihr Führer David Koresh mit König David aus dem Alten Testament vornimmt. „This "Branch" figure is also mentioned in Isaiah 4:2, Jeremiah 23:5, and Zechariah 3:8. In each of these contexts Koresh would attempt to show that the

accomplishments of the figure were not those of Jesus, but would be those of the final Christ. To connect this

"Branch" figure with the "arm of Yahweh" mentioned in other texts, Koresh used Psalm 80:15, which speaks of the "Branch that you have made strong for yourself," and in the following verses speaks of this one as the

"man of your right hand." The name Branch Davidian, of course, is connected to these ideas; namely, that one from the line of king David would reign literally in Jerusalem. It was unnecessary for David Koresh to claim literal, biological, lineage from king David, which is the historical meaning of this language about the Branch figure. In Isaiah 11:1 the "Branch" comes from the line of Jesse, the father of King David of Israel.“ Tabor, J.

D., http://www.uncc.edu/jdtabor/waco.html (30.01.03).

Da sich David Koresh wahrscheinlich genealogisch in einer Line mit König David sah, nahm Koresh sowohl ein Legitimations- als auch ein Interpretationsmonopol für sich in Anspruch.

342 „Rechnen Apokalyptiker mit einer transzendenten Ordnung, so Messias-Anhänger mit einer diesseitigen charismatischen Person. H. Desroche hat die Unterscheidung von Reich und Person durchgeführt und im Blick auf die Person folgende Typologie entwickelt: die Person ist historisch. Sie ist (in verschiedenen Modi) abwesend und/oder wird durch einen Prediger, einen Propheten oder einen Vorläufer vertreten.“ Kippenberg, H. G., 1990, S. 11.

343 Zur religionsgeschichtlichen Bedeutung des Begriffs „Beauftragung“ allgemein vgl. Kehrer, G., 1998, S.

122ff.

Berufungen nicht nur bei Neureligiösen Gemeinschaften vorkommen, die sich mit Zukunftsprognostik befassen, deutet darauf hin, dass konstitutive oder legitimatorische Prozesse mit dieser Form von Berichten zusammenhängen können.

Das Berufungsgeschehen enthält in der Regel stereotype Elemente, die aber nicht in gleicher Struktur und Menge bei allen Gemeinschaften verwandt werden. Jedoch scheint es unabdingbar zu sein, zumindest auf einige Elemente des Berufungsgeschehens zur Legitimation des Propheten innerhalb seiner Initiation zurückzugreifen oder zumindest Elemente dieses Geschehens in den Berichten vorkommen zu lassen.

Die rezipierten Elemente eines solchen Berufungsgeschehens (auch in der Bandbreite des Internets) entstammen immer wieder der europäischen Religionsgeschichte, oftmals in der Färbung des christlich-jüdischen Kontextes.

„Als Phänomen des von Gott oder Göttern Beauftragtwerdens und des entsprechenden Handelns ist Berufung eine Erscheinung, die in der Religionsgeschichte öfters begegnet. ZARATHUSTRA, MOHAMMED, JOSEPH SMITH, S.M. MOON erhalten göttliche Aufträge (entweder direkt oder durch das Dazwischenschalten von Boten, Engeln; [...]), um ihr Werk zu beginnen. [...] Eine psychologisch befriedigende Deutung ist bis heute nicht gelungen. Soziologisch haben Berufungen (in diesem umfassenden Sinne besser als »Beauftragungen« zu bezeichnen) immer einen innovatorischen, anti-institutionellen Aspekt, der durchaus traditionalistisch geprägt sein kann. Berufungen sind Legitimationen, die im Unterschied zu charismatischen Legitimierungen [...] nicht auf außergewöhnliche Begabungen von Personen rekurrieren, sondern auf einen Verkehr des Beauftragten mit Göttern, bzw. Boten Gottes. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Verkehr ein einmaliges Ereignis ist oder von Zeit zu Zeit wiederholt wird. Die Nähe zum Prophetismus (besonders im AT) ist unverkennbar. [...] Ein historischer Zusammenhang von archaischen Ekstasetechniken und Berufungserscheinungen ist wahrscheinlich, aber bisher nicht ausreichend verifiziert worden.“344

Manche „Kommunikationsformen“ beim Erstkonkakt mit Außerirdischen haben durchaus Strukturen und Formen angenommen, wie sie in der Religionsgeschichte aus den Visionsberichten des altestamentlichen Prophetismus bekannt sind345. Im christlich-jüdischen

344 Kehrer, G., 1998, S. 123f.

345 Die Berichte von Außerirdischen sind meines Erachtens zum Teil dem Genre „Visionsbericht“ zuzuordnen.

Vgl. hier H. Kippenberg: „Die neueste Forschung hat mit antikem Textmaterial ein literarisches Genre (Visionsbericht) etablieren können, das in einigen Fällen als Rahmengattung, sonst als Gliedgattung Dienst getan hat: Eine Offenbarung wird von einem außerweltlichen Wesen einem menschlichen Empfänger mitgeteilt und enthüllt diesem eine zeitlich oder räumlich transzendente Realität.“ Kippenberg, H. G.,1990, S.

9.

Kontext ist der Begriff Prophet346 vor allem in Bezug auf das Alte Testament und teilweise auf das Neuen Testament zu finden347.

So sind im Alten Testament in den Prophetenbüchern wie z.B. Jeremia, Jesaja, Amos und Hesekiel zentrale Aussagen über damalige Propheten und deren Amt getätigt worden. Diese Darstellungen der Propheten waren in die damaligen Vorstellungen über Prophetengruppen, Orakel, Mantik und andere Vorstellungen zur Zukunftsprognostik eingebettet.

Theologische Untersuchungen weisen diesen Propheten unterschiedliche Funktionen innerhalb des jeweiligen Kontextes zu. In der europäischen Religionsgeschichte wurde die Stellung und Funktion der Propheten lange durch die soziologische Prophetenforschung und die Arbeit Max Webers bestimmt. Er sah die Propheten als „politisches und religiöses Gegenmodell“ zum institutionalisierten Kult. Heutige Modelle sehen die Rolle, die Funktion und die Auswirkungen von Propheten und Prophetinnen vornehmlich der alttestamentlichen Art differenzierter348. Einige theologisch dominierte Darstellungen zu alttestamentlichen Propheten oder allgemein zur Berufung von Propheten neigen mitunter zu einer phänomenologischen Darstellung des Prophetentums349 und dessen Entwicklung im alten Orient und in der Neuzeit350.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Propheten selbstverständlich immer in einen speziellen religionsgeschichtlichen Kontext beziehungsweise in eine Religionsgeschichte eingebunden351 sind.

„Als Vorläufer des israelitischen Prophetismus sieht man die >prophetischen Briefe< aus Mari am mittleren Euphrat. Es handelt sich um Mitteilungen über das Auftreten von Ekstatikern, die (Priester und »Laien«) im Tempel vor allem des

346 „Dennoch ist festzuhalten, dass die Grundbedeutungen des griechischen profetés und des hebräischen nābī einander und gemeinsam gegen den heutigen Alltagssprachgebrauch nahe stehen. Denn auch nābī verweist auf die Wurzel >rufen< (akkadisch nabû[m]). Nahezu kongruent wären profétes und nābī, wenn nābī als Nominalbildung mit aktivischer Bedeutung >Rufer, Künder, der etwas heraussagt,< zu verstehen wäre. In Frage kommt aber auch eine passivische Bedeutung >Berufener<.“ Ebach, J., 1998, S. 349.

347 Interessant ist die Beobachtung, dass im Rahmen der hier untersuchten Gruppen fast immer auf Gestalten aus der christlichen Religionsgeschichte zurückgegriffen wurde. Selten wurde auf Gestalten aus der Zeit des Mittelalters rekurriert, obwohl es dort durchaus prophetische Gestalten gegeben hat.

348 Z.B. Religionspsychologisch vgl. Fraas, H.-J., 1993, S. 28ff.

349 „Berufung kennzeichnet den Installationsakt religiös schöpferischer Persönlichkeiten, daneben auch die gnadenmäßige Erwählung zu Gotteserkenntnis. Objekt der Berufung sind Propheten und prophetische Religionsstifter.“ Mensching, G., 1986, S. 1084.

350 Vgl. Wolff, H. W., 1987 S. 65. Hier versucht Wolff, die „Gotteserfahrung“ in Kategorien zu beschreiben. Er benutzt dazu z.B. Begriffe wie „Wort-Erfahrung“, „Macht-Erfahrung“ u.a.m..

351 In diesem Zusammenhang ist auch auf Überschneidung mit anderen „Rollenträgern“ wie z.B. den Sehern hinzuweisen. Vgl. Ebach, J., 1998, S. 349.

Dagan an den König gerichtete bestärkende, aber auch kritische Botschaften

»empfingen« [...].“352

Diese religionsgeschichtliche Einbindung wird im Falle der Propheten aus dem Alten Testament in mehrfacher Weise deutlich. So wird im Alten Testament eine Abgrenzung zu anderen Religionen und deren Methoden und Ergebnissen der Propheten vorgenommen353. Doch kann man davon ausgehen, dass es im Umfeld des Alten Testaments verschiedene Methoden zur Zukunftsprognostik wie z.B. die Nekromantie gab354.

„Der israelitische Prophetismus in seiner spezifischen Ausprägung geht zurück auf die Verbindung nomadischen Sehertums mit dem kanaanäischen Typ des ekstatischen Propheten einerseits und auf die vom Propheten seit Elia – zugespitzt bei Hosea und Monotheismus geworden in der Exilszeit bei Deuterojesaja – vertretene Alleinverehrung Jahwes andererseits.“355

Zielpunkte von Aussagen der alt- und neutestamentlichen Propheten und Prophetinnen gehen in der Regel in drei Richtungen, die sich innerhalb der genannten Szenario- Typen356 verorten lassen.357

Das Motiv des „Beweises“ eines Propheten durch eine richtige Prognose ist weit verbreitet und wird auch von Neureligiösen Gemeinschaften häufig rezipiert. Das gilt aber auch in anderer Hinsicht: „Wenn du aber in deinem Herzen sagen würdest: Wie kann ich merken, welches Wort der Herr nicht geredet hat? – wenn der Prophet redet in dem Namen des Herrn und es wird nichts daraus und es tritt nicht ein, dann ist das ein Wort, das der Herr nicht geredet hat. Der Prophet hat's aus Vermessenheit geredet; darum scheue dich nicht vor ihm.“358 Dieses Verifikationskriterium galt nicht nur im Altertum, sondern gilt auch innerhalb von Neureligiösen Bewegungen.

352 Ebd. S. 354. Gegen die Vorstellung bzw. die Aufstellung religionsgeschichtlicher Parallelen von

Berufungsgeschichten im Alten Orient mit den sog. Eigenberichten im Alten Testament äußert sich Fichtner.

Vgl. Fichtner, J., 1986, S. 1085f. Die Begründung wird hier im „Bereich der Phänomenologie“ gesucht.

353 5. Mo. 18,9f. Vgl. die Diskussion um die sog. „Josianische Reform“. Interessant ist diesem Zusammenhang, dass im Falle einer positiv (!) bestätigten Prognostik, die sich in ihrer Methode auf andere Gottheiten bezieht, dies nicht dazu führen darf, die anderen Gottheiten als die „neuen“ eigenen zu erachten. 5. Mo. 13,1ff.

354 Vgl. Ahn, G., 2000, S. 21ff. „Sauls Vergehen besteht nach dieser Interpretation [1. Chr. 10,13f. / G. M.]

weder darin, grundsätzlich den Versuch unternommen zu haben, sich über die Ereignisse der unmittelbar bevorstehenden Zukunft Gewissheit zu verschaffen, noch auch darin, dass er ein dazu untaugliches Verfahren zur Anwendung gebracht hätte.“ Ahn, G., 2000, S. 22f.

355 Ebach, J., 1998, S. 350.

356 Vgl. Kapitel 3.4.1.

357 Zur neueren Forschung zur Divination vgl. Cryer, H., 1994. Hier vor allem seine Analysen zu den Divinationstechniken (S. 263ff) und seine Einschätzungen zur Funktion der Divination (S. 325ff.).

358 5. Mo. 18,22.

Auch im Neuen Testament359 ist Prophetie und die Berufung zum Propheten360 ein bekanntes Bild, das an vielen Stellen genannt wird361. Bisweilen scheint eine „prophetische Rede“362, die mitunter auch apokalyptisch363 gefärbt sein kann, einen hohen Stellenwert zu erhalten364.

3.5.2 Beauftragungsgeschichten von alttestamentlichen und anderen

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