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5.2 Blickpunkt Individuum: Identität

5.2.4 Identitätsaspekt berufliche Kompetenz

Es liegt nahe, dass die Selbstwahrnehmung und -bewertung der eigenen Kompetenzen ein wesentlicher Aspekt der beruflichen Identität von Unternehmerinnen und Unternehmern ist, da das persönliche Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit bei einer unternehmerischen Selbständigkeit grundsätzlich eine große Rolle spielt. So zeigt sich auch bei den befragten Personen die Identitätsrelevanz beruflicher Kompetenzen. Das Selbstbild bezieht sich dabei einerseits auf individuelle Kompetenzen, andererseits aber auch auf die Kompetenzen bzw.

Stärken des Teams, dem man angehört. Im Verlauf der beruflichen Selbständigkeit, so haben die Einzelfallstudien ergeben, verändern sich sowohl das Selbstkonzept als auch das Selbstwertgefühl bezüglich der beruflichen Kompetenzen nachhaltig. Diese Veränderung findet wiederum Ausdruck im unternehmerischen Handeln und äußert sich im Bestreben, das eigene Selbstverständnis an der Realität zu beweisen sowie die eigenen Ansprüche gegenüber anderen zu verwirklichen.

Zu Beginn ihrer beruflichen Selbständigkeit können sich die Gründerinnen und Gründer allerdings aufgrund mangelnder Erfahrungen nur schwer ein Bild ihrer eigenen unternehme-rischen Fähigkeiten machen. Doch verändern Erfolgserlebnisse, die im Verlauf der

47 Vgl. Fallanalyse Lorenz/Messer, Kapitel 4.1; Senger/Saale, Kapitel 4.4; Hesse/Ludwig, Kapitel 4.5.

nehmerischen Tätigkeit eintreten und den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben werden, das Selbstkonzept und Selbstwertgefühl bezüglich der eigenen Kompetenzen positiv. Dies findet schließlich Ausdruck in einem erhöhten Selbstvertrauen und einem stärkeren Selbstbe-wusstsein gegenüber den Kunden und anderen Verhandlungspartnern. Während verunsi-chernde Erfahrungsverarbeitungen im gegebenen Datenmaterial selten sind, führt das Erle-ben der eigenen Person hauptsächlich zu positiven Überzeugungen. Diese Identitätsverän-derungen werden durch Erfolgserlebnisse in unternehmerischen Leistungssituationen ange-regt. Als besonders identitätsrelevant erweisen sich im untersuchten Zusammenhang

• Situationen, in denen man erfolgreich gegenüber anderen eigene Interessen durchsetzt (gegenüber Kunden, Banken, Kooperationspartnern, aber auch gegenüber dem eigenen Partner),

• Situationen, in denen man erfolgreich kritische unternehmerische Entscheidungen fällt,

• Situationen, in denen man erfolgreich mit anderen Unternehmen um Aufträge konkurriert und

• Situationen, in denen man schwierige fachliche Aufgaben zur Zufriedenheit anderer und zur eigenen Zufriedenheit löst.

Es zeigt sich, dass in derartigen Situationen die Selbstwahrnehmungen und –beurteilungen der Akteure genauso wie kommunizierte Fremdwahrnehmungen und -beurteilungen tiefer gehende Auseinandersetzungen bewirken und Einfluss auf die berufliche Identität gewinnen.

Dabei müssen wir das Selbstverständnis, das sich auf die Ausübung der unternehmerischen Führungsaufgaben bezieht, von demjenigen unterscheiden, das sich auf die Ausübung der eigentlichen Dienstleistungen richtet. Was den letztgenannten Aspekt anbelangt, so zeigen sich durch Alter, Größe und Struktur des Unternehmens bedingte Unterschiede hinsichtlich der individuellen Kompetenzwahrnehmung. Diejenigen Befragten, die erst kürzere Zeit selb-ständig sind, nicht mit festem Personal arbeiten und ihre Kerndienstleistung noch überwie-gend selbst ausführen, sehen sich in der Lage, die Dienstleistungen ihres Unternehmens in der Regel effektiv, eigenständig und auf einem hohen fachlichen Niveau zu erfüllen. Sie haben im Zeitverlauf aus der praktischen Tätigkeit heraus einen Kompetenz- bzw. Wissens-zuwachs erfahren und bewerten ihren Kompetenzstand als hoch. Als wichtig für das Funk-tionieren der unternehmerischen Partnerschaft erweist sich in diesem Zusammenhang das Bewusstsein des einzelnen, dass seine Kompetenzen in der Partnerschaft geschätzt werden und dass er sie sinnvoll in der Zusammenarbeit entfalten kann. 48

Die Befragten, deren Unternehmen schon längere Zeit bestehen und eine gewisse Größe erreicht haben, die mit festem Personal arbeiten und sich ihre Aufgaben untereinander deut-licher aufgeteilt haben als die „jungen“ Selbständigen, erlebten ebenfalls in der Anfangszeit ihrer Selbständigkeit einen Kompetenzzuwachs bei der Ausübung ihrer Dienstleistungen. In gewisser Hinsicht haben sie aber wieder eine Stagnation ihrer dienstleistungsbezogenen Kompetenzen erfahren. Herr Saale reflektiert zwar ein hohes Kompetenzniveau in seinem persönlichen Arbeitsfeld, bedingt durch Arbeitsteilung und Spezialisierung fühlt er sich im Fachgebiet seines Partners allerdings weniger kompetent als noch zu Beginn der gemein-samen Selbständigkeit.49 Frau Ludwig schätzt aufgrund ihrer Konzentration auf unternehme-rische Führungsaufgaben ihre dienstleistungsbezogenen Kompetenzen heute schwächer ein

48 Vgl. Fallanalyse Lorenz/Messner, Kapitel 4.1; Kilian/Marschall, Kapitel 4.2.

49 Vgl. Fallanalyse Senger/Saale, Kapitel 4.4.

als noch zu Beginn ihrer beruflichen Selbständigkeit; sie traut ihren Dozentinnen in den Computerkursen inzwischen mehr zu als sich selbst.50

Was dagegen die individuelle Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen zur betriebswirt-schaftlichen Unternehmensführung anbelangt, reflektieren alle Befragten einen kontinuierli-chen Fortschritt. Über die Einzelfälle hinweg treten dabei spezifische außerfachliche Aspekte hervor, die die Akteure aus eigener Sicht erlernen mussten, um als Unternehmer „kompe-tent“ zu sein:

• Bewahrung von Motivation und Handlungsfähigkeit trotz Niederlagen und Kritik

• Realistische Einschätzung der jeweiligen unternehmerischen Situation

• Realistische Einschätzung der eigenen Kompetenzen, aber auch Schwächen und Gren-zen51

• Durchsetzungskraft und Verhandlungsgeschick

Dennoch werden von den Gründerinnen und Gründern auch eigene Kompetenzmängel bei der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit gesehen. Wichtig ist allerdings, dass in dem Fall das Bewusstsein besteht, die eigenen Schwächen durch die Kompetenzen des Partners ausgleichen zu können. Alle Befragten verbinden nämlich mit ihrer unternehmerischen Part-nerschaft Synergieeffekte durch Kompetenzergänzungen auf der fachlich-dienstleistungsbe-zogenen Ebene genauso wie auf der Ebene der unternehmerischen Führungstätigkeit. Mit Ausnahme von Herrn Messner, der seine individuelle fachliche Problemlösungskompetenz als der Teamarbeit überlegen wahrnimmt („in Ruhe“),52 wird von allen die Problemlösungs- und Leistungsfähigkeit des Teams angesichts schwieriger, komplexer Aufgaben höher ein-geschätzt als ihre alleinigen Möglichkeiten. Ein wesentlicher Aspekt stellt sich hierbei die Bereicherung durch Perspektivenvielfalt dar, die wiederum in einem unterschiedlichen Wis-sensstand, in unterschiedlichen Erfahrungen und Persönlichkeiten begründet liegt.53 Auch was die Ausübung ihrer unternehmerischen Führungstätigkeit anbelangt, sehen die Befrag-ten eine Überlegenheit der Partnerschaft gegenüber Einzelgründungen. Über den Einzelfall hinweg bezieht sich das Selbstverständnis von den Stärken der Partnerschaft, welche als vorteilhaft bei der Unternehmensführung angesehen werden, auf

• Ergänzungen hinsichtlich betriebswirtschaftlichen Fachwissens, Persönlichkeit und Risikofreude,

• Erleichterungen bei der Entscheidungsfindung, bei der Übernahme von Verantwor-tung und Risiko,

• die Motivations- und Zugkraft des Partners für das eigene Handeln - keiner hätte zum Beispiel aus seiner Sicht alleine ein Unternehmen gegründet – sowie auf

• die gegenseitige Entlastung bzw. den Rückhalt in schwierigen und ungeliebten Situ-ationen.

Bezüglich der kooperativen Kompetenzen des eigenen Teams haben die Befragten dabei einen Kompetenzzuwachs erlebt, wobei die Auffassung vorherrscht, dass das Kooperations-klima in keiner anderen Partnerschaft auf einem ähnlich hohen Niveau liegen kann. Wichtige Facetten der kooperativen Kompetenz, die im eigenen Team wahrgenommen werden, sind

50 Vgl. Fallanalyse Hesse/Ludwig, Kapitel 4.5.

51 Gerade die realistische Einschätzung unternehmerischer Situationen sowie eigener Kompetenzen erweist sich als unabdingbare Voraussetzung, um zum einen unternehmerische Verantwortung über-nehmen zu können und zum anderen realistische Ziele zu stecken.

52 Vgl. Fallanalyse Lorenz/Messner, Kapitel 4.1.

53 Vgl. Ausführungen zu partnerschaftlichen Problemlösungsprozessen, Kapitel 5.4.3.

ein großes gegenseitiges Verständnis und Wir-Gefühl, ein konstruktiver Umgang mit Diffe-renzen sowie ein hohes Maß an Organisiertheit und Strukturiertheit im gemeinsamen Han-deln.