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Freude, Lebensglück und Neugierde

Im Dokument Herausgegeben von Wolf Schmid (Seite 178-182)

Sinneswahrnehmung und Emotion zwischen Subjekt und Weltbild

2.  Motive von Gefühl und Nicht-Gefühl

2.1.3  Freude, Lebensglück und Neugierde

Freude bereitet […] der Glaube, das zu erlangen, wonach man strebt […]. (Aristoteles 2010: 78)

[…] Zuversicht ist das Gegenteil der Furcht und das, was Mut erregt […]. Daher ist Zuversicht die Hoffnung, die mit der Vorstellung verbunden ist, daß Rettung nahe bevorsteht, Furchterregendes aber entweder gar nicht vorhanden oder fern ist. […]

Zuversichtlich ist man selbst unter folgenden Umständen: Wenn man glaubt, in vie-lem erfolgreich gewesen zu sein, ohne Schaden erlitten zu haben, oder wenn man oft in fürchterliche Situationen geraten und heil wieder herausgekommen ist. Aus zwei Gründen nämlich sind Menschen emotionslos [hier im Sinne von ‚innerlich ruhig‘]:

Entweder wurden sie noch nicht auf die Probe gestellt oder sie verfügen über Auswege […] weil sie sich [auf Grund ihrer Erfahrung] zu helfen wissen. (ebd. 92–93)

Aristoteles’ Definitionen von ‚Freude‘ und ‚Zuversicht‘ in der Rhetorik (340–335 v. Chr.) lassen enge Zusammenhänge zwischen gefühltem Wohlbefinden und po-sitiven Erwartungen an die Zukunft erkennen. Freude liegt für ihn im Glauben an die eigenen Fähigkeiten und an einen dadurch erreichten positiven Verlauf des Lebens begründet. Diese Vorstellung ist in der Therapeutik der antiken Medizin verankert, wo Hippokrates und Galen die Auffassung vertraten, dass die Änderung von Überzeugungen emotionale Veränderung bewirken kann. (vgl. Gill 2012: 114) In Einklang mit dieser erklärt Aristoteles zugleich umgekehrt die Zuversicht (die dem Gefühl positiver Erwartung weitgehend entspricht) als Grundlage des Mutes, d.h.

als Emotion, die zum Handeln befähigt. ‚Streben‘ als Antrieb der Selbstbestimmt-heit steht bei ihm bereits in Über die Seele (334/4–322 v. Chr.) im Zentrum, und Aristoteles hält fest, dass dieses von der (zuversichtlichen) Zukunftsperspektive des Individuums abhänge.

Insofern ein Lebewesen zum Streben fähig ist, ist es fähig, sich selbst zu bewegen. Die Fähigkeit zum Streben aber gibt es nicht ohne Vorstellung. Jede Vorstellung wiederum ist entweder Sache der Vernunft oder der Wahrnehmung. (Aristoteles 2015: 173)

Mit den ‚Archetypen der Wandlung‘ vertritt Carl Gustav Jung ein sehr ähnliches Konzept, in dem er emotional konnotierte, symbolisch verschlüsselte innere Vor-stellungen als leitmotivisch für die Handlungen eines Individuums betrachtet. (vgl.

Kap. II.2.3) Während pessimistisch behaftete Archetypen demnach das Scheitern von Handlungen erklären und sogar verursachen können, unterstützt ein zuver-sichtliches Narrativ im Rahmen eines realistischen Selbstbildes den Versuch, diese umzusetzen, und deren Gelingen. Weitere zeitgenössische Ansätze in Psychoana-lyse, Traumaforschung, Psychosomatik und Neurobiologie128 übernehmen eben-falls eine solche Vorstellung. Überträgt man diese Konzepte auf den Bachtin’schen Chronotopos, so beschreibt Freude im weitesten Sinne eine Konstellation, die zu andauerndem konstruktivem Handeln befähigt, da Zuversicht, Mut, Neugierde und

‚Streben‘ sich wechselseitig ermöglichen und verstärken.

Positive Gefühlslagen können von sehr unterschiedlicher Ausprägung sein. In dem Eingangszitat wird deutlich, dass Aristoteles ‚Zuversicht‘ als ‚Angstfreiheit‘

versteht. Auf einen ähnlichen Zustand innerer Ruhe und selbstbewussten Ver-trauens auf die eigene Handlungsfähigkeit wurde bereits im Rahmen der Gefühls-synästhesie eingegangen. (vgl. Kap. III.1.2) Dieser entspricht außerdem der in der Meditation angestrebten inneren Ruhe durch Abkoppelung vom Geschehen der Außenwelt. Völlig anders ist dagegen die aufgewühlte Gefühlslage beim Lachen.

Aristoteles erkennt das Lachen ebenfalls als sehr wichtig an und bezeichnet es in De partibus animalium (4. Jh. v. Chr.) sogar als ein proprium des Menschen, d.h.

als charakteristischen Bestandteil von dessen Wesen. (vgl. Schnepf 2012: 223) Die positive Bewertung von Lachen und Heiterkeit betrifft weite Bereiche des antiken Denkens in Philosophie, Literatur und Medizin. Im Mittelalter erfolgt jedoch eine drastische Umbewertung; Lachen wird mit dem Teufel assoziiert und Heiterkeit als moralisch suspekt betrachtet. Als zusätzliche Argumentationsgrundlage wurde hierfür die Darstellung im Lentulus-Brief herangezogen, wonach Jesus nie gelacht habe. (vgl. ebd.)

Mit der europäischen Renaissance wird das Lachen unter Rückbesinnung auf die Antike in den kulturellen Kanon reintegriert. In Tvorčestvo Fransua Rable i narod-naja kul’tura srednevekov’ja i Renessansa (1965) rekonstruiert Michail Bachtin diese Entwicklung. Direkt an der Schwelle zwischen Mittelalter und Renaissance bietet François Rabelais’ Riesen-Pentalogie (1493/94–1553) dafür vielfältiges Material mit großem Einfluss auf unterschiedliche literarische Traditionen. In diesem Kontext greift er historisches Material und Apokryphen wie den Hippokrates-Roman auf.

Это ренессансная теория смеха строилась почти исключительно на античных источниках. […] Роль Гиппократа как своего рода теоретика смеха в ту эпоху была очень значительна. При этом опирались не только на его замечания в

128 Vgl. dazu z.B. die Arbeit des Neurobiologen Gerald Hüther Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern (2004), wo er die Wechselwirkungen zwischen Erfahrungen, inneren Bildern, Selbstbild, Hirn-entwicklung und Handeln diskutiert. (vgl. Hüther 2015)

медицинских трактатах о важности веселого и бодрого настроения врача и больных для борьбы с болезнями, но и на так называемый ‚Гиппократов роман‘. Это приложенная к ‚Гиппократову сборнику‘ переписка Гиппократа (апокрифическая, конечно) по поводу ‚безумия‘ Демокрита, которое выражалось в его смехе. В ‚Гиппократовом романе‘ смех Демокрита носит философский миросозерцательный характер и имеет своим предметом человеческую жизнь и все пустые человеческие страхи и надежды, связанные с богами и загробной жизнью. Демокрит обосновывает здесь смех как целостное мировоззрение, как некую духовную установку возмужавшего и проснувшегося человека, и Гиппократ в конце концов с ним соглашается. (Bachtin 2010: 79)

Die humoristische Handlung dieses fiktionalen Briefwechsels steht in direktem Bezug zu den historischen Vorbildern. Dass Demokrit Hippokrates letzten Endes da-von überzeugen kann, dass es sich bei seinem Lachen nicht um Wahnsinn, sondern um eine ganzheitliche und reife Weltsicht handelt, stimmt mit der hippokratischen Medizin überein, die der Heiterkeit von Arzt und Patient einen wichtigen Anteil am Behandlungserfolg zuschreibt. Im Gegensatz zu gefühlsfeindlichen Zeitgenossen liegt das von ihm vertretene Ideal in der Mäßigung von Emotionen, nicht in ihrer Unterdrückung. (vgl. Gill 2012: 114)

Die anfängliche Diagnose überbordender Fröhlichkeit als ‚Wahnsinn‘ ist im selben historischen Kontext dennoch nicht aus der Luft gegriffen. In der antiken Lehre von den Körpersäften wird die ‚Heiterkeit‘ durch das Blut repräsentiert, und ein Überschuss ebendieses Körpersafts führt nach Hippokrates’ Auffassung zu ‚Ein-falt‘ und ‚Torheit‘. (vgl. ebd. 106) Darüber hinaus lässt sich sogar eine Verbindung dieser ‚übermäßigen Heiterkeit‘ zur modernen Diagnostik knüpfen, nämlich anhand der Manie. Die ansonsten positive Erregung führt bei unangemessen starkem und anhaltendem Auftreten zu Realitätsverlust, inadequater Selbsteinschätzung und Störungen der grundlegenden vitalen Funktionen.

Die Stimmung ist situationsinadäquat gehoben und kann zwischen sorgloser Heiter-keit und fast unkontrollierbarer Erregung schwanken. Die gehobene Stimmung ist mit vermehrtem Antrieb verbunden und führt zu Überaktivität, Rededrang und vermin-derte[m] Schlafbedürfnis. Übliche soziale Hemmungen gehen verloren, die Aufmerk-samkeit kann nicht mehr aufrechterhalten werden, stattdessen kommt es oft zu starker Ablenkbarkeit. Die Selbsteinschätzung ist aufgeblasen, Größenideen oder maßloser Optimismus werden frei geäußert. […] Die betreffende Person kann überspannte und undurchführbare Projekte beginnen, leichtsinnig Geld ausgeben oder bei völlig un-passender Gelegenheit aggressiv, verliebt oder scherzhaft werden. (ICD-10 2015: 162) Das Krankheitsbild der Manie erklärt die medizinischen Bedenken gegen übermäßi-ge Fröhlichkeit. Die positive, heilende Wirkung von Lachen ist ebenfalls medizinisch belegt und sie bestimmt das zeitgenössische sowie bereits das antike Denken stärker als die Befürchtung eines ‚Blutüberschusses‘. Hippokrates’ Nachfolger beschränken sich auf diesen Aspekt und charakterisieren ‚Sanguiniker‘ ohne pathologische Kom-ponente als fröhlich und ausgeglichen. (vgl. Gill 2012: 106)

Welche physiologischen Komponenten am Lachen beteiligt sind, wird etwa im folgenden Zitat aus Ciceros De oratore (55 v. Chr.) deutlich, der sich dabei auf Demokrit beruft.

[W]as das Lachen an und für sich ist, wie es erregt wird, wo es sitzt, wie es entsteht und so plötzlich hervorbricht, daß wir, auch wenn wir den Wunsch haben, nicht an uns halten können, und wie es zugleich den Körper, den Mund, die Adern, die Augen, die Miene ergreift, so mag Demokrit sich darum kümmern. (Cicero 1976: 235)

Darüber hinaus verdeutlicht die Textstelle die Unkontrollierbarkeit von Lachen sowie den darin verankerten engen Zusammenhang zwischen Körper und Psyche.

Die Erkenntnis, dass Lachen und Heiterkeit in kausaler Wechselwirkung stehen, reicht bis in die Antike zurück. Mit dem wiedererwachten Interesse an diesem Phänomen wird es im spanischen Humanismus in der Argumentation gegen die strenge Trennung zwischen rationalen und affektbestimmten Handlungsantrieben bei einigen antiken Denkern (wie Platon und Aristoteles) aufgegriffen.

[D]as Lachen […] [könne] zwei unterschiedliche Arten der Heiterkeit anzeigen […]

(nämlich gaudium und delectatio), zwei Typen von Streben (appetitus) zuzurechnen sei, weil delectatio dem sinnlichen Streben entspringe, gaudium aber mit einem freien Willen höhere intellektuelle Kompetenzen voraussetze. Lachen wird [im spanischen Humanismus] […] als möglicher Einwand gegen die Einteilung in intellektives und sinnliches Streben Thema, weil es als einheitliches Phänomen gängige Einteilungen zu unterlaufen scheint […]. (Schnepf 2012: 229)

Von diesem psychosomatischen Blickwinkel abgeleitet, entstehen hier Charakter-typologien in starker Übereinstimmung mit den von den Körpersäften abgeleiteten antiken Vorbildern. Traurigkeit schärfe den Verstand, während Heiterkeit die ra-tionale Denkfähigkeit beeinträchtige. (vgl. ebd. 230) Zum Teil wird diese antike und humanistische Typologie durch die moderne Psychologie bestätigt. Zahlreiche Einzelergebnisse belegen etwa, dass positive Stimmung die globale Situationswahr-nehmung fördert, während Angst, Wut oder Traurigkeit zu einer verstärkten Wahr-nehmung von potenziell gefährlichen Details führen. Ob dies nun als ‚Schärfung des Verstandes‘ zu verstehen ist, bleibt fraglich, denn nicht selten wird dabei die tatsäch-liche Gefahr überschätzt. (vgl. Schmidt-Atzert 2014: 240–245) Von ihrer Validität unabhängig fallen sowohl Selbsteinschätzungen als auch Fremdeinschätzungen bei heiterer Gefühlslage positiver aus als in schlecht gelauntem Zustand. (vgl. ebd.

252f.) Entsprechend tendieren positiv gestimmte Menschen stärker zu prosozialem Verhalten als negativ gestimmte. (vgl. ebd. 224f.)

Diese Unterschiede in Wahrnehmung und Verhalten bieten sich für eine Rück-bindung an Bachtins Analyse des heiteren Lachens an, in der dieser zwei ‚völlig unterschiedliche Weltsichten‘ des lachenden und des ernsthaften Menschen pro-klamiert, die komplementäre Erkenntnisbereiche eröffnen. So betont Bachtin, dass gewisse Seiten der Welt ausschließlich dem lachenden Blickwinkel zugänglich seien.

In Einklang mit den zitierten psychologischen Studien hebt er die Stärken dieser

lachenden Weltsicht deutlich als eine ganzheitlichere Perspektive hervor, aus der heraus die Welt, die Menschheitsgeschichte und der Mensch als Einzelner besser überblickt und verstanden werden können.

[С]мех имеет глубокое миросозерцательное значение, это одна из существеннейших форм правды о мире в его целом, об истории, о человеке;

это особая универсальная точка зрения на мир, видящая мир по-иному, но не менее (если не более), существенно, чем серьезность; поэтому смех так же допустим в большой литературе (притом ставящей универсальные проблемы), как и серьезность; какие-то очень существенные стороны мира доступны только смеху. (Bachtin 2010: 78)

Gerade am Kontinuum Freude, Heiterkeit und Lebensglück wird deutlich, dass Menschen Emotionen verschieden erleben. In Abhängigkeit von der Person kön-nen freudige Erregtheit, Weltzugewandtheit oder innere Ruhe und gelassene Ab-grenzung als angenehm empfunden werden. Obwohl sich bei Aristoteles dieses ganze Spektrum wiederfindet, zeigen andere Philosophen hier deutlich unterschied-liche Präferenzen. Während Bachtin sich für das Lachen ausspricht, sieht Arthur Schopenhauer den Zustand der Emotionslosigkeit und Gelassenheit als höchstes ethisches Ziel an. Der Mensch solle dadurch das ‚Mitleiden‘ mit den Übeln der Menschheitsgeschichte überwinden. Wie Dieter Birnbacher und Oliver Hallich auf der Basis autobiografischen Materials annehmen, scheint dieses Ideal der inneren Ruhe auf dem Abgrenzungsbedürfnis des besonders emotionalen und nur allzuleicht von den unterschiedlichsten Emotionen ergriffenen Philosophen zu resultieren. (vgl.

Birnbacher 2012: 481f.)

Im Dokument Herausgegeben von Wolf Schmid (Seite 178-182)