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52 SLAVISCHE

LITERATUREN

TEXTE UND ABHANDLUNGEN

Herausgegeben von Wolf Schmid

52

Ingeborg Jandl Textimmanente

Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov

Sinne und Emotion als motivische und strukturelle Schnittstelle

zwischen Subjekt und Weltbild

Sinne und Emotion bilden das Prisma jeder Selbst- und Welterfahrung und prägen die im Individuum verankerte Subjektivität. Der russische Emigrations- schriftsteller Gajto Gazdanov (1903-1971) rückt Wahrnehmungen so stark in den Vordergrund, dass die Handlung oft von einem Übermaß an Deskription in den Hintergrund gedrängt wird. Diese Studie beleuchtet Motive sinnlicher und emotionaler Erfahrung unter Berücksichtigung interdisziplinärer Konzepte aus Psychologie, Psychoanalyse, Philosophie und den Naturwissenschaften und fragt nach der Systematik ihrer motivischen Repräsentation, ihrer Wech- selbeziehung sowie eines davon abzuleitenden Weltbilds. Das Forschungs- feld eröffnet Zugang zu Mechanismen der empirischen Realität, was auch für andere Disziplinen neue Perspektiven und Erkenntnisse verspricht.

Ingeborg Jandl (Dr. phil.) ist Universitätsassistentin für Russische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Slawistik der Karl-Franzens-Universität Graz. Ihre Forschung widmet sich hauptsächlich der Russischen und Bos- nisch/Kroatisch/Serbischen Literatur mit Schwerpunkten auf interdisziplinären Fragestellungen, Verstheorie, Intermedialität, Literatur/Kultur und Ethik. Sie absolvierte Studien in Russischer und Französischer Philologie, Psychologie und Philosophie in Graz, Odessa, Moskau und Sarajevo.

www.peterlang.com ISBN 978-3-631-77424-3

Ingeborg Jandl · Textimmanente Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov

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52 SLAVISCHE

LITERATUREN

TEXTE UND ABHANDLUNGEN

Herausgegeben von Wolf Schmid

52

Ingeborg Jandl Textimmanente

Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov

Sinne und Emotion als motivische und strukturelle Schnittstelle

zwischen Subjekt und Weltbild

Sinne und Emotion bilden das Prisma jeder Selbst- und Welterfahrung und prägen die im Individuum verankerte Subjektivität. Der russische Emigrations- schriftsteller Gajto Gazdanov (1903-1971) rückt Wahrnehmungen so stark in den Vordergrund, dass die Handlung oft von einem Übermaß an Deskription in den Hintergrund gedrängt wird. Diese Studie beleuchtet Motive sinnlicher und emotionaler Erfahrung unter Berücksichtigung interdisziplinärer Konzepte aus Psychologie, Psychoanalyse, Philosophie und den Naturwissenschaften und fragt nach der Systematik ihrer motivischen Repräsentation, ihrer Wech- selbeziehung sowie eines davon abzuleitenden Weltbilds. Das Forschungs- feld eröffnet Zugang zu Mechanismen der empirischen Realität, was auch für andere Disziplinen neue Perspektiven und Erkenntnisse verspricht.

Ingeborg Jandl (Dr. phil.) ist Universitätsassistentin für Russische Literatur- und Kulturwissenschaft am Institut für Slawistik der Karl-Franzens-Universität Graz. Ihre Forschung widmet sich hauptsächlich der Russischen und Bos- nisch/Kroatisch/Serbischen Literatur mit Schwerpunkten auf interdisziplinären Fragestellungen, Verstheorie, Intermedialität, Literatur/Kultur und Ethik. Sie absolvierte Studien in Russischer und Französischer Philologie, Psychologie und Philosophie in Graz, Odessa, Moskau und Sarajevo.

www.peterlang.com

Ingeborg Jandl · Textimmanente Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov

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Textimmanente Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov

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SLAVISCHE LITERATUREN

TEXTE UND ABHANDLUNGEN Herausgegeben von Wolf Schmid

BAND 52

Zu Qualitätssicherung und Peer Review der vorliegenden Publikation

Die Qualität der in dieser Reihe erscheinenden Arbeiten wird vor der Publikation durch einen externen, von der Herausgeberschaft benannten Gutachter im Double Blind Verfahren geprüft. Dabei ist der Autor der Arbeit dem Gutachter während der Prüfung namentlich nicht bekannt; der Gutachter bleibt anonym.

Notes on the quality assurance and peer review of this publication Prior to publication, the quality of the work published in this series is double blind reviewed by an external referee appointed by the editorship. The referee is not aware of the author's name when performing the review;

the referee's name is not disclosed.

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SLAVISCHE LITERATUREN

TEXTE UND ABHANDLUNGEN Herausgegeben von Wolf Schmid

BAND 52

Zu Qualitätssicherung und Peer Review der vorliegenden Publikation

Die Qualität der in dieser Reihe erscheinenden Arbeiten wird vor der Publikation durch einen externen, von der Herausgeberschaft benannten Gutachter im Double Blind Verfahren geprüft. Dabei ist der Autor der Arbeit dem Gutachter während der Prüfung namentlich nicht bekannt; der Gutachter bleibt anonym.

Notes on the quality assurance and peer review of this publication Prior to publication, the quality of the work published in this series is double blind reviewed by an external referee appointed by the editorship. The referee is not aware of the author's name when performing the review;

the referee's name is not disclosed.

Ingeborg Jandl

Textimmanente Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov

Sinne und Emotion als motivische

und strukturelle Schnittstelle

zwischen Subjekt und Weltbild

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt mit Unterstützung des Landes Steiermark (Referat für Wissenschaft und Forschung), der Universität Graz und der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz.

ISSN0939-8066 ISBN 978-3-631-77424-3(Print) E-ISBN 978-3-631-77932-3 (E-PDF)

E-ISBN 978-3-631-77933-0 (EPUB) E-ISBN 978-3-631-77934-7 (MOBI)

DOI 10.3726/b15136

© Ingeborg Jandl, 2018

Peter Lang – Berlin · Bern · Bruxelles · New York · Oxford · Warszawa · Wien

Diese Publikation wurde begutachtet.

www.peterlang.com

Open Access: Dieses Werk ist lizensiert unter der Creative Commons Lizenz Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine

Bearbeitungen 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0). Den vollständigen Lizenztext finden Sie unter:

https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Gedruckt mit Unterstützung des Landes Steiermark (Referat für Wissenschaft und Forschung), der Universität Graz und der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz.

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier.

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

ISSN0939-8066 ISBN 978-3-631-77424-3(Print) E-ISBN 978-3-631-77932-3 (E-PDF)

E-ISBN 978-3-631-77933-0 (EPUB) E-ISBN 978-3-631-77934-7 (MOBI)

DOI 10.3726/b15136

© Peter Lang GmbH

Internationaler Verlag der Wissenschaften Berlin 2018

Alle Rechte vorbehalten.

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Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages

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meiner Schwester

Wenn im Wald ein Baum umfällt und niemand ist da, der es hört, gibt es dann ein Geräusch?

oder

Lieben mich die Menschen, die ich liebe?

(Themenstellung einer Deutschschul- arbeit)

Wir haben keinerlei Vorstellung davon, wie Bewusstsein in einem rein materiellen System entsteht. Es ist also sehr wohl möglich, dass wir es bei dem Versuch, zu ver- stehen, wie genau dies im Gehirn geschieht, mit dem schwierigsten aller Probleme der Wissenschaft zu tun haben.

(Michael O’Shea, Das Gehirn, 8)

Der Übergang vom Möglichen zum Faktischen findet also während des Beobachtungs- aktes statt. […] Die klassische Physik beruhte auf der Annahme – oder sollten wir sagen auf der Illusion? –, daß wir […] wenigstens Teile der Welt beschreiben können, ohne von uns selbst zu sprechen. […] Sicher enthält die Quantentheorie keine eigentlich sub- jektiven Züge, sie führt nicht den Geist oder das Bewußtsein des Physikers als einen Teil des Atomvorgangs ein. Aber sie beginnt mit der Einteilung der Welt in den Gegenstand und die übrige Welt und mit der Tatsache, daß wir jedenfalls diese übrige Welt mit den klassischen Begriffen beschreiben müssen.

(Werner Heisenberg, Quantentheorie und Philosophie, 56f.)

man ist rastlos und endlos und. der strand ist eine photographie, auf der man sich nach dem ende der tage sehnt, weil es die naechte sind, in denen man die wunder fuer moeglich haelt.

(Christoph Szalay, Asbury Park NJ, 27)

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Danksagung

Ich danke der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) für ihre groß- zügige Förderung dieser Arbeit durch die Zuerkennung des DOC-Stipendiums sowie für die Unterstützung bei weiterführenden wissenschaftlichen Unternehmungen.

Meiner Betreuerin, Renate Hansen-Kokoruš, und allen meinen KollegInnen am und um das Institut für Slawistik der Universität Graz danke ich für die gute Zu- sammenarbeit. Besonderer Dank gilt meinen Studierenden für das aufgeschlossene und konstruktive Miteinander! Ausdrücklich danken möchte ich zudem Rainer Grübel, der sich kurzfristig bereit erklärt hat, diese Arbeit zu begutachten, sowie Wolf Schmid für die Aufnahme in seine Reihe Slavische Literaturen. Meinen Kolle- gInnen an der RGGU, wo ich dieses Projekt im Rahmen eines Auslandssemesters vorbereitet habe, danke ich für die bereichernde Zeit in Moskau – vor allem Valerij Tjupa und Viktorija Malkina.

Markus Aspelmeyer danke ich für den quantenphysikalischen Beitrag zu meiner Arbeit, Anton Zeilinger für die erfolgreiche Vermittlung. Rainer Grübels Interesse für meine Arbeit zu Marina Cvetaeva motivierte mich sehr zum Verfassen dieser Dis- sertation. Dasselbe gilt für Aage Hansen-Löves Keynote-Vortrag bei der Konferenz Ich-Splitter. Meinen KollegInnen an der ÖAW im Rahmen des DOC-Stipendiums danke ich für gemeinsame Projekte, besonders Gernot Howanitz für unsere Kon- ferenz Ich-Splitter. Interdisziplinäre Diskussionen ergaben sich auch in Graz mit Helmut Lethen sowie mit Ansgar und Vera Nünning, mit meinen Kolleginnen aus dem Karriereprogramm sowie im Rahmen der Doktoratsprogramme Kultur-Text- Handlung und Visual Cultures. Allen sei herzlich dafür gedankt. Meinen KollegInnen in Sarajevo danke ich für ihre Gastfreundschaft und für die schöne Zeit während meines dort verbrachten Forschungssemesters.

Meiner Familie danke ich für ihre Unterstützung; Carmen, Vika, Biggi, Lisa, Erich, Stefanie, Carina, Christian, Johannes, Susi, Horst, Peter, Elisa, Merri, Marie und Zina für ihre langjährige Freundschaft sowie Andi für beständigen Rückhalt und unseren realen Traum vom schönen Leben.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

...15

1. Einleitung

...19

1.1 Leben und Werk Gazdanovs ...19

1.2 Textimmanente Wahrnehmung: Forschungsvorhaben und ontologischer Standpunkt ...21

1.3 Textimmanente Wahrnehmung und der ‚emotional turn‘ in der Literaturwissenschaft ...24

1.4 Aufbau der Arbeit ...27

2. Forschungsstand: Textimmanente Wahrnehmung bei Gazdanov

...31

Theorieteil: Wahrnehmung in der textimmanenten Motivanalyse I. Narratologische Ausgangspunkte: Wahrnehmung im Weltbild literarischer Texte

...43

1. Narratologie als Ontologie des Textes in Hinblick auf Motive der Wahrnehmung ...43

1.1 Motivanalyse ...44

1.2 Ontologie des Textes ...46

1.3 Literatursoziologie und Wahrnehmung ...54

2. Bachtins Chronotopos ...58

2.1 Subjektzentrierte Weltbilder: Propp, Bremond, Souriau, Greimas, Mauron ...63

2.2 Räumlich strukturierte Weltbilder: Kant, Lotman, Todorov, Doležel, Assmann ...73

(12)

2.3 Zeitlich strukturierte Weltbilder: Kant, Genette, Ricœur,

Freud, Jung, Fromm, Bachelard ...84

3. Narratologische Ausgangspunkte: Motivanalyse textimmanenter Wahrnehmung ...97

II. Ontologische Ausgangspunkte: Sinne und Emotionen als Kategorie des Selbst- und Weltbezugs

...99

1. Wahrnehmung als Schnittstelle zur Außenwelt ...99

1.1 Wahrnehmungsskeptizismus und anthropomorphe Weltbilder der Antike ... 100

1.2 Zwei Versuche über den menschlichen Verstand: Locke und Leibniz ... 103

1.3 Vierdimensionaler Raum: Leibniz, Locke, Hume, Gedächtnis und die Relativitätstheorie ... 106

1.4 Paradoxa der modernen Naturwissenschaft und das Problem der Interpretation ... 110

2. Wahrnehmung als Schnittstelle zur Innenwelt ...114

2.1 Innenwelten: Solipsismus, Fremdwahrnehmung und die Grundlage der Gefühle ... 114

2.2 Spiegel: Vom Mythos zur Psychoanalyse – Selbsterkenntnis und Differenzerfahrung ... 121

2.3 Objektbeziehung und Archetypen: Jungs Anima und Lacans objet a ... 126

2.4 Präsenzerfahrung: Subjektive Brennpunkte und effet de réel .... 132

3. Ontologische Ausgangspunkte: Selbst- und Weltbezug ...138

III. Psychologische Grundlagen: Sinneswahrnehmung und Emotion zwischen Subjekt und Weltbild

...141

1. Sinneseindrücke und Halluzinationen ...141

1.1 Sinneswahrnehmung ... 142

1.1.1 Visuelle Wahrnehmung ... 142

1.1.2 Klänge und Lautwahrnehmung ... 145

1.1.3 Geruchs- und Geschmackssinn ... 147

(13)

1.1.4 Tastsinn ... 150

1.1.5 Schmerz ... 150

1.1.6 Erregungszustände ... 152

1.2 Synästhesie ... 153

1.3 Erinnerung und Gedächtnis ... 157

1.4 Schizophrenie und Psychose ... 161

2. Motive von Gefühl und Nicht-Gefühl ...165

2.1 Gefühle ... 166

2.1.1 Liebe und Sehnsucht ... 169

2.1.2 Trauer, Traurigkeit und Depression ... 172

2.1.3 Freude, Lebensglück und Neugierde ... 176

2.1.4 Angst, Scham und Ekel ... 180

2.1.5 Abneigung: Aggression und Herablassung ... 185

2.2 Gefühle als Handlungsantrieb: Charaktertypologien und psychische Störungen ... 189

2.3 Trauma ... 192

2.4 Autismus ... 196

3. Psychologische Grundlagen: Sinneswahrnehmung und Emotion als Motive ...202

Analyseteil: Textimmanente Wahrnehmung bei Gajto Gazdanov IV. Instanzen textimmanenter Wahrnehmung

...207

1. Die Hauptfiguren: Der Protagonist, seine Muse und der Mörder ...208

1.1 Der Protagonist: Gazdanovs Topos des nenormal’nyj čelovek ... 209

1.2 Die unerreichbare Idealfigur im einsamen Traum des Helden .. 213

1.3 Gegenspieler: Grenzerfahrung und Psyche ... 219

2 Umgebungsfiguren ...224

2.1 Prüfung des Über-Ich: Lehrer, Geistliche, Kameraden, Verwandte ... 224

(14)

2.2 ‚Zufällige‘ Nebenfiguren: Symmetrien und effet de réel ... 229

2.3 Zuhörerfiguren: Gesprächspartner im metatextuellen Dialog ...232

3. Zusammenschau: Instanzen textimmanenter Wahrnehmung ...236

V. Sinneswahrnehmungen und Gefühle als Motive

...239

1. Sinneswahrnehmung ...239

1.1 Visuelle Wahrnehmung ... 240

1.2 Klänge und Lautwahrnehmung ... 246

1.3 Düfte und Gerüche ... 252

1.4 Geschmacksempfindung ... 258

1.5 Tastsinn: Berührung, Oberflächen, Temperatur ... 264

1.6 Krankheit und Schmerz ... 273

1.7 Sexuelle Erregung ... 281

1.8 Einschränkung der Sinneswahrnehmung und Wahrnehmungstäuschungen ... 290

1.9 Synästhesie und ästhetische Wahrnehmung ... 298

2. Gefühle ...308

2.1 Sehnsucht ... 308

2.2 Liebe ... 317

2.3 Trauer, Traurigkeit, Depression ... 331

2.4 Freude und Lebensglück ... 340

2.5 Neugierde ... 349

2.6 Scham ... 355

2.7 Angst ... 363

2.8 Abneigung: Aggression und Herablassung ... 373

2.9 Unempfänglichkeit für Gefühle... 381

3. Zusammenschau: Sinneswahrnehmungen undGefühle als Motive ...392

VI. Subjekt und Weltbild

...395

1. Innenwelt ...395

(15)

1.1 Solipsismus ... 396

1.2 Schizophrenie ... 407

1.3 Dialogizität ... 417

1.4 Allegorisches Figurenkonzept ... 431

2. Außenwelt ...443

2.1 Emotionale Brennpunkte der Texte ... 444

2.2 Vierdimensionaler Raum, Bachtin’sche Welterschaffung und Leibniz’sche Idealordnung... 457

2.3 Motive der Reise ... 468

2.4 Paradoxa... 481

3. Zusammenschau: Subjekt und Weltbild ...492

VII. Schlusskapitel

...495

1. Sinneswahrnehmungen und Emotionen als Motive ...495

1.1 Visualität vs. Berührung: Distanz, Sehnsucht und erotische Erfahrung ... 495

1.2 Musik und Emotion: Tinnitus, ästhetische Erfahrung und Transzendenz ... 498

1.3 Riechen und Schmecken zwischen unwillkürlicher Erinnerung und Psychosomatik ... 501

1.4 Angst und Gefühlsausdruck: Autismus, Depression und Trauma ... 503

1.5 Stoffliche Außenwelt, Trauer und Liebe: Auf der Suche nach den verlorenen Gefühlen ... 505

2. Metarealitäten der Wahrnehmung und das moderne Subjekt ...508

2.1 Allegorisches Figurenkonzept zwischen Solipsismus und Schizophrenie ... 509

2.2 Räumlich strukturierte Weltbilder: Raumzeitliche Paradoxa und innere Brennpunkte ... 512

2.3 Reise, Therapie und Kunstschaffen: Konstruktion eines Chronotopos ... 514

3. Ausblick: Textimmanente Wahrnehmung als Forschungsfeld ...517

(16)

3.1 Textimmanente Wahrnehmung als Forschungsfeld

der Literaturwissenschaft ... 518

3.2 Textimmanente Wahrnehmung als interdisziplinäres Forschungsfeld ... 520

VIII. Bibliografie

...525

1. Primärliteratur ...525

2. Sekundärliteratur zu Gazdanov ...526

3. Sekundärliteratur: Narratologie und Konzepte der Wahrnehmung ...536

(17)

Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im Jänner 2018 als Dissertation an der Universität Graz eingereicht und im Mai 2018 ebendort approbiert. Sie geht auf mein durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) finanziertes DOC-Projekt Wahrnehmungsprozesse als Textstrategie der Subjekt(ab)bildung bei Gajto Gazdanov (01.08.2014–30.09.2016) zurück.

Zu dieser Zeit beschäftigte mich besonders der Zusammenhang zwischen In- dividuum und Außenwelt; sinnliche und emotionale Wahrnehmung betrachte ich mit Kant als Schnittstelle, an der die Konzeptualisierung sowohl des Subjekts als auch seiner äußeren Realitätserfahrung stattfindet. Trotz unterschiedlicher Termi- nologie wird Wahrnehmung in allen wissenschaftlichen Disziplinen reflektiert, da sie jenen Ungenauigkeitsfaktor bedingt, der mit Kant die absolute Erkenntnis ver- hindert. Mein interdisziplinärer Theorieentwurf ergab sich aus meinen Studien der russischen und französischen Philologie sowie der Psychologie und Philosophie.

Die scheinbare Unvereinbarkeit dieser Disziplinen, die einander sowohl hinsichtlich ihrer Methodik als auch ihres Erkenntnisinteresses mit einem gewissen Unverständ- nis gegenüberstehen, bot sich mir seit Langem als Herausforderung dar.

Die unterschiedliche Rezeption von Michail Bachtin als Philosoph oder als Vor- denker der Narratologie macht dies auf eindrückliche Weise deutlich, denn während Bachtins Denken textimmanente Strukturen in Analogie zu solchen der Lebenswelt begreift, verwendet die literaturwissenschaftliche Ontologie (Wolf Schmid u.a.) die- selben Quellen mit dem Anliegen, die Trennung zwischen beiden zu verdeutlichen, um sich, im zweiten Schritt, auf Texte zu beschränken. Diese klare Trennung bildet eine wichtige Grundlage für den Wissenschaftlichkeitsanspruch der Narratologie, sind doch die inneren Ordnungen von Texten einsehbar und belegbar, nicht jedoch jene im Denken ihrer UrheberInnen.

Die in dieser Arbeit gewählte ontologische Verbindung von Narratologie und Psychoanalyse gestaltet sich als natürlich, da beide eine textimmanente Vorgehens- weise vorsehen; ihre Kombination mit Psychologie und Philosophie bedarf dagegen einer Reflexion, zumal die empirische Psychologie sich nicht an Denksystemen, sondern an materiellen Vorgängen orientiert und die Philosophie, wie zuvor erläu- tert, je nach DenkerIn auf unterschiedliche Realitätssysteme bezogen werden kann.

Gerade unter Rückbeziehung der Narratologie auf ihre slawischen Ursprünge wird die philosophisch praktizierte Vergleichbarkeit unterschiedlicher Realitätssysteme erneut plausibel, da etwa Michail Bachtin, Vladimir Propp und Aleksandra Okopień- Sławińska von Motiven ausgehen, deren Anfänge im menschlichen Denken liegen, und die sie daher auf unterschiedlichen Ebenen (textuell und lebensweltlich) in vergleichbarer Form annehmen und berücksichtigen. Auf dieser Basis können auch neuere Ergebnisse und Theorien der Psychologie und Philosophie als lebenswelt- liche ‚Motive‘ einer nicht oder nicht ausschließlich textuellen Erkenntnisform in einer Analogiebeziehung zu textuellen Motiven betrachtet werden.

(18)

Bachtins Chronotoposbegriff, der ebenfalls mit der Motiveinheit operiert, bil- det sowohl thematisch als auch strukturell ein ontologisches Kernkonzept dieser Arbeit, denn sinnliche und emotionale Erfahrung ist, so meine hier entworfene Argumentation, an ebenjener Einheit von Subjekt, Raum und Zeit zu verorten, da sie an deren Schnittstelle stattfindet und dort sowohl als verbindendes Element als auch als Parameter der wechselseitigen Relation zwischen diesen Kategorien fungiert. Vielmehr noch denn als Kategorie physischer Bewegung interessiert der Chronotopos Bachtin als ‚Moment der Menschwerdung‘. Gerade dieses und seine Veränderungen stehen auch in der vorliegenden Studie im Zentrum, denn die damit konzeptualisierte Qualität innerer Bewegung scheint direkt aus den Interferenzen zwischen sinnlicher Weltwahrnehmung und emotionalem Welterleben ableitbar.

Die in der vorliegenden Studie gewählte Fragestellung ist thematisch in Psycho- logie und Philosophie zu verorten; besonders wichtig ist mir die oben ansatzweise umrissene methodische Rückbindung an die philologischen Disziplinen. Als Basis dieser interdisziplinären Verbindung wurde eine textimmanent-typologische Vor- gehensweise gewählt, da diese sowohl für die Narratologie als auch für die empi- rischen Wissenschaften charakteristisch ist.

Während Sinneswahrnehmung in der Literaturwissenschaft zumindest bei Er- zähltexten bislang auf geringeres Interesse stieß, wurden Emotionen seit dem ‚emo- tional turn‘ in den 1990er Jahren vielseitig und produktiv interdisziplinär untersucht.

Dabei nähern sich textimmanent vorgehende literaturwissenschaftliche Arbeiten Gefühlen schwerpunktmäßig als rhetorischer, ästhetischer oder kultureller Kate- gorie; daneben verlagerte sich das Interesse auf die Erschließung neuer Bereiche in Rezeptions- und Produktionsästhetik. Einhergehend mit neurologischen Erkennt- nissen und kulturtheoretischen Überlegungen wurden Konzepte wie u.a. Empathie, Affekt, Instinkt und sozial erworbene Gefühlsregeln interdisziplinär diskutiert. (vgl.

dazu ausführlicher Kap. 1.3) Einschlägige Fragestellungen werden u.a. am Zentrum für Kulturwissenschaften der Universität Graz beforscht, wo ich als assoziiertes Mitglied des Doktoratsprogamms Kultur-Text-Handlung an der Organisation einer Konferenz und der anschließenden Publikation eines Sammelbandes zur Verbindung von emotionalem Empfinden und dem physischen Prozess des Schreibens (Writing Emotions) beteiligt war.

Wesentliche Unterschiede im thematischen Fokus der vorliegenden textimma- nenten Studie zu den genannten Ansätzen liegen in ihrer starken Gewichtung der Perzeption – das Projekt nahm bei der sinnlichen Wahrnehmung seinen Aus- gang – sowie in ihrem Schwerpunkt auf synästhetischen und psychosomatischen Verbindungen zwischen sinnlicher und emotionaler Erfahrung, die hier stets als miteinander verschränkt betrachtet werden. Während in der textimmanenten Li- teraturwissenschaft üblicherweise komplexe Handlungsdynamiken untersucht werden, wofür psychologische Figurenkonzeptionen einen geeigneten Ausgangs- punkt bilden, interessiert sich die vorliegende Arbeit nicht für konkrete Akteure auf der Figurenebene, sondern für autorspezifisch charakteristische verallgemei- nerbare Konstellationen. Im Zentrum der Analyse steht die Repräsentation von Sinneseindrücken und Gefühlen auf Ebene des abstrakten Autors sowie die davon

(19)

abzuleitenden textimmanenten Vorstellungen von Subjekt und Weltbild in einem größeren Kontext.

Sinnliche und emotionale Erfahrungen werden hier zudem auf einer außer- oder vorsprachlichen Ebene untersucht. Anders als in der bisherigen Tradition text- zentrierter literaturwissenschaftlicher Ansätze, die sich sprachlich reflektierten, rhetorisch konstruierten oder je nach historischem Kontext ästhetisch entworfenen Gefühlen widmen, liegt das Interesse in der vorliegenden Arbeit auf indexikalischen symptomatischen Anzeichen, die aus geschilderten Situationen (aus Sinneinheiten bzw. Motiven) sowie aus deren Verhältnis zum Gesamttext indirekt erschlossen werden können. Diese außersprachliche Ebene schärft den Blick für unterschwellig ausgedrückte Informationen, die etwa im Kontext von Gefühlsunterdrückung, Trau- matisierung oder bei nicht-instinktiven Verhaltensweisen, die durch Sozialisierung erworbenen werden, eine zentrale Rolle spielen. Zufällig machte ich gerade am Tag nach der Einreichung dieser Arbeit auf einer Konferenz die Bekanntschaft von Eva Kowollik aus dem interdisziplinären Forschungskreis Empathie – Tabu – Überset- zung in Halle und Heidelberg, wo Fragestellungen behandelt werden, die in For- schungsinteresse und Methodik Anknüpfungspunkte mit dieser Arbeit aufweisen;

es bleibt zu hoffen, dass wir diese in der künftigen Zusammenarbeit weiter nutzbar machen werden.

Aufgrund des breiten interdisziplinären Spektrums ihrer theoretischen Grund- lagen erhebt die vorliegende Arbeit in keinem Bereich Anspruch auf Vollständigkeit.

In der Auswahl der verwendeten Konzepte wurde hauptsächlich auf innerhalb der Ursprungsdisziplinen etablierte und daher prototypische Theorien zurückgegriffen, wobei zugleich die Relevanz für eine interdisziplinäre Erforschung motivischer und struktureller Aspekte von textimmanenten Sinneswahrnehmungen und Emo- tionen das Hauptkriterium bildete. Strukturelle Zusammenhänge zwischen parallel formulierten Konzepten herzustellen, war mir dabei ein wichtiges Anliegen. In dieser Sichtweise resultieren ähnliche Konzepte nicht zwingend aus einer genuinen Verbindung zueinander; dennoch wurde nach Möglichkeit versucht, ideengeschicht- liche Zusammenhänge zu verdeutlichen.

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(21)

1.  Einleitung

Sinne und Emotionen bilden das Prisma jeder Selbst- und Welterfahrung und damit ein unumgängliches Moment der im Individuum verankerten Subjektivität. Dies veranlasste Kant dazu, von einer empirischen Realität zu sprechen, über die die absolute Realität nur indirekt zugänglich sei. Die Psychologie teilt diese Sichtweise und betrachtet Sinne und Emotionen als individuell geprägt. Als kulturelle Kon- strukte tragen literarische Texte ebenfalls Spuren einer spezifischen Subjektivität sowie einer daran erkennbar werdenden Individualität.

In den Texten des russischen Emigrationsschriftstellers Gajto Gazdanov (1903–

1971) stehen sinnliche Wahrnehmungen so stark im Vordergrund, dass die Hand- lung von einem Übermaß an vorwiegend räumlich strukturierten deskriptiven Episoden gleichsam in den Hintergrund gedrängt wird. Dieses Merkmal bildete den Anlass für zahlreiche negative Kritiken seiner Zeitgenossen. Posthum zog es das Interesse des ungarisch-amerikanischen Literaturwissenschaftlers László Dienes auf Gazdanovs Werk und führte so zur Wiederentdeckung dieses Autors, der als Angehöriger der ‚unbemerkten Generation’ (nezamečennoe pokolenie) in Vergessenheit geraten war. Da die so bezeichneten AutorInnen im Ausland in ihrer Muttersprache schrieben, in der UdSSR jedoch lange Zeit nicht publiziert wurden, rückten sie mit dem Schwinden ihrer Hauptleserschaft, der zeitgenössischen Emi- grantengeneration, aus dem Blickfeld.

1.1  Leben und Werk Gazdanovs

Geboren wurde Gazdanov 1903 in eine ossetische Familie in Sankt Petersburg.

Aufgrund der wechselnden Arbeitsplätze seines Vaters, u.a. in Sibirien und Weiß- russland, war seine Kindheit durch Diskontinuitäten geprägt. Einschneidende Er- fahrungen bildeten die frühen Verluste seiner zwei Schwestern sowie des Vaters.

Als Gymnasiast in Charkov schloss er sich 1919 noch vor Ende seiner Schullaufbahn als Freiwilliger der Weißen Armee an und kämpfte bis 1920 im Bürgerkrieg. Über Konstantinopel und Schumen (Bulgarien), wo er 1923 das Gymnasium abschloss, emigrierte er nach Paris und verbrachte dort den überwiegenden Teil seines Lebens.

Die durch Hunger und Armut geprägten schwierigen Lebensumstände im Pariser Exil, wo er sich als Hilfsarbeiter und Taxifahrer verdingte, erhielten ein Gegen- gewicht in Gazdanovs beständiger Sinnsuche und seinem aktiven Eintreten für soziale und kulturelle Werte. Neben seiner literarischen Tätigkeit zeichnete sich dies in seinem begonnenen Studium der Soziologie an der Sorbonne ab, ebenso in seiner Mitgliedschaft bei den Freimaurern, seinem aktiven Engagement für ver- folgte Juden und in der Résistance sowie in der späteren journalistischen Tätigkeit.

Tatkräftig mitgetragen wurden seine sozialen Aktivitäten von seiner um elf Jahre älteren Frau Faina Lamzaki, einer griechischstämmigen Odessitin, mit der er seit 1936 liiert war. Mit einer festen Anstellung bei Radio Svoboda (Radio Liberty) ab

(22)

1953 erlangte Gazdanov im Alter von 50 Jahren endlich die langersehnte finanzielle Absicherung. Im Rahmen dieser Tätigkeit übersiedelte er 1967 nach München, wo er 1971 an Lungenkrebs starb. (vgl. V/487–496)1

Am Beginn von Gazdanovs literarischer Laufbahn stehen seine seit 1926 ver- einzelt publizierten Erzählungen. Wie die späteren Texte tragen sie sozialkritische Züge und behandeln Alltagsmotive mit Schwerpunkten auf den Themen Liebe, Tod, Bürgerkrieg, Pariser Emigrantenmilieu und Doppelgängertum; manche stellen Vorstufen späterer Romane dar. Intertextuelle Bezüge, besonders zu Puškin, Tolstoj und Poe (dem Lieblingsautor von Gazdanovs Jugendliebe Tat’jana Paškova), sind seit diesen Anfängen präsent. Für den ersten Roman, Večer u Klėr (1929), bildet Proust einen wichtigen Bezugspunkt, etwas später werden Parallelen zu Nabokov und Camus immer deutlicher.

Schlagartige Berühmtheit erlangt Gazdanov zumindest in Emigrantenkreisen mit seinem von Maksim Gor’kij gelobten ersten Roman, in dem sich stilistisch eine deutliche Entwicklung gegenüber den frühen Erzählungen abzeichnet. Während deren Handlung aufgrund ihrer asyndetischen Form mitunter schwer nachvoll- ziehbar und nicht ausreichend logisch motiviert erscheint, ist der Gedankenstrom in Večer u Klėr stringent. Zudem demonstriert Gazdanov hier einen eleganten Stil mit für die russische Literatur unüblich langen Sätzen, der, zusätzlich zu motivischen Analogien, an Proust gemahnt. Seine weiteren Romane fanden bei Kritik und Leser- schaft weniger Anklang. Istorija odnogo putešestvija (1934) handelt von der Selbst- findung eines jungen russischen Emigranten in Paris; Polet (1939) erinnert stark an Turgenev und verarbeitet in modifizierter Form die inhaltliche Konstellation von Pervaja ljubov’; Nočnye dorogi (1939) gibt Einblicke in das Pariser Immigrantenmi- lieu aus der Perspektive eines Nacht-Taxifahrers. Dieser Roman ist Faina Lamzaki gewidmet und bezeichnenderweise ist er der einzige, in dem das emotionale Zen- trum nicht eine Figur vom Typus der attraktiven, leicht hysterisch gezeichneten Klėr bildet, sondern eine gütige ältere Freundin des Protagonisten.

Seit den 1930er Jahren entstanden daneben einige höchst eindrucksvolle Er- zählungen, denen die Kritik zwar ein Fehlen von Handlung vorwarf, jedoch auch eine besondere stilistische Qualität attestierte. In diesen Erzählungen kommt die Bedeutung von Wahrnehmung und Emotion bei Gazdanov sehr deutlich zum Aus- druck, denn sie geben das Erleben der Protagonisten aus einer passiv-kontemplati- ven Haltung wieder und reflektieren dabei in sehr konkreter Form synästhetische Prozesse. Gleichsam als Reaktion auf eine Fülle an Sinneseindrücken spüren die Figuren ihren unspezifischen Gefühlsregungen nach, wobei sich die beiden Ebenen verschränken. Affektive und psychotische Erkrankungen scheinen einander zu be- dingen, Gefühle werden physisch erfahren und die Protagonisten erleben kleinste Handlungsmomente gleichzeitig aus völlig unterschiedlichen Perspektiven, was zu widersprüchlichen emotionalen Reaktionen führt.

1 Im Folgenden zitiere ich die fünfbändige Gazdanov-Gesamtausgabe von 2009 unter einfacher Angabe von Bandnummer und Seitenzahl.

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Der formal avancierteste Roman ist Prizrak Aleksandra Vol’fa (1947), der als einziger schon kurz nach dem Erscheinen in mehrere Fremdsprachen übersetzt wurde. Die bereits in früheren Texten vorliegenden Anzeichen eines Kriegstraumas des Protagonisten bilden hier das Zentrum. Wie ebenfalls bereits in Nočnye dorogi angekündigt und wenig später in Vozvraščenie Buddy (1949) noch deutlicher aus- geführt, enthält Prizrak Aleksandra Vol’fa eine Parallelhandlung aus dem Genre des Detektivromans, die emotionale Ereignisse als assoziative Beifügung symbolisch verdeutlicht.

Alle literarischen Texte Gazdanovs können als Analysen von Emotionen gelesen werden. In Piligrimy (1953) wird mit der Autismus-Thematik ein seit den Anfängen präsenter Aspekt im Detail aufgerollt, was hier erstmals den Versuch des Protago- nisten konkret werden lässt, seine emotionale Bindungslosigkeit zu überwinden.

Diese Entwicklung vollzieht sich in der fürsorglichen Liebe zu einer Partnerin aus prekären Familienverhältnissen. Daran anschließend nimmt der Protagonist von Probuždenie (1965) eine Traumapatientin in seine Obhut. In der Unempfänglich- keit für Gefühle zeichnen sich symptomatische Analogien zwischen Autismus und Trauma ab, die in diesen Texten auch therapeutisch auf ähnliche Weise überwunden werden. Im letzten Roman, Ėvelina i ee druz’ja (1968), der die wesentlichen Themen von Gazdanovs Œuvre zusammenführt, bringt der Autor schließlich seine Über- legungen zu Ästhetik und Ethik miteinander in Einklang. Der Hauptfigur gelingt über die Verbindung von Kunst und Liebe sowohl ihre künstlerische Selbstverwirk- lichung als auch die menschliche Reifung mittels sozialer Anteilnahme.

Die poetologische Entwicklung von Gazdanovs Schaffen legt nahe, sein Œuvre anhand der Romane in drei Hauptphasen zu gliedern, denen auch die Erzählungen zuzuordnen sind. Večer u Klėr und Istorija odnogo putešestvija bilden demnach die

‚frühe‘ Schaffensperiode; Polet und Nočnye dorogi kommt eine Sonderstellung zu – sie markieren einen Übergang von der ersten zur zweiten, ‚mittleren‘ Phase, die ihrerseits Prizrak Aleksandra Vol’fa und Vozvraščenie Buddy umfasst; die ‚späte‘

Schaffensperiode repräsentieren schließlich Piligrimy, Probuždenie und Ėvelina i ee druz’ja, wobei der letzte Roman wesentliche poetologische Merkmale aufweist, die bereits für die vorhergehenden Phasen charakteristisch sind.

1.2  Textimmanente Wahrnehmung: Forschungsvorhaben und ontologischer Standpunkt

Die vorliegende Arbeit widmet sich Sinneswahrnehmung und Emotion bei Gazdanov aus textimmanenter Perspektive. Unter Berücksichtigung interdisziplinärer Kon- zepte aus Psychologie, Psychoanalyse, Philosophie und den Naturwissenschaften fragt sie nach der Systematik von deren motivischer Repräsentation, deren Wech- selbeziehung sowie einem davon abzuleitenden Weltbild. Die Spezifik literarischer Repräsentation von Wahrnehmung gegenüber anderen Motiven besteht in ihrer Position an der Schnittstelle zwischen Subjekt, Raum und Zeit, wo die Dimensio- nen des Bachtin’schen Chronotopos zusammenlaufen. Dementsprechend spiegeln diese Motive spezifische Menschenbilder und ontologische Selbstverortungen des

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Subjekts wider, die sich gut für die Verbindung mit den oben genannten interdis- ziplinären Konzepten eignen.

Die Untersuchung textimmanenter Motive im Kontext historisch-anthropolo- gischer Kategorien verbindet die Ansätze von Michail Bachtin, Vladimir Propp und Aleksandra Okopień-Sławińska, welche die wichtigsten konzeptuellen Bezugs- punkte für die vorliegende Arbeit darstellen. Die Qualität dieser Zugänge liegt darin, dass sie von psychologischen Zuschreibungen im Bereich der Produktionsästhetik wegführen und zugleich den Blick auf allgemeinere weltanschauliche Zusammen- hänge sowie deren individuelle Spezifik freilegen.

Das zentrale Anliegen dieser Arbeit besteht darin, Sinneswahrnehmung und Emotion als Bestandteile der empirischen Realität im Sinne Kants zu untersuchen.

An seine Sichtweise anknüpfend, werden beide als Mechanismen verstanden, die notwendigerweise jede Erfahrung strukturieren und dabei selbst meist unbewusst bleiben. Die Schwierigkeit, Wahrnehmungen an sich zu beschreiben, besteht darü- ber hinaus darin, dass sie stets an ein wahrnehmendes Subjekt gebunden sind und sich zugleich notwendigerweise auf ein Objekt innerhalb oder außerhalb dieses Subjekts beziehen, weshalb sie in einer reinen, isolierten Form nicht vorkommen.

Sinnliche und emotionale Erfahrungen müssen folglich erst indirekt aus den per- zipierten Inhalten rekonstruiert werden, wobei zusätzlich die Kategorien von Sub- jekt und Weltbild als Einheiten des Synkretismus Subjekt-Wahrnehmung-Weltbild ins Blickfeld rücken.

Ein Blick auf die Narratologie, die hier mit Wolf Schmid als Ontologie des Textes verstanden wird, zeigt, dass die Literatur eine geeignete Materialgrundlage für die Erforschung dieser Schnittstelle zwischen Subjekt und empirischer Realität darstellt.

Seit den Anfängen dieser Disziplin wird – etwa von Käte Friedemann – die These vertreten, dass jede Handlung erst im Erleben durch (mindestens) ein Bewusstsein eine Struktur erhält, durch die sie erzählbar wird – so fragmentiert diese auch sein mag. Gérard Genette formuliert die hier ebenfalls vertretene Annahme, dass Wahrnehmungen und Ordnungsprozesse ein intuitives Element literarischer Texte darstellen (vgl. Genette 2007: 277f.), das folglich nicht konstruiert ist, sondern aus der subjektiven Erfahrung von empirischer Realität und spezifischen Annahmen über diese entsteht.

Die Bezüge zur Psychoanalyse sind dem gewählten Forschungsfeld eingeschrie- ben. Ebenfalls ausgehend von den Versprachlichungen eines Individuums, unter- sucht sie dessen empirische Realität anhand wiederkehrender emotional geprägter Muster der Wahrnehmung, die dessen Denken Struktur verleihen und die subjektive Sicht auf erlebte Inhalte bestimmen. Stärker auf quantitativ erfassbare interindi- viduelle Erscheinungen bezogen, befassen sich Wahrnehmungs- und Emotions- psychologie mit ähnlichen Zusammenhängen und ergänzen das auf individuelle Aspekte fokussierte Feld der Psychoanalyse so um das Wissen über normative Er- scheinungen. In Hinblick auf die textimmanente Untersuchung der empirischen Realität eines Autors erscheint es sinnvoll, beide an sich voneinander unabhängigen Ebenen – die individuellen Ordnungen und das Wissen um allgemeine Tendenzen – zu berücksichtigen, um sie kontrastiv miteinander abzugleichen und damit sowohl

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Charakteristika von Wahrnehmung und Emotion an sich als auch deren autorspe- zifische Besonderheiten ins Sichtfeld zu rücken.

Neben dem Versuch, anhand der konkreten im Textkorpus verankerten empi- rischen Realität allgemeine Annahmen über Beschaffenheit und Funktionsweise von Wahrnehmung und Gefühlen sowie über diesbezügliche Spezifika im Denken des konkreten Autors abzuleiten, stellt die Arbeit zweitens die Frage nach den sich daraus ergebenden Konsequenzen für das Konzept von Subjekt und Weltbild. Diese beiden Kategorien liegen interdisziplinär näher bei Philosophie und Naturwissen- schaften als bei der Psychologie. Die Schwierigkeit der entsprechenden Modelle besteht darin, dass sowohl die Welt als auch das Subjekt die empirische Realität zwar bedingen, selbst jedoch, wenn man Wittgensteins Beobachtung im Tractatus logico-philosophicus (1921 bzw. 1933) folgt, außerhalb von ihr liegen.

5.632 Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt.

5.633 […] [N]ichts am Gesichtsfeld läßt darauf schließen, daß es von einem Auge gesehen wird.

[…]

5.634 [K]ein Teil unserer Erfahrung [ist] auch a priori […].

Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein.

Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein.

Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori. (Wittgenstein 2006: 68)

Als Konsequenz daraus wendet sich die Analyse auch hier bewusst subjektiven Kategorien zu und fragt danach, auf welche Subjektvorstellung und auf welches Weltbild die in der empirischen Realität verankerten Zusammenhänge hindeuten.

Methodisch bedeutet dies abermals den Abgleich zwischen spezifischen Strukturen und ontologischen Annahmen im Umfeld von Philosophie und Naturwissenschaf- ten, um daraus historisch geprägte und autorspezifische Vorstellungen abzuleiten und in ihrem Verhältnis zueinander zu betrachten.

Die Textanalyse geht von wiederkehrenden Motiven in Gazdanovs Œuvre aus, von denen sich allgemeine, autorspezifisch mitgeprägte Konzepte von Sinneswahr- nehmung und Emotion sowie von Subjekt und Weltbild ableiten lassen. Auf die Narratologie rückbezogen, sind diese Einheiten daher jeweils auf Ebene des abs- trakten Autors (N3) zu verorten, die nach Okopień-Sławińska und Schmid onto- logisch an der Schnittstelle zwischen Textwelt und realer Welt steht und das Bild eines Urhebers zeichnet, das indexikalisch auf den Autor verweist, jedoch keine Schlüsse auf diesen erlaubt.

Die Motivauswahl folgt Genettes Konzept eines ‚offenen Strukturalismus‘ (vgl.

Genette 2007: 423f.), was bedeutet, dass sie in enger Bezugnahme auf das Textmate- rial getroffen wird. Bestehende Typologien aus den genannten Referenzdisziplinen, prototypische Wahrnehmungen und Emotionen sowie etablierte Weltbilder im Um- feld und außerhalb des Schaffenskontextes bilden lediglich einen Anhaltspunkt und werden an den empirischen Bedarf adaptiert. Weder für die im Theorieteil präsentierten Konzepte noch für die Auswahl der in die Analyse aufgenommenen Ausprägungen wird ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, die ein offener

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Strukturalismus auch gar nicht anstrebt. Die gewählten Kategorien versprechen dennoch sowohl für die Analyse textimmanenter Wahrnehmung an sich als auch für deren Vorliegen in Gazdanovs Werk repräsentative Ergebnisse und eröffnen Anknüpfungspunkte für die Rekonstruktion von Wechselbezügen zwischen Welt- und Menschenbild, Gefühlsempfinden und Wahrnehmung.

1.3  Textimmanente Wahrnehmung und der ‚emotional turn‘

in der Literaturwissenschaft

Wie im Vorwort angesprochen, stehen Fragestellung und Herangehensweise der vorliegenden Arbeit aufgrund ihres starken Interesses an der Sinneswahrnehmung sowie ihres Verständnisses von sinnlicher und emotionaler Erfahrung als außer- bzw. vorsprachlicher Kategorie, die sie textimmanent ontologisch zu fassen versucht, nicht in so engem Zusammenhang mit den literaturwissenschaftlichen Forschungen im Rahmen des ‚emotional turn‘, wie ihr Name vermuten lassen könnte. Dennoch bilden die sich in diesem Kontext nun seit fünfundzwanzig Jahren abzeichnenden Entwicklungen einen Teil ihres wissenschaftsgeschichtlichen Entstehungskon- textes, der im Folgenden skizziert werden soll.

In der Einleitung des Handbuchs Literatur & Emotion (1016) verorten Martin von Koppenfels und Cornelia Zumbusch die literaturwissenschaftliche Forschung im Zeichen des ‚emotional turn‘ als Analyse von sprachlich vermittelter Emotion.

Der Beitrag der Literaturwissenschaft zur Theorie der Emotionen kann nur darin bestehen, die sprachliche und vor allem die textuelle Vermitteltheit menschlicher Emotionen zu verstehen. Denn literarische Texte sind all dies: Spielformen, Laboratorien, Reflexionsmedien sprachlich vermittelter Emotion. (Koppenfels 2016: 17)

Dieser Eingrenzung entsprechend, wurden Emotionen in der jüngeren Forschungs- tradition um den ‚emotional turn‘ zum einen auf sprachlicher Ebene als eine rheto- rische Form und ästhetisch konstruierte Kategorie untersucht; so etwa in dem von Susanne Knaller und Rita Rieger herausgegebenen Sammelband Ästhetische Emotion (2016). Zum anderen öffnete sich die Literaturwissenschaft unter Überwindung der traditionellen Textzentriertheit für Fragen der Rezeptions- und Produktionsästhetik;

dies hängt sicherlich damit zusammen, dass in den Anfängen der literaturwissen- schaftlichen Emotionsforschung die Hermeneutik im Sinne einer ‚Einfühlungslehre‘

eine wichtige Rolle spielte. (vgl. Müller-Tamm 2016: 83–99; Weber-Guskar 2009) In ähnlicher Form untersucht Sylvia Sasse das Phänomen der ‚Gefühlsübertragung‘

als produktions- und rezeptionsästhetischen Prozess zwischen Autor und Leser in Lev Tolstojs philosophischem Denken, das sich auch textimmanent in seiner literarischen Poetik widerspiegelt, (vgl. Sasse 2016: 481–495) sowie Judith Kasper Trauma und Affektabspaltung in der Holocaust-Literatur. (Kasper 2016: 498–511) Vergleichbare Fragestellungen behandeln außerdem die Beiträge in dem von Su- sanne Knaller, Sabine Schönfellner, Gudrun Tockner und mir herausgegebenen Sammelband Writing Emotions (2017).

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In Letzterem verfolgen die Beiträge von Vera Nünning zu Emotionsdarstellung und deren rezeptiver Wirkung sowie von Anna Ovaska zur autobiografischen Auseinandersetzung mit Depressionen Ansätze einer Verbindung zwischen text- immanenten Repräsentationen von Emotionen und extratextuellen Komponenten, wobei sie zumindest im Bereich der textimmanenten Phänomene aus einem ähn- lichen Blickwinkel argumentieren wie die vorliegende Arbeit in Abschnitt VI zum Verhältnis von Subjekt und Weltbild. Ähnliche Bezüge finden sich zu Sylvia Sasses Beispielen für die textuelle Repräsentation von Tolstojs Philosophie der ‚Gefühls- übertragung‘ sowie zu Robert Stockhammers Auseinandersetzung mit dem Phäno- men der ‚Einfühlung‘ bei J. M. Coetzee. (vgl. Stockhammer 2016: 512–528) Aktuelle und anschauliche Analysen zu prototypischen Gefühlen in Literatur und Kultur bietet auch der Sammelband Große Gefühle (2007) von Ottmar Ette und Gertrud Leh- nert. Wenngleich ohne explizit vorgebrachte einschlägige theoretische Intention, be- handeln diese Analysen Schlüsselkonzepte von autorspezifischen philosophischen Weltbildern, die im Grenzbereich der Interferenz zwischen Sinneswahrnehmung und Emotion zu verorten sind.

Bedeutsam ist außerdem die mit Judith Kaspers Artikel bereits erwähnte li- teraturwissenschaftliche Forschung zu Traumata. Mit besonderer Relevanz auch für den vorliegenden posttraumatischen Kontext des Kriegstraumas nähert sich die Literatur solchen Grenzerfahrungen häufig anhand mimetischer Darstellungen des traumatischen Erlebens und erzeugt fragmentierte Texte mit brüchiger Zeit- struktur. Die im Rahmen des Forschungskreises Empathie – Tabu – Übersetzung in Halle und Heidelberg entstandenen Sammelbände Empathie im Umgang mit dem Tabu(bruch). Kommunikative und narrative Strategien (2014) sowie Zerreißproben:

Trauma – Tabu – EmpathieHürden (2017) führen das Potenzial von Interdiszipli- narität in diesem Bereich eindrücklich vor Augen; u.a. Literaturwissenschaftler, Psychologen und Mediziner nähern sich hier ähnlichen Themen jeweils aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Disziplin.

Während rhetorische und ästhetische Besonderheiten textimmanenter Emo- tionen in der vorliegenden Studie zugunsten ihrer produktionsästhetisch scheinbar weniger bewusst reflektierten vorsprachlichen Merkmale vernachlässigt werden, was aufgrund der gewählten textimmanenten Perspektive auch für rezeptions- und produktionsästhetische Kategorien gilt, die AutorInnen und LeserInnen einschlie- ßen würden, erscheint die Berücksichtigung soziologischer Aspekte zumindest wegen der vordergründigen theoretischen Auseinandersetzung mit den Ansätzen der Warschauer StrukturalistInnen-Gruppe eher angebracht. Wie literarische Texte befassen sich Soziologie, Ethnologie und Kultursemiotik, so Schamma Schahadat, mit konstruierten Emotionen – ob und welche emotionalen Muster angeboren oder sozial konstruiert sind, wird dabei ebenfalls diskutiert.

Und die Literaturwissenschaft, die für literarische Emotionen seit jeher auf das Affektrepertoire der Rhetorik zurückgreift, befasst sich ohnehin nicht mit natürli- chen, sondern immer bereits codierten Gefühlen. (Schahadat 2016: 122) Soziologi- sche, ethnologische und auch historische Emotionsstudien […] haben ganz ähnliche

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Erkenntnisinteressen wie die Literaturwissenschaft auch: All diese Disziplinen wollen herausfinden, wie Emotionen konstruiert, codiert und funktionalisiert werden, wobei sie den Schwerpunkt auf die kulturelle beziehungsweise ästhetische Verankerung oder auch ‚Gemachtheit‘, wie es im russischen Formalismus heißen würde, legen. Es geht um emotionales Management, um emotionale Gemeinschaften (Rosenwein), um die Codierung und den sozialen Sinnhorizont von Gefühlen; Gefühle werden als sinn- und ordnungsstiftend (Hochschild) begriffen oder aber auch als Ordnungsbedrohung (Illouz) beziehungsweise als ästhetisch-emotionaler Freiraum (Wegmann). Dabei sind gerade in einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten Literaturwissenschaft die sozio- logischen und ethnologischen Theorien von eminenter Bedeutung, denn sie legen nicht nur die (kulturelle) Konstruktion von Emotionen frei, sondern auch ihre historische Instabilität […]. (ebd. 138)

In einigen globalen weltanschaulichen Ausgangspunkten liegen solche Überlegun- gen auch der vorliegenden Arbeit zugrunde; dies gilt etwa für das Verständnis von Gefühlen als sinn- und ordnungsstiftend, was den Grund dafür darstellt, dass sie sowohl als ordnungsbedrohend als auch als ästhetisch-emotionaler Freiraum erlebt werden können. Aufgrund des gewählten Fokus auf einem allgemein-anthropolo- gischen Selbstverständnis und der phänomenologischen Herangehensweise steht in der vorliegenden Studie dabei allerdings nicht die Frage nach kulturspezifischen Aspekten im Zentrum, da dies ihren Rahmen sprengen würde. Die Analyse berück- sichtigt Mechanismen der Sinnstiftung oder Bedrohung, da diese die emotionale Ambivalenz des Subjekts erklären können. Kulturelle Hintergründe werden hier in Form intertextueller Zusammenhänge mit den relevanten Nationalliteraturen – der russischen und der französischen – zumindest teilweise ebenfalls einbezogen.

Interdisziplinäre Verbindungen zu Psychoanalyse, Psychologie, Philosophie, Kulturwissenschaft, Geschichte, Ethik, Linguistik, Informatik und sogar Roboter- technologie (vgl. Schiewer 2014, Winko 2003) werden seit den Anfängen des ‚emo- tional turn‘ mit literaturwissenschaftlichen Fragestellungen verbunden. Es erscheint wenig verwunderlich, dass die meisten der daraus entstandenen Ansätze in sehr unterschiedliche Erkenntnisbereiche führen. So widmet sich etwa Katja Mellmanns Beitrag im Handbuch Literatur & Emotionen rezeptionsästhetischen Ansätzen und geht auf die dabei sinnvolle Nutzbarmachung der Methodik aus der empirischen Emotionsforschung für die Literaturwissenschaft ein. Die Autorin stützt sich auf Studien über neurologische Veränderungen während des Lesens und geht dabei auf primäre Empfindungen wie Lust, Empathie und Spannung ein (Mellmann 2016:

158–175), die im Folgenden aufgrund des textimmanenten Zugangs der vorliegen- den Arbeit nicht berücksichtigt werden.

Aus der interdisziplinären Bewegung des ‚emotional turn‘ ergeben sich in umge- kehrter Richtung auch Annäherungen zwischen ansonsten weniger eng verbun- denen Disziplinen. Beispielsweise widmen sich die Beiträge in dem von Agnieszka Będkowska-Kopczyk und Heinrich Pfandl herausgegebenen linguistischen Sammel- band Phraseology and (naïve) psychology (2017) psychophysischen Phänomenen, die sich in Redewendungen verankert finden. Sie beziehen sich auf außersprachliche

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Konzepte und stehen dem Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit daher näher als manche emotionstheoretischen Weiterentwicklungen der Literaturwissenschaft.2 1.4  Aufbau der Arbeit

Seit Beginn der Gazdanov-Rezeption und -Forschung wurde auf die Bedeutung von Sinneswahrnehmung und Emotion hingewiesen. Die entsprechenden Ergebnisse bisheriger Analysen werden einleitend überblicksmäßig dargestellt. Anschließend verfolgt die Arbeit ein systematisches Vorgehen und widmet sich in jeweils drei Ab- schnitten theoretischen Grundlagen und analytischen Fragestellungen. Der Theorie- teil beginnt mit einer narratologischen Verortung der formalen Kategorien, darauf folgen eine Diskussion zentraler ontologischer Modelle aus Philosophie und Natur- wissenschaften sowie eine Darstellung psychologischer und psychoanalytischer Zusammenhänge im Bereich von Sinneswahrnehmung und Emotion. In der Ana- lyse von Gazdanovs Œuvre verbinden sich jeweils Elemente aus unterschiedlichen Theorieteilen, um daran einschlägige motivisch repräsentierte Zusammenhänge in Figurenkonstellation, Wahrnehmung und Weltbild zu erschließen.

Der erste theoretische Abschnitt (Kap. I) nimmt eine Verortung des Gegenstands in der Narratologie vor. Da sich die Analyse jeweils mit Motiven befasst, werden diese zunächst als bildhafte Einheiten verstanden, die ein Moment der Wandlung implizieren. Daran anknüpfend erfolgt ihre ontologische Verortung im Textmaterial als Element der Handlung, das außerdem Träger der werkimmanenten Logik auf der Ebene des abstrakten Autors ist. Die ersten Entwürfe zu literaturontologischen Modellen wurden von der Warschauer StrukturalistInnengruppe aus einer histo- risch-soziologischen Perspektive erstellt, die einer späteren Rückbindung an inter- disziplinäre Modelle konkrete Anknüpfungspunkte offenhielt. Von noch größerer Bedeutung für die vorliegende Fragestellung sind jedoch die hierfür herangezoge- nen philosophischen Ursprünge in den Arbeiten Michail Bachtins. Sein Blickwinkel auf das Motiv als Einheit, in der sich Subjekt, Raum und Zeit verbinden, und sein Versuch, hieraus jeweils ein Moment der ‚Wandlung‘ als spezifischer Form der

‚Menschwerdung‘ abzuleiten, bestimmen die Herangehensweise der Arbeit wesent- lich. Einige Forschungsansätze behandeln, obwohl sie von ihren AutorInnen nicht direkt damit in Verbindung gebracht wurden, ähnliche Fragestellungen. Sie werden in diesem ersten Theorieabschnitt mit Bachtins besonders allgemein definiertem Konzept des Chronotopos zusammengeführt, um an diesem Aspekte zu betonen, die in der Analyse im Zentrum stehen, und zugleich die genuine Verbindung zwischen den Modellen aufzuzeigen. Hervorzuheben sind im Bereich des subjektzentrierten Blickwinkels die philologischen Ansätze von Propp und Greimas sowie jener Souri- aus, der stark mit anthropologischen Kategorien operiert. Maurons Versuch, ein

2 Besonders hervorzuheben ist darin der Beitrag von Agnieszka Będkowska-Kopczyk und Mirjam Fantur. In eine ähnliche Richtung weist auch die Studie Emotionen im Spannungsfeld zwischen Körper und Kultur (2010) von Petra Folkersma.

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ähnliches Vorgehen als psychoanalytische Methode auszuarbeiten, verweist noch deutlicher auf das Potenzial der auch hier versuchten Verbindung zwischen text- immanenten Motiven und extratextuell definierten Modellen der Wahrnehmung.

Wichtige Raummotive der Wandlung bestehen in der Grenzüberschreitung nach Lotman sowie in der Transgression nach Todorov. Von Interesse sind hier außerdem Doležels Ansatz zu möglichen Welten und Assmanns Arbeit zu Erinnerungsräumen.

In Hinblick auf Motive der Zeitlichkeit bietet Genette die wichtigsten Impulse;

während Zeit insgesamt seltener motivisch erfasst wurde, fallen in psychoana- lytischen und philosophischen Ansätzen der Motivanalyse bei Freud, Jung, Fromm und Bachelard höchst unterschiedliche Annahmen über die in Bildelementen vor- liegende Einschreibung von Zeitlichkeit ins Auge.

Im zweiten theoretischen Abschnitt (Kap. II) werden historische Weltbilder aus Philosophie, Psychoanalyse und den Naturwissenschaften vorgestellt. Gewählt wurden realitätsabbildende Modelle, die zentrale Eckpunkte im allgemeinen Welt- und Menschenverständnis markieren und bis heute aktuell geblieben sind. So ist etwa der seit der Antike anhand konkreter Sinnestäuschungen argumentierte Wahr- nehmungsskeptizismus weiterhin nicht zu widerlegen. Die anthropomorphen Welt- bilder, gegen die sich der Skeptizismus zu jener Zeit richtete, sind zwar längst nicht mehr zeitgemäß, als philosophische Modelle verdeutlichen sie jedoch Analogien, die nicht zufällig entdeckt und beschrieben wurden und Phänomene illustrieren, die in Bereichen wie der Synästhesie vorliegen bzw. zum Zweck etwa der psychoana- lytischen Modellbildung nach Jung und Lacan bewusst in Gang gesetzt werden. Eine Gegenüberstellung neuzeitlicher Versuche, die Weltordnung und das Subjekt kogni- tiv zu erfassen, lässt die Subjektivität der empirischen Realität erkennen. Zugleich verdeutlicht der Rückbezug dieser Weltbilder auf andere Wissenschaftsdisziplinen, dass jeweils kontextspezifisch jedes von ihnen in gewissen Bereichen eine geeignete Vorlage der Modellbildung darstellt. Dasselbe gilt für die per se unvereinbaren Welt- bilder von Mechanik und Quantenphysik, die einander dennoch ergänzen. Dass die zugänglicher erscheinende Perspektive des Subjekts auf sich selbst und seine direkte Umgebung ebenso ungewiss und schwer zu fassen ist wie Erkenntnisse über die Außenwelt, verdeutlichen die Weltbilder der Moderne: Die Phänomenologie wendet sich dem diskontinuierlichen Konglomerat der wahrnehmbaren Wirklichkeit zu und versucht dieses zu ordnen, das Vorliegen von Fremdbewusstsein steht plötzlich in Frage, ebenso wie die Gewissheit einer vollständigen Einsehbarkeit des Selbst aus der Innenperspektive. Da sich die für diese Probleme verantwortlichen Modelle einer Erschließung der subjektiven Wirklichkeit zuwenden, erhalten erstmals die Gefühle als strukturbestimmende Kategorie Gewicht. Sowohl Psychoanalyse als auch Kunsttheorie und Philosophie suchen nach Anhaltspunkten des Denkens, an denen sich das Individuum bei der Erfahrung von Selbst und Außenwelt orientiert.

Auf diese Weise werden etwa in Jungs Archetypenlehre psychische Strukturen er- schlossen; Kategorien wie Roland Barthes’ punctum schaffen darüber hinaus Begriff- lichkeiten für unspezifischere Formen emotionaler Brennpunkte in der Außenwelt, die die Aufmerksamkeit des Subjekts bündeln, weil sie Gefühle auslösen.

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Der dritte theoretische Abschnitt (Kap. III) beschäftigt sich mit Entstehung und Wirken von Sinneswahrnehmung und Gefühlen im Subjekt und orientiert sich dabei primär an der Wahrnehmungspsychologie, deren naturwissenschaftliche Sichtweise durch Konzepte aus Psychoanalyse und Philosophie ergänzt wird. Zentral ist hier die Feststellung, dass sowohl sinnliche als auch emotionale Erfahrungen erstens auf der subjektiven Interpretation physiologischer Reaktionen sowie des situativen Kontextes beruhen und dass zweitens zwischen ihnen zahlreiche Interferenzen stattfinden. So können etwa vegetative Erregungszustände in Abhängigkeit von Umgebungssituation und emotionaler Grundbefindlichkeit variabel als Anstren- gung, Überforderung, Angst, Ärger oder körperliche bzw. emotionale Anziehung empfunden werden. Eine physiologische Quelle für Interferenzen bietet die Syn- ästhesie, d.h. die individuell vorliegende Verknüpfung von Sinneseindrücken und/

oder Emotionen, die gemeinhin getrennten Konzepten zugeordnet werden. Die Kleinkindforschung nach Piaget hat gezeigt, dass Wahrnehmungen und Gefühle bei Neugeborenen wenig differenziert werden, da ihre Zuordnung zu getrennten Konzepten erst durch kognitive Prozesse erlernt werden muss. Mit individuellen Unterschieden im Rahmen dieser Aufsplittung wird das Entstehen von Synästhesie erklärt, in der Hinderk Emrich ein Indiz dafür erkennt, dass Wahrnehmung immer eine individuelle Prägung aufweist. Besonders die schwerpunktmäßig heterogenen philosophischen Modelle zu Emotionen deuten darauf hin, dass solche Einteilun- gen auch kulturhistorisch mitbestimmt sind. Die in diesem Kapitel beschriebenen prototypischen Sinneswahrnehmungen und Gefühle werden vor diesem Hinter- grund als disziplinär und kulturell geprägte Konstrukte betrachtet. Das Wissen um eine generelle Offenheit dieser Konzepte ist fundamental, da es in Hinblick auf die Analyse die Sensibilität für allgemeine oder spezifische Interferenzen schärft.

Konkrete Fälle eines Zusammenwirkens von sinnlicher und emotionaler Erfahrung liegen etwa bei Erinnerung vor, die stark durch Gefühle bestimmt wird, wie auch im Kontinuum zwischen Psychosomatik und psychischen Störungen. So weisen Schizophrenie und Autismus neben Spezifika im Bereich der Wahrnehmung mit dem Negativismus auch eine affektive Komponente auf, während Traumata sowie Neurosen und Depressionen im Endstadium zu Halluzinationen führen können.

Der erste Analyseabschnitt (Kap. IV) widmet sich der prototypischen Figuren- konstellation in Gazdanovs Œuvre und bezieht sich dabei insbesondere auf Propps Konzept der funktionalen Handlungsträger. In Verbindung mit Greimas’ Ansatz werden jeweils Bezüge zu anderen Figuren im System hergestellt, die, wie bei Sou- riau noch deutlicher wird, durch Gefühle definiert sind. Das daraus resultierende Weltbild bringt die typische Handlungskonstellation auf den Punkt, in der ein ver- träumter Protagonist sich nach einer für ihn unerreichbaren Frau sehnt, die er zu einer Idealfigur stilisiert, und dabei seinem Alter Ego begegnet, das als Widersacher auftritt. Die Konflikte einer scheinbar unmöglichen Begegnung sowie einer erfolg- losen Flucht vor unterdrückten Komponenten des Selbst verweisen auf die innere Zerrissenheit von Gazdanovs Hauptfiguren, aus der sich in der Suche nach Identität eine umfassend subjektimmanent definierte Handlung entspinnt. Sowohl aus Ei- gen- als auch aus Fremdperspektive werden Gazdanovs Protagonisten als ‚seltsam‘

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empfunden, sodass sich in Anlehnung an den lišnij čelovek ein Topos herausbildet, den man als nenormal’nyj čelovek bezeichnen kann. Durch eine Vertrauensbezie- hung mit Zuhörerfiguren, die als väterlicher Freund oder sexuell nicht anziehende Freundin auftreten, kann die Konfliktsituation in späteren Texten aufgelöst werden.

Während die bisher genannten Typen als funktionale Handlungsträger greifbar sind, ist die Darstellung der Nebenfiguren noch stärker schematisiert. Diese bilden für die genannten Zusammenhänge nicht mehr als die Andeutung eines im Hin- tergrund vorliegenden sozialen Umfelds. Zugleich zeichnen sich deutliche Bezüge zwischen dieser Umgebung und dem inneren Erleben der Hauptfiguren ab, was eine Interpretation der Nebenfiguren als Veräußerlichung innerer Komponenten der Protagonisten nahelegt. Eine besondere Auffälligkeit in Gazdanovs Darstel- lung von Charakteren liegt außerdem in der ausgeprägten Ähnlichkeit zwischen allen Figuren vor, die sowohl äußere Merkmale als auch emotionale Dispositionen betrifft. Dadurch bildet sich gewissermaßen ein Konflikt mit der Vorstellung von menschlicher Individualität heraus, der sich durch symmetrische Anordnungen in der Figurenkonstellation und das undifferenzierte Selbstkonzept der Protagonisten noch verschärft. Diese Merkmale vermitteln eine Nähe zum Autismus, was auch für die unspezifischen Gefühle der Protagonisten gilt sowie für deren Schwierigkeit, die Gefühle anderer Figuren zu bestimmen.

Im Anschluss daran werden im zweiten Analyseabschnitt (Kap. V) die Motive von Sinneswahrnehmungen und Emotionen untersucht. Wie sich zeigt, erzeugen vielseitige Synästhesien ein Netz aus textinternen Bezügen, das emotionale Kom- ponenten einschließt. Aus den darin verankerten Interferenzen erklärt sich das Unvermögen von Gazdanovs Protagonisten, Gefühle zu erfassen. Betrachtet man die einzelnen Wahrnehmungsmodalitäten für sich, so wird in den Texten eine Vor- herrschaft des Gesichtssinns deutlich. In diesen Bereich fallen eine ausgeprägte Detailwahrnehmung und das gute Bildgedächtnis der Hauptfiguren. In der Vi- sualität laufen zudem strukturelle Aspekte zusammen – der besondere Hang zum Träumen und die Vermischung von realen Erlebnissen und Fantasien sowie eine synästhetische Verbindung zwischen Kunstobjekten oder abstrakten Raumumge- bungen und emotionaler Erfahrung. Auch insgesamt reagieren die Protagonisten sensibel auf sinnliche Reize, was sich etwa bei Konfrontationen mit unangenehmen Gerüchen und Geschmäcken, aber auch in Situationen intimer Annäherungen zeigt.

Häufig leiden sie an Tinnitus oder anderen Sinnestäuschungen, die in fließendem Übergang zu Halluzinationen geschildert werden. Wichtige daraus resultierende Bedeutungskomplexe umfassen etwa die Verbindung zwischen einem starken Fokus auf der visuellen Wahrnehmung und dem Distanzbedürfnis der Figuren. Ihre Dis- tanziertheit steht wiederum mit Bindungslosigkeit in Zusammenhang sowie mit der Schwierigkeit, zwischenmenschliche Gefühle zu empfinden. Starke Gefühls- reaktionen treten dagegen in nicht-sozialen Kontexten ein; sie werden durch Musik und andere ästhetische Eindrücke ausgelöst. Die Symptome der Gefühlsunzugäng- lichkeit in intimen Situationen präsentieren sich als Kontinuum zwischen sozialer Angst, Autismus, Trauma und Depression, wobei jeweils Verbindungen zu Spezifika der sinnlichen Wahrnehmung vorliegen, da etwa Autismus mit Synästhesie sowie

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mit starker visueller Detailwahrnehmung korreliert, während Neurosen im End- stadium psychotische Symptome implizieren können.

Der letzte Analyseabschnitt (Kap. VI) widmet sich dem Verhältnis von Subjekt und Weltwahrnehmung. Sinneswahrnehmung und Emotion spiegeln bei Gazdanov das vom Lebensgefühl der Angst geprägte Weltbild des Existenzialismus wider, in dem Subjekt und Außenwelt als fragmentiert erscheinen. Die hohe Präsenz unkom- mentierter Wahrnehmungen führt in weiterer Folge dazu, dass jeweils die Haupt- figur ungewöhnlich stark ins Zentrum rückt. In Verbindung mit der symmetrischen Textgestaltung und der von den Protagonisten empfundenen Unzugänglichkeit anderer Menschen entsteht ein solipsistisches Weltbild. Das wichtigste Ziel, das die Hauptfiguren erst im Spätwerk des Autors erreichen, besteht darin, ihre innere Erstarrung zu überwinden, um Gefühle adäquat empfinden und ausdrücken zu können. In früheren Texten illustrieren schizophrene Konstellationen den Versuch der Annäherung an eine Fremdperspektive. Bei näherer Betrachtung erschließt sich die Figurenkonstellation auf dieser Basis als System von Gefühlsallegorien, deren mitunter schematisch erscheinende Gegenüberstellung deshalb von so großer Be- deutung ist, weil sie die analytische Auseinandersetzung mit Emotionen ermöglicht.

Die Ähnlichkeit zwischen den Figuren erscheint als notwendige Grundlage für die Auslotung emotionaler Nuancen. Gefühle werden außerdem auf Bereiche der Außenwelt verlagert, die mit den Protagonisten in keiner engen Beziehung stehen.

Als Weiterführung der allegorischen Figurensysteme spiegeln zufällig anwesende Unbekannte sowie unbelebte Aspekte der Außenwelt die emotionale Befindlichkeit der Protagonisten wider. Dieses Gefüge erinnert ontologisch an das Blockuniver- sum als vierdimensionalen Raum, womit die im Kontext der Quantenphysik not- wendige Sichtweise gemeint ist, dass Raumzustände unterschiedlicher Zeitpunkte gleichzeitig nebeneinanderstehen. Die in diesem Weltbild verankerte Auflösung der Chronologie liegt den sich in den Texten auftuenden Paradoxa zugrunde. Von außen betrachtet, erscheinen die Handlungen der Texte dementsprechend als dis- kontinuierlich. Unter Berücksichtigung des starken subjektimmanenten Zentrums in den Gefühlen der Protagonisten zeigt sich jedoch eine schlüssige Kontinuität der Zusammenhänge.

Die wichtigsten Verbindungen zwischen Figurenkonstellation, sinnlicher und emotionaler Wahrnehmung sowie einem spezifischen Weltbild werden im Schluss- kapitel zusammengeführt und vertieft. Dabei soll ihre systematische Wechselwir- kung beleuchtet werden, um Ergebnisse zu diskutieren, die als potenziell in die Ausgangsdisziplinen rückführbar erscheinen.

2.  Forschungsstand: Textimmanente Wahrnehmung bei Gazdanov

Nach der posthumen Wiederentdeckung Gazdanovs durch den ungarisch-amerika- nischen Literaturwissenschaftler László Dienes, der 1982 eine erste Monografie über ihn verfasste (Russian Literature in Exile: The Life and Work of Gajto Gazdanov),

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