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„Was bringt den Waldschadensforscher um sein Brot?

Des Waldes Gesundheit oder sein Tod.

Drum hält der Forscher, auf daß er lebe, ihn zwischen beiden in der Schwebe.“

(frei nach Eugen Roth)

1.1 Problemstellung

Das Thema „Waldsterben“ prägte so anhaltend wie kaum ein anderes Thema in den 80er Jah-ren die Umweltdiskussion in Deutschland und dem benachbarten Ausland. Es fällt in eine Zeit und Region mit bereits hoher Umweltsensibilität in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft und betrifft mit dem Objekt Wald zudem ein Symbol hoher Wertschätzung. Daß am Wald, einem

„existentiellen Kulturgut“ der Menschheit, Schäden beobachtet werden, muß daher besorgnis-erregend stimmen.

Je weniger zu Beginn das Ausmaß des Umweltproblems exakt beurteilt werden kann, desto mehr verbleiben Freiräume für - meist negative - Spekulationen. So kommt nicht nur in der von Medien stark beeinflußten Öffentlichkeit, sondern auch bei vielen Fachwissenschaftlern die Befürchtung auf, „es könne in Form eines flächendeckenden Waldsterbens eine Umweltkata-strophe unvorstellbaren Ausmaßes bevorstehen“ [UMWELTBUNDESAMT 1996, S. 1]. Allein vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Umweltsensibilisierung einerseits, der bestehenden umweltpolitischen, wirtschaftlichen - nicht nur forstwirtschaftlicher - und wissenschaftlichen Interessen andererseits, verwundert es nicht, daß das „Waldsterben“ rasch zum Politikum wird.

Inzwischen ist es wieder „still geworden“ um den Wald, die Sorge um ihn wurde aus den öf-fentlichen Schlagzeilen verdrängt [MÖHRING 1992, S. 6]. Auch heute noch, Ende der 90er Jah-re, werden jährlich wiederkehrend und europaweit Waldschadenserhebungen durchgeführt und die Ergebnisse von der Politik der Öffentlichkeit präsentiert. Sie werden zwar überwiegend als Waldzustands- und nicht mehr als Waldschadensbericht bezeichnet, und die früheren pessimi-stischen Prognosen wurden aufgegeben. Nach wie vor wird jedoch nicht nur die Bundesrepu-blik Deutschland, sondern auch viele andere europäische Staaten als von neuartigen Waldschä-den betroffen bezeichnet und von einer Gefährdung der Wälder gesprochen [z.B. BUN

-DESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN 1996, S. 3]. Die kritische Diskussion in der Wissenschaft um die Gefährdung der Wälder, die Existenz über das Nor-malmaß hinausgehender Schäden, die Eignung der verwendeten Schadenskriterien sowie die Rolle von Luftschadstoffen als Schadensursache hat sich inzwischen allerdings verstärkt [s.

z.B. ELLENBERG 1994, 1996 S. 89-102, SCHLAEPFER 1993, S. 87ff; SKELLY & INNES, 1994;

KANDLER 1994, LANDMANN 1995; SPIEKER et al. 1996, BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN 1995].

Dazwischen liegen nahezu 20 Jahre intensiver Waldschadensforschung. Die Politik jedenfalls bescheinigt der Wissenschaft - und sich selbst - den Erfolg: Der deutschen Forschung sei es in

relativ kurzem Zeitraum gelungen, wesentliche Fragen der Ursachen-Wirkungsbeziehungen aufzuklären und damit Grundlagen für politische Entscheidungen erarbeitet zu haben [BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN 1996, S. 50].

Der Wissensstand zu Beginn der Diskussion reichte bei weitem nicht aus, den Erklärungsbedarf zu befriedigen, zudem das Problem „Waldsterben“ mitsamt dem zugrundeliegenden Objekt Wald alsbald als äußerst komplex und vielschichtig erkannt wurde. Damit ist der Beitrag ver-schiedener Fachdisziplinen in einer interdisziplinären Zusammenarbeit gefordert. Dies stellt nicht nur die Waldschadensforscher vor eine schwierige Aufgabe. Auch von der Politik wird umfangreiche, nicht nur kurzfristige Mittelbereitstellung und sinnvolle Mittelverteilung gefor-dert.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, daß die Waldschadensforschung in einem speziellen politischen und psychologischen Umfeld zu arbeiten hatte, das von z.T. übertriebenen oder fal-schen Erwartungen von Politik und Öffentlichkeit auf der einen, Versprechungen der Wissen-schaft auf der anderen Seite geprägt war. Aus diesem Anspruch dürfte eine oftmals beobach-tete Unzufriedenheit über den Erfolg der Waldschadensforschung resultieren, insbesondere hinsichtlich der Erwartung, Luftschadstoffe als die schadensverursachende Schlüsselrolle nachweislich identifizieren zu können [s.a. SCHLAEPFER 1995, S. 56]. Diese Schwierigkeit bei der Ursachenforschung nimmt noch zu, je mehr sich die ursprünglich angenommene Problem-schwere des Waldschadens als tatsächlich nicht zutreffend erweist, wie viele Kritiker prokla-mieren, oder „die Gefahren in weiten Bereichen unseres Landes und anderer europäischer Län-der gar nicht bestanden“ [ELLENBERG 1996, S. 102].

Aber die Forschung kam zum Zuge. Allein in der Bundesrepublik Deutschland finanzieren Bund, Länder und andere Förderer in der Zeit von 1982 bis 1995 die Waldschadensforschung mit etwa 850 Forschungsvorhaben und über 460 Mio. DM, die eigenen Haushaltsmittel von Bundes- und Landesforschungseinrichtungen und weiteren Institutionen noch nicht miteinbe-rechnet [BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM UND BUNDESMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN 1995, S. 4 bzw. 1996, S. 6]. Eine nahezu unüberschaubare Vielzahl überwiegend staatlicher, universitärer wie außeruniversitärer Forschungsinstitutionen verschiedener Fachrichtungen beteiligen sich an der Forschung (s. jährliche Dokumentationen der Interministeriellen Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder IMA).

Auf Bundes- und Länderebene werden in den frühen 80er Jahren spezielle Förder- bzw. Koor-dinationsinstitutionen zur Durchführung bzw. Abstimmung von Programmen zur Waldscha-densforschung etabliert. Zu nennen sind auf Bundesebene insbesondere das Aktionsprogramm des Bundes „Rettet den Wald“, und die „Interministerielle Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder Waldschäden/Luftverunreinigungen“ (IMA) [UMWELTBUNDESAMT 1996, S. 4]. Auf Länderebene werden das „Projekt Europäisches Forschungszentrum für Maßnahmen zur Luf-treinhaltung (PEF) in Baden-Württemberg, der Forschungsschwerpunkt „Luftverunreinigungen und Waldschäden“ des Landes Nordrhein-Westfalen oder das „Forschungszentrum Waldöko-systeme / Waldsterben“ der Universität Göttingen / Niedersachsen gegründet.

Viele mitteleuropäische Länder folgen der Bundesrepublik mit vergleichbaren Programmen, z.B. Österreich („Forschungsinitiative gegen das Waldsterben“), die Schweiz (Sanasilva-Programm, Nationales Forschungsprogramm NFP 14/14+) und Frankreich (Depérissement des Forêts et Pollution Atmosphérique - Deforpa -).

Auch im Freistaat Bayern, welcher vergleichsweise frühzeitig Waldschäden konstatiert, führt das Thema zu einer drastischen Verstärkung der Forschung und deren finanzieller Förderung.

Dies betrifft bereits Ende der 70er Jahre in erster Linie die vom Landwirtschaftsressort finan-zierte forstliche Forschung, aber auch Förderaktivitäten des Kultus- und Umweltressorts in den frühen 80er Jahren.

Auf Ministerratsbeschluß wird an der damaligen Gesellschaft für Strahlen- und Umweltfor-schung (GSF) bei München eigens eine Koordinationsstelle für die bayerische Waldschadens-forschung etabliert, die „Projektgruppe Bayern zur ErWaldschadens-forschung der Wirkung von Umwelt-schadstoffen (PBWU). Das von ihr in den Jahren 1984 bis 1993 betreute Forschungspro-gramm, das sich allerdings im wesentlichen auf den umweltministeriellen Anteil der gesamt-bayerischen Waldschadensforschung beschränkt, umfaßt bei rund 80 Forschungsvorhaben und ergänzenden Serviceleistungen ein Fördervolumen in Höhe von etwa 35 Mio. DM [REUTHER

et al. 1993, S. 2]. Damit nimmt das PBWU-Programm neben der vom Landwirtschaftsressort geförderten Forschung und gegenüber den weiteren beteiligten bayerischen wie außerbayeri-schen Förderbeiträgen eine herausragende Stellung in der bayeriaußerbayeri-schen Waldschadensforschung ein [s.a. INTERMINISTERIELLE ARBEITSGRUPPE WALDSCHÄDEN / LUFTVERUNREINIGUNGEN -IMA 1993, S. 9/10; REUTHER & KIRCHNER 1990, S. 8].

1.2 Fragestellung und Zielsetzung

Die Waldschadensforschung bietet aus verschiedenen Gründen ein erfolgversprechendes Stu-dienobjekt politikwissenschaftlichen Arbeit in Hinblick auf das Management moderner Um-weltforschung. Sie beschäftigt sich in erheblichem finanziellen, zeitlichen, fachlich-inhaltlichen wie institutionellen Umfang mit einem Umweltthema von hoher gesellschaftlicher Relevanz.

Sowohl die Politik, als auch die Wissenschaft haben ein vitales, wenn auch unterschiedliches Interesse an der Forschung über das Thema.

Die Politik verfolgt in der Öffentlichkeit das Ziel, naturwissenschaftliche Forschung finanziell zu fördern, welche ihr wissenschaftlich fundierte Maßnahmenvorschläge zur Lösung des beste-henden Waldschadensproblems liefern soll. Hierzu ist es naheliegend, die Identifizierung der Schadensursachen dahingehend zu fordern, daß eine politische, effektive Bekämpfung bzw.

Beseitigung der Ursachen erfolgen kann. Dies setzt eine problemorientiert-angewandte, multi-disziplinäre Ursachenforschung voraus, die als politische Zielsetzung der staatlich finanzierten Forschung formuliert und verfolgt werden wird.

Auch der Wissenschaft ist an der Erforschung der Waldschäden sowie deren Ursachen auf-grund ihres intrinsischen Interesses der Erkenntnisproduktion und -erweiterung gelegen. Dabei steht jedoch das naturwissenschaftliche Interesse im Vordergrund. Dieses verlangt überwie-gend nach Forschungsansätzen, die zum grundleüberwie-genden Verständnis von Systemen,

Vorgän-gen, Prozessen und Wirkungsmechanismen führen, damit wiederum aber nicht deckungsgleich mit den Förderabsichten der Forschungspolitik sein müssen.

Trotz unterschiedlicher Interessen sind beide Akteursgruppen zur Verfolgung ihrer Zielsetzun-gen aufeinander angewiesen. Die Wissenschaft bedarf zur Finanzierung und Durchführung der von ihr beabsichtigten Forschung umfangreicher staatlicher Förderung. Die Politik stellt diese zur Verfügung, um von der Forschung zur Verfolgung ihrer politischen Ziele umsetzbare Er-gebnisse zu erhalten.

Aus dem einleitend nur kurz angedeuteten Spannungsfeld zwischen Interessenlagen von Politik und Forschung ergibt sich die der Studie zugrundeliegende, forschungspolitisch relevante Fra-gestellung:

• Wie läßt sich Forschung organisieren und politisch steuern, daß sie zum einen den selbstgesetzten Standards der Wissenschaft in hohem Maße entspricht, und zum anderen problemorientiert-angewandt und interdisziplinär durchgeführt wird, um zu Ergebnissen zu führen, die den politisch gesetzten Zielen dienen?

Diese Frage soll anhand des Fallbeispiels des PBWU-Projektes als einem staatlichen Förder-programm bearbeitet und beantwortet werden. Hierzu zielt die vorliegende Studie auf die sozi-alwissenschaftlich fundierte Analyse der Forschungsförderung ab. Diese muß die spezifischen forschungsseitigen, organisatorischen und verwaltungsmäßigen Strukturen ebenso berücksich-tigen wie die Interessenlagen und Handlungspläne der Beteiligten aus Politik, Verwaltung und Forschung. Die Frage nach der Forschungskoordination gewinnt bei der gegebenen Komple-xität der Forschung und der im Projekt eigens eingerichteten Koordinierungsstelle besonderes Interesse.

Dabei wird unterstellt, daß forschungspolitische Prozesse stattfinden, die zu Abweichungen vom Idealtyp wissenschaftlichen Forschung ebenso wie vom Idealtyp politischer Forschungs-förderung führen. Anhand des Beispiels wird theorieorientiert erklärt, warum derartige Abwei-chungen eintreten. Das Wissen über die Prozeß-steuernden Faktoren kann abschließend dazu dienen, alternative Steuerungsstrategien für Forschungspolitik und Förderprogramme zu ent-werfen. Darin wird der praktische Nutzen der Studie gesehen.

1.3 Gliederung der Studie

Der Aufbau der vorliegenden Arbeit folgt der genannten Fragestellung. Die theoretische Grundlegung (Kapitel 2) sucht nach einem geeigneten Analyseinstrument. Hierzu wird der

„Policy-Ansatz“ gewählt, der geeignet ist, die Abfolge der verschiedenen Teilschritte (Phasen) der politischen Maßnahme PBWU-Projekt und des daraus resultierenden Forschungsprozesses zu beschreiben und theorieorientiert zu analysieren. In Kapitel 3 wird das methodische Instru-mentarium zur Durchführung der Studie dargestellt.

Vor der Beschreibung des Prozesses und der theorieorientieren Analyse werden in Kapitel 4 die politischen und wissenschaftlichen Akteure im einzelnen vorgestellt, die im PBWU-Projekt

beteiligt sind. Die jeweiligen Akteursstrukturen und -konstellationen, ihre Interessenlagen und Handlungspläne werden skizziert.

Das Hauptinteresse der Studie richtet sich auf die Durchführung des PBWU-Projektes als poli-tische Maßnahme und hier insbesondere auf den daraus resultierenden Forschungsprozeß. Dies ist in dem zentralen Kapitel 5 ausführlich dargestellt. Einleitend wird kurz auf die Entdeckung und Diskussion des „Waldsterbens“ im politischen und gesellschaftlichen Kontext sowie die er-sten Ansätze einer Waldschadensforschung und deren Koordinierung eingegangen. Die Be-schreibung der Phasen der Problemerkennung und Thematisierung als Forschungsaufgabe sind nicht nur eine historische Darstellung, sondern bereits Bestandteile der „Policy-Analyse“ zum PBWU-Projekt. Nach den Phasen Gründung und Etablierung des PBWU-Projektes rückt die Beschreibung des PBWU-Projektes und damit der Forschungsprozeß und das Forschungsför-derverfahren in den Mittelpunkt. Dabei folgt die Gliederung wiederum empirisch wie theorie-geleitet den Phasen der Forschungspolicy. Theorieorientierte Zwischenergebnisse werden in Unterkapiteln behandelt.

Der Forschungsprozeß beginnt mit der Erarbeitung und Formulierung eines Forschungsrah-menprogramms. Dessen Umsetzung reicht von der Einreichung und Behandlung von For-schungsanträgen über die Durchführung des Förderverfahrens und der Forschung selbst bis hin zur Evaluierung und Terminierung des Gesamtprojektes. Detailuntersuchungen greifen das Förderverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Qualitätssicherung der Forschung und des Steuerungseinflusses der beteiligten politischen wie wissenschaftlichen Gremien heraus.

Kapitel 6 bildet den Abschluß der Analyse. Hier werden die zentralen politischen Faktoren der Entwicklung und Steuerung des Forschungsprojektes zusammenfassend dargestellt. Der For-schungsprozeß im PBWU-Projekt wird im Kräftespiel politischer wie wissenschaftlicher Inter-essen und Steuerungseinflüsse erklärt.

Die Studie endet exkursorisch mit Empfehlungen für das Forschungsmanagement (Kapitel 7).

Aufbauend auf den Ergebnissen der Analyse und orientiert an einem Idealmodell werden praxi-staugliche Maßnahmen zur Verbesserung der Durchführung anwendungsorientierter, interdis-ziplinärer Forschungsprogramme entwickelt und vorgeschlagen.