• Keine Ergebnisse gefunden

Anfängliche Struktur der bayerischen Waldschadensforschung

5. POLICY-ZYKLUS

5.1 Gründung des PBWU-Projektes

5.1.1 Thematisierung der Waldschadensforschung (Problemdefinition)

5.1.1.2 Anfängliche Struktur der bayerischen Waldschadensforschung

Inzwischen sind in der Bundesrepublik Deutschland bereits eine Vielzahl an Forschungsvorha-ben angelaufen. Vom Bund wird im April 1983 die Gemeinsame Interministerielle Arbeits-gruppe (IMA) „Waldschäden/Luftverunreinigungen“ des Bundes und der Länder gegründet, um sich mit der „Koordinierung der Waldschadensforschung zu befassen und Forschungs- und Handlungskonzepte abzustimmen“ [UMWELTBUNDESAMT 1996, S. 4].

Nach einer Zusammenstellung der IMA [1983] befinden sich Mitte 1983 bereits knapp 300 Forschungsvorhaben zum Thema in Bearbeitung oder Planung, die im wesentlichen von ver-schiedenen Bundes- oder Länderministerien sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert werden. Allein für bayerische Forschungsinstitute werden rund 40 For-schungsvorhaben genannt, von denen etwa 80 % an der Forstwissenschaftlichen Fakultät der Universität München angesiedelt sind.

Das Umweltressort trägt mit bereits laufenden bzw. erweiterten Bioindikator- und lufthygieni-sche Messungen, Regenwasser- und Bodenuntersuchungen zur Forschung bei. In einer ge-meinsamen Dokumentation des BAYERISCHEN UMWELT- UND L ANDWIRTSCHAFTSMINI-STERIUMS [1982, S. 10] zum „Baumsterben“ werden unter anderem die erfolgten bzw. noch erforderlichen Maßnahmen dargestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt seien für Schadenserfassung, forstliche Forschung und Immissionsuntersuchungen beider Ressorts insgesamt ca. 5 Mio. DM aufgewendet worden. Es wird ausgeführt, daß die Koordination der forstlichen Forschungs-vorhaben über das Kuratorium der Bayerischen Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt erfolgte und eine Abstimmung mit benachbarten Landesforstverwaltungen stattfände.

5.1.1.2.1 Forstliche Forschung an Forstfakultät und Forschungsanstalt

Die Zusammenarbeit der forstlichen Lehrstühle der Universität München mit der behördlichen Forschungsanstalt läßt sich aufgrund nachbarschaftlicher, institutionell-organisatorischer und personeller Strukturen vergleichsweise leicht bewerkstelligen. Die dem Landwirtschaftsressort zugeordnete Forschungseinrichtung Forstliche Forschungsanstalt (FFA) ist bis 1978 eng mit der Forstwissenschaftlichen Fakultät verbunden [REHFUESS 1978, GOETTLING 1981, ZANG

1981, HOLL 1993]. Dies sichert eine enge Kooperation und eine starke Position der Fakultät hinsichtlich der Einflußnahme auf die an der Forschungsanstalt bearbeiteten Themen. Beide In-stitutionen partizipieren - die Forschungsanstalt nahezu ausschließlich - von den Fördermitteln des Landwirtschaftsministeriums und sind dessen Modalitäten der Forschungsförderung unter-worfen.

Um den universitären Forschungs- und Lehrbereich von den praxisorientierten Versuchs- und Forschungsaufgaben der Staatsforstverwaltung abzukoppeln, trennen sich 1979 beide Institu-tionen (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 6/65 vom 13.3.1979). Die neu benannte Bayerische Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) ist in die Hierarchie der Staatsforstverwaltung voll eingebunden [GOETTLING 1981]. Als Bindeglied zur Forstwissen-schaftlichen Fakultät dient neben gemeinsamen Arbeits- und Projektgruppen das Kuratorium der FVA. Diesem gehören unter anderem paritätisch Vertreter der Staatsforstverwaltung und der Fakultät an. Das Kuratorium gibt dem Landwirtschaftsministerium Förderempfehlungen zur Finanzierung eingereichter Forschungsanträge. Es versteht sich als Koordinationsstelle für den Bereich der vom Bayerischen Landwirtschaftsministerium geförderten Forschung [s.a.

BAYERISCHE STAATSFORSTVERWALTUNG 1982b, S. 5].

Fakultät und Forschungsanstalt gewinnen durch die gemeinsamen Strukturen in Hinblick auf die Tannen-, Fichten- bzw. in der Folge Waldschadensforschung. Die Koalition zwischer uni-versitärer und angewandt forstlicher, praxisnahen Forschung kann, wie auch die folgende Analyse des PBWU-Forschungsprojektes zeigen wird, kaum hoch genug eingeschätzt werden.

Die forstwissenschaftliche Forschung besitzt fachlich-professionell bedingt leichten Zugang zum Objekt Wald und hat über die Forschungsanstalt enge Anbindung an die Forstpraxis. Die frühzeitige Etablierung des forstwissenschaftlichen Verbundprojektes „Höglwald“ ist hierfür ein Beispiel. Bereits zu Ende des Jahres 1981 kann unter Leitung eines Münchner Bodenkun-de-Professors der Forstwissenschaftlichen Fakultät mit Mitteln des Kuratoriums die Pilotphase für ein umfangreiches Forschungsexperiment zur Säurewirkung und Düngung (Kalkung) in

ei-nem Fichtenbestand begonnen werden[BAYERISCHE STAATSFORSTVERWALTUNG 1983a, S. 4].

Das Projekt hat - bei veränderten Fragestellungen - bis heute Bestand.

5.1.1.2.2 Etablierung weiterer Forschungsverbünde

Neben der forstlichen, vom Landwirtschaftsressort finanzierten Waldschadensforschung wird im Jahr 1983 auf Initiative des Beirats für Wissenschafts- und Hochschulfragen beim Bayeri-schen Kultusministerium die „Bayerische Forschungsgruppe Forsttoxikologie“ gegründet [SCHULZE et al. 1989, S. 4ff]. Die Koordination und Umsetzung der einzelnen Forschungsbe-reiche obliegt drei namhaften Wissenschaftlern nordbayerischer Universitäten. Die Finanzie-rung in Höhe von mehreren Mio. DM erfolgt maßgeblich und in enger Abstimmung mit dem Kultusressort unter Einbeziehung externer Gutachter. Damit wird mit dem nordbayerischen Fichtelgebirge als regionalem Forschungsschwerpunkt ein multidisziplinärer Forschungsver-bund zur Klärung der Wirkung von Stoffeinträgen auf Waldbestände mit etwa 20 Einzelpro-jekten etabliert. Das Projekt stellt einen wichtigen Eckpfeiler der bayerischen Waldschadens-forschung dar.

Eine weitere Forschungsinitiative zur Waldschadensforschung geht von der damaligen Gesell-schaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) in Neuherberg - heute GSF-Forschungs-zentrum für Umwelt und Gesundheit - aus. Sie legt ebenfalls im Jahr 1983 ein überwiegend auf Laborarbeiten beruhendes Forschungsprogramm über die Wirkung von Luftschadstoffen auf Pflanzen vor (Aktionsprogramm der GSF, Stand 23.3.1983). Zu dessen Umsetzung soll eine koordinierende Arbeitsgemeinschaft, die „Münchner Arbeitsgemeinschaft Luftschadstoffe“

(MAGL) mit einem Lenkungsausschuß etabliert werden, dem führende Wissenschaftler der GSF sowie der beiden Münchner Universitäten angehören. Auch Lehrstuhlinhaber der Forst-wissenschaftlichen Fakultät sagen ihre Mitarbeit zu (Arbeitsprogramm der MAGL, Stand 10.6.1993).

Zur Durchführung der Forschungsarbeiten ist der Bau und Betrieb einer technisch wie finan-ziell anspruchsvollen Experimentieranlage für Luftschadstoff-Belastungsversuche (Exposi-tionskammern) geplant, die von der GSF betreut und den Forschern zur Verfügung gestellt wird. Die Arbeitsgemeinschaft wird am 22.6.1983 gegründet, die Kammern, an deren Finanzie-rung sich auch das Bayerische Umweltressort beteiligt, werden Ende des Jahres 1984 einge-weiht (s. Aufzeichnungen des GSF-Forschungszentrums zur MAGL). In Verbindung mit der Angliederung der Anlage an ein neu gegründetes Forschungsinstitut an der GSF wird ein wei-terer Schwerpunkt der Waldschadensforschung in Bayern geschaffen. In den Folgejahren be-teiligen sich zahlreiche Forschergruppen aus dem In- und Ausland und von anderweitigen bayerischen Forschungsschwerpunkten an den GSF-Kammerexperimenten der MAGL [LANGEBARTELS et al. 1997].

5.1.1.3 Theorieorientiertes Zwischenergebnis

5.1.1.3.1 Hoher Handlungsdruck

Die anfängliche Waldschadensdiskussion ist geprägt durch die vorherrschende Unkenntnis bzw. Vermutungen über die Problemschwere, die bestehende Verwirrung aufgrund vielfältiger

Ursachen-Hypothesen und durch widersprüchliche Forschungsergebnisse. Nicht zuletzt durch Beiträge von Forschern und Umweltgruppen entsteht der starke Verdacht, daß die Luftschad-stoffe ursächlich zum Waldsterben führen. Die Thematisierung des mit katastrophalen Folgen drohende Ereignis „Waldsterben“ erzeugt Angst und damit hohen Handlungsdruck.

Die Überzeugung, daß überhaupt Lösungen im politisch-administrativen Bereich möglich sind, besteht. Maßnahmen der Luftreinhaltepolitik sowie ergänzende, ursachenklärende Forschung lassen auf eine erfolgreiche Problembewältigung hoffen. Wesentliche Voraussetzungen dafür, daß das Thema Waldschadensforschung zu einem behandlungswürdigen Policy-Problem erho-ben wird („Issue-Initiierung“) sind damit gegeerho-ben [WINDHOFF-HÉRITIER 1987, S. 67/68].

5.1.1.3.2 Forschung als Beitrag zur Problem- oder Konfliktlösung

In dieser Situation ist die Legitimation für Forschung [MAYNTZ 1985, S. 19] ausgesprochen hoch. Das politisch-administrative System ist stark an Forschung interessiert. Generell - und idealisiert dargestellt - ist Forschung dann politisch legitimiert, wenn es - wie im Falle des Waldsterbens - gelingt, ein neues, noch unbekanntes Problem zu definieren. Dessen Beurtei-lung kann durch entsprechende Forschungsbeiträge versachlicht, Problemlösungen können durch gezielte und wissenschaftlich legitimierte Maßnahmen herbeigeführt werden.

Dies setzt allerdings voraus, daß das politische System das Problem auch rational bearbeiten möchte, die bestehenden Interessenkalküle die rationale Bearbeitung überhaupt zulassen und

„gezielte Maßnahmen oder „Versachlichung“ des Problems nicht lediglich politische Schutzbe-hauptungen darstellen. Weitere Faktoren spielen in der politischen Rationalität eine Rolle. So werden mit der Forschungsverstärkung Aktivitäten unternommen, die politisch weniger kon-fliktreich sind als konkrete Gegenmaßnahmen, wie z.B. im Bereich der Luftreinhaltung. Die Forschung verschafft der Politik zudem einen Zeitgewinn zur Durchführung von Gegenmaß-nahmen; sie bietet eine kurzfristige Entlastung für die Lösung politischer Konflikte.

Forschungsbedarf wird auch von den Wissenschaftlern, und hier von den primär tangierten Forstforschern festgestellt. Trotz der zu erwartenden, objektspezifischen Forschungsprobleme bestehen vermeintlich hohe Erfolgsaussichten für die Forschung, da die Ursachen ja im Grund-satz (in Form der Luftschadstoffe) als bekannt vermutet werden und nur noch wissenschaftlich abgesichert werden müssen. Die Forschung kann daher glaubhaft versprechen, den Verdacht maßgeblicher Beteiligung von Luftschadstoffen am Zustandekommen von Waldschäden rasch zu beweisen und somit zur Problemlösung beizutragen. Das formale wissenschaftliche Interes-se an Erkenntnisgewinn zur wisInteres-senschaftlichen Beschreibung und ursächlichen Aufklärung des Phänomens kann dabei an die Erwartung zusätzlicher finanzieller Ressourcen geknüpft werden.

In einer Vorphase der bayerischen Waldschadensforschung zu Tannen- und Fichtenschäden kann die forstwissenschaftliche Forschung der Universität München rasch zusätzliche For-schungsfinanzierung durch das Landwirtschaftsministerium erwirken. Eine maßgebliche Rolle spielt dabei ein Münchner Forstbotaniker, der sich nicht nur an der Entdeckung und Ursachen-diskussion zum „Waldsterbens“ beteiligt, sondern auch frühzeitig die Notwendigkeit einer um-fassenden und koordinierten Erforschung der Phänomene fordert. Die enge Verbindung zwi-schen universitärer Forschung der Forstwissenschaftlichen Fakultät, der praxisnahen

Forstli-chen Versuchs- und Forschungsanstalt und dem ressortzuständigen Finanzgeber wirkt sich po-sitiv auf die Durchführung der ersten forstlichen Forschungsprogramme zu Tannen- und Fich-tenschäden aus. Sie stellt einen potentiellen Konkurrenzvorteil dar gegenüber anderen, nicht-forstlichen Forschungsinstitutionen, welche sich erst in der Folge in großem Umfang an der Waldschadensforschung beteiligen. Bereits bestehende Forschungsansätze, die entweder aus den genannten Programmen resultieren, oder ohnehin betrieben und nun für das Forschung-sthema Waldschäden verwendet bzw. modifiziert werden können, erleichtern es in der Folge den betreffenden Forschungsinstitutionen zudem in fachlicher Hinsicht, sich an der Forschung zu beteiligen. Die erworbene Kompetenz kann wiederum als Konkurrenzvorteil gegenüber

„Neueinsteigern“ genutzt werden.

5.1.2 Politische Behandlung der Forschungskoordination und Beschluß zur