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Archiv "Risse im Fundament" (02.04.1993)

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Risse im Fundament

Auftrag und Herausforderung des Arztes in einem reglementierten System

Ernst-Eberhard Weinhold

Den Auftrag des Arztes als „Behandler", „Anwalt", „Betreuer"

und „Seelsorger" seiner Patienten kann kein Staat aufheben und auch nicht in seiner Kernsubstanz verändern. Allerdings ist die Ausübung des Arztberufes in freier Praxis heute schwieri- ger denn je geworden. Zu sehr sind der Arzt und sein Beruf in staatlich kontrollierte Rahmenbedingungen eingebunden, zu sehr überziehen ein Wust von bürokratischen Reglementierun- gen und komplizierte Vorschriften die ärztliche Praxis und ab- sorbieren einen Teil der Arbeitskraft des Arztes. Vor allem ver- langt der Arzt, daß sich die „Risse im Fundament" der ärztlichen Berufsausübung wieder schließen. Diese Axiome und Postulate sind die Leitgedanken eines Grundsatzbeitrages aus der Feder von Prof. Dr. med. Ernst-Eberhard Weinhold, Arzt für Allgemein- medizin aus Nordholz, Ehrenvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (Hannover) und (wiederberufe- nes) Mitglied des acht Mitglieder zählenden Sachverständi- genrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen.

THEMEN DER ZEIT

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Odone-Familie mehrere Jahre lebte und Sohn Lorenzo in der Landes- sprache aufwuchs. Aus beruflichen Gründen muß die Familie die heile Welt verlassen und zurück nach Washington ziehen. Mit der Rück- kehr in die amerikanische Realität kommt die Geschichte schnell zur Sache, in rascher Folge reihen sich die Zeichen, daß mit dem fünfjähri- gen Lorenzo etwas nicht stimmt:

Tobsuchtsanfälle, Gleichgewichts- störungen, Anzeichen von Gehörver- lust. Im Nu werden die Eltern mit der Tatsache konfrontiert: Lorenzos Erbanlagen tragen ALD, das Ende ist zwingend tödlich. Hier beginnt der Alleingang der Eltern, die sich gegen jede Hoffnung als Laien über Monate und Jahre in die Materie der genetischen Fehlfunktionen hinein- arbeiten und nach verschiedenen Rückschlägen einen Weg finden, die Krankheit zu stoppen.

Neben Nick Nolte und Susan Sa- randon als Eltern und Zack O'Mal- ley Greenburg als Lorenzo ist nach langer Zeit wieder einmal Peter Usti- nov zu sehen in einer ihm auf dem Leib geschriebenen Rolle als Präsi- dent eines Forschungsverbandes.

Der beeindruckendste Auftritt ist der des alternden Londoner Chemi- kers, der auf Vater Odones Anre- gung das Öl in geduldiger Arbeit destilliert. Wie eine surreale Heils- bringerfigur bewegt er sich in einem Röhrenlabor, das an Alphaville- Sience-Fiction der 50er Jahre erin- nert. Und alles ist echt: Don Sudda- by, der Lorenzos Öl als erster in den Händen hielt, spielt sich selbst.

Szenisch und schauspielerisch ist der Film durchweg intensiv und da- bei nie übertrieben. Vor allem die Kameraführung und die Ausstattung bewirken, daß Wohnzimmer, Kran- kenhäuser und Konferenzsäle immer etwas überlebensgroß Kathedrali- sches an sich haben. Für die riesen- hafte Bücherei, in der die Odones sich durch Berge von Literatur durcharbeiten, wurde gar eine still- gelegte Bahnhofshalle umfunktio- niert. Miller scheute keinen Manie- rismus, um einen sehenswerten Film zu schaffen, und folgte damit durch- aus dem Prinzip dieser Geschichte, daß der Zweck die Mittel rechtfer- tigt. Christian Köhl, Brisbane

m Anfang waren Opfergaben, als Glaube oder Aberglaube noch im Dunkel der kosmi- schen Mythen die bösen oder belei- digten Kräfte der Überirdischen um Versöhnung baten. Die Institution vermittelte das durch Priester oder Schamanen, deren Ansehen sie stützte und prägte. Das gibt es auch heute noch und heute wieder, wenn auch in abgewandelter Form zwi- schen Urglauben im Dschungel und modernen Sekten. Bezahlt wird im- mer, mit Diensten, mit Waren, mit Geld oder auch mit Hörigkeit.

Es gab und gibt feste Besoldun- gen, Ehrengaben (Honorare) nach eigener Wertung und Kraft, Vor- schriften, Sitten, Gesetze und, seit die Heilkunde in der Methodik ab- grenzbar und exakter wurde, Gebüh- renordnungen. Sie gehören zur Me- dizingeschichte. In der Praxis der Heilkunde mischen sich die Formen schon seit über 300 Jahren, wenig- stens im abendländischen Kultur- kreis.

Es mag wohl immer so gewesen sein, daß in der Ausübung der ärztli- chen Kunst auch Leistungsanreize von den jeweils erhofften Vergütun- gen ausgegangen sind. Aber immer hat sich die Arzteschaft zugute ge- halten, eigene Interessen hinter Pa- tienteninteressen rangieren zu las- sen. Stets war deshalb das Schreiben von Privatrechnungen ein Greuel.

Nur zu gern wird es deshalb dele- giert an externe Organisationen. So- gar um die gesetzlich vorgeschriebe- ne persönliche Verhandlung zwi- schen Arzt und Patient bei höheren als den üblichen Honorarforderun- gen drücken sich die „Halbgötter in Weiß" gern herum. Viele bescheiden sich sogar mit wenig attraktiven Mul- tiplikatoren, um nicht als „geldgie- rig" dazustehen. Natürlich wollen al- le Ärzte für ihre schwierige und ver- antwortungsvolle Arbeit entspre- chend honoriert werden — da ist es wieder, das Wort mit dem Klang von Ehrung und Wertschätzung —, aber das soll eine Art Bringschuld, eine A1 -936 (24) Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993

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Selbstverständlichkeit sein, nicht nur für die gekonnte Medizin, auch für alles Persönliche und Zwischen- menschliche drumherum.

Die Erwartungshaltung der Ärz- te hat sich kaum geändert, die Er- wartungshaltung der Kranken, ein- schließlich ihrer Bindungsbereit- schaft an die Ärzte, auch nicht. Die Patienten sind zwar heute kritischer, aber immer noch vertrauensvoll.

Zunehmende Irritation

Ich sage immer noch, denn seit über zwei Jahrzehnten tun die Ärzte, die sich in der Öffentlichkeit zur Ho- norarbemessung äußern, alles, um Zweifel an ihrer intakten Grundein- stellung zu rechtfertigen. Solange sich der Arzt als Freiberufler dar- stellte, der mit seinen Fähigkeiten und Kenntnissen nach den besten Möglichkeiten suchte, sie für seinen Patienten einzusetzen, gab es kaum Irritationen. Was ein Arzt selbst nicht leisten konnte, brachte die Zu- sammenarbeit mit anderen Ärzten ein. Bei spezialisierten Ärzten recht- fertigten entsprechende Leistungs- frequenzen dann auch besondere In- vestitionen. Theoretisch ist das auch heute noch das Grundmuster der Zusammenarbeit. Aber die Arbeits- teilung der Ärzte ist durcheinander geraten; so hat sich aus dem Teufels- kreis Investitionswettbewerb, Perso- nalbedarf, Kreditfinanzierung ein neuer „unternehmerisch" genannter Imperativ in die freiberufliche Pa- tient-Arzt-Beziehung gedrängt. Da- von ist. in der letzten Zeit ständig die Rede gewesen. Daß die Patienten dadurch so wenig verunsichert wur- den, liegt wohl daran, daß sich die ökonomischen Auseinandersetzun- gen außerhalb dieser Beziehungen abspielten. Aber niemand darf sich wundern, wenn die Krankenkassen und die für die gesetzlichen Rege- lungen in der Krankenversorgung verantwortlichen Politiker davon zu- nehmend irritiert wurden. Es ist je- denfalls sehr schwierig, ihnen zu ver- mitteln, daß das Gerede um kauf- männisches Handeln und Unterneh- mertum nichts an der Glaubwürdig- keit der Ärzte hinsichtlich ihrer be- ruflichen Zusammenarbeit, ihrer

Wirtschaftlichkeit und ihrer huma- nen Qualität ändern würde.

Tatsache ist aber, daß die aus- gehandelten Leistungsbewertungen kaum Einfluß auf die tägliche Arbeit der Ärzte haben. Es sind auch Durchschnittsbewertungen, und die sind einmal zu niedrig, einmal ange- messen und gelegentlich auch sogar erfreulich hoch. Wer natürlich glaubt, die Kassenpatienten hätten nur Anspruch auf eine Art erweiter- ter Nofallmedizin, der kennt die vom Gesetzgeber formulierten Ansprü- che nicht. Da ist alles drin, was die medizinische Wissenschaft als sinn- voll anerkennt und was zur Errei- chung des Behandlungsziels „zweck- mäßig" und „ausreichend" ist. Die Schwierigkeit in der Praxis besteht darin, daß „Ausreichende" vom

„Wünschenswerten" zu trennen.

Denn am Wünschen beteiligen sich auch die Patienten. Je informierter sie sind über die Möglichkeiten der modernen Medizin, desto mehr wün- schen sie sich. Der Gesetzgeber nimmt den Mund mit seinen Ver- sprechungen sehr voll, und die Rechtsprechung ist, was Versäum- nisse anbelangt, unerbittlich. Da wird es nichts helfen, wenn ein Kas- senarzt versichert, er hätte gedacht, diese Untersuchung oder jene Be- handlung seien unwirtschaftlich und deshalb vorerst nicht indiziert gewe- sen. Es ist aber auch klar, daß ein Arzt, der stets alles Erreichbare für die Behandlung seiner Patienten und zu seiner rechtlichen Absicherung unternimmt, das Maß des objektiv Notwendigen leicht überschreitet.

Die Ärzte könnten sich das Gerede vom „Unternehmertum", Amortisierungszwang und „gesun- den Gewinnstreben" getrost sparen.

Es mag ja sein, daß die Gesellschaft mit ihrer Ausrichtung nach wirt- schaftlichem Erfolg sogar auf diese Argumente besser hört als auf medi- zinische, ärztlich-ethische und juri- stische; aber das „Gewinnstreben"

läßt die Ärzte nicht mit sich in Ein- klang leben. Was nicht bedeutet, daß sie ihre Quartalsabrechnung nicht mit Spannung erwarten und sich freuen, wenn sie ihnen eine zufrie- denstellende Honorargutschrift an- kündigt. Es hat den Ärzten, die durch die Verträge ihrer Kassenärzt-

lichen Vereinigungen mit den Kran- kenkassen in die glückliche Lage ver- setzt worden sind, auch in einer so- zialisierten Volksversicherung nicht Pauschalen oder Gehälter zu bezie- hen, sondern immer noch leistungs- bezogene Honorare zu erhalten, gut getan, daß sie sich wenig ums „Ge- schäft" zu kümmern brauchten.

Neben dem längeren „Spieß" im Turnier der Verhandlungen mit den Krankenkassen war das der Segen der Kollektivverträge.

Arbeitsteilung mit Leistungskonzentration

Die gesetzlich festgelegten An- sprüche der Versicherten an ihre Krankenkassen und die Leistungsga- rantien, die diese für sie mit bei- spielsweise den Kassenärztlichen Vereinigungen ausgehandelt haben, sind Argument genug, um das ärztli- che Handeln in der Praxis zu be- gründen. Kosten-Nutzen-Relationen müssen allerdings in die ausgehan- delten Bewertungen eingehen, und dort müssen sie plausibel und an pa- tientenorientierten Leistungsfre- quenzen ausgerichtet sein. Das zwingt zu einer Arbeitsteilung mit Leistungskonzentrationen bei hohen Investitionen, und diese Konzentra- tion dient gleichzeitig der Qualitäts- sicherung und fördert die kollegiale Zusammenarbeit.

Was wird den Ärzten nicht alles unterstellt, seit sie ständig wie die Betriebswirte argumentieren:

1> sie seien gezwungen, aus Wettbewerbsgründen mehr und teu- rer zu verordnen;

> sie seien zu willfährigen At- testen gezwungen;

> sie überwiesen aus Eigenin- teresse mit Vorliebe an Kranken- hausärzte und/oder Krankenhäuser, um nicht ihre Patienten zu verlieren;

> sie setzten ihre medizini- schen Geräte mit dem Ziel ein, mit ihnen möglichst viel Gewinn zu ma- chen;

> sie schaukelten in den Fach- gruppen ihre Leistungsfrequenzen hoch, um günstige Ausgangspositio- nen für die Prüfung zu erreichen;

> sie drückten sich soweit als möglich vor unbequemer Dienstbe- A1 -938 (26) Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993

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reitschaft, weil diese nicht genügend bezahlt wird;

I> sie mauerten bei der gegen- seitigen Konsultation, um das ge- deckelte Honorar zu schonen...

Das betriebswirtschaftliche Arztverhalten hört sich schlimm an;

doch Gott sei Dank bestimmt es noch nicht die Praxis der Kranken- versorgung. Das soll nun mit dem „Gesundheitsstrukturgesetz"

(GSG) erzwungen werden, nachdem das „Nahelegen" mit dem „Gesund- heits-Reformgesetz" keine Früchte getragen hat.

Mit betriebswirtschaftlichen Im- perativen rückt der Gesetzgeber dem Primat ärztlich-medizinischen Den- kens zu Leibe, weil er der Auffas- sung ist, die Ärzte seien auch nur

„Geschäftemacher". Dieser Ein- druck wird ständig durch unüberleg- tes Gerede und leider auch durch üble Einzelbeispiele verstärkt.

In der unqualifizierten Rangelei um die an sich von den medizini- schen Anforderungen her arbeitstei- lige Krankenversorgung durch Haus- ärzte und Fachärzte feiert das Miß- trauen untereinander fröhliche Ur- ständ. Hätten Arbeitsteilung und Zusammenarbeit funktioniert, wäre jede Regelung überflüssig. Aber sie hat nicht mehr von selbst funktio- niert, sie ist auf der Strecke geblie- ben unter dem Druck von vielen Ein- flüssen:

Abschottung

der Krankenhäuser

I> der Abschottung der Kran- kenhäuser gegenüber belegärztli- chen Alternativen und der dadurch bedingten, ständig wachsenden Zahl nur noch ambulant tätiger Fach- ärzte,

I> der dadurch ausgelösten Durchsetzung einer hausärztlichen Versorgungstruktur bis hin zu deren Verdrängung in den dicht besiedel- ten Wohngebieten,

I> dem zwangsläufigen Investi- tionswettbewerb in der Medizintech- nik und schließlich

I> dem immer schärfer werden- den innerärztlichen Verteilungs- kampf infolge der Begrenzungen der Gesamtvergütungen.

Darunter hat nicht nur die Zu- sammenarbeit der Ärzte in den Tä- tigkeitsbereichen Krankenhaus und Praxis gelitten, sondern auch die Zu- sammenarbeit unter den Fachgrup- pen und unter den einzelnen Ärzten.

Auch die Krankenkassen haben sich davor gedrückt, ihre Versicherten an die gesetzliche Vorschrift zu binden, nur jeweils einen Originalkranken- schein pro Quartal zu verwenden und damit wenigstens den verwal- tungstechnischen Rahmen für jene Zusammenarbeit zu sichern, die der Ehrenvorsitzende der KBV, Dr.

Hans Wolf Muschallik, idealiter als eine „große Praxisgemeinschaft" an- gestrebt hatte.

Daneben wirkte eine sozialisti- sche Langzeitstrategie, die auf die

Taktieren nicht am Platze

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Nicht allein der Gesetzgeber durch seine ökonomischen Vorga- ben, auch diese Risse erschweren es der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, einvernehmliche Regelungen für die Zusammenarbeit und die Ar- beitsteilung in der kassenärztlichen Versorgung durchzusetzen. Dabei sollten die medizinischen Gegeben- heiten und die gemeinsame ärztliche Zielsetzung die Interessenvielfalt in den Hintergrund verbannen. Ohne eine auch nach außen hin vertrau- enserweckende Problemlösung, aus der ein ärztlicher Grundkonsens zu- gunsten einer qualifizierten, arbeits- teiligen Patientenversorgung spricht, werden weder die Versichertenge- meinschaften in der GKV noch der den Ärzten gegenüber sehr mißtraui- sche Staat auf die Konzepte der kas- senärztlichen Selbstverwaltung zu- rückgreifen. Schließlich geht es da- bei auch um die restlichen Rege- lungskompetenzen im Bundesman- telvertrag, im Ersatzkassenvertrag und im Bewertungsausschuß. Die Regelung der Arbeitsteilung zwi- schen Hausärzten und Fachärzten ist Sache des Bundesausschusses, die Um- und Neubewertungen sind Auf- gabe des Bewertungsausschusses.

Was die Ärztevertreter dort aus me- dizinischen und ärztlichen Gründen plausibel machen, werden die Kran-

Einebnung eines Eliteberufes abziel- te. Aber es wirkten auch „hausge- machte" Anpassungserscheinungen an den Rückzug der Gesellschaft von Leitbildern und Idealen. Kollegiale Hilfsbereitschaft und gegenseitiger Respekt bei der gemeinsamen Be- handlung eines Kranken zieren zwar nach wie vor die Berufsordnung der Ärzte, in der Praxis sind sie nicht verläßlich. Das Fundament der Ärz- teschaft zeigt Risse, und in diesen Rissen breitet sich die gegeneinan- der gerichtete Vielfalt ärztlicher Einzel- und Gruppeninteressen wie ein Sprengstoff aus.

Die Kommunikationsdefizite sind nicht zu übersehen; jeder Arzt in freier Praxis und im Krankenhaus kennt und kritisiert sie zu Recht.

kenkassen im Interesse ihrer Versi- cherten mittragen. Das muß aber auch dann vom Arzt in der Praxis mit ärztlichen und kollegialen Maßstä- ben gemessen werden und nicht in erster Linie am Einzel- oder Fach- gruppeninteresse. Dafür muß aller- dings der Kuhhandel im Bewertungs- ausschuß aufhören; auch das sozial- politische Taktieren ist dort nicht am Platze. Damit ist in der Vergangen- heit viel Vertrauen in die Selbstver- waltungen zerstört worden.

Auch Hausarztpauschalen und Honorare für Leistungskomplexe können so ausgestaltet werden, daß sie als Resultate der Weiterentwick- lung in eine moderne, arbeitsteilige, qualitätsgesicherte Medizin akzep- tiert werden. Solche Honorarformen werden Einzelleistungsvergütungen dort, wo sie aus Transparenzgründen oder als Leistungsanreize unver- zichtbar sind, zwar nicht überall er- setzen können; sie können sie aber durchaus im Sinne eines ärztlichen Honorars ergänzen. Das gilt insbe- sondere dort, wo mit der Addition einzelner Verrichtungen die ärztli- che Leistung gar nicht erfaßt werden kann. Das muß nur richtig gemacht werden, plausibel und fachgerecht und nicht primär mit dem Ziel, dabei Einsparungen zu erzielen. Das kann zwar dabei herauskommen; es kann aber im Sinne einer komplexen Lei- stungsqualität auch teurer werden.

Auch die Krankenkassen müßten im A1-940 (28) Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993

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Mrs. Clinton

Angestellt oder nicht?

First Lady Hillary Rodham Clinton ist bei ihrer Suche nach einer Reform des US-amerikani- schen Gesundheitswesens auf ein verblüffendes Hindernis gesto- ßen: Ein Bezirksrichter in Wash- ington hat nämlich angeordnet, daß ihre „Task Force" und deren zahlreiche Unterausschüsse (man spricht von mehr als dreihun- dert!) öffentlich tagen und die Ta- gesordnung ihrer Sitzungen vor- her förmlich bekannt geben müs- sen.

Der Richter befand, daß ge- schlossene Sitzungen gegen ein Gesetz von 1972 verstoßen: Gre- mien, die außerhalb der Bundes- regierung diese beraten, haben öf- fentlich zu tagen und müssen au- ßerdem, bevor sie ihre Arbeit auf- nehmen, förmlich in der Kongreß- bibliothek registriert werden.

Nun sind die meisten der Be- rater, die Mrs. Clinton um sich ge- schart hat, zwar Regierungsange-

stellte, aber eben nicht alle: Die

„Chefin" selber ist es nicht. Sie ist eben „bloß" die Ehefrau des Prä- sidenten, und sie wird für ihre Ar- beit auch nicht bezahlt. Drei be- troffene Interessenverbände hat- ten dies herausgefunden und die Gelegenheit beim Schopf ergrif- fen, mit einer Klage das ganze un- geliebte Unternehmen zumindest aufzuhalten. Den Richter hatte auch die Rechtsargumentation des Justizministeriums nicht be- eindruckt: Eine „First Lady" der Vereinigten Staaten sei einer Re- gierungsangestellten „funktionell gleichgestellt".

Wie es weitergehen soll, weiß man noch nicht. Denn öffentliche Sitzungen dürften kaum so effek- tiv sein können, daß in hundert Tagen etwas Vernünftiges heraus- kommt. Vielleicht muß die Rechtsanwältin Clinton erst ein- mal ein Gesetz machen lassen, das ihren Status klarstellt... bt Interesse ihrer Versicherten an sol-

chen Bewertungen interessiert sein, die eine qualitätsgesicherte ärztliche Gesamtleistung umfassen und die sich für die Bewertung von vergleich- baren Krankenhausleistungen eig- nen. Vielleicht gibt es dann wieder Honorare, in denen sich ärztliches Handeln besser widerspiegelt als in der heutigen Honorierungsform mit ihren betriebswirtschaftlichen Irrita- tionen und den reaktiven Honorar- begrenzungen. Für Patienten und Arzte wäre das nicht weniger trans- parent und nicht weniger leistungs- bezogen.

Das GSG setzt jedenfalls einen Rahmen, der voller Skepsis gegen- über der Dominanz ärztlicher Impli- kationen steckt. Das gilt leider auch für Bestimmungen, die über den Drei-Jahres-Ausgaben-Stopp jen- seits der Steigerung der Beitragsein- nahmen der Krankenkassen hinaus- gehen. Die Zweifel daran, daß die Arzte ihre berufliche Freiheit für ih- re verantwortungsvolle, primär an ei- ner guten Patientenversorgung ori- entierten Aufgabe brauchen, müssen verschwinden. Die Arzte müssen daran interessiert sein, daß betriebs- wirtschaftliche Diskussionen nicht weiterhin die Szene bestimmen, so als seien sie in erster Linie an der Rentabilität ihrer Praxis interessiert.

Bei vernünftigen Leistungsbewer- tungen und einer ausreichenden In- anspruchnahme muß die Betriebs- wirtschaft von allein stimmen, wenn Arbeitsteilung und Zusammenarbeit funktionieren.

Freien Beruf erhalten

„Ein freier Beruf verliert seine Freiheit nur durch eigene Schuld", so hat einer der ersten Sozialwissen- schaftler in diesem Jahrhundert, Jean Rolin, den Trend in die Verge- sellschaftung von immer mehr Beru- fen und Lebensbereichen kommen- tiert. Die Kassenärzte, die im Ver- tragsgeflecht der gesetzlichen Kran- kenversicherung immer noch de jure Freiberufler sind, sollten das stets bedenken. Die gesetzlichen Rah- menbestimmungen rücken ihren Be- ruf dem öffentlichen Dienst immer näher. Je weniger sich sein Ord-

nungssystem von der beruflichen Aufgabe her selbst trägt, desto stär- ker wird interveniert. Staat und Ge- sellschaft scheinen das Risiko, die Freiberuflichkeit zu opfern, nicht mehr so hoch einzuschätzen wie noch vor wenigen Jahren. Das wird auch mit dem äußeren Erschei- nungsbild etwas zu tun haben, das die Ärzteschaft bietet, wenn sie un- ter sich um Besitzstände streitet.

Möglicherweise haben auch des- halb die demokratischen Kräfte der Ärzteschaft nicht ausgereicht, Regie- rung und Parlament davon zu über- zeugen, daß sie für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben im Ge- sundheitsbereich die besseren Kon- zepte haben. Weder Sachverstand noch historisches Verdienst der kas- senärztlichen Selbstverwaltung sind durchgedrungen. Da schleunigst wie- der herauszufinden, sollte einen

neuen Anfang wert sein, auch von seiten der Gesundheitspolitik.

Dennoch, den Auftrag des Arz- tes kann kein Staat aufheben oder auch in seiner Kernsubstanz verän- dern; er ist allerdings schwieriger ge- worden. Vor allem verlangt er, daß sich die Risse im Fundament wieder schließen. Dafür müssen die Ärzte selbst sorgen, auch wenn sie die Poli- tik dabei im Stich läßt. Tua res agi- tur!

Dt. Ärztebl. 90 (1993) A 1 -936-941 [Heft 13]

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med.

Ernst-Eberhard Weinhold Arzt für Allgemeinmedizin Dorfstraße 140

W-2859 Nordholz

Dt. Ärztebl. 90, Heft 13, 2. April 1993 (29) A1-941

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