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Archiv "Ambulante Behandlung alkoholkranker Patienten — eine Aufgabe für den niedergelassenen Arzt: Unschärfen" (04.10.1979)

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Academic year: 2022

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Unschärfen

So verdienstvoll Weisbachs Versuch ist, auch und gerade den niederge- lassenen Arzt für das Alkoholismus- problem zu sensibilisieren, so be- denklich muß doch ein großer Teil des Beitrags denjenigen stimmen, der mit der Materie ein wenig mehr vertraut ist. Weil der stellenweise vorzügliche Aufsatz zu Recht das geradezu katastrophale Wissensde- fizit vieler Ärzte in allen Fragen der Alkoholkrankheit anspricht, ist es unumgänglich, eine Reihe von Un- schärfen aufzuzeigen, wichtige Zu- satzinformationen zu liefern und schließlich mehrere schwerwiegen- de Irrtümer richtigzustellen.

1. Trotz aller Angst vor der Redun- danz statistischen Materials zu- nächst einige erläuternde Zahlen zur Behandlungswillig- und Behand- lungsfähigkeit der von W. angege- benen 1,5 Millionen Alkoholkran- ken: 50 Prozent, nämlich 750 000, sind zunächst nicht behandlungs- willig, da der Informations- und Be- einflussungsaufwand so groß und die Behandlungsmöglichkeiten so ideal sein müßten, daß der dafür er- forderliche Aufwand in den näch- sten Jahren nicht möglich ist. Weite- re 25 Prozent = 375 000 Alkoholiker sind nur nach erheblichem Informa- tions- und Beeinflussungsaufwand und Schaffung besonders günstiger Behandlungsmöglichkeiten thera- piewillig.

5 Prozent = 75 000 sind behand- lungswilllig, da sie in so fortge-

schrittenem Krankheitsstadium und unter so großem ärztlichem und fü r- sorgerlichem Druck stehen, daß die vorhandenen Behandlungsmöglich- keiten — trotz der noch weit befürch- teten Diskriminierung durch die Um- welt — akzeptiert werden müssen.

Für diese Gruppen kommen aus- schließlich stationäre Einrichtungen in allgemeinen und psychiatrischen Krankenhäusern, Fachkliniken, Kur- kliniken und Landeskrankenhäusern in Betracht. Hier wird die Kurz-, Mit- tel- und Langzeitbehandlung durch- geführt, wobei die Bettenknappheit nicht selten Wartezeiten von 3,6 und in Extremfällen von 12 Monaten bedingt.

20 Prozent, also 300 000 Personen, schließlich sind behandlungswillig nach und mit Einsatz der derzeit vor- handenen Informations- und Beein- flussungsmöglichkeiten, wenn ein im machbaren Rahmen verbessertes Behandlungsangebot mit „mög- lichst nicht mehr negativem Bild in der Öffentlichkeit" vorhanden ist.

Allein und einzig dieses Kollektiv könnte die Zielgruppe für Weis- bachs Forderungen sein.

2. Prof. Jellinek, dessen Fragebogen noch immer das beste Indiz bei der Fahndung nach Alkoholismus — an- dere sprechen vornehmer von Aethylismus — ist, hat noch kurz vor seinem Tode auf die Frage, was das denn sei, ein Alkoholiker, geantwor- tet: „Dann ist das etwa so, als wenn Sie einen Botaniker fragen, was Hi- biskus sei. Es gibt einhundertfünfzig Arten von Hibiskus und zahlreiche Abarten". Demnach gibt es noch Krankheitsbegriff

Ich habe in meinen Ausführungen den sozialen Krankheitsbegriff nur im großen Rahmen umrissen, wie es mir für das in der betroffenen Ab- handlung gesteckte Ziel hinreichend erschien.

Wenn Herr Eberhard vorschlägt, daß im Krankheitsbegriff der Sozialme- dizin, damit dieser praktikabel ist, die Arbeitsunfähigkeit eingebaut werden muß, so stimme ich zu.

Allerdings möchte ich nicht den so- zialen Krankheitsbegriff gleich mit der Arbeitsunfähigkeit identifizieren, weil der Begriff der Arbeitsunfähig- keit einen weiteren Umfang hat als der Begriff der Krankheit (z. B. we- gen hohen Alters).

Dagegen weiß ich nicht, worauf Herr Eberhard seine Behauptung stützt, daß ich die Psychotherapie über- haupt ablehnen würde.

Zum Beispiel bei meinen Untersu- chungen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, deren kongenita- le Legasthenie oder angeborene Re- chenschwäche bei sonst normaler Intelligenz nicht rechtzeitig in der Schule diagnostiziert und therapiert wurde, bin ich schon vor längerer Zeit darauf gestoßen, wie unbewäl- tigte Konflikte zu neurotischem Fehlverhalten und häufig auch in Form krimineller Verhaltensweisen führen können, und ich habe die Notwendigkeit der Psychotherapie bei diesen Patienten — und zwar vor oder zumindestens gleichzeitig mit dem Förderunterricht — immer wie- der sehr nachdrücklich betont und auch methodisch ausgearbeitet, oh- ne allerdings bei den Kultusmini- stern die notwendige Beachtung zu finden, so daß auch in der Gegen- wart nur diejenigen die notwendige psychotherapeutische Behandlung erhalten, deren Eltern das bezahlen können.

Professor Dr. phil. Dr. med.

Curt Weinschenk Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität

Hans-Sachs-Straße 6 3550 Marburg/Lahn

FORUM

Ambulante Behandlung alkoholkranker Patienten — eine Aufgabe für

den niedergelassenen Arzt

Zu dem Artikel von Dr. med. Wolf-Rüdiger Weisbach in Heft 12/1979 Seite 807/ff.

Heft 40 vom 4. Oktober 1979 2599 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen Alkoholiker-Behandlung

keine medizinisch exakte Definition des im Sinne der RVO „krankhaften Alkoholismus". Niemand kann sa- gen, wann „normales Trinkverhal- ten" aufhört und der „krankhafte Al- koholismus" beginnt.

Auch die Einteilung in Alpha-, Beta-, Gamma-, Delta- und Epsilon-Alko- holiker vermag daran so gut wie nichts zu ändern. Maßstab ist der Konflikt mit dem Umfeld — am Ar- beitsplatz, in der Familie, in der Öf- fentlichkeit. Die organotrope Toxizi- tät des Alkohols führt noch am ehe- sten zum Arzt (und damit zur De- maskierung der Gesundheitsstö- rung). Neben dem mittlerweile satt- sam bekannten lebertoxischen Ef- fekt sind vor allem die Alkohol-Pan- kreatitis, die Alkohol-Myokarditis bei meist jüngeren Trinkern, die Neuro- pathien und die zentralnervöse Into- xikation, das Delir, bekannt. Mit Aus- nahme der leichteren und mittleren alkoholinduzierten Fettleber gehö- ren diese Kranken ausnahmslos in die Klinik und sind nicht Domäne des niedergelassenen Arztes.

3. Was die sozioökonomische Seite anbelangt, wird der in seiner Per- sönlichkeitsstruktur schwer Ich-ge- störte Alkoholiker je nachdem, ob man ihn als haltlos, asozial, willens- schwach, kriminell, als Sünder, Neu- rotiker oder Psychopathen ansieht, gesellschaftlich diskriminiert.

Hier genau nun hat der niedergelas- sene Arzt mit seinem Wissen über die möglichen Hilfen anzusetzen.

Leider wirft nun der Verfasser — of- fenbar als Nichtkenner gruppenthe- rapeutischer Methoden und Mög- lichkeiten — psychosomatische Be- handlung, themenzentrierte Grup- penarbeit (ist damit die klientenzen- trierte Gesprächs-Psychotherapie nach Rogers und Tausch oder die themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn gemeint?) und Selbsthil- fegruppen durcheinander.

Selbsthilfegruppen, an der Spitze die Anonymen Alkoholiker (AA) und die ihnen eng verbundene Al-Anon (für Familienangehörige von Alko- holikern), haben nachgewiesener- maßen die größten Erfolgschancen.

Zickgraf von der Bundesärztekam- mer konnte 1975 feststellen, daß über 50 Prozent der AA-Gruppen- Mitglieder ambulant, daß heißt allein durch die Teilnahme an den Grup- pen-Meetings, „trocken geworden"

sind. Aber auch für den genesenen Alkoholiker besteht lebenslänglich die Gefährdung, wieder rückfällig zu werden. Nur durch permanenten Gruppenbesuch kann er sich hier schützen. Wer M. L. Moeller, einen der besten Kenner der Selbsthilfe- gruppen, gelesen hat, weiß, daß es in Selbsthilfegruppen keine speziel- len „Suchttherapeuten" und schon gar keine Ärzte — es sei denn, sie sind selbst gruppenbedürftige Alko- holiker — in therapeutischen Funk- tionen gibt. Es ist allenfalls Aufgabe der sogenannten Gesamttreffen, zu der jede Gruppe Teilnehmer dele- giert, mit Hilfe von Experten Erfah- rungsaustausch zu pflegen. So wichtig die Sensibilisierung der nie- dergelassenen Ärzte für die Alkohol- problematik auch ist, wird ihnen — von wenigen Ausnahmen abgese- hen (Sparrer) — nur die Rolle des wissenden Motivierens und ver- ständnisvollen Selektierens bleiben.

Nicht genug kann bei Alkoholkran- ken vor jeder medikamentösen The- rapie gewarnt werden. Die in falsch verstandener Helfermentalität ver- ordneten Medikamente, auch und gerade das Chlormethiazol (Distra- neurin) und ganz besonders die Tranquilizer vom Benzodiazintyp bergen die Gefahr des „Umsteigeef- fektes" in sich; es kommt dabei zur sogenannten Suchtverschiebung.

Nur allzuschnell wird aus dem Alko- holabhängigen ein Tablettenabhän- giger. Die von Weisbach propagierte Ausgabe von Chlormethiazol in Ta- gesdosen ist eine genauso verhäng- nisvolle Utopie wie weiland die Me- thadonausgabe an Heroinsüchtige in den USA.

4. Völlig unrealistisch und abwegig ist die Forderung nach der Beteili- gung nichtärztlicher Suchttherapeu- ten an der kassenärztlichen Versor- gung.

Wer die Diskussion um das soge- nannte Therapeutengesetz für Psy- chologen kennt, weiß um die Fußan-

geln und Fallstricke dieser Proble- matik, die eingehend zu diskutieren hier weder Zeit noch Raum ist. Je- denfalls mutet es wie ein Witz an, wenn für Ärzte das Liebäugeln mit der Gebührenordnung auch ohne die Zusatzbezeichnung „Psychothe- rapie" Rechtens sein soll, für Psy- chologen hingegen erst nach drei- jähriger klinischer Tätigkeit. „Sucht- therapeuten" vom Sozialarbeiter bis zum analytisch ausgebildeten Psy- chologen sind aus der Angebotspa- lette des stationären oder halbsta- tionären Arbeitens sowie der weni- gen Beratungsstellen nicht mehr wegzudenken. In den Rahmen der Selbsthilfegruppen gehören sie ein- fach nicht herein.

Vom Denkmodell bis zum Modell,

„das unsere Körperschaften unter- stützen sollen", ist es ein weiter Weg. Und nicht alles ist brauchbar, nur weil es „Modell" heißt. Nichts- destotrotz bleibt es ein großes Ver- dienst des Kollegen Weisbach, den Finger in eine offene Wunde gelegt zu haben: Den ärztlichen Umgang mit Alkoholkranken!

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Peter Krebs St.-Agatha-Krankenhaus Feldgärtenstraße 97 5000 Köln 60

Gibt es

kein Gesundheitsamt?

Dem Artikel von Dr. med. Wolf-Rüdi- ger Weisbach über die Problematik und die Chancen der ambulanten Al- koholikerbehandlung kann voll zu- gestimmt werden. Eines aber wun- dert mich: Gibt es bei Ihnen kein Gesundheitsamt? Ich bin seit eini- gen Jahren Amtsärztin, Jahrgang 1940, in einem ländlich strukturier- ten Kreis von 182 000 Einwohnern und, statistisch errechnet, 4000 bis 5000 Alkoholkranken. Somit erlebe ich jeden Tag die bitteren Erfahrun- gen und Enttäuschungen mit Alko- holkranken. Als eine wesentliche Aufgabe meines Arztseins (und we-

2600 Heft 40 vom 4. Oktober 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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