DEUTSCHES Spektrum der Woche
ÄRZTEBLATT
Aufsätze •Notizen
THEMEN DER ZEIT:
EDV-Beratung für den niedergelassenen Arzt Erster Bericht der Beratungsstelle „EDV in der Arztpraxis"
Versicherungsrechtliche Erfolgsbeurteilung von Heil- und berufsfördernden Maßnahmen in der
Arbeiterrentenversicherung
AUS DEM BUNDESTAG:
Kein Röntgenpaß Verbesserung der Unfallversicherung für Kinder
FORUM:
Zwangsernährung von Häftlingen
BRIEFE AN DIE REDAKTION
BEKANNTMACHUNGEN
PERSONALIA
FEUILLETON:
Träume und Traumata
Die Beratungsstelle selektiert aus der Vielzahl gegenwärtig diskutier- ter organisatorischer Ansätze sinn- volle Datenverarbeitungslösungen zur durchgreifenden Rationalisie- rung für die Praxis des niederge- lassenen Arztes. Durch ihre indivi- duelle Beratungstätigkeit hilft sie, kostspielige Fehl- und Doppelent- wicklungen seitens einzelner Ärzte zu vermeiden, da der Arzt prima fa- cie selten erkennen kann, ob in seiner Praxis der Einsatz der elek- tronischen Datenverarbeitung nutz- bringend und per saldo ökono- misch vertretbar ist.
Aufgrund des intensiven Erfah- rungsaustausches, den die Bera- tungsstelle mit einer großen Zahl von niedergelassenen Ärzten führt, kann sie Ärzte mit gleicher Interes- senlage oder ähnlicher Praxis- struktur zusammenführen und ge- gebenenfalls im Rahmen von Pi- lotinstallationen den praktischen Nachweis erbringen, daß für eine größere Gruppe der EDV-Einsatz sinnvoll ist.
Die EDV-Beratungsstelle des Zen- tralinstituts für die kassenärztliche Versorgung greift bei Bedarf auf eine Gruppe hochqualifizierter Da- tenverarbeitungsspezialisten des Bereichs „Informatik" der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung zu- rück. Hierdurch finden auch die rechtlichen, vertraglichen und ab- rechnungsrelevanten Beziehungen zwischen der ärztlichen Praxis und den externen Institutionen die für die jeweilige Systemkonzeption notwendige Berücksichtigung. An- dererseits gewinnt die Informatik der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung durch diese Tätigkeit direk- ten Bezug zu den praktischen Pro- blemen des EDV-Einsatzes beim Kassenarzt.
Große Resonanz bei der Ärzteschaft
Das Zentralinstitut unterhält seit seiner Gründung intensive Kontak- te mit EDV-interessierten Ärzten. Die Zahl der Interessenten — die in eini-
EDV-Beratung
für den niedergelassenen Arzt
Erster Bericht der Beratungsstelle „EDV in der Arztpraxis"
Erhard Geiss
Die im Dezember 1974 vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gegründete Bera- tungsstelle „EDV in der Arztpraxis" legt einen Bericht über ihre Er- fahrungen nach den ersten drei Monaten ihrer Tätigkeit vor. Der Autor, Leiter der Beratungsstelle, erläutert die bisher eingegange- nen Anfragen, ihre Bearbeitung und die Erkenntnisse, die sich dar- aus bereits für die Zukunft ergeben haben.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 17. Juli 1975 2115
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gen Fällen bereits kleinere EDV- Lösungen anwendeten — schnellte mit Bekanntgabe der Gründung der Beratungsstelle (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 49/1974, Seite 3533) sprunghaft in die Höhe. Aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte gingen innerhalb von drei Monaten 68 Anfragen ein. Sie er- folgten entweder direkt (schriftlich oder telefonisch) oder über die zu- ständige Kassenärztliche Vereini- gung.
Auch aus dem Bereich der Univer- sitätskliniken und der Krankenhäu- ser kamen Anfragen zu Anwen- dungsmöglichkeiten, die dort ana- log zum Bereich der niedergelas- senen Ärzte organisiert werden können (Patientenaufnahme, La- borautomation). Darüber hinaus er- freut sich die Beratungsstelle des besonderen Interesses bei Compu- terherstellern und Beratungsunter- nehmen.
Der Bereich der ambulanten Medi- zin entzog sich bisher als einer der letzten Marktsektoren einer weitge- henden Automatisierung. Die Ursa- chen hierfür liegen weniger in der Komplexität ärztlicher oder admini- strativer Verrichtungen in der Arzt- praxis, sondern vielmehr im man- gelnden Angebot adäquater EDV- Lösungen seitens der Industrie.
Gezielte Beratung durch das Zentralinstitut
Die in der Beratungsstelle einge- henden Anfragen gliedern sich in globale und spezifische Fragestel- lungen zu konkreten Anwendungs- problemen. Die generellen Fragen konnten weitgehend dadurch be- antwortet werden, daß die Bera- tungsstelle dem anfragenden Arzt einen kurzen Überblick über die in der Arztpraxis nach Form und Grö- ße möglichen EDV-Anwendungen
und deren kostenmäßige Konse- quenzen gab.
Die gezielten Beratungsanliegen teilen sich in Fragen zur Praxisver- waltung und Fragen zur ambulan- ten Medizin. Es stellte sich heraus, daß die Mehrzahl der Ärzte drin- gend nach einer Rationalisierung der Verwaltungsabläufe in der Arzt- praxis sucht, um sich intensiver den originären medizinischen Aufgaben zu widmen. Zur Praxisadministra- tion liegen gegenwärtig erfolgver- sprechende Anwendungsbeispiele vor, während es für die Unterstüt- zung der rein medizinischen Pro- blematik noch intensiver For- schungsarbeiten bedarf, die das Zentralinstitut im Rahmen geson- derter Forschungsprojekte voranzu- treiben hilft. Eine Übersicht der Be- ratungsanliegen nach Fachgruppen wird in der Tabelle gegeben.
Der aus den Anfragen resultieren- de Arbeitsaufwand bei der Bera- tungsstelle ist sehr unterschied- lich: Teilweise genügt eine kurze EDV-technisch erschöpfende Infor- mation. Wenn die Erstinformation nicht ausreicht, müssen ergänzen- de Besuche und Gespräche in der Arztpraxis vorgenommen werden.
Sobald sich konkrete Lösungsmög- lichkeiten abzeichnen, wird in vie- len Fällen Kontakt zu entsprechen- den Hersteller- beziehungsweise Beratungsfirmen aufgenommen und ein erstes Fachgespräch zwi- schen Arzt und EDV-Fachleuten vermittelt.
Eine Reihe von Kassenärzten hat aus eigenem Antrieb neue Formen der Praxisorganisation mit EDV- Einsatz entwickelt, zu denen das Zentralinstitut um kritische Stel- lungnahme gebeten wird. Mangels übergreifender Information läßt der Arzt vielfach dabei Entwicklungen unberücksichtigt, deren Nichtbe- achtung zu Fehlinvestitionen füh- ren kann. So hat zum Beispiel kei- ner der anfragenden Ärzte den kommenden Einsatz des Versicher- tenausweises in seine Überlegun- gen konkret einbezogen. Folglich waren bisher alle Lösungsansätze zur Patientenkartei oder zum Ab- rechnungswesen wenig erfolgver- Tabelle: Anfragen bei der EDV-Beratungsstelle
in den ersten drei Monaten
Fachgruppe Anfragen Rationalisie- EDV-Einsatz rung generell speziell
Allgemeinärzte 21 17 4
Internisten 14 8 6
Kinderärzte 7 5 2
HNO-Ärzte 6 5 1
Frauenärzte 5 2 3
Lungenärzte 4 4
Orthopäden 4 3 1
Neurologen 2 2
Hautärzte 2 2
Chirurgen 1 1
Ärztehäuser 2 2
Summe
ambulanter Bereich 68 48 20
Sonstige Ärzte 11 3 8
Gesamt 79 51 28
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sprechend für die Zukunft. Ähnli- ches gilt für die Laborautomation, die meist mit vorhandenen Analy- segeräten als Startkapital vorge- nommen werden soll und dann um- fangreicher programmtechnischer Anstrengungen bedarf, während andererseits Laborgeräte mit inte- griertem Computer und kompletten Programmen am Markt verfügbar sind.
Die Beratungsstelle ergänzt in den geschilderten Fällen die Rationali- sierungsbestrebungen des einzel- nen Arztes um die Perspektive des generellen technologischen und strukturellen Entwicklungstrends.
EDV für die Einzelpraxis
Die bisherige Erfahrung der Bera- tungsstelle zeigt, daß die vorhan- dene Technologie der Kleincompu- ter einen positiven Rationalisie- rungseffekt erst in größeren Einzel- praxen erbringt. Der Praxisinhaber muß sich dabei einer klar umrisse- nen Ablauforganisation unterwer- fen, die mit ihm zusammen entwik- kelt und auf das individuelle Ge- präge seiner Arztpraxis abge- stimmt wird.
Die Frage der Ökonomie des Com- putereinsatzes läßt sich voraus- sichtlich günstiger beantworten, wenn es um die Rationalisierung von Gemeinschaftspraxen oder Ärztehäusern geht. Der Vorteil liegt hier in der Zusammenfassung ad- ministrativer Funktionseinheiten bei einem erhöhten Fallvolumen, wo- durch der relative Verwaltungsko- stenanteil deutlich gesenkt werden kann.
Das Zentralinstitut unterstützt ver- schiedene praktische Ansätze mit vorhandener EDV-Technik in unter- schiedlichen Praxisformen und -größen. Dazu werden komplexe Ablaufmodelle sämtlicher Verrich- tungen sowie der Informations- und Datenflüsse entwickelt. Das Ergebnis dieser Praxisanalysen fin- det seinen Niederschlag in Compu- terprogrammen und Arbeitsanwei- sungen für den Arzt und das Perso-
nal. Unter Einsatz entsprechender EDV-Anlagen werden die Konzepte einem etwa halbjährigen Praxistest unterzogen. Im positiven Fall muß sich innerhalb dieser Zeit der ge- plante Rationalisierungseffekt ein- stellen.
Da es nicht Aufgabe der Bera- tungsstelle des Zentralinstituts sein kann, die generelle Marktverbrei- tung praktikabler EDV-Lösungen im ambulanten Bereich selbst durch- zuführen, werden erfolgreiche EDV- Konzepte unter Einschaltung der In- dustrie einem größeren Anwender- kreis zur Verfügung gestellt.
Das Zentralinstitut fördert zum Bei- spiel zur Zeit die Weiterentwicklung eines Praxiscomputers für die Fachgruppe Augenärzte bis zur ge- nerellen Anwendungsreife, die im Oktober dieses Jahres erreicht werden wird. Darüber hinaus wer- den Teilprojekte zur papierlosen Abrechnung und zur - abrech- nungsorientierten Verrichtungsdo- kumentation in der Arztpraxis ge- fördert, die ebenfalls zum Ende dieses Jahres voraussichtlich ver- allgemeinerungsfähige Ergebnisse erzielen werden. In der Vorberei- tung befindet sich die Pilotinstalla- tion eines EDV-Systems für ein KV- eigenes Ärztehaus.
In ausgewählten modellbildenden Fällen unterstützt das Zentralinsti- tut niedergelassene Ärzte finanziell für die Zeit der Systemeinführung, da meist anfänglich ein höherer Kostenaufwand erforderlich ist und der erwartete Rationalisierungsef- fekt wegen der Umstellungsarbei- ten erst mit einer gewissen Verzö- gerung eintritt. Das Zentralinstitut beteiligt sich jedoch grundsätzlich nicht an den Entwicklungskosten von Computerherstellern oder Be- ratungsfirmen. Diese Unternehmen werden als Hauptträger einer wei- ten Verbreitung des EDV-Einsatzes in der Arztpraxis ohnehin entspre- chende marktwirtschaftliche Vor- teile haben, die das Zentralinstitut seinerseits durch frühzeitige Bele- bung der Konkurrenz im Interesse der Ärzteschaft in Grenzen zu hal- ten versucht.
öffentliche Mittel
für den niedergelassenen Arzt Beratungstätigkeit und konkrete Durchführung beziehungsweise Unterstützung von Entwicklungs- projekten bilden für das Zentralin- stitut eine wesentliche praktische Basis für die Durchführung des von der Bundesregierung geförderten Forschungsprojekts DOMINIG III (Informationsverbund für niederge- lassene Ärzte und sonstige an der ambulanten Versorgung beteiligte Einrichtungen). Im Hinblick auf eine weitere Verbesserung der am- bulanten medizinischen Versor- gung aus der Sicht des niederge- lassenen Arztes wird im Rahmen der ab 1. April 1975 laufenden „De- finitionsphase" dieses Projekts ein Zielkatalog definiert, in dem die Aufgaben der nachfolgenden
„Durchführungsphase" unter pra- xisrelevanten Prioritätskriterien ge- gliedert und in einem Arbeitsplan zusammengefaßt werden. In der Durchführungsphase des Projektes DOMINIG können gegebenenfalls öffentliche Mittel für neuartige EDV- Anwendungen in der Kassenarzt- praxis zur Verfügung gestellt wer- den. Der Arzt müßte sich jedoch verpflichten, den Praxisablauf transparent zu halten und die ge- fundenen Lösungen generell zu- gänglich zu machen.
Ziel aller dieser Bestrebungen der Beratungsstelle des Zentralinstituts ist es, unterstützt durch die jeweili- ge Kassenärztliche Vereinigung, den niedergelassenen Arzt durch sinnvollen Einsatz moderner Mittel und Methoden von administrativen Arbeiten nachhaltig zu entlasten und ihm mehr Zeit zu geben für die ärztliche Versorgung seiner Patien- ten.
Anschrift des Verfassers:
Dr. rer. pol. Erhard Geiss Zentralinstitut
für die
kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland
5 Köln 41 (Lindenthal) Haedenkampstraße 5 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 29 vom 17. Juli 1975 2117