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Archiv "Ambulante Behandlung alkoholkranker Patienten — eine Aufgabe für den niedergelassenen Arzt: Gibt es kein Gesundheitsamt?" (04.10.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen Alkoholiker-Behandlung

keine medizinisch exakte Definition des im Sinne der RVO „krankhaften Alkoholismus". Niemand kann sa- gen, wann „normales Trinkverhal- ten" aufhört und der „krankhafte Al- koholismus" beginnt.

Auch die Einteilung in Alpha-, Beta-, Gamma-, Delta- und Epsilon-Alko- holiker vermag daran so gut wie nichts zu ändern. Maßstab ist der Konflikt mit dem Umfeld — am Ar- beitsplatz, in der Familie, in der Öf- fentlichkeit. Die organotrope Toxizi- tät des Alkohols führt noch am ehe- sten zum Arzt (und damit zur De- maskierung der Gesundheitsstö- rung). Neben dem mittlerweile satt- sam bekannten lebertoxischen Ef- fekt sind vor allem die Alkohol-Pan- kreatitis, die Alkohol-Myokarditis bei meist jüngeren Trinkern, die Neuro- pathien und die zentralnervöse Into- xikation, das Delir, bekannt. Mit Aus- nahme der leichteren und mittleren alkoholinduzierten Fettleber gehö- ren diese Kranken ausnahmslos in die Klinik und sind nicht Domäne des niedergelassenen Arztes.

3. Was die sozioökonomische Seite anbelangt, wird der in seiner Per- sönlichkeitsstruktur schwer Ich-ge- störte Alkoholiker je nachdem, ob man ihn als haltlos, asozial, willens- schwach, kriminell, als Sünder, Neu- rotiker oder Psychopathen ansieht, gesellschaftlich diskriminiert.

Hier genau nun hat der niedergelas- sene Arzt mit seinem Wissen über die möglichen Hilfen anzusetzen.

Leider wirft nun der Verfasser — of- fenbar als Nichtkenner gruppenthe- rapeutischer Methoden und Mög- lichkeiten — psychosomatische Be- handlung, themenzentrierte Grup- penarbeit (ist damit die klientenzen- trierte Gesprächs-Psychotherapie nach Rogers und Tausch oder die themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohn gemeint?) und Selbsthil- fegruppen durcheinander.

Selbsthilfegruppen, an der Spitze die Anonymen Alkoholiker (AA) und die ihnen eng verbundene Al-Anon (für Familienangehörige von Alko- holikern), haben nachgewiesener- maßen die größten Erfolgschancen.

Zickgraf von der Bundesärztekam- mer konnte 1975 feststellen, daß über 50 Prozent der AA-Gruppen- Mitglieder ambulant, daß heißt allein durch die Teilnahme an den Grup- pen-Meetings, „trocken geworden"

sind. Aber auch für den genesenen Alkoholiker besteht lebenslänglich die Gefährdung, wieder rückfällig zu werden. Nur durch permanenten Gruppenbesuch kann er sich hier schützen. Wer M. L. Moeller, einen der besten Kenner der Selbsthilfe- gruppen, gelesen hat, weiß, daß es in Selbsthilfegruppen keine speziel- len „Suchttherapeuten" und schon gar keine Ärzte — es sei denn, sie sind selbst gruppenbedürftige Alko- holiker — in therapeutischen Funk- tionen gibt. Es ist allenfalls Aufgabe der sogenannten Gesamttreffen, zu der jede Gruppe Teilnehmer dele- giert, mit Hilfe von Experten Erfah- rungsaustausch zu pflegen. So wichtig die Sensibilisierung der nie- dergelassenen Ärzte für die Alkohol- problematik auch ist, wird ihnen — von wenigen Ausnahmen abgese- hen (Sparrer) — nur die Rolle des wissenden Motivierens und ver- ständnisvollen Selektierens bleiben.

Nicht genug kann bei Alkoholkran- ken vor jeder medikamentösen The- rapie gewarnt werden. Die in falsch verstandener Helfermentalität ver- ordneten Medikamente, auch und gerade das Chlormethiazol (Distra- neurin) und ganz besonders die Tranquilizer vom Benzodiazintyp bergen die Gefahr des „Umsteigeef- fektes" in sich; es kommt dabei zur sogenannten Suchtverschiebung.

Nur allzuschnell wird aus dem Alko- holabhängigen ein Tablettenabhän- giger. Die von Weisbach propagierte Ausgabe von Chlormethiazol in Ta- gesdosen ist eine genauso verhäng- nisvolle Utopie wie weiland die Me- thadonausgabe an Heroinsüchtige in den USA.

4. Völlig unrealistisch und abwegig ist die Forderung nach der Beteili- gung nichtärztlicher Suchttherapeu- ten an der kassenärztlichen Versor- gung.

Wer die Diskussion um das soge- nannte Therapeutengesetz für Psy- chologen kennt, weiß um die Fußan-

geln und Fallstricke dieser Proble- matik, die eingehend zu diskutieren hier weder Zeit noch Raum ist. Je- denfalls mutet es wie ein Witz an, wenn für Ärzte das Liebäugeln mit der Gebührenordnung auch ohne die Zusatzbezeichnung „Psychothe- rapie" Rechtens sein soll, für Psy- chologen hingegen erst nach drei- jähriger klinischer Tätigkeit. „Sucht- therapeuten" vom Sozialarbeiter bis zum analytisch ausgebildeten Psy- chologen sind aus der Angebotspa- lette des stationären oder halbsta- tionären Arbeitens sowie der weni- gen Beratungsstellen nicht mehr wegzudenken. In den Rahmen der Selbsthilfegruppen gehören sie ein- fach nicht herein.

Vom Denkmodell bis zum Modell,

„das unsere Körperschaften unter- stützen sollen", ist es ein weiter Weg. Und nicht alles ist brauchbar, nur weil es „Modell" heißt. Nichts- destotrotz bleibt es ein großes Ver- dienst des Kollegen Weisbach, den Finger in eine offene Wunde gelegt zu haben: Den ärztlichen Umgang mit Alkoholkranken!

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Peter Krebs St.-Agatha-Krankenhaus Feldgärtenstraße 97 5000 Köln 60

Gibt es

kein Gesundheitsamt?

Dem Artikel von Dr. med. Wolf-Rüdi- ger Weisbach über die Problematik und die Chancen der ambulanten Al- koholikerbehandlung kann voll zu- gestimmt werden. Eines aber wun- dert mich: Gibt es bei Ihnen kein Gesundheitsamt? Ich bin seit eini- gen Jahren Amtsärztin, Jahrgang 1940, in einem ländlich strukturier- ten Kreis von 182 000 Einwohnern und, statistisch errechnet, 4000 bis 5000 Alkoholkranken. Somit erlebe ich jeden Tag die bitteren Erfahrun- gen und Enttäuschungen mit Alko- holkranken. Als eine wesentliche Aufgabe meines Arztseins (und we-

2600 Heft 40 vom 4. Oktober 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Alkoholiker-Behandlung

niger die des Amtsarztseins) sehe ich gemeinsam mit meinem Mitar- beiter gerade die Koordination von ambulanten Hilfen mit dem Patien- ten selbst, mit seiner Familie, sei- nem Arbeitgeber, den Selbsthilfe- Organisationen, Krankenkassen, Sozialämtern usw. — und dem Haus- arzt. Schade, daß Sie das Gesund- heitsamt aus Ihrem Konzept aus- klammern, meiner Ansicht nach hat es das nicht verdient!

Dr. med. Sigrun Riemer Medizinaldirektorin Bremer Weg 10 2808 Syke

El

Schlußwort

Als sozialpolitisch engagierter jun- ger Landarzt, der sich leider nur am Rande seiner allgemeinärztlichen Tätigkeit mit dem Alkoholismuspro- blem beschäftigen kann, habe ich meinen Beitrag über die Möglichkei- ten des niedergelassenen Arztes be- züglich der Erkennung und Behand- lung dieser wichtigen Krankheit „Al- koholabhängigkeit" veröffentlicht, in erster Linie in der Hoffnung Kolle- gen, die wie ich ihre allgemeinärztli- che Tätigkeit nicht nur als Summe verschiedener Fachgebiete sehen, anzusprechen. Dem allgemeinärzt- lich-hausärztlich tätigen Arzt muß das Recht zugesprochen werden, ei- gene Ideen zu entwickeln, und seine Erfahrungen sollten in die Vorstel- lungen der klassischen medizini- schen Fachgebiete einfließen, da- mit unsere Medizin patientennahe bleibt. Wir Hausärzte sehen viel- leicht einiges nicht mit genügender wissenschaftlicher Schärfe, wie es Kollege Krebs formuliert (er spricht von Unschärfe meines Beitrages).

Wir erleben aber die Medizin in vie- len Bereichen hautnah und erleben manche Familientragödie gerade im Bereich der Alkoholkrankheit häufig wesentlich direkter als der in der Kli- nik tätige Arzt. Ich bin aber dem Kol- legen Krebs dankbar für seine Er- gänzungen auch für seine Hinweise, lasse mir unter diesem Aspekt auch gerne den Vorwurf der Unschärfe machen. Aus seiner Sicht hat Krebs sicher recht. Wenn mir der Gesund-

heitsminister eines deutschen Bun- deslandes schreibt und die Hoff- nung ausdrückt, daß meine Veröf- fentlichung von vielen Ärzten gele- sen wird, er sie als große Hilfe bei seinen staatlichen Bemühungen um die Bekämpfung des Alkoholismus in Deutschland ansieht, so zeigt mir diese Reaktion ebenso wie die posi- tive Reaktion vieler Kollegen, daß mir meine Absicht gelungen ist: die ärztliche Öffentlichkeit sowohl im stationären als im ambulanten Be- reich ein wenig für diese aktuelle Aufgabe zu sensibilisieren. Krebs schreibt, daß 75 000 Alkoholkranke behandlungswillig sind, allerdings zwischen drei und 12 Monate auf ein Krankenbett warten müssen.

300 000 Personen seien behand- lungswillig, aber nicht im Bereich einer stationären Therapie, wohl aber unter ambulanten Bedingun- gen. Dies ist genau meine Zielgrup- pe. Wer anders als das Potential der niedergelassenen Ärzte kann helfen, diese große Zahl von Alkoholkran- ken zu diagnostizieren und schließ- lich auch zu therapieren. Wenn Krebs schreibt, daß mit Ausnahme der leichteren und mittleren alkohol- induzierten Fettleber alle übrigen Kranken ausnahmslos in die Klinik und nicht in die Hand des niederge- lassenen Arztes gehören, so gebe ich ihm damit recht, muß aber gleichzeitig sagen, daß nach meinen Erfahrungen dann etwa 80 bis 90 Prozent in der Hand des niederge- lassenen Arztes bleiben können.

Hier liegen mir aber keine genauen Zahlen vor, es ist dies nur eine von mir gemachte grobe Erfahrung.

Wenn Krebs meint, daß Suchtthera- peuten in den Selbsthilfegruppen keine Daseinsberechtigung hätten, so muß ich dem widersprechen, denn in der Regel sind Suchtthera- peuten ehemalige Alkoholiker, so auch in unseren Gruppen, und damit gruppenbedürftig. Darüber hinaus stehen diese Suchttherapeuten zu Einzelgesprächen mit Alkoholkran- ken zur Verfügung, und dies halte ich eben für besonders wichtig. Ge- rade die Suchttherapeuten sind häu- figer als der Arzt die ersten An- sprechpartner der Alkoholkranken.

Sie motivieren den Alkoholkranken zum Arztbesuch und zum Besuch

der Selbsthilfegruppen. Mit dem Suchttherapeuten zusammen kann der Arzt über die notwendige Thera- pie entscheiden. Zurückweisen muß ich aber in aller Deutlichkeit, die An- sicht des Kollegen Krebs, wenn er die Rolle des niedergelassenen Arz- tes reduziert wissen will auf die Rol- le eines „verständnisvollen Selektie- rers und Motivierers". Ich glaube hier unterschätzt er die Potenz des niedergelassenen Arztes, auch des Fachneurologen. Würde diese Mei- nung unwidersprochen bleiben, würde sie viele niedergelassene Kol- legen davon abhalten, sich mit der Problematik des Alkoholkranken auseinanderzusetzen. Die von mir propagierte kurzzeitige Ausgabe von Chlormethiazol, die von ver- schiedenen anderen Autoren be- schrieben wird, mit der Methadon- ausgabe an Heroinsüchtige in den USA zu vergleichen erscheint mir doch etwas gewagt. Wir haben bis- her nur in wenigen Fällen eine sol- che Behandlung und dann auch nur unter strengsten Kautelen durchge- führt. Ich glaube, manche internisti- sche Abteilung oder Fachklinik wird mit dem Chlormethiazol wesentlich weniger streng umgehen. Der Ver- gleich mit dem Methadon hinkt ja auch insofern, als ja Methadon heu- te auch in den Kliniken nicht mehr an Heroinsüchtige ausgegeben wer- den darf! Wenn ich die Gebühren- ordnung in meinem Artikel ange- sprochen habe, dann nur unter dem Aspekt, daß auch heute noch die ärztliche Beratung als ärztliche Grundleistung — und nichts anderes ist in der Regel ein therapeutisches Gespräch mit dem Alkoholkranken — mit einem Honorar zwischen 3 und 5 DM abgegolten wird. Ich persönlich sehe dies nicht als einen Witz an, sondern finde es eher tragisch, wenn man bedenkt, daß auch heute noch für eine Leberfunktionsunter- suchung zwischen 8 und 12 DM be- zahlt werden. Die Gebührenordnung hat für diese Dinge nun einmal eine enorme Lenkungsfunktion. Ich zitie- re aus einem Brief, den mir ein auf diesem Gebiet sehr erfahrener Chef einer psychosomatischen Klinik zu- gehen ließ. Es handelt sich um die am 1. Januar 1979 in Kraft getrete- ne Empfehlungsvereinbarung zwi-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 4. Oktober 1979 2601

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