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Archiv "Ein Arzt für 200 000 Menschen" (11.12.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Die medizinische Versorgung in Afghanistan leidet Not

Afghanistan muß seinen Leidensweg weitergehen. Es ist fast auf den Tag ge- nau sechs Jahre her, als sowjetische Be- satzungstruppen am 27. Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierten. Bis zum heutigen Tag versuchen die russischen Militärs in verlustreichen Kämpfen gegen die Aufständischen, eine Regierungsau- torität herzustellen und das Land unter

(fremder) Kontrolle zu halten.

Wenigstens einen Funken der Hoffnung einer Milderung und zur Entspannung in diesem leidgeprüften Land gibt es nach dem Gipfeltreffen zwischen dem ameri- kanischen Präsident Reagan und dem sowjetischen Parteichef Gorbatschow in Genf: Nach Aussagen von US-Außenmi- nister George Shultz in einem Interview mit der amerikanischen Fernsehgesell- schaft NBC hätten die beiden Staatsmän- ner darin übereingestimmt, daß die Af- ghanistan-Frage „politisch gelöst" wer- den müsse. Der Außenminister der USA

Helfen — so gut es geht

wertete das Verhalten des Kreml-Chefs auch als Anzeichen dafür, daß die So- wjets bei den für Dezember angesetzten Gesprächen über Afghanistan unter UNO-Aufsicht bereit seien, für einen möglichen Truppenabzug einen Termin- plan aufzustellen.

Wie sich die Situation in Afghanistan zur Zeit darstellt, darüber informiert ein Be- richt eines deutschen Arztes, der im April

und im Mai 1985 im medizinischen Hilfs- dienst in Afghanistan tätig war. Der Ein- satz wurde durch finanzielle Unterstüt- zung des 1984 gegründeten „Bonner Afghanistan-Komitees" ermöglicht, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit Hilfe von Spendenaufkommen auch deutsche Ärz- te und Hilfspersonal in die Krisenherde Afghanistans zeitweilig zu entsenden, um dort, wo Hilfe möglich ist, eingesetzt zu werden. Darüber hinaus gibt es verschie- dene lokal, bundesweit und international aktive Hilfsorganisationen sowie einen

„Ärzteverein für afghanische Flüchtlinge e. V." (Sitz: Helmstedt), dem zum größ- ten Teil in der Bundesrepublik Deutsch- land tätige afghanische Auswanderer an- gehören.

Die Redaktion des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES veröffentlicht die Berichte in Wort und Bild — nicht um etwaiger Spen- den willen, nennt indes für Interessierte hier auch die Spendenkonten. HC

V

on ehemals 1500 Ärzten arbei- ten noch etwa 50 in den von

Freiheitskämpfern kontrollier- ten Landesteilen Afghanistans;

dies sind 85 Prozent des gesam- ten afghanischen Territoriums.

Ein Arzt muß durchschnittlich 200 000 Menschen versorgen.

Das „Bonner-Afghanistan-Komi- tee" (Meckenheimer Allee 91, 5300 Bonn 1, Tel. 02 28/69 32 40, Konto-Nr. 90 10 Sparkasse Bonn) ist eine seit Mai 1984 bestehende, durch Spendengelder getragene, Hilfsorganisation, die sich zur Auf- gabe gesetzt hat, die medizini- sche Versorgung der Zivilbevölke- rung in Afghanistan zu verbes- sern. Im Auftrag dieser Organisa- tion besuchten eine Kranken- schwester, ein ärztlicher Kollege und ich selbst sechs Wochen lang die Provinz Nangahar, eine von 28 afghanischen Provinzen. Nanga- har liegt südlich des Khyber-Pas- ses und grenzt an Pakistan. Auf- grund seiner geografischen und klimatischen Gegebenheiten gilt es als „wohlhabende" Provinz.

Sehr viele Freiheitskämpfer und alle Hilfsorganisationen haben ih-

Ein Arzt für

200 000 Menschen

ren Ausgangspunkt für Nach- schub und Hilfe in Peshawar, Pa- kistan. Auch wir wurden hier aus- gerüstet. Die viertägige Anreise bis Nangahar wurde zum großen Teil zu Fuß zurückgelegt und war für alle Beteiligten sehr anstren- gend. Unter Führung einer afgha- nischen Begleitmannschaft muß- ten wir Pässe bis zu 3000 m über- queren und einen nicht unerheb- lichen Wegteil nachts — aus Si- cherheitsgründen — zurücklegen.

Infrastruktur ist zerstört

Nach Ankunft in Nangahar zeigte sich, daß jegliche medizinische In- frastruktur weitgehend zusam- mengebrochen ist. Außer in der von den Regierungstruppen und Sowjets beherrschten Provinz- hauptstadt Djallalabad gibt es kei- ne Krankenhäuser oder -statio- nen, keine Apotheken und keine regulär arbeitenden Ärzte mehr.

In größeren Orten findet man ver- einzelt sogenannte „Shopkee- per", welche den Kranken völlig wahllos und unsachgemäß — ge- gen überhöhtes Entgelt — Injektio- nen verabreichen. Fünfmal sahen wir bei Kindern nach intramusku- lären Injektionen partielle und komplette Ischiadicus-Läsionen.

Zunehmend finden sich auch die Folgen der unterlassenen Präven- tionsmaßnahmen, so nehmen bei- spielsweise Poliofälle bei Kindern rapide zu, weil es seit Kriegsbe- ginn (1979) keine Impfungspro- gramme mehr gibt. Auch breitet sich die Tuberkulose in erschrek- kendem Maß wieder aus. Der Ver- lust des hygienischen Standards geht Hand in Hand mit den sich verschlechternden Lebensum- ständen; zudem fehlt jede Form der konsequenten Therapie und Überwachung. Das Trachom führt immer häufiger zur Erblindung, weil Tetracyclin-Augencreme — das Mittel der Wahl — für die mei- sten Patienten nicht erhältlich ist.

Während unseres sechswöchigen Aufenthaltes behandelten wir 3750 (18) Heft 50 vom 11. Dezember 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Afghanistan: Ärztliche Versorgung

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ehn Millionen Menschen sind in Afghanistan ohne medizi- nische Versorgung oder müssen unter primitivsten Bedingungen ärztlich behandelt werden. Die Krankenstationen sind oftmals zerbombte und zerfallene Barak- ken, und noch müssen die deut- schen Ärzte und Krankenschwe- stern, die im Hilfseinsatz sind, in den Krisenherden um ihr Leben fürchten. Ihren Einsatzort errei-

chen sie oft nur über große Hin- dernisse — wie die Bonner Kran- kenschwester Maria Müller (47), Foto links unten. Brandbom- benverletzungen bei Kindern

(Bild Mitte, links) müssen von afghanischen Sanitätern not- dürftig versorgt werden. Nach Ankunft eines Medikamenten- transports werden die lebens- wichtigen Mittel auf der Dorf- straße ausgepackt und sortiert.

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 50 vom 11. Dezember 1985 (19) 3751

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Afghanistan: Medizinische Versorgung

1800 Patienten, fast ausschließ- lich ambulant. Alle ein bis zwei Ta- ge wanderten wir von einem Dorf zum anderen. Unsere Anwesen- heit sprach sich schnell herum, und wir waren in kurzer Zeit von den Kranken des Ortes umlagert.

Die Sprechstunden hielten wir, je nach den Gegebenheiten, unter freiem Himmel oder in einem ge- eigneten Raum ab. Die afghani- schen Helfer übernahmen die Re- gistrierung der Patienten, die Aus- gabe der Medikamente und einfa- chere medizinische Tätigkeiten.

Wir versuchten durch praktische Anleitung und theoretische Erklä-

rungen den Wissensstand unserer Mitarbeiter zu verbessern. Die Sprachbarriere zu den Patienten und Helfern konnte mit Hilfe eines sehr guten Dolmetschers über- wunden werden.

Glücklicherweise kam es während unserer Anwesenheit in Nangahar zu keinen größeren Kampfhand- lungen zwischen den Freiheits- kämpfern und Regierungstruppen bzw. Sowjets, so daß unsere Ar- beit am ehesten einer breitgefä- cherten allgemeinmedizinischen Tätigkeit entsprach. Bei Kindern standen Wurmerkrankungen, Oti- tiden, Anginen und Enteritiden im Vordergrund. Auffällig war der ho- he Prozentsatz von Frauen, die an Anämien litten. Kleinere chirurgi- sche, vorwiegend septische Ein- griffe waren fast täglich durchzu- führen. Einmal mußten wir bei ei- nem achtzehnjährigen Patienten, der auf eine Mine getreten war, ei- ne Unterschenkelamputation vor- nehmen. Diese Tretminen, die in der Regel zur traumatischen Fuß- amputation führen, und die über- all zu finden sind, werden von der

Bevölkerung besonders gefürch- tet. Viele Patienten sterben nach solchen Verletzungen qualvoll an den septischen Komplikationen;

der Weg ins rettende Pakistan ist oft zu weit. Überrascht waren wir über die relativ häufigen psycho- somatischen bzw. psychovegeta- tiven Störungen, vor allem bei Männern; Gastritiden und Ulzera standen hierbei im Vordergrund.

Ursächlich hierfür sind sicher die

Vor zwei Jahren ist der „Ärztever- ein für afghanische Flüchtlinge e. V.", Sitz: 3300 Helmstedt, Pri- vatstraße 1, gegründet worden.

Größtenteils afghanische Einwan- derer, die in Deutschland als Ärzte tätig sind, haben sich zusammen- geschlossen, um mit Spenden die großen europäischen Organisatio- nen „Mödecins sans frontiäres"

und Svenska Afghanistan Comit- ten Tawastgatan" zu unterstützen (Kto.: Volksbank Helmstedt eG, Nr. 101 017 400). An hauptamt- liche Mitarbeiter und Einsatzhel- fer des noch im Aufbau befind- lichen Vereins ist vorerst nicht zu denken. Die Aktivitäten finden au- ßerhalb der Dienstpläne der meist in Krankenhäusern tätigen Mit- glieder auch in Kooperation mit anderen Organisationen statt.

Eben darum steht das Enga- gement im Krisenherd selbst noch außer Diskussion, von Beobach- tungsreisen einzelner abgesehen.

So suchte die Vereinsvorsitzende, Frau Dr. Gudrun Sharifi, Kinder- ärztin aus Helmstedt, im Sommer 1985 Flüchtlingslager in Pakistan auf, um möglichen Gelder- schwund in den offiziellen paki- stanischen Schaltstellen zu umge- hen und sicherzustellen, daß das Geld an Ort und Stelle in Projekte fließt, die von anderen Organisa- tionen nicht oder noch nicht ein- bezogen wurden. So berichtet sie von der Fertigstellung zweier Brunnen mit Mitteln des Vereins in einem Transit-Camp, in denen

Kriegsfolgen. Der Luftterror, der von den für die Freiheitskämpfer unangreifbaren Kampfhubschrau- bern auf die Bevölkerung ausge- übt wird, spielt eine wesentliche Rolle. Jedes Dorf ist in den ver- gangenen fünfeinhalb Jahren schon mehr oder weniger oft bombardiert worden. Es bleibt zu hoffen, daß es gelingt, die medizi- nische Versorgung der afghani- schen Bevölkerung zu verbes- sern. Würde dies erreicht werden,

der direkten medizinischen Hilfe erst die Abhilfe gegen Wasser- mangel vorangehen mußte. Wei- terführende Projekte sind von ei- nem im Krisengebiet tätigen ärzt- lichen Mitglied geplant, der als Neurologe den „Kulturschock" in Betracht zieht, der sich in den un- zivilisierten Gebieten oft erst in langen Kampfpausen bei der Be- völkerung einschleicht, die vorher nie Flugzeuge, geschweige denn Kriegsartillerie zu Gesicht bekom- men hat.

Für die organisatorische Arbeit des Vereins in der Bundesrepu- blik Deutschland gilt ein nach al- len Seiten Offenhalten zum Ken- nenlernen und Zusammenarbei- ten mit anderen Hilfsaktionen. Es sind Vorträge und Ausstellungen geplant, denn, so Dr. Sharifi, das Problem kann neben aller Hilfe dennoch nur von oben, sprich:

politisch, gelöst werden. Es gelte, mit Hartnäckigkeit das Interesse und das Engagement in Europa aufrechtzuerhalten. Solange aller- dings auf politischer Ebene selbst geringste Zeichen der Solidarität ausbleiben, wie etwa ein Empfang beim Besuch eines Widerstands- führers kürzlich in Bonn, so fragt man sich natürlich, an welchem Ende unsere Freiheit erst ange- knabbert werden muß, damit ein- deutige Stellungnahmen zum Menschenrecht nicht falschem politischen Taktgefühl zum Opfer fallen. Christian Köhl, Köln

dann wäre ein Grund, der die Menschen zum Verlassen ihres Landes bewegt, nicht mehr gege- ben. Bisher mußten fünf Millionen Afghanen — ein Drittel der Ge- samtbevölkerung! — ihre Heimat verlassen .. .

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Ludger Bernd

Chirurgische Universitätsklinik Im Neuenheimer Feld 110 6900 Heidelberg

Afghanische Einwanderer wollen helfen

3752 (20) Heft 50 vom 11. Dezember 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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