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ngela Merkel hat eine breite öffentliche Debatte über die ethische Verantwor- tung der Wissenschaft und die Grenzen der Gentechnik ge- fordert. Die CDU-Vorsitzen- de äußerte sich beim Bioethik- Kongress ihrer Partei im De- zember in Berlin. Er stand un- ter dem Motto: „Auch in Zu- kunft menschenwürdig leben – Ethik und Gentechnologie im 21. Jahrhundert“.Merkel zeigte sich sowohl gegenüber der Präimplantati- onsdiagnostik wie gegenüber Gentests skeptisch. Im Fall derartiger Tests müsse der
Gesetzgeber verhindern, dass Arbeitgeber und Versicherer Zugang zu Daten von Kun- den oder ihren Mitarbeitern erhielten.
Der stellvertretende Vorsit- zende der CDU, Jürgen Rütt- gers, bezeichnete es als skan- dalös, dass derzeit wieder of- fen gegen die Geburt behin- derter Kinder votiert werde.
Grundüberzeugungen von der Würde des Menschen und seiner unbedingten Schutz- würdigkeit dürften nicht zu- gunsten „postmoderner Be- liebigkeit“ aufgegeben wer- den.
A K T U E L L
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 4½½½½26. Januar 2001 AA137
Täuschende Prozente
Vier von 1 000 oder 0,4 Prozent
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enau 130 Prozent aller Deutschen haben Probleme mit der Prozent- rechnung: Dieser alte „Kalauer“ darf ohne weiteres auf Ärzte, Wissenschaft- ler und Juristen angewendet werden.Eine Gruppe um Prof. Ulrich Hoffrage vom Max-Planck-Institut für Bildungs- forschung in Berlin und Prof. Samuel Lindsay von der US-Universität Virgi- nia in Charlottesville schildert im Wis- senschaftmagazin Science, dass auch Fachleute massive Schwierigkeiten haben, mit in Prozentzahlen angegebe- nen Wahrscheinlichkeiten zu rechnen (2000; 290: 2261). So hatten die For- scher Studenten gebeten, anhand eini-
ger Zahlen die Trefferrate von Mam- mographie-Untersuchungen zur Früh- erkennung von Brustkrebs abzuschät- zen: Der Nutzen der Röntgenuntersu- chungen wird von Ärzten gerne mit der Aussage beschrieben, eine Frau könne durch die regelmäßige Teilnahme ihr Risiko, an Brustkrebs zu sterben, „um 25 Prozent verringern“.
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iese Angabe ist allerdings wertlos, wenn den Frauen nicht auch ge- nannt wird, wie häufig Brustkrebs ist.Tatsächlich sterben von 1 000 Frauen innerhalb von zehn Jahren nur etwa vier an Brustkrebs, sodass die relative Reduktion um „25 Prozent“ bedeutet, dass letztlich nur eine von 1 000 Frauen durch das Screening gerettet werden könnte, 999 aber keinen Nutzen haben.
In Tests an Medizinstudenten war aber nur jeder Vierte in der Lage, diese „1 zu 1 000“-Erfolgsaussicht des Mammo-
graphie-Screenings richtig zu berechnen, wenn ihm die üblichen Wahrscheinlich- keiten in Prozent angegeben wurden.
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urden den Studenten die Zahlen jedoch als „natürliche Häufigkeit“geschildert – also etwa: vier von 1 000 Frauen, statt 0,4 Prozent –, lag „nur“ je- der Zweite falsch (was immer noch viel ist). In weiteren Tests haben auch er- fahrene Ärzte kaum besser abgeschnit- ten. Die Autoren leiten aus ihren Er- fahrungen die konkrete Forderung ab, diese Schwierigkeiten bei der Informa- tion von Patienten zu berücksichtigen.
Hoffrage: „Solange Gesundheitsorga- nisationen (. . .) bei der Aufklärung über Nutzen und Schaden von Früh- erkennungsprogrammen nur Wahr- scheinlichkeiten und relative Risiko- reduktionen angeben, ist eine wirklich aufgeklärte Entscheidung der Patien- ten unwahrscheinlich.“ Klaus Koch Akut
Verzahnung
Kooperation in Berlin
Niedergelassene sichern zusammen mit Klinikärz- ten die Erstversorgung.
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ie Kassenärztliche Verei- nigung (KV) Berlin hat vor kurzem ihre Erste-Hilfe- Stelle im Stadtteil Wedding geschlossen, weil sie für deren Defizit von rund 20 000 DMjährlich nicht mehr aufkom- men wollte. Patienten mit akuten Beschwerden außer- halb der Praxisöffnungszeiten können sich jedoch an die Rettungsstelle der DRK-Kli- niken Mark Brandenburg wenden, wo rund 60 nieder- gelassene Ärzte gemeinsam mit Klinikärzten die medizi- nische Erstversorgung über- nehmen.
Ähnliche Kooperationsmo- delle gibt es bereits in den DRK-Kliniken Westend und Köpenick sowie im katholi- schen St.-Joseph-Krankenhaus in Tempelhof.
Bioethik
CDU lotet noch Grenzen aus
Mahnende Stimmen bei einem Kongress in Berlin
Amtsübergabe: Am Don- nerstag und Freitag vergan- gener Woche bezog die neue Bundesgesundheits- ministerin Ulla Schmidt (SPD) ihre Dienstsitze in Ber- lin und Bonn. Die Vorstellung der neuen Ministerin war verbunden mit der Verab- schiedung ihrer Amts- vorgängerin Andrea Fischer (Grüne), die im Zusammen- hang mit der BSE-Krise zurückgetreten ist. Bereits in der vergangenen Woche hatte auf Einladung von Bundeskanzler Gerhard Schröder ein er- stes Gespräch von Ulla Schmidt mit den Spitzen der deutschen Ärzte- schaft stattgefunden.
Foto: dpa