aufgebaut worden. Da aber gleichzeitig Medikamente für Kinder eine Patien- tengruppe betreffen, die aufgrund ihres geringeren Erkrankungsrisikos kein at- traktives Marktsegment darstellt, sind pharmakologische Fortschritte für die- se Altersklasse nicht mehr uneinge- schränkt zugänglich.“
Beispielsweise waren 49 von 110 in der Europäischen Union im Januar 2000 zugelassene neue Arzneimittel sowohl für Erwachsene als auch für Kinder geeignet, aber nur 15 enthiel- ten Angaben zur Anwendung bei Kin- dern und Heranwachsenden. „Die Kluft zur Behandlung Erwachsener wird im- mer größer werden“, erklärte Hilde- brandt.
In den letzten Wochen sei jedoch Be- wegung in das Feld gekommen. So sei- en an einigen Koordinationszentren für Klinische Studien (KKS) so genannte pädiatrische Module angesiedelt wor- den. „Dies ist ein erster, aber kein aus- reichender Schritt, um dauerhaft und unabhängig an Universitäten auch sol- che Studien durchführen zu können, die nicht in unmittelbarem Interesse der In- dustrie liegen“, sagte Hildebrandt.
Temporäre Zulassung als Übergangslösung
Außerdem wurde am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine unabhängige Expertenkommissi- on „Arzneimittel für Kinder und Ju- gendliche“ eingerichtet. Die Aufgabe dieses Ausschusses ist es unter ande- rem, Standards für therapeutisch wich- tige Arzneimittel zu definieren, die als Empfehlungen für eine Zulassung von bekannten Arzneimitteln für Kinder übernommen werden können.
Im Sinne Übergangshilfe drängt die Bundesregierung nun auf eine tempo- räre Zulassung. „Die Frage nach mögli- chen Anreizen für die Industrie, falls – wie in den USA schon geregelt – eine In- dikationsstellung für die Kinderheilkun- de beantragt wird und erforderliche Nachweise und Unterlagen beigebracht werden, setzt eine Lösung in der Europäi- schen Gemeinschaft voraus“, so Hilde- brandt. Seit einem Jahr stehe auch die EU-Kommission in Brüssel unter Voll- zugszwang. Dr. med. Vera Zylka-Menhorn
B
ei der aktuellen Diskussion um eine gesetzliche Verankerung von Patientenrechten in einer umfas- senden Charta sollte berücksichtigt werden, dass das komplexe Regelungs- system, als das sich das Berufsrecht der Freien Berufe darstellt, nicht durch unbedachte, einseitig wirkende Maß- nahmen infrage gestellt wird. An- gesichts der inzwischen erreichten Re- gelungsdichte müsse der Gesetzgeber seine Effektivitätskontrolle intensivie- ren, um eine Kumulation nicht ausrei- chend wirksamer Verhaltenspflichten oder gar widersprüchliche Systeman- sätze zu vermeiden. Auch hier gelte die alte Lebensweisheit, dass „weniger“manchmal „mehr“ ist. So fasste Prof.
Dr. jur. Winfried Kluth, Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Martin-Lu- ther-Universität Halle-Wittenberg, sei- ne Ausführungen zum Thema „Mög- lichkeiten und Grenzen des Verbrau- cherschutzes durch Berufsrecht“ zu- sammen.
Allerdings habe sich das so genannte paternalistische Leitbild, nach dem die Angehörigen der Freien Berufe die In- teressen ihrer Vertragspartner in der Regel nach Maßgabe ihres Berufsethos und ihrer fachlichen Qualifikation schützen, inzwischen überlebt. Diese treuhänderische Konzeption sei durch eine privatautonome Konzeption er- setzt worden. Dabei trete der Verbrau- cher oder Patient als autonomes Sub- jekt stärker in den Vordergrund; dessen Interessen würden nicht allein durch objektive Standards, „sondern gerade auch durch die Einbeziehung seiner Sicht der Dinge, seine Zustimmung nach Aufklärung und weitere damit verbundene informatorische und ver- fahrensmäßige Vorkehrungen berück- sichtigt“.
Unklar ist jedoch, ob und inwieweit das spezifische Arzt-Patienten-Verhält- nis es überhaupt zulässt, das Patienten-
recht im Rahmen des umfassenden Be- griffs „Verbraucherschutz“ zu diskutie- ren. Gibt es so etwas wie Konsumenten- souveränität bei einem Kranken, der Not leidet und Hilfe sucht? Der Arzt sei zu 90 Prozent kein Experte, der eine ge- nau zu definierende Leistung erbringt, sondern über lange Jahre hinweg der Begleiter eines Patienten, der etwa an Diabetes oder Hypertonie leidet und den Großteil der Leistung selbst erbrin- gen muss, gab Prof. Dr. med. Klaus- Dieter Kossow in der Diskussion zu be- denken.
Berufsrecht sichert Patientenrecht
Dass ärztliches Berufsrecht auch Pa- tientenrecht sichert, steht für Rechts- anwältin Ulrike Wollersheim, Justizia- rin von Bundesärztekammer und Kas- senärztlicher Bundesvereinigung, au- ßer Frage. Bereits in der Präambel zur ärztlichen Berufsordnung stehe das Handeln des Arztes in Bezug zum Patienten im Vordergrund. Die Be- rufsordnung diene dem Ziel, das Ver- trauen zwischen Arzt und Patient zu erhalten. Betrachte man die allgemei- nen Ziele des Verbraucherschutzes – Schutz der Gesundheit, Sicherheit des Produkts oder der Dienstlei- stung, Wahrung der wirtschaftlichen Interessen und angemessene Informa- tion des Verbrauchers –, so könne man fast die gesamte ärztliche Berufsord- nung diesen einzelnen Punkten zuord- nen.
Durchaus möglich erscheine es, im Rahmen der Berufsordnung auch die Rechte der Patienten zu definieren.
Anstelle eines „Patientengesetzes“ plä- dierte Wollersheim für die beratende Mitwirkung von Patientenvertretern bei der Fortentwicklung des Berufs-
rechts. Thomas Gerst
P O L I T I K
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A3416 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 51–52½½½½24. Dezember 2001