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Archiv "Arzneimittel: Risiken nach der Zulassung" (04.10.2002)

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A2594 Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002

Arzneimittel

Risiken nach der Zulassung

Die Autoren einer US-Studie empfehlen Vorsicht bei der Ver- schreibung von Arzneimitteln mit innovativen Wirkstoffen, wenn wirksame ältere Substanzen zur Verfügung stehen.

D

ie Erfassung von bisher unbekann- ten, schweren unerwünschten Arz- neimittelwirkungen (UAW) nach der Markteinführung von Arzneimit- teln mit neuartigen Wirkstoffen ist eine wichtige Aufgabe, an der sich auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Köln, durch ihr Spontanerfassungssystem seit langem beteiligt. Klinische Studien sind häufig nicht in der Lage, schwere UAW, insbe- sondere wenn diese selten sind oder nur unter bestimmten Risikokonstellatio- nen vorkommen, vor der Zulassung zu erfassen. Eine bemerkenswerte wissen- schaftliche Studie aus den USA hat jetzt die Art, Häufigkeit und den Zeit- punkt der Warnhinweise („black box warnings“) im Physicians’ Desk Refer- ence (PDR), einem der Roten Liste® vergleichbaren Verzeichnis, untersucht.

Sie ging damit der Frage nach, ob sich Ärzte bei der Verschreibung von neuar- tigen Arzneimitteln wegen des Risikos noch unbekannter schwerer UAW ge- nerell zurückhalten sollten (1).

Sicherheit erst nach einigen Jahren abschätzbar

In der Studie untersuchten Lasser und ihre Kollegen (auch unter Beteiligung einer Verbraucherschutzorganisation) die Zeitspanne zwischen dem Zulas- sungszeitpunkt und dem Auftreten ei- nes besonderen Warnhinweises im PDR beziehungsweise der Marktrück- nahme anhand von statistischen Metho- den, die sonst üblicherweise bei der Analyse von Überlebenszeiträumen verwendet werden (so genannte Ka- plan-Meier-Methode). Dabei wurden zwischen 1975 und 2000 bei allen 548 in diesem Zeitraum zugelassenen Arznei- mitteln mit neuartigen Wirkstoffen 56

Warnhinweise oder Markt- rücknahmen beobachtet, was einem Anteil von 10,2 Prozent entspricht (8,2 Prozent der Arzneimittel erhielten einen neuen Warnhinweis, 2,9 Pro- zent mussten vom Markt genommen werden). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Arzneimittel einen besonderen Warnhinweis

erhalten oder vom Markt genom- men werden muss, beträgt über 25 Jahre 20 Prozent. Ein neuer Wirkstoff hat über 25 Jahre eine Wahrscheinlichkeit von vier Prozent, vom Markt genom- men werden zu müssen.

Rund die Hälfte der Rückrufe er- folgte innerhalb der ersten zwei Jahre, die Hälfte der besonderen Warnhin- weise innerhalb der ersten sieben Jah- re. Häufigste Gründe waren kardiovas- kuläre Toxizität (21 Prozent), Leberto- xizität (19 Prozent), hämatologische Toxizität (16 Prozent) und erhöhtes Risiko in der Schwangerschaft (11 Pro- zent).

Die Autoren folgern, dass die Sicher- heit von neuen Wirkstoffen erst nach ei- nigen Jahren der Erfahrung hinrei- chend abgeschätzt werden kann. Die amerikanische Zulassungsbehörde soll- te daher ihre Sicherheitsanforderungen an Neuzulassungen höher schrauben, wenn wirksame und sichere Therapien in der entsprechenden Indikation be- reits vorhanden sind oder wenn das Arzneimittel nur zur Behandlung einer gutartigen Erkrankung bestimmt ist. In diesem Kontext weisen sie darauf hin, dass sehr wohl bei einigen Substanzen, wie zum Beispiel Grepafloxacin, bereits vor der Zulassung Erkenntnisse über eben die Risiken bestanden, derentwe- gen sie später vom Markt genommen wurden.

Darüber hinaus kritisieren die Auto- ren Widersprüche bei der Anbringung von Warnhinweisen, wenn beispielswei- se die Hinweise nur bei einigen, aber nicht allen Vertretern einer Klasse von Wirkstoffen angebracht werden. Sie schlagen vor, dass dies einheitlich er- folgt, sobald ein Klasseneffekt vermutet wird. Außerdem wird – in Übereinstim- mung mit alten Forderungen der AkdÄ – vorgeschlagen, den Zeitpunkt der Zu- lassung deutlicher für den Patienten kenntlich zu machen. In Deutschland unterliegt ein neuartiger Wirkstoff nach

§ 49 AMG der „automatischen Ver- schreibungspflicht“ für fünf Jahre. Eine Kenntlichmachung dieser Frist für den Patienten, zum Beispiel auf der Ver- packung, erfolgt jedoch leider nicht.

Wichtig ist Mitwirkung der Ärzte bei der Erfassung

Die Autoren empfehlen große Vorsicht bei der Verschreibung von Arzneimit- teln mit innovativen Wirkstoffen, insbe- sondere wenn wirksame ältere Substan- zen zur Verfügung stehen. Sie befür- worten eine sorgfältige Patientenauf-

Meldung unerwünschter Arzneimittelwirkungen – Ärzte sind zur Mitwirkung aufgefordert.

P O L I T I K

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klärung über den Mangel an Erfahrung mit derartigen Wirkstoffen. Außerdem betonen sie die gerade bei neuen Wirk- stoffen bestehende Notwendigkeit, jede beobachtete schwere UAW an das na- tionale Spontanerfassungssystem zu melden.

Vertreter der in der Studie mehrfach kritisierten Food and Drug Administra- tion (FDA) (2) versuchen in einem be- gleitenden Editorial, die Kernbotschaft der Autoren abzuschwächen. Zum ei- nen kämen schwere UAW nur sehr sel- ten vor, und nachweisliche Vorteile ei- nes neuen Wirkstoffs dürften einem Pa- tienten nicht vorenthalten werden.

Zum anderen sei die Beobachtung von schweren UAW in der letzten Zeit ver- bessert worden, wodurch diese ver- gleichsweise früher erfasst würden. Da- bei werde heute besonderes Augen- merk auf Veränderungen der kardialen Repolarisation (QT-Verlängerung et cetera), die Hepatotoxizität sowie die Interaktionsmöglichkeiten durch Hem- mung des hepatischen Arzneimittelme- tabolismus gelegt. Den von vielen kriti- schen Experten konstatierten Zusam- menhang eines in den vergangenen Jah- ren zu beobachtenden Rekordtempos bei Zulassungen und der spektakulären Rate an bald folgenden Marktrücknah- men scheinen die FDA-Mitarbeiter aus den Augen verloren zu haben.

Die Ergebnisse dieser Studie bestäti- gen die oft wiederholte Aufforderung der AkdÄ an die Ärzte, durch häufigere und qualifizierte Meldungen neue UAW rasch erkennen zu helfen und da- durch die Zeitspanne von der Zulas- sung eines neuen Arzneimittels bis zur Anbringung von Warnhinweisen oder zur eventuell aus Sicherheitsgründen erforderlichen Marktrücknahme mög- lichst kurz zu gestalten. Hierdurch könnte die Zahl geschädigter Patienten reduziert werden.

Literatur

1. Lasser KE, Allan PD, Woolhandler SJ et al.: Timing of new Black Box Warnings and withdrawals for pre- scription medications. JAMA, Vol. 287 (2002), p 2215–2220.

2. Temple RJ, Himmerl MH: Safety of newly approved drugs – implications for prescribing. Editorial. JAMA, Vol. 287 (2002), p 2273–2275.

Prof. Dr. med. Heiner Berthold Geschäftsführer der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Köln

Deutsches ÄrzteblattJg. 99Heft 404. Oktober 2002 AA2595

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anchmal bin ich voller Neid, wenn ich an Mathematiker oder Bio- chemiker denke. Bei denen tauchen Gleichheitszeichen auf, die ein Gleichgewicht markieren, oder Striche, die für kovalente Bindun- gen stehen. Die Variablen haben dann ihren festen Bezugspunkt und wer- den kalkulierbar. Man kann sie messen, wiegen, ihre Streuung im Licht aufzeichnen, und wenn, wie das bei guter Wissenschaft der Brauch ist, die- se Experimente wiederholt werden, so zeigen die Variablen stets das glei- che Verhalten. Und genau hier fängt mein Neid an.

Ich habe als niedergelassener Arzt nämlich nicht mit Variablen zu tun, sondern mit Patienten. Und die verhalten sich weitaus undisziplinierter als jegliche Chaostheorie. Nehmen wir zum Beispiel die allgemein emp- fohlene, offene Standardfrage bei noch unbekannten Patienten: „Was kann ich für Sie tun?“ Wenn sich das Spektrum der Antworten zwischen

„Das müssen Sie doch wissen“ und „Ach, mir ist heute so elend“ bewegt,

sind Sie noch im 2s-Bereich der Standardabweichungen. Einfacher ist es, wenn der Patient Sie nur anguckt und Ihnen gar keine Antwort gibt. Dann kommen psychiatrische Krankheitsbilder, motorische Apha- sien und solide Sprachunkenntnis infrage, also relativ übersichtliche Differenzialdiagnosen.

Ein Mathematiker würde mir den mitleidig-wohlwollenden Rat geben, meine Fragen doch zu präzisieren. Nun, auf eine konkrete Frage wie: „Ha- ben Sie Schmerzen?“ bewegt sich das Kaleidoskop der Antworten zwi- schen „Meine Tochter sagt mir, dass ich ganz schlecht aussehe“ und „Als ich die kleinen gelben Pillen nahm, ist mir ganz schummerig geworden“.

Dazwischen fixiert mich immer noch der Patient mit der vermeintlichen motorischen Aphasie.

Und nur Mathematiker würden davon ausgehen, dass eine Frage wie

„Seit wann genau haben Sie Schmerzen?“ tatsächlich auch die Angabe einer Zeitdauer zur Folge hat. Kaum ausgesprochen, springt der unbändige Mit- teilungsdrang der Schutzbefohlenen auf den Kopf oder die Gelenke über:

„Mir ist so schwindelig, und die Knie haben mir so weh getan, und außerdem sticht’s links und drückt’s rechts!“ Am Ende macht der, der bisher aphasisch vor mir hockt und mich anstiert, doch noch den Mund auf, und es sprudelt aus ihm heraus: „SchmerzeninBeinenKneifenimBauchSchwindelimKopf- BrenneninFüßen . . .“ Was mich dann richtig fertig macht. Denn ich muss, gelobt sei die Sorgfaltspflicht, allem nachgehen und erst einmal das Schlimm- ste annehmen; und daher das Gesagte übersetzen in zum Beispiel „Arteriel- leVerschlusskrankheitPerforiertesMagengeschwürHirntumorPolyneuropa- thie . . .“. Würde zur Folge haben: Angiographie- GastroskopieComputertomographieNeurologie . . .

Daraus resultiert: SofortigeAnmeldungRöntgen- InternistNeurologeStationäreEinweisung.

Kommt die Anwort: „Morgen fahr’ ich aber erst mal in den Urlaub!“ Und ich bleibe auf meinen Dia- gnosen und Befürchtungen hocken. Und wehe, es passiert etwas im Urlaub.

Deswegen habe ich mitunter Angst vor den Antworten. Dr. med. Thomas Böhmeke

Angst vor Antworten

P O L I T I K

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