A-1793
Seite eins
Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 27, 5. Juli 1996 (1)
Medicalprodukte
Informationspolitik
nfang der letzten Woche verkündete das Magazin
„Focus“, eine hessische Pharmafirma habe in der Zeit von 1992 bis 1994 etwa 4,5 Millionen DM „Schmiergelder“ an mehr als 80 Ärzte und Kliniken für fragwür- dige Marketingaktionen bezahlt – zu Lasten der Krankenkassen und der Beitragszahler. Die „Welt am Sonntag“ und dpa wußten zu be- richten, daß die Ermittlungsergeb- nisse im „Herzklappen-Skandal“
ausreichten, um rund 1 900 Ver- fahren wegen Bestechung, Vor- teilsnahme und Betruges zu eröff- nen. Beschuldigt seien leitende Klinikärzte, kaufmännische und technische Mitarbeiter von mehr als 100 Herzzentren und Kliniken.
Von rund 7 000 Fällen ist die Rede, bei denen angeblich überhöhte
Preise für künstliche Herzklappen und andere Implantate genommen wurden.
Die Zahlen wurden offenbar von Oberstaatsanwalt Horst Ro- senbaum von der Schwerpunkt- staatsanwaltschaft für Wirtschafts- kriminalität in Wuppertal auf An- frage vorab an die Presse gegeben.
Die Sonderkommission dieser Staatsanwaltschaft ist seit zwei Jahren dabei, die umfangreichen, hauptsächlich bei drei Herstellern und Vertreibern von Herzklappen und anderen Medizinprodukten beschlagnahmten Unterlagen zu sichten (rund 5 000 Aktenordner).
Erst in dieser Woche – also rund zehn Tage nach der Presse – ist die Ärztekammer Nordrhein (federführend für die Landesärz- tekammern und die Bundesärzte-
kammer) über den Wuppertaler Abschlußbericht informiert wor- den – ohne mehr Erkenntnisse zu gewinnen als bereits vor zwei Jah- ren. Allerdings, und darauf wies auch der Präsident der Bundesärz- tekammer, Dr. Karsten Vilmar, hin: Aufklärung und Ermittlungen sind notwendig, aber auch Diffe- renzierung. Pauschale Verurtei- lungen sind mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates unvereinbar.
Die Betroffenen müssen gehört werden, dürfen nicht vorverurteilt werden. Die Gerichte müssen der Sache auf den Grund gehen. Im übrigen hätten die Beschuldigten im Falle feststellbarer Verfehlun- gen auch gegen die Berufsord- nung verstoßen. Berufsgerichtliche Sanktionen können drakonischer sein als die der Gerichte. . . HC
A
ie pharmazeutische Indu- strie ist bei den jüngsten Sparplänen für das Ge- sundheitswesen gut davongekom- men. Doch von beruhigtem Zu- rücklehnen war bei der diesjähri- gen Hauptversammlung des Bun- desverbandes der Pharmazeuti- schen Industrie (BPI) in der ver- gangenen Woche wenig zu spüren, im Gegenteil: Die Krankenkassen bekamen in Bonn ihr Fett weg.
Zwischen 1985 und 1995 wur- den in der gesetzlichen Kranken- versicherung nach Berechnungen des BPI in Westdeutschland 22 Prozent mehr Personal eingestellt.
Die Zahl derer, die in diesem Zeit- raum bei der GKV (mit-)versi- chert waren, sei dagegen nur um 2,6 Prozent gestiegen. Zweiter Kritikpunkt: Das Verwaltungsver- mögen – unter anderem Grund- stücke, Gebäude, Fahrzeuge, Ma-
schinen und Büroeinrichtungen – wuchs in zehn Jahren laut BPI um 64 Prozent auf 6,4 Milliarden DM.
Prof. Dr. med. Hans Rüdiger Vogel, der Vorsitzende des Ver- bandes, räumte zwar ein, daß den Kassen neue Aufgaben entstanden seien, zum Beispiel in Ostdeutsch- land. Er fand jedoch, es sei offen- sichtlich, wofür sie im Wettbewerb untereinander mehr Geld und Mit- arbeiter gebraucht hätten: für die Ausdehnung von Präventionsan- geboten. Vogel entschärfte diese zur Zeit hochmodische Kritik mit dem Hinweis, natürlich werde auch Sinnvolles angeboten. Was von al- len im Gesundheitswesen verlangt werde, müsse jedoch auch für die Kassen gelten: die Konzentration auf das Wesentliche.
Daß der BPI so austeilt, hat aus seiner Sicht gute Gründe. Der Druck im Finanzkessel der GKV
steige weiter, meinte Vogel. Wenn es um neue Einsparpotentiale oder politische Kompromisse im Ge- setzgebungsverfahren gehe, sei die pharmazeutische Industrie sicher wieder im Gespräch: „Wir haben immer noch ein Volumen, das Be- gehrlichkeiten schafft.“
Der BPI hegt solche Befürch- tungen auch, weil seine Bemühun- gen um mehr Mitbestimmung im GKV-System nicht sehr weit ge- diehen sind. Die Selbstverwaltung – das seien nach wie vor nur die Organisationen von Ärzten, Zahn- ärzten, Krankenkassen, bemängel- te Vogel. Der BPI wartet darauf, daß seinem Industriezweig endlich gleich lange Spieße gewährt wer- den – so ein häufiger Ausspruch von Vogel. Da die langen Spieße für das Hauen und Stechen im Sy- stem auf sich warten lassen, piekst man eben mit den kurzen. th