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Archiv "Tarifeinheit: Eingriff in das Grundrecht" (12.09.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 37

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12. September 2014 A 1493 TARIFEINHEIT

Eingriff in das Grundrecht

Der frühere Richter des Bundesverfassungsgerichts, Udo Di Fabio, hat im Auftrag des Marburger Bundes die Pläne der schwarz-roten Koalition zur Tarifeinheit bewertet. Sein Urteil: Ein entsprechendes Gesetz wäre verfassungswidrig.

E

ine Tarifeinheit nach dem be- triebsbezogenen Mehrheits- prinzip, wie sie die schwarz-rote Koalition anstrebt, ist verfassungs- widrig. Diese Auffassung vertritt der Direktor des Instituts für Öf- fentliches Recht der Universität Bonn und ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts Prof.

Dr. Dr. Udo Di Fabio in einem vom Marburger Bund (MB) in Auftrag gegebenen Gutachten.

In Deutschland gebe es kein Ge- setz, das den Arbeitskampf und die Tarifordnung regelt, sagte Di Fabio bei der Präsentation des Gutachtens Anfang September in Berlin. Dies sei deshalb nicht ungewöhnlich, weil das Grundgesetz im Artikel 9, Absatz 3 den Tarifvertragsparteien genau diese Aufgabe gegeben habe – eine von den Verfassungsgebern gewollte Selbstregulation staats- freier Art. Weil die Koalitionspart- ner stets eine große Verantwortung bei Tarifauseinandersetzungen an den Tag gelegt hätten, sei man in Deutschland mit dieser Regelung auch immer gut gefahren.

Die Verfassung gehe schon im Wortlaut „selbstverständlich“ da- von aus, dass es nicht nur Bran- chen-, sondern auch Berufsgewerk- schaften geben könne, sagte Di Fa- bio. Wenn nun diese Berufsgewerk- schaften in der Wirklichkeit ihre Tarifmächtigkeit erstritten hätten, wie der Marburger Bund in den Jahren 2005 und 2006, dann stehe es dem Staat gemäß Verfassung nicht zu, ihnen diese wieder zu neh- men. Selbst in Notlagen, und hier sei der Verfassungstext ungewöhn- lich präzise, dürfe der Staat nicht gegen Arbeitskampf maßnahmen vorgehen.

„Wenn nun der Arbeitskampf als Herzstück der Koalitionsfreiheit so

geschützt ist, darf man die kleine- ren Gewerkschaften durch eine gesetzlich auferlegte Tarifeinheit nicht um ihre Tariffähigkeit brin- gen“, betonte Di Fabio. Denn dies wäre ein „Eingriff in den Kernbe- reich des Grundrechts“. Um einen solchen vorzunehmen, bräuchte der Staat „schwerwiegende Gründe“.

Diese lägen jedoch nicht vor, da den Erfahrungen in Deutschland zufolge Arbeitskampfmaßnahmen zwar lästig sein könnten, wie im Falle von Bahn- oder Pilotenstreiks, jedoch nicht schwerwiegend.

Ein Stück weit seien Arbeits- kampfmaßnahmen „ein Preis der Freiheit“, so Di Fabio. „Aber ich kann nicht erkennen, dass ein Miss- brauch dieser Freiheit vorliegt.“

Wenn aber noch nicht einmal ein Missbrauch zu erkennen sei, sei ein so tiefer Eingriff in das Grundge- setz verfassungsrechtlich nicht ge-

stattet. Im Übrigen sei der Koaliti- onsvertrag kein sakrales Werk, das bedeutsamer sei als die Verfassung.

Der Erste Vorsitzende des Mar- burger Bundes, Rudolf Henke, be- zeichnete eine Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheits- prinzip als „einen Frontalangriff auf die gewerk schaftliche Existenz“.

Der MB mache als Gewerkschaft von seinem Recht Gebrauch, das ihm die Verfassung garantiere.

Wenn man das nicht mehr dürfte, wäre es so ähnlich, als schaffe man die Pluralität der Medien ab und er- laube nur noch die Publikation ei- ner Zeitung. „Die anderen dürften dann zwar noch schreiben, aber sie dürften nicht mehr publizieren“, sagte Henke.

Es gehöre zum Wesen der Koali- tionsfreiheit, dass Menschen zwi- schen verschiedenen Gewerkschaf- ten wählen könnten, so der MB- Vorsitzende. Der Staat habe nicht das geringste Recht, den Arbeitneh- mern eine Gewerkschaft vorzuge- ben. So etwas sei mit einer freiheit- lichen Ordnung nicht vereinbar.

„Die angestellten Ärzte werden eine Einschränkung ihrer Rechte nicht hinnehmen“, stellte Henke klar. „Durch das Gutachten fühlen wir uns ermuntert, uns gegebenen- falls verfassungsrechtlich gegen ei- ne solche Einschränkung zu weh- ren.“ Er sei jedoch zuver sichtlich, dass die Koalition ihre Aussage aus dem Koalitionsvertrag ernst nehme und verfassungsrechtliche Belange berücksichtige.

Ende Juni hatten sich das Ar- beits-, das Innen- und das Justizmi- nisterium auf „Eckpunkte für eine gesetzliche Regelung der Tarifein- heit“ verständigt. Anders als ur- sprünglich geplant waren diese vom Bundeskabinett am 2. Juli jedoch nicht beraten worden – dem Ver- nehmen nach wegen verfassungs- rechtlicher Bedenken seitens der

Union.

Falk Osterloh

Foto: dpa

Der Koalitionsvertrag ist kein sakrales Werk, das bedeutsamer ist als die Verfassung

Udo Di Fabio, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts

P O L I T I K

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