• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Hauptversammlung des NAV-Virchowbundes: „Das Arzneimittel-Budget muß weg“" (06.12.1996)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Hauptversammlung des NAV-Virchowbundes: „Das Arzneimittel-Budget muß weg“" (06.12.1996)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

S

osehr die im NAV-Virchow- bund organisierten Ärzte die Devise von Bundesgesund- heitsminister Horst Seehofer unterstützen, der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen Vorfahrt einzuräumen, so sehr wehren sie sich dagegen, die Alleinverantwortung für politisch unangenehme Entscheidun- gen zu übernehmen. Größere Ver- tragsflexibilität und erweiterte Gestal- tungsmöglichkeiten des Leistungs- spektrums der Krankenkassen dürften jedoch nicht dazu führen, daß Arzt und Patient zum Spielball divergierender Interessen werden. Die Anstrengun- gen zur Sicherung der Finanzgrundla- gen der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GKV) und die Zusatzbelastun- gen der Versicherten müßten dann ins Leere laufen, wenn der Leistungskata- log der gesetzlichen Krankenversiche- rung praktisch unverändert bleibt und versicherungsfremde, gesellschaftspo- litisch bedingte Leistungen aus den knapper werdenden Kassenbudgets fi- nanziert werden müssen. Die Bundes- hauptversammlung des NAV-Vir- chowbundes am 16./17. November in Köln sprach sich für eine konsequente Durchforstung des Katalogs der Re- gelleistungen der GKV aus. Allerdings müsse die Politik allein die Verantwor- tung für notwendige Leistungsaus- schlüsse übernehmen. Die ärztlichen Berufsverbände hätten dazu bereits detaillierte Vorschläge unterbreitet, und eine Kommission bei der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung (KBV) habe auch im Zusammenspiel mit Ex- perten der Krankenkassen Vorschlags- listen entworfen, um Rationalisie- rungs- und Sparreserven zu mobilisie-

ren. Abgrenzbare Krankheitsrisiken der persönlichen Lebensführung und gesundheitliche Maßnahmen zur Ver- besserung des Wohlbefindens des Pati- enten sollten nicht mehr über pa- ritätisch aufzubringende Beiträge fi- nanziert, sondern vielmehr durch die Versicherten allein refundiert werden.

Familien- und gesellschaftspolitische Leistungen könnten zwar weiter im Auftragsverfahren von den Kranken- kassen und den Vertragspartnern ab- gewickelt werden, müßten aber von den Verursachern versicherungsad- äquat finanziert oder aus dem Steuer- aufkommen bestritten werden.

Konflikte in der Praxis

Die Delegierten klagten darüber, daß immer mehr politisch verursachte Konflikte in die Arztpraxen hineinge- tragen werden und deshalb das Arzt- Patienten-Verhältnis belasteten. Kon- kretes Beispiel: die Arznei- und Heil- mittelverordnungen. Bei aller Bereit- schaft, in erhöhtem Maße auch Verant- wortung für eine wirtschaftliche Ver- ordnungsweise in den Arztpraxen zu übernehmen, könnten die Ärzte nicht über heckenschnittartige Wirtschaft- lichkeitskontrollen und horrende Re- greßforderungen in Obligo genommen werden. Wenn im „Arzneimittel-Re- port 1996“ darüber geklagt werde, rund sieben Milliarden DM für Medi- kamente (von rund 30 Milliarden DM Jahresumsatz) seien von zweifelhaf- tem Wert oder seien unwirksam, so müßten sich die Politik, der Gesetzge- ber und die Zulassungsbehörden fra-

gen lassen, warum sie solche „bedenk- liche“ Arzneimittel überhaupt zulie- ßen oder nicht auf den Index setzten.

Der Vorsitzende des Landesver- bandes Bayern des NAV-Virchow- bundes, Dr. med. Manfred Blinzler, Internist aus Kronach, appellierte an die Politik: „Das Arzneimittelbudget muß weg!“ Alle zahm formulierten Kompromißvorschläge und Zuge- ständnisse der Ärzteschaft führten nur zu einer Verschärfung der mißli- chen Situation in einem zentralen be- ruflichen Bereich der Vertragsärzte, nämlich einer Strangulierung der Therapiefreiheit. Ein einmütig ange- nommener Beschluß postuliert, die rechtlichen Grundlagen des Arznei- und Heilmittelbudgets zu überprüfen, Musterprozesse durchzuführen und eine Kollektivhaftung der niederge- lassenen Ärzte bei Budgetüberschrei- tungen abzulehnen. Dringlich müßte über die Arzneimittelbudgets neu verhandelt werden – die Selbstverwal- tungen sind seit 1994 untätig – und sämtliche Kriterien gemäß § 84 SGB V bei der Anpassung der Budgets berücksichtigt werden. Erforderlich seien aktuelle und nachprüfbare Zah- len zur Anpassung der Budgets eben- so wie zur rechtzeitigen Intervention und Steuerung bei drohender Limit- überschreitung. Berücksichtigt wer- den müßten insbesondere:

lVeränderung der Zahl und der Altersstruktur der Versicherten;

lVeränderung der Preise der Arznei-, Verband- und Heilmittel;

lVeränderung der Leistungs- pflicht der Krankenkassen und

lVeränderung durch Innovatio- nen und wissenschaftliche Weiterent- wicklungen, die durch den gezielten Einsatz von Arzneimitteln helfen, Ko- sten zu sparen und/oder alternative, aber teurere Heilverfahren und Tech- nologien (Krankenhaus, Rehabilitati- on) zu vermeiden.

Die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes, Dr. med. Carola Paul, Fachärztin für Allgemeinmedizin aus Eilenburg/Sachsen, sagte, eine erwei- terte Negativliste wäre für den Ver- A-3248 (32) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 49, 6. Dezember 1996

P O L I T I K TAGUNGSBERICHT

Hauptversammlung des NAV-Virchowbundes

„Das Arzneimittel-Budget muß weg“

Der NAV-Virchowbund (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V.) hat die

Politik davor gewarnt, im Zuge der Strukturreform im Gesundheitswesen und der Revision

des Rechtes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die Axt an die Wurzeln des ge-

gliederten Gesundheitswesens zu legen. Sosehr auch die im NAV-Virchowbund organisierten

Ärzte „mit Kräften“ dazu beitragen wollen, das System langfristig zu konsolidieren, so sehr

wenden sie sich gegen interventionistische Straf- und Sparaktionen zu Lasten der Leistungs-

erbringer und der Versicherten und Patienten. Eine Kollektivhaftung der Vertragsärzte

bei Überschreitung des Arznei- und Heilmittelbudgets lehnt der Verband kompromißlos ab.

(2)

tragsarzt wenigstens eine Richtschnur, um Dauerkonflikte mit den Patienten zu vermeiden und eine justitiable Grundlage für Nachgefechte zu schaf- fen. Insbesondere die Vertragsärzte in den neuen Bundesländern kämen durch die von den Krankenkassen an- gedrohten und von den Aufsichts- behörden abverlangten Rückforde- rungen in existentielle Schwierigkei- ten. Da die durch Verordnungen von Vertragsärzten veranlaßten Leistun- gen rund 80 Prozent des für den ambu- lanten Bereich ausgegebenen Kassen- budgets beanspruchen, werde infolge der Regreßandrohungen das für die Ärzte verbleibende finanzielle Volu- men immer geringer, mit der Folge, daß viele Arztpraxen in den wirt- schaftlichen Ruin getrieben werden.

Für den Arzt stelle sich das Kon- flikt-Dilemma viel direkter, als es sich in der Kostendämpfungspolitik und in basisfernen Zirkeln darstellt. Den Versicherten könne kaum plausibel erklärt werden, daß die durch perma- nentes Fehlverhalten gesundheitlich beeinträchtigten Versicherten in vol- lem Umfang Leistungen (auch Medi- kamente) beanspruchen könnten, aber Versicherte, die ihre Kranken- kasse pfleglich in Anspruch nehmen, mit dem Hinweis auf das erschöpfte Budget und die Unwirksamkeit der Mittel durch Leistungsausschluß „be- straft“ werden. Dr. Paul riet, in indi- zierten Fällen Privatrezepte auszu- stellen. Der Kassenarzt dürfe das Re- zept aber nicht mit dem Vertragsarzt- stempel versehen, andernfalls würde sein Verordnungsvolumen dem Bud- get zugerechnet werden. Überhaupt sollte sich der Arzt befleißigen, auch politisch-sachlich zu argumentieren, um die Verunsicherung zu begrenzen und Mißverständnisse aufzuklären.

Eine andere These, vom NAV- Virchowbund-Vorsitzenden Dr. med.

Maximilian Zollner, Allgemeinarzt aus Friedrichshafen, vorgetragen: Die verbissene Sparpolitik dürfe nicht zu

„unheiligen Allianzen“ zwischen Lei- stungserbringern und Krankenkassen führen, mit denen der Politik erleich- tert wird, dirigistische Maßnahmen einseitig zu Lasten der Leistungser- bringer und der Patienten durchzuset- zen. Wenn es gelinge, die niedergelas- senen Ärzte in die Minimumsposition zu zwingen, drohe noch mehr als bis-

her schon die institutionelle Öffnung der Krankenhäuser. Der NAV-VB will sich Forderungen nach einer engeren personalen Verzahnung vom ambulanten und stationären Bereich nicht verschließen. Es müsse aber of- fen und ohne Zeitvorgaben über alle Alternativen diskutiert werden.

Integrationsmodell Traditionell setzt der NAV- Virchowbund auf die Förderung von modernen Formen der gemeinsamen Berufsausübung und der Kooperation auch mit nichtärztlichen Berufen. Die existentiellen Sorgen vieler neu nie- dergelassenen und niederlassungswil- ligen Ärzte könnten begrenzt werden,

wenn sie in Partnerschaften, Gemein- schaftspraxen, Praxisgemeinschaften und übergreifenden Gruppenpraxen, vernetzten Praxen, Schwerpunktpra- xen im Verbund mit Satellitenpraxen kooperieren könnten. Über Kosten- spar- und Synergieeffekte könnten so Rationalisierungsvorteile zum Nutzen aller erzielt werden. Keinesfalls wol- len die niedergelassenen Ärzte Re- formschritte mittragen, die das gesam- te fachärztliche Potential an das Kran- kenhaus anbinden oder den Klinik- fachärzten zugestehen, in den Bereich der niedergelassenen Ärzte zu „infil- trieren“. Dieses auch als erweitertes Belegarztmodell bezeichnete Projekt könne viele konservativ tätige Fachärzte in den finanziellen Ruin treiben, mutmaßt Dr. med. Klaus- Michael Hahn, Bundesvorsitzender des Belegarztverbandes. Dagegen ist das vom Vizepräsidenten der Bundes- ärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-

Dietrich Hoppe, Düren, formulierte Modell einer personell integrierenden ärztlichen Versorgung nach Meinung von Dr. med. Lutz Kindt, Neukirchen- Vluyn, Vorstandsmitglied des NAV aus Nordrhein, die Verwirklichung des etablierten Belegarztmodells.

Dies habe Vorteile sowohl für nieder- gelassene als auch ermächtigte Klinik- fachärzte. Das „Hoppe-Modell“, das beim Deutschen Ärztetag 1997 in Ei- senach intensiv diskutiert werden soll, sei so die konsequente Verwirklichung des vom NAV seit langem verfochte- nen Kooperationsmodells und von schon in einigen Regionen praktizier- ten Vernetzungsstrategien. Eine „ab- weichende“ Meinung äußerte der ehe- malige NAV-VB-Bundesvorsitzende, Dr. med. Erwin Hirschmann, Kinder- arzt aus München: Das Integrations- modell à la Hoppe sei die Inkarnation des holländischen Modells von 1962, mit der totalen Anbindung niederge- lassener Fachärzte an das Kranken- haus und einer Erweiterung des Kran- kenhauses zu einem „Gesundheits- zentrum“, die Erfüllung eines alten Traums von Verbandsrepräsentanten des Marburger Bundes.

Die Hauptversammlung nahm einen Beschluß an, der in einer Inte- gration des Krankenhaussektors und der Fachärzte am Krankenhaus einen

„verfolgenswerten Lösungsansatz“

sieht, um alle Fachärzte ausschließ- lich freiberuflich tätig werden zu lassen und einen umfassenden Si- cherstellungsauftrag in ärztlicher Re- gie zu etablieren. Allerdings sollte man sich nicht auf einen einzigen Lösungsweg festlegen. Weitreichen- de strukturelle Änderungen an der Schnittstelle ambulant/stationär müßten auf ihre praktische und recht- liche Gangbarkeit in Modellvorha- ben überprüft werden. Der NAV-VB wendet sich gegen Bestrebungen, vermehrt Tageskliniken an Kranken- häusern – ohne Beteiligung der Ver- tragsärzte und außerhalb des Sicher- stellungsauftrages – zu etablieren.

Die niedergelassenen Ärzte müßten allerdings einen qualitativ hochste- henden Leistungsstandard garantie- ren. Dazu zähle auch eine funktionie- rende Leistungsbereitschaft in den sprechstundenfreien Zeiten und an Wochenenden und im ärztlichen Not- falldienst. Dr. Harald Clade A-3250

P O L I T I K TAGUNGSBERICHT

(34) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 49, 6. Dezember 1996 Dr. med. Maximili- an Zollner, Vorsit- zender des NAV-Vir- chowbundes, Allge- meinarzt aus Fried- richshafen: „Ver- gessen wird all- zuoft, daß gerade das Gesundheits- wesen eine Zu- kunftsbranche ist, in der schon in den vergangenen Jah-

ren eine große Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze ent- standen ist.“ Foto: Johannes Aevermann, Berlin

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

1996 hat sich der Ausga- benanstieg der Privaten Kran- kenversicherung (PKV) ge- genüber den Vorjahren deut- lich verlangsamt: So lag er je Versicherten in der

osehr die Bonner Regie- rungskoalition auch be- müht ist, mit drakonischen gesetzlichen Maßnahmen die Aus- gabenentwicklung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

den Gemeinschaftspraxen und Arz- tehäusern. Dieses Plädoyer dürfe aber nicht mit einer Verschlechte- rung der Situation der Einzelpraxen gleichgesetzt werden. Allein

Auch spüren die niedergelassenen Ärzte den wachsen- den Konkurrenzdruck nicht zuletzt durch die Expansionsgelüste der Krankenhäuser, sich auch weit im am- bulanten Sektor

Den Krankenhäusern müsse durch mehr Schwerpunkt- und Notfallpra- xen, die auch über eine „Heilbe- rufs-GmbH" betrieben werden könnten, Paroli geboten werden (eine

Der NAV-Virchowbund progno- stiziert, daß der Risikostrukturaus- gleich und die Wahlfreiheit auch für versicherte Arbeiter ab 1996/97 den Wettbewerb zwischen den Kranken- kassen

Ich weiß, dass meine im Rahmen des Versorgungsprogrammes erhobenen und gespeicherten Daten auf der Grundlage der gesetzlichen Anforderungen (§ 304 SGB V i.V. mit § 84 SGB X) bei

Hiermit erkläre ich, dass meine Tochter/mein Sohn an dem Rahmenvertrag über die Durchführung zusätzlicher Früherkennungsuntersuchungen im Rahmen der Kinder- und Jugendmedizin