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Archiv "Datenschutz: Risiken für die Versicherten" (26.03.2004)

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renübergreifend entscheiden oder un- mittelbar über den Leistungsanspruch der Versicherten befinden. Letzteres führe natürlich zu einem veränderten Spannungsverhältnis zwischen Politik und Selbstverwaltung, was sorgfältig neu austariert werden muss. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Gemeinsame Bundesausschuss sei ein Erfüllungsgehilfe der Politik.

Hess betonte vor diesem Hinter- grund die Bemühungen des Bundesaus- schusses, seine Entscheidungen trans- parent und auf der Grundlage sauberer Entscheidungskriterien zu treffen. Er verwies auf die kürzlich erfolgte Zusage des Bundesgesundheitsministeriums, sich auf eine Rechtsaufsicht über das neue Selbstverwaltungsgremium zu be- schränken, das heißt, dessen Entschei- dungen nur daraufhin zu überprüfen, ob sie mit dem geltenden Recht im Ein- klang stehen. „Die Politik wird lernen, den richtigen Umgang mit dem Aus- schuss zu pflegen“, betonte Hess. Mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss als Bindeglied zwischen Staat und Selbstverwaltung könne die medizini- sche Versorgung besser geregelt wer- den als auf einem freien Markt.

Letztlich doch als eine Entscheidung gegen ein staatliches, planwirtschaft- liches System bezeichnete der Erste Vor- sitzende der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung, Dr. med. Manfred Richter- Reichhelm, das GKV-Modernierungs- gesetz. Innerhalb des vom Staat vorge- gebenen Rechtsrahmens werde der gemeinsamen Selbstverwaltung die Feinsteuerung überlassen. Der mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf vorge- sehene Weg in die Staatsmedizin sei mit gemeinsamen Kräften abgewendet wor- den. Gleichwohl habe die Staatsnähe mit der Ausweitung der Genehmigungs- pflichten und der Androhung von Ersatzvornahmen in vielen Bereichen zugenommen. Richter-Reichhelm warn- te vor einer zu euphorischen Sichtweise der neuen Versorgungsformen (Medizi- nische Versorgungszentren, Integrierte Versorgung). Er verwies in diesem Zusammenhang auf eine ambivalente Haltung des Staates: In der vertragsärzt- lichen Regelversorgung nehme die Überregulierung zu, wohingegen bei neu- en Versorgungsformen der freie Wett- bewerb gepredigt werde. Thomas Gerst

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A828 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1326. März 2004

N

ahezu unbemerkt von der Öffent- lichkeit hat mit der Gesundheits- reform ein grundlegender Wandel im Umgang mit Patientendaten einge- setzt: Durch die Änderung des § 295 Abs. 2 SGB V wird voraussichtlich ab dem zweiten Quartal 2004 die bisherige anonymisierte fallbezogene Abrech- nung innerhalb der Gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) in eine ver- sichertenbezogene umgewandelt. Zur- zeit erhalten die Krankenkassen nur von

den Krankenhäusern personenbezoge- ne Daten. Künftig können die Kranken- kassen aus den von den Kassenärzt- lichen Vereinigungen übermittelten Da- tensätzen auslesen, welche Patienten bei welchen Vertragsärzten behandelt wur- den. Der Bundesvorsitzende des NAV- Virchow-Bundes, Dr. med. Maximilian Zollner, befürchtet deshalb, dass der

„gläserne Patient“ jetzt endgültig Wirk- lichkeit wird: „Es geht darum, dass die Diagnosen der überwiegenden Mehrzahl der gesetzlich Versicherten hinter deren Rücken und ohne deren Wissen bei den Kassen landen.“ Es sei sehr gefährlich, wenn die Krankenkassen künftig solche Daten-Macht in den Händen hielten.

Ähnlich sieht das die Kassenärzt- liche Bundesvereinigung (KBV), Köln.

Für die im Wettbewerb stehenden Krankenkassen gehe es in erster Linie um die Beitragssatzstabilität und nicht um die optimale medizinische Versor- gung, meinte KBV-Pressesprecher Dr.

Roland Stahl. Vor diesem Hintergrund bestehe die Gefahr, dass die Kranken- kassen anhand der versicherten- und arztbezogenen Daten Risikoselektion betreiben und versuchen könnten, zum Beispiel durch Einzelverträge mit be- sonders „preiswerten“ Leistungserbrin- gern beziehungsweise mit Ärzten, die kostengünstige Patientenstrukturen ha- ben, ihre Kosten zu senken. Als Kom- promiss will die KBV daher zumindest eine Pseudonymisierung der Arztnum- mern erreichen, um den direkten Arzt- bezug zu verhindern.

Fragwürdige Diagnosen

Hinzu kommt, dass seit Anfang 2004 mit dem ICD-10 GM 2004 eine überarbei- tete Version des amtlichen Diagnose- schlüssels eingeführt wurde, die jetzt einheitlich für den ambulanten und den stationären Sektor gilt. Diese enthält nach Meinung Zollners auch diskrimi- nierende Diagnosen, wie zum Beispiel sexuelle Vorlieben (wie Sadomasochis- mus, Exhibitionismus), Verhaltensauf- fälligkeiten (wie pathologisches Spielen oder Stehlen), die in dieser Detailliert- heit für Abrechnungszwecke nicht rele- vant seien. Zwar muss sich der Arzt in den Abrechnungsunterlagen auf die Diagnosen beschränken, aufgrund de- rer der Patient im entsprechenden Quartal behandelt wurde und für die er Leistungen abrechnet. Dauerdiagnosen und chronische Zustände, die keine Lei- stungen verursacht haben, dürfen aus Gründen des Datenschutzes nicht über- mittelt werden. Jedoch liegt es letztlich im Ermessen des Arztes zu entscheiden,

Datenschutz

Risiken für die Versicherten

Künftig erhalten die Krankenkassen personenbezogene

Abrechnungs- und Diagnosedaten aus dem ambulanten Sektor.

Befürchtet den „gläsernen Pati- enten“: Dr. Maximilian Zollner

Foto:NAV-Virchow-Bund

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welche Diagnosen er weitergibt. Der NAV-Virchow-Bund ist überzeugt, dass mit der Möglichkeit solcher Codierun- gen diese Diagnosen auch verwendet werden – und sei es aus Unerfahrenheit oder Unwissenheit eines Arztes.

Nicht alle Ärzte bewerten die Weitergabe versichertenbezogener Be- handlungs- und Abrechnungsdaten ne- gativ. So verwies der Deutsche Hausärz- teverband e.V., Köln, darauf, dass in der privaten Krankenversicherung diese Datentransparenz schon seit langem gang und gäbe sei. Dr. med. Heinz Jarmatz, Mitglied des Bundesvorstan- des des Verbandes: „Endlich wird der Schwarze Peter von den Ärzten wegge- holt, die Ärzte werden entlastet. Wir können schließlich die schwarzen Scha- fe unter den Patienten, die das System missbrauchen, nicht herausfischen.“

Deshalb sei die Datenzusammenfüh- rung erforderlich. Dadurch entstehe endlich Gleichheit zwischen Privat- und Kassenpatienten. Die Versicherten und die Kassen sollten künftig die Daten- weitergabe untereinander ausmachen.

Die private Krankenversicherung (PKV) ist als Vorbild für die Daten- transparenz allerdings nur bedingt tauglich. Kürzlich erst hatte der Bun- desbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, die Schweigepflichtent- bindungserklärung kritisiert, die beim Abschluss eines privaten Krankenver- sicherungsvertrages routinemäßig von den Versicherten abgegeben werden muss. PKV-Versicherte erklären sich schriftlich einverstanden, dass die Krankenversicherung zur Leistungs- prüfung Patientendaten bei behandeln- den Ärzten abfragen darf; sie entbinden daher ihre Ärzte von der Schweige- pflicht. Diese „Blankovollmacht“ mit unbegrenzter Gültigkeit sei dringend reformbedürftig, so Schaar, denn aus einer Einwilligungserklärung müsse er- kennbar sein, welche Gesundheitsdaten von wem zu welchem Zweck erhoben, verarbeitet oder genutzt werden sollen.

Kontrollinstanz

Auch auf die Gefahren, die mit der Übermittlung versichertenbezogener Diagnosen an die Krankenkassen ver- bunden sind, hatten die Datenschutzbe-

auftragten des Bundes und der Länder bereits im September 2003 in einer Entschließung zum GKV-Modernisie- rungsgesetz hingewiesen (Textkasten).

Die Datenschützer betonen die Not- wendigkeit, die gesetzliche Neurege- lung hinsichtlich des Grundsatzes der Datenvermeidung und -sparsamkeit zu evaluieren, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Außerdem fordern sie eine

„frühestmögliche Pseudonymisierung der Abrechnungsdaten“.

Die Verwendung der versichertenbe- zogenen Daten sei gesetzlich weitge- hend geregelt, nicht jedoch die Kontrolle und die Prüfrechte, meinte Thomas Isen- berg, Bereichsleiter Gesundheit der Ver- braucherzentrale Bundesverband e.V.,

Berlin. Eine wichtige Kontrollinstanz sieht er in der Arbeitsgemeinschaft für Aufgaben der Datentransparenz (§ 303 a–f SGB V), die bis spätestens Juni 2004 von den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der KBV gebildet werden soll. Ihr obliegt es, Anforderun- gen für den einheitlichen und sektoren- übergreifenden Datenaustausch in der GKV zu erarbeiten. Im Beirat der Ar- beitsgemeinschaft sind unter anderem auch der Bundesbeauftragte für den Da- tenschutz, die Patientenbeauftragte der Bundesregierung sowie Patienten- und Selbsthilfeorganisationen vertreten. Ihre Aufgabe wird es sein, das berechtigte politische Interesse an validen Gesund- heitsdaten, mit denen sich beispielsweise Behandlungsverläufe genauer abbilden und steuern lassen, mit dem Datenschutz zu vereinbaren. Deutschland sei, ver- glichen mit anderen Ländern, noch weit abgeschlagen, was die Veröffentlichung von Daten zur Versorgungs- und Ergeb- nisqualität betreffe, meinte Helga Kühn- Mengel, SPD-MdB aus Brühl, die Pati- entenbeauftragte der Bundesregierung, auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblat- tes. Auch wenn es unter Datenschutzge- sichtspunkten schwierig sei, müsse hier ein Weg gefunden werden, dass „wir einerseits Patienten in ihrer Identität schützen, aber andererseits Daten ver- öffentlichen“. Heike E. Krüger-Brand P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1326. März 2004 AA829

Die Datenschutzbeauftragten kritisieren, dass sie zu wesentlichen, erst in letzter Minute eingeführten und im Schnellverfahren realisierten Änderungen nicht rechtzeitig und ausreichend beteiligt wurden. Diese Änderungen bedingen erhebliche Risiken für die Versicherten:

>Für das neue Vergütungssystem werden künftig auch die Abrechnungen der ambulanten Behandlun- gen mit versichertenbezogener Diagnose an die Krankenkassen übermittelt. Mit der vorgesehenen Neu- regelung könnten die Krankenkassen (. . . ) umfassende und intime Kenntnisse über 60 Millionen Versicherte erhalten. Die Gefahr gläserner Patientinnen und Patienten rückt damit näher. Diese datenschutzrechtlichen Risiken hätten durch die Verwendung moderner und datenschutzfreundlicher Technologien einschließlich der Pseudonymisierung vermieden werden können. Leider sind diese Möglichkeiten überhaupt nicht berück- sichtigt worden.

>Ohne strenge Zweckbindungsregelungen könnten die Krankenkassen diese Daten nach den verschie- densten Gesichtspunkten auswerten (. . . ).

Die Datenschutzkonferenz nimmt anerkennend zur Kenntnis, dass vor diesem Hintergrund durch Beschlussfassung des Ausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherheit eine Klarstellung dahingehend erfolgt ist, dass durch technische und organisatorische Maßnahmen sicherzustellen ist, dass zur Verhinde- rung von Versichertenprofilen bei den Krankenkassen

>eine sektorenübergreifende Zusammenführung der Abrechnungs- und Leistungsdaten unzulässig ist und dass

>die Krankenkassen die Daten nur für Abrechnungs- und Prüfzwecke nutzen dürfen. (. . . ) 66. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder (www.bfd.bund.de/information/

DS-Konferenzen/66dsk_ent1.html) Textkasten

Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder zum GKV-Modernisierungsgesetz

Verweist auf Kontrollinstanzen:

Thomas Isenberg

Foto:vzbz/JennyDamm

Referenzen

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