• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "„Wir haben keine Angst davor, dem Versicherten Kenntnis über Leistungen und Kosten zu geben„" (23.03.1984)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "„Wir haben keine Angst davor, dem Versicherten Kenntnis über Leistungen und Kosten zu geben„" (23.03.1984)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Aktuelle Politik

"Wir haben keine Angst davor,

dem Versicherten Kenntnis über Leistungen und Kosten zu geben"

Frage: Das Transparenz-Modell, das bei der AOK Dortmund läuft, hat Schlagzeilen gemacht. Auch anders- wo laufen Transparenz-Modelle. Muß nach den Vorgängen von Dortmund damit gerechnet werden, daß in näch- ster Zeit häufiger von Abrechnungs- skandalen — ob der Vorwurf berechtigt ist oder nicht, sei im Augenblick mal ausgeklammert — berichtet wird?

Oder ist Dortmund ein Sonderfall?

Fiedler: Ich bin kein Prophet, solch sensationell aufgemachte Berichte sind leider nicht auszu- schließen. Und doch gehe ich da- von aus, daß Dortmund ein Son- derfall ist. Dort wurden nämlich al- le entdeckten Ungereimtheiten in der Abrechnung der Kassenärzte unreflektiert betrügerischen Mani- pulationen zugeordnet. Das ist al- les andere als ein partnerschaft- liches Vorgehen. Hier handelt es sich doch um Vorkommnisse, die zwar zunächst den Eindruck der Unstimmigkeit erwecken, die als betrügerisch aber erst dann ein- gestuft werden können, wenn die KV die betroffenen Kassenärzte zur Stellungnahme aufgefordert hat und sich dann die Vorwürfe als zutreffend herausstellen. So sollte das Vorgehen zwischen Vertrags- partnern sein. Insofern hoffe ich, daß sich ein solcher Wirbel, wie er im Bereich der AOK Dortmund entstanden ist, nicht wiederholt.

Denn eigentlich sind unsere Be- ziehungen zu den Krankenkassen gerade in den letzten Jahren sehr

Interview des

Deutschen Ärzteblattes mit dem

Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Eckart Fiedler, über „Dortmund"

und die Folgerungen

viel besser geworden; sie haben sich zu einem echten vertrags- partnerschaftlichen Verhältnis entwickelt. Unter den Vertrags- partnern ist es nun mal üblich, Verdachtsmomente zuerst mitein- ander zu besprechen und sie ab- zuklären. Wenn sich allerdings

herausstellt, daß Betrügereien vorliegen, dann wird man den Krankenkassen nicht verwehren können, sich an die Öffentlichkeit zu wenden.

Frage: Um bei dem Betrugsvorwurf zu bleiben. Glauben Sie, daß der Ein- druck, der in der Öffentlichkeit ent- standen ist, richtig ist, kassenärztliche Abrechnungen würden serienweise manipuliert? Die KVen müssen doch

ihre Erfahrungen haben. Kommt Be- trug wirklich in nennenswertem Um- fang vor oder beruhen solche Unge- reimtheiten — wie Sie es nannten — eher auf Fahrlässigkeit? Wurden in Dortmund einzelne Fälle zum Skandal hochgeputscht?

Fiedler: Die KV Dortmund und auch nicht die AOK Dortmund können derzeit genau sagen: was sind Betrugsfälle, und wo handelt es sich um fehlerhafte Abrechnun- gen — fehlerhaft, weil eben schlichte Irrtümer unterlaufen sind. Und natürlich bin auch ich nicht in der Lage, das heute zu be- urteilen. Doch halten Sie sich ein- fach vor Augen, daß bei den Ab- rechnungen Millionen von Daten bewegt werden. Vielfach werden zum Quartalsende aus der Kartei der einzelnen Kassenärzte Tau- sende von Abrechnungsdaten auf Hunderte von Krankenscheinen übertragen. Allein diese Übertra- gung birgt natürlich eine gewisse Fehlerquelle in sich; ein Datum wird falsch übertragen, eine Ab- rechnungsnummer verwechselt oder die Abrechnungsnummer durch einen Dreher verändert — das alles sind ganz eindeutig Irrtü- mer und keine Manipulationen. In- wieweit es sich in Dortmund um solche Irrtümer oder um echte Manipulationen handelt, wird man erst klären müssen. Dazu ist, ich betone das noch einmal, die Stel- lungnahme der betroffenen Kas- senärzte erforderlich.

(2)

Interview zu „Transparenz"

Frage: Nochmals zu den Erfahrungen der KVen. Gibt es Erfahrungswerte, Prozentzahlen, in welchem Umfang ir- reguläre Abrechnungen vorkommen?

Fiedler: Als Kassenärztliche Bun- desvereinigung haben wir keine

Erfahrung. Aber die KVen nehmen die Daten von den Krankenschei- nen ab und speichern sie mittels EDV. Dabei kommen Übertra- gungsfehler vor. Die Fehlerquote liegt unter 0,5 Prozent. Eine kleine Quote. Aber immerhin, Fehler sind möglich, obwohl die Abrech- nungen zweimal kontrolliert wer- den. Auch beim Kassenarzt wird man eine gewisse Fehlerquote unterstellen müssen. Ich möchte das jetzt nicht entschuldigen, son- dern daraus die Konsequenz zie- hen und an jeden Kassenarzt ap- pellieren, seine Abrechnung ge- wissenhaft vorzunehmen und sie sorgfältig zu kontrollieren. Viel- leicht nehmen sich einige Kassen- ärzte tatsächlich nicht genug Zeit für ihre Abrechnung.

Frage: Eine Kontrolle der Arzt-Ab- rechnungen findet ja auch bei der KV statt. Nun sind in Dortmund Sachen aufgestoßen, die entweder den Kon- trollen der KV entgangen sind oder die einfach durch die KV nicht haben festgestellt werden können. Ist der Vorwurf, die KV in Dortmund hätte auf solche Fehler wie sie die AOK aufge- deckt hat oder aufgedeckt haben will, stoßen müssen, gerechtfertigt? Hätte die KV das wirklich entdecken müs- sen?

Fiedler: Die AOK Dortmund hat die kassenärztlichen Abrechnun- gen mit Daten verglichen, über die die KVen nicht verfügen. So hat sie Aufenthaltszeiten des Versi- cherten im Krankenhaus gegen- übergestellt der gleichzeitigen Abrechnung von Leistungen im ambulanten Bereich. Oder sie hat geprüft, ob Leistungen über den Zeitpunkt des Todes eines Versi- cherten hinaus abgerechnet wur- den. Sie hat auch Doppelabrech- nungen geprüft. Diese drei Kom- plexe können von uns nicht nach- geprüft werden; denn wir wissen nicht, wann ein Versicherter ge- storben ist. Wir wissen auch nicht, wann ein Versicherter, für den ein

ambulanter Krankenschein einge- reicht worden ist, stationär behan- delt wurde. Wir können auch nicht prüfen, da wir keinen Bezugs- punkt auf den Versicherten hin ha- ben, ob eine Doppelabrechnung vorliegt. Insofern ist der Vorwurf an die KV, sie hätte die Abrech- nungen nicht korrekt geprüft, ab- wegig. Allerdings muß dieser Vor- wurf von uns aufgegriffen werden und in eine Forderung an die Krankenkassen umgemünzt wer- den: Wenn die Kassen eine ge- naue Plausibilitätsprüfung der Kassenärztlichen Abrechnungen wünschen — ich persönlich hielte eine solche Prüfung• für richtig —, dann müssen sie die nur ihnen zur Verfügung stehenden Daten den Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung stellen. Die Kassen- ärztliche Vereinigung kann dann die Plausibilitätsprüfung vorneh- men. Das bedingt allerdings, daß alle diese Daten auf den Versi- cherten bezogen werden können.

Ein gravierender Punkt. Denn das bedeutet, daß die Versicherten- nummer auf allen Belegen einge- tragen wird.

Die Versichertennummer würde es der Kasse ermöglichen, alle Daten pro Versicherten zusammenzuführen

Frage: Zeichnet sich damit bei den kassenärztlichen Vereinigungen oder der KBV ein Meinungswandel ab? Bis- her war die Ärzteschaft doch in Sa- chen Versichertennummer mehr als zurückhaltend.

Fiedler: Völlig richtig. Die Versi- chertennummer ist 1972 in die Reichsversicherungsordnung ein- geführt worden. Der Bundesar- beitsminister wurde vom Gesetz- geber aufgefordert, eine Rechts- verordnung zu erlassen, in der die näheren Einzelheiten über Zeit- punkt der Einführung und die Ver- wendung der Versichertennum- mer niedergelegt werden sollen.

Diese Rechtsverordnung des Bun- desarbeitsministers gibt es bis heute nicht. Denn nach der Auf- nahme der Versichertennummer in die RVO hat die Diskussion um

den Datenschutz begonnen. Und genau das ist auch der Punkt, war- um wir bezüglich der Einführung der Versichertennummer sehr skeptisch sind. Denn diese Versi- chertennummer würde es der Krankenkasse ermöglichen, alle Belege und damit alle Daten pro Versicherten zusammenzuführen.

Es würde ein Pool höchst sensi- bler Daten entstehen. Zudem blei- ben für jeden Versicherten all die Daten in die Zukunft hinein ge- speichert, neue Daten könnten je- derzeit mit früheren, jahre- und jahrzehntealten verglichen wer- den.

Frage: Ist das nicht Spekulation ä la Orwell?

Fiedler: Ob Orwell, das will ich nicht beurteilen. Doch tatsäch- lich werden Vorstellungen der- zeit in gewissen Transparenz- Modellen entwickelt, die an Or- well denken lassen. So gibt es die Forderung, zu den Daten auch noch die Diagnosen zu speichern, um einen wirklich umfassenden Überblick über al- le Leistungsdaten des Versi- cherten und damit über das Krankheitsgeschehen des Versi- cherten zu erhalten. Es entstün- de in meinen Augen ein Daten- pool, der unvergleichlich sen- siblere Daten enthielte als all das, was in der Volkszählung er- hoben werden sollte. Wir vertre- ten die Auffassung, eine solche Datenspeicherung darf es we- gen des Schutzes des Versi- cherten nicht geben. Zudem ist sie geeignet, zu einem bürokra- tischen Herrschafts- und Nivel- lierungsinstrument zu werden.

Das würde die Individualität und auch Humanität in der Betreu- ung unserer sozialversicherten Patienten gefährden. Sie ist auch überflüssig. Denn in der gesetzlichen Krankenversiche- rung ist sie im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung deshalb im Grunde nicht not- wendig, weil in der gesetzlichen das Sachleistungsprinzip und nicht ein Kostenerstattungsprin- zip herrscht und damit kein Ab- 890 (18) Heft 12 vom 23. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(3)

gleich zwischen Beiträgen und Leistungen vorgenommen wer- den muß. Lassen Sie mich zu- sammenfassen: Wir sind bezüg- lich der Einführung der Versi- chertennummer nach wie vor äußerst skeptisch; und der Kas- senarzt ist, weil die Rechtsver- ordnung des Bundesarbeitsmi- nisters nicht vorliegt, derzeit gar nicht verpflichtet, eine Versi- chertennummer, die die Kran- kenkassen auf den Kranken- schein drucken, zu verwenden.

Frage: Sie sagten eben, bei den KVen sollte eine Plausibilitätsprü- fung erfolgen. Dann würden dort all diese Daten, auch die hochempfind- lichen, zusammenlaufen. Treffen die Bedenken, die Sie gerade im Zu- sammenhang mit der Versicherten- nummer geäußert haben, nicht auch für eine solche Datenzusam- menführung zu?

Fiedler: Sicher, diese Bedenken kann man natürlich erheben.

Bei der Zusammenführung der Daten bei den KVen gibt es je- doch einen Unterschied: Wir können die Versichertennum- mer nicht entschlüsseln. Wir können demnach auch nicht den Patienten identifizieren.

Und: unsere Daten würden nach der Plausibilitätsprüfung wieder gelöscht werden, so daß kein Datenpool entstehen würde; die Daten würden nur vorüberge- hend benutzt, um die Korrekt- heit der Abrechnung zu prüfen.

Damit wäre erstens der Daten- schutz gewährleistet, weil ja die Entschlüsselung in bezug auf den einzelnen Versicherten nicht möglich ist, und zweitens würden überhaupt keine Daten- banken errichtet, weil die Daten nach Gebrauch sofort vernichtet würden. Es ist also ein Riesen- unterschied, ob die Krankenkas- se die Daten hat und für die Zu- kunft speichert oder ob sie die KV zur Prüfung der kassenärzt- lichen Abrechnungen nimmt und danach wieder vernichtet.

Frage: Wenn aber die Kassen dar- auf bestehen, die Daten selbst kom- plett zu speichern, bedeutet das,

daß es ihnen nicht lediglich um die Kontrolle der Abrechnungen geht, sondern daß weitergehende Absich- ten dahinter stecken? Der Daten- schutzbeauftragte in Baden-Würt- temberg hat darauf hingewiesen, auf den Patienten bezogene Daten- sammlungen könnten dazu führen, daß Patienten, bei denen über einer Norm liegende Leistungen erbracht werden, vom Computer als auffällig gekennzeichnet würden. Gehen Sie auch so weit zu sagen, es sei ein Vergleich mit dem Normpatienten beabsichtigt, oder welches Interes- se haben die Kassen über das bloße Abrechnungsinteresse hinaus?

Krankenscheine mit Millionen von Da- ten gehen jedes Quartal bei der Kas- senärztlichen Vereinigung ein

Fiedler: Also — mir liegt eine Projektstudie der Krankenkas- sen in Westfalen-Lippe vor. Da- nach soll ein umfassendes Da- tenbanksystem eingerichtet werden, in dem alle Versicher- tendaten kassenartenübergrei- fend zusammengetragen wer- den sollen. Und diese Daten sol- len nicht nur für die aktuelle Überprüfung der erbrachten Leistungen, in welchem Bereich auch immer, benutzt werden, sondern zu Verlaufskontrollen über Jahre hinweg verwandt

werden. Genau das halte ich für sehr gefährlich! Denn es läßt sich einfach nicht ausschließen, daß die Leistungsdaten des ein- zelnen Versicherten Unbefug- ten zur Kenntnis kommen; die Mißbrauchsgefahr ist außeror- dentlich groß. Der Schutz dieser hochsensiblen Daten ist eben nicht gewährleistet. Ich betone:

diese Daten werden nicht zur Wahrnehmung der eigentlichen Aufgaben der Krankenkasse be- nötigt. Das Ziel solcher Erfas- sungssysteme muß in einer Ver- stärkung des nivellierenden Drucks auf das Verhalten von Ärzten, aber auch Patienten ge- sehen werden. Man wird ver- sucht sein, den Normfall zu kon- struieren und daran alle ande- ren Fälle zu messen. Das ist, me- dizinisch gesehen, ein glatter Unsinn, denn gerade die Medi- zin ist eine Wissenschaft, die ein Durchschnittsdenken nicht zu- läßt. Jede Lungenentzündung verläuft nun mal etwas anders.

Eine Normierung des ärztlichen Handelns in Diagnostik und The- rapie müßte ich als Arzt strikt zu- rückweisen. Der Vorstellungs- welt gewisser Bürokraten mag so etwas aber entsprechen.

Zielen die Kassen darauf, daß die Abrechnungen künftig grundsätzlich bei

ihnen kontrolliert werden?

Frage: Lassen Sie mich noch ein- mal auf die aktuellen Vorgänge um die Abrechnungen zurückkommen.

Geht es dabei nicht auch um einen Machtkampf KV—AOK? Ziel: Kon- trolle der Abrechnungen grundsätz- lich bei der Kasse. Die AOK Dort- mund könnte zum Beispiel argu- mentieren: „Wenn bei den wenigen Daten, die wir jetzt gecheckt haben, solche Unregelmäßigkeiten vor- kommen, dann wird es Zeit, sämt- liche Daten zur Überprüfung zu be- kommen, auch die, die bisher bei der KV verbleiben". Mit anderen Worten, soll die Position der KV, die ja bisher zwischen Kasse und Kas- senarzt steht, angeknackt werden?

Fiedler: Ich könnte mir schon vorstellen, daß der Datenhunger

(4)

Interview zu „Transparenz"

auch durch gewisse Machtgelü- ste verursacht wird, daß man die Rolle der Kassenärztlichen Ver- einigung, die ihr vom Gesetzge- ber zugewiesen worden ist, in Frage stellen möchte. Im Kas- senarztrecht ist eindeutig be- stimmt, daß die Durchführung der kassenärztlichen Versor- gung und die Überwachung der kassenärztlichen Tätigkeit — wo- zu die Überwachung nicht nur der Wirtschaftlichkeit, sondern auch der Korrektheit der Ab-

rechnung gehört —, daß das Auf- gabe der Kassenärztlichen Ver- einigung ist und nicht der Kran- kenkasse. An dieser Aufgaben- verteilung halten wir fest. Und

ich sehe auch nicht, daß der Ge- setzgeber an der Gewichtsver- teilung etwas verändern möch- te. Das heißt also, daß die Kran- kenkasse die Kassenärztliche Vereinigung bei der Durchfüh-

rung ihrer Aufgabe unterstützt und nicht umgekehrt. Andern- falls würde sich die Krankenkas- se zu einer Superbehörde ent- wickeln, die letztlich die Kassen- ärztliche Vereinigung als Selbst- verwaltungsorganisation der Kassenärzte überflüssig ma- chen will. Solche Gedanken kann man, wenn man Dortmund und gewisse Transparenz-Mo- delle durchdenkt, haben. Aller- dings bin ich doch so zuver- sichtlich, daß ich der weiten Mehrheit der Krankenkassen, speziell auch den Spitzenver- bänden der Krankenkassen, sol- che Absichten nicht unterstelle.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen beobachten sorgfältig, halten sich aber noch zurück

Frage: Wie verhalten sich eigentlich die Spitzenverbände zu den jetzt wie ein „Flächenbrand" umlaufen- den Meinungen?

Fiedler: „Flächenbrand" ist der- zeit nicht das richtige Wort. Bei dem, was von der AOK Dort- mund vorgebracht wurde, gibt es noch eine Vielzahl von Un- klarheiten. Betrügereien sind

bisher nicht nachgewiesen wor- den. Genau so sehen es auch die Spitzenverbände. Sie verhal- ten sich derzeit, ich möchte sa- gen: passiv; sie beobachten na- türlich sorgfältig, was in Dort- mund vor sich geht, das tun wir ja ganz genau so. Wir müssen wirklich alle äußerste Sorgfalt an den Tag legen. Die Konsequen- zen kann man erst ziehen, und

Leistung für Leistung wird über den Ter- minal in den Computer der KV eingege-

ben Fotos: dew

das meinen auch die Spitzen- verbände, wenn man wirklich weiß, was tatsächlich nun gelau- fen ist und wieweit die bisher pauschalen Vorwürfe berechtigt sind oder nicht.

Frage: Aus dem Verhalten der Spit- zenverbände kann man also keines- wegs auf eine weitergehende Stra- tegie im Sinne einer Aufweichung der Zuständigkeiten KVen/Kassen schließen?

Fiedler: Nein. Dafür gibt es kei- ne Hinweise.

Frage: Eine weitere „Strategiefra- ge": Abrechnungsskandale, wenn es welche sind, aber auch schlichte Irrtümer, wie das Eintragen einzel-

ner Leistungen zu falschen Termi- nen, kämen vermutlich nicht vor, wenn statt nach Einzelleistungen, nach einer Pauschale vergütet wür- de. Auf Kassenseite werden ohne- hin im Zusammenhang mit der Ko- stendämpfung Vorbehalte gegen die Einzelleistungsvergütung geäu- ßert. Liefert „Dortmund" den Geg- nern des Einzelleistungssystems weiter Argumente?

Fiedler: Sie haben recht mit der Feststellung, daß das Einzellei- stungsvergütungssystem der- zeit schon im Kreuzfeuer der Kritik steht, und die Kritik scheint sogar zuzunehmen. Die Krankenkassen befürchten bei einer auch auf sie zukommen- den Arztschwemme eine Aus- weitung der Leistungsmenge;

sie wollen der begegnen, indem sie gegebenenfalls ihre Zahlun- gen pauschaliert leisten. Einer Pauschalierung könnte auch

„Dortmund" Vorschub leisten, wenn sich bewahrheiten sollte, daß in erheblichem Umfange so- wohl Fehler als auch Manipula- tionen vorliegen. Sie dürfen je- doch nicht übersehen: auch wenn die Errechnung der Ge- samtvergütung pauschaliert er- folgen würde, zum Beispiel durch eine Kopfpauschale, so ist die Verteilung der Gesamtver- gütung laut Gesetz nach Art und Umfang der von den Kassenärz- ten erbrachten Leistungen vor- zunehmen. Eine Verteilung der Gesamtvergütung nach einer Pauschale ist unzulässig. Die Kassenärztlichen Vereinigun- gen müßten also auch für den Fall, daß die Gesamtvergütung pauschaliert errechnet würde, die Verteilung nach Einzellei- stungen vornehmen, und die Gefahr, daß sich einzelne Ärzte durch Abrechnung nicht er- brachter Leistungen einen Profit verschaffen, bestünde auch dann. Allerdings würde in die- sem Falle nicht die Versicher- tengemeinschaft, sondern die Kollegenschaft geschädigt. Dies ist heute im Labor gegebenen- falls schon der Fall. Natürlich ha- ben wir auch in diesem Falle für Korrektheit zu sorgen.

892 (20) Heft 12 vom 23. März 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(5)

Frage: Im Grunde genommen plä- dieren Sie ja für die Beibehaltung des bisherigen Systems, für die Bei- behaltung der Kräfteverteilung zwi- schen Kassen und KVen, für die Be- rechnung der Gesamtvergütung nach Einzelleistung. Andererseits ist die Diskussion über "Transpa- renz" so heißgelaufen, daß viele er- warten, es müsse jetzt etwas passie- ren. Die Kassen werden vermutlich auch keine Ruhe geben, und auch der DGB etwa unterstützt sie. Ha- ben Sie als KBV eine Gegenstrate- gie? Wie wollen Sie Transparenz herstellen und trotz Transparenz noch den Schutz des Patienten ge- währleisten?

Fiedler: Ich möchte u nterstrei- chen, was Sie schon andeute- ten, daß ich das derzeitige Sy- stem der weitgehenden Errech- nu ng der kassenärztlichen Ge- samtvergütung nach Einzellei- stungen durch die Vorgänge in Dortmund nicht in Frage gestellt sehe. Ich bin nach wie vor zuver- sichtlich, daß sich in Dortmund herausstellen wird, daß hier in ganz überwiegendem Maße schlichte Irrtümer vorliegen.

Und die können nur aufgedeckt werden, wenn die Aussagen der Kassenärzte den Vorwürfen der AOK gegenübergestellt werden. Wir werden dabei vielleicht auch eine gewisse Anzahl von Betrü- gereien aufdecken; diese wer- den wir konsequent ahnden. Die betreffenden Kassenärzte müs- sen nicht nur mit Staatsanwalt- schaftlichen Ermittlungen rech- nen, sondern auch mit Diszipli- narverfahren der Kassenärzt- lichen Vereinigung. ln krassen Fällen droht auch der Entzug der Kassenzulassung. Was wir allerdings schon jetzt aus "Dort- mund" als Lehre ziehen können, ist folgendes:

...,. Einmal, wie ich schon gesagt habe, sollten wir die Überprü- fung der kassenärztlichen Ab- rechnung auf stärkere Plausibili- tät vornehmen; dazu benötigen wir die uns fehlenden Daten von den Krankenkassen.

...,. Darüber hinaus treten wir da- für ein, daß dem Versicherten ei-

ne Leistungs- und Kostentrans- parenz gegeben werden sollte- nicht nur zur Kontrolle, sondern auch zu seiner Information als mündiger Bürger über das, was für ihn an Leistung erbracht worden ist und was der Kassen- arzt dafür an Gegenwert, in DM ausgedrückt, erhalten hat. Diese· Offenlegung der Leistungen und der Kosten kann geschehen

Die Scheine verbleiben bei der KV. (Alle Bilder wurden bei der KV-Kreisstelle Köln aufgenommen)

- und das haben Vorstand und Länderausschuß der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung diskutiert - indem den Versi- cherten in Zukunft ein Doppel des Krankenscheines zur Verfü- gung gestellt wird, ergänzt um eine Erläuterung der Abrech- nungsnummern und des Gegen- werts, den sie haben. Man könn- te auch ein Modell durchführen, wie es die KV Hessen diskutiert;

dabei soll dem Versicherten ei- ne solche Leistungs- und Kostentransparenz auf Anforde- rung durch die KV vermittelt werden. Es gibt also verschiede- ne Gedankensätze, die wir na- türlich noch mit den Kranken- kassen eingehend zu bespre-

chen haben; hierüber sollte Übereinkunft mit den Kranken- kassen erzielt werden. Auf unse- rer Seite jedenfalls bestehen keine Ängste davor, dem Versi- cherten Kenntnis über Leistun- gen und Kosten zu geben. Ich glaube, jeder korrekt abrech- nende Kassenarzt wird sich eine solche Transparenz sogar wün- schen, damit der Beigeschmack der Dortmunder Affäre, sei er nun zu Recht oder zu Unrecht entstanden, verschwindet.

Gelten die früher geäußerten Bedenken gegen die

"spezifische Rechnung"

heute nicht mehr?

Frage: Zeigt sich da ein Umdenken, wenn Sie jetzt für Doppel des Kran- kenscheins oder spezifizierte Rech- nung, wie immer man das nennen will, eintreten? Früher wurden da- gegen doch immer Bedenken geäu- ßert.

Fiedler: Ich würde sagen: ein Umdenken nicht so sehr bei uns. Die ablehnende Haltung gegenüber einer solchen Ko- stentransparenz hatten viel mehr die Krankenversiche- ru ngsträger. Denn sie befü rch- ten, daß der Versicherte einen gewissen, sagen wir mal: Lei- stungsanspruch entwickeln könnte, wenn er sieht, wie wenig eigentlich für ihn im Einzelfall ausgegeben wird und wieviel an Beiträgen er bezahlt. Für uns war das nie ein tragendes Argu- ment, uns einer solchen Kosten- transparenz zu verschließen.

Für uns war vielleicht der büro- kratische Aufwand ein Hemm- nis. Aber ich meine, die Diskus- sion, die jetzt in der Öffentlich- keit über die Undurchschaubar- keit der ärztlichen Abrechnun- gen entbrannt ist, könnte uns dazu zwingen, gegenüber den Krankenkassen auf eine solche Transparenz für den Versicher-

ten zu drängen. D

Die Fragen stellte Norbert Jachertz

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Sehr gescheit, sehr fähig als Pädagoge, politisch war er ein Großdeutscher, aber sehr gerecht und, wirklich gerecht, er hat von den Schülerinnen, die halt gerade mit- gekommen

Eine Dokumentationsmappe, das Portfolio, eröffnet den Studierenden die Möglichkeit, im Zusammenwirken mit ihren Dozenten aus der Fülle des Stoffes exemplarisch angefertigte

Staatsangehörige der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union* (Unionsbürger) genie- ßen Freizügigkeit und haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesre-

Diese Organisationen müssen von radikalen und extremistischen Mili- zen unterschieden werden, die sich aus politischen Konfliktlagen heraus gebil- det haben (insbesondere dem

Berufsunfähigkeit liegt dagegen nicht vor, sofern die versicherte Person für die Dauer des Verbots von ihrem Arbeitgeber mit einer anderen Tätigkeit betraut wird oder wenn

 Das Bezirksamt fördert und unterstützt partizipative und kulturelle Angebote für Alle. Bei deren Entwicklung wirken Menschen mit Behinderung als „Experten in eigener Sache

Wie Genosse Für die Kollegen des AN *,er Kollegen über die stehen- nosse Waldemar Kruppa, Wecker weiter ausführte, ist TA steht fest, daß die Uh ^en Aufgaben erfolgt,

In der Palliativversorgung geht es aber nicht mehr um die Behandlung der Erkrankung, der Blick richtet sich hauptsächlich auf die Symptome und deren Linderung.. Die Phasen