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Archiv "Die Angst der Krankenkassen vor den Kosten des Fortschritts" (09.01.1984)

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(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Politik

Die Angst der

Krankenkassen vor den Kosten

des Fortschritts

„Konzertierte Aktion": Kompromisse

Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, seit ih- rem Bestehen in allererster Linie der Beitragssatzsta- bilität der gesetzlichen Krankenversicherung ver- pflichtet, konnte bei ihrer letzten Sitzung, am 15. De- zember 1983, eine in dieser Hinsicht positive Bilanz entgegennehmen. Bundesarbeitsminister Dr. Norbert Blüm verkündete nämlich, per Dezember 1983 hätten über 500 Krankenkassen Beitragssatzsenkungen an- gekündigt oder schon in Kraft gesetzt; Anfang 1984 sei mit weiteren Beitragssatzsenkungen zu rechnen.

Blüm glaubt daher, daß 1984 der durchschnittliche Beitragssatz von 12 auf 11,5 bis 11,6 Prozent sinken wird. Mit anderen Worten: Das Ziel der Beitragssatz- stabilität ist mehr als erreicht. Nachholbedarf besteht hingegen, das räumte auch der Minister ein, bei der Entwicklung medizinischer Orientierungsdaten.

Mit dem Programm hätte ein wissenschaftlicher Jahres- kongreß bestritten werden können: medizinische Orien- tierungsdaten, demographi- sche Entwicklung im allge- meinen und Arztzahl-Ent- wicklung im speziellen, Arz- neimittelgebrauch alter Men- schen, Aufbereitung von Pa- tientendaten mittels der elek- tronischen Datenverarbei- tung und dann noch die Psychiatrie-Reform. Die Kon- zertierte Aktion im Gesund- heitswesen hatte sich am 15.

Dezember also viel vorge- nommen. Die sogenannten Beteiligten des Gesundheits- wesens, aus denen die Kon- zertierte Aktion besteht, blie- ben freilich bei ihren Leisten;

sie stellten all die wissen- schaftlichen Daten, die die ih- nen verbundenen Institute und Expertengremien aufbe- reitet hatten, in den gesund- heitspolitischen Rahmen. Die seit 1977 bedeutendste politi- sche Vorgabe heißt Beitrags-

satzstabilität, von den Kran- kenkassen auch als einnah- menorientierte Ausgabenpo- litik ohne Wenn und Aber in- terpretiert. Ginge es nach den Kassen, bliebe es bei dieser Fixierung. Die Forde- rung, namentlich der Ärzte- schaft, endlich auch die me- dizinische Entwicklung bei den Ausgabenempfehlungen der Konzertierten Aktion zu berücksichtigen, scheinen viele Kassenvertreter als An- schlag auf ihr Lieblingskind anzusehen.

Dr. Detlef Balzer, Arbeitge- bervertreter und derzeit Vor- sitzender des Bundesverban- des der Ortskrankenkassen (BdO), argwöhnte, mit den medizinischen Orientie- rungsdaten solle auf die vor- handene Struktur der medizi- nischen Leistungen etwas

„aufgesetzt" werden. Für ihn darf es aber — zumindest im Augenblick — kein „Aufset- zen" geben. Wenn, um mit

seinen Worten zu sprechen, in Medizin investiert werden solle, dann müsse an anderer Stelle in der Medizin was ein- gespart werden. Wenn über- haupt medizinische Orientie- rungsdaten, dann rationali- sierende, ausgewählt nach Effektivität und Effizienz. Bal- zer hatte seine Zweifel, ob Ef- fektivität und Effizienz in der Medizin von heute zum Aus- druck kommen. Vor der Kon- zertierten Aktion verstieg er sich so weit, die ganze Medi- zin, so wie sie derzeit betrie- ben wird, in Frage zu stellen:

Die Kassen fragten sich, be- richtete er, „ob die praktizier- te Medizin, die hinreichende und nach den Möglichkeiten auch praktizierbare Antwort auf die Störung der Gesund- heit unserer Bürgerinnen und Bürger gibt. Der Trend zur jeweils teuersten Versor- gungsform ist nach wie vor unverkennbar, obwohl dieses medizinisch im Einzelfall nicht notwendig ist. Die Spät-

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 1/2 vom 9. Januar 1984 (11) 11

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Konzertierte Aktion: Krankenkassen und medizinischer Fortschritt

versorgung rangiert vielfach vor Frühversorgung, und die Gesund- heitsvorsorge als Antwort auf die immer mehr zunehmenden Ver- schleißerscheinungen ist nur schwach entwickelt."

Von Aufsetzen keine Rede Doch es geht gar nicht um die

"jeweils teuerste Versorgungs- form", auch nicht unbedingt um ein "Aufsetzen", wenn von ärzt- licher Seite der medizinische Fortschritt in die Kostendiskus- sion eingebracht wird. Das er- läuterte der Präsident der Bun-

desärztekammer, Dr. Karsten Vilmar. Für die Entwicklung me- dizinischer Orientierungsdaten verdienten nicht in erster Linie neueste Spitzentechniken das besondere Interesse, sondern jene Krankheiten, die bei einer großen Zahl von Menschen Langzeitüberwachung oder Be- handlungsbedürftigkeit bewirk- ten oder bei denen durch Prä- vention Krankheiten verhindert oder mindestens hinausgescho- ben werden könnten. Vilmar for- derte in diesem Sinne Kosten- Nutzen-Untersuchungen zum Beispiel zu chronisch obstrukti-

Gezielte Forschung

Für die Entwicklung weiterer medi- zinischer Orientierungsdaten ver- dienen im Hinblick auf die Kosten- auswirkungen im Gesundheitswe- sen nicht in erster Linie neueste Spitzentechniken das besondere In- teresse, selbst dann nicht, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck besonderer Bedeutung bestehen sollte. Wesentlich wichtiger sind Krankheiten oder Krankheitsgrup- pen, die bei einer großen Zahl von Menschen Langzeitüberwachungs- ader Behandlungsbedürftigkeit be- wirken oder bei denen durch wis- senschaftlich gesicherte, gezielte Prävention das Auftreten von Er- krankungen entweder völlig verhin- dert, mindestens aber hinausge- schoben werden kann.

Ziel dieser Untersuchungen soll es dabei nicht sein, etwa zu beweisen, daß die Fortschritte der Medizin zu einer permanenten Ausweitung dia- gnostischer und therapeutischer Möglichkeiten durch Hinzufügung immer neuer Verfahren führen, um damit Kostensteigerungen zu be- gründen. Anzustreben ist vielmehr, den vermuteten Nutzen, soweit dies möglich ist, vorab zu bestimmen, um alle gängigen Verfahren der Ge- sundheitsfürsorge und der Kran- kenvers'.'rgung kritisch beurteilen zu können und gegebenenfalls neue

Verfahren an die Stelle alter und vielleicht obsolet gewordener treten zu lassen und weniger wirksame Methoden durch effizientere zu er- setzen. Nur auf der Grundlage exak- ter Untersuchungen läßt sich schließlich auch das Gewicht einzel- ner Entwicklungen für die Lei- stungsfähigkeit des Gesundheits- wesens möglichst klar erkennen, wenngleich auch künftig unbestreit- bar bleibt, daß sich eine Reihe von Faktoren, wie zum Beispiel die Aus- wirkungen psychischer Belastungen auf das Befinden oder auf das Ent- stehen von Krankheiten, minde- stens allen heute bekannten Nach- weismethoden entziehen und somit nicht in Parametern faßbar sind.

Unmöglich wird es auch sein, etwa durch Zusammenfügen der in ver- schiedenen Schwerpunktbereichen gewonnenen Untersuchungsergeb- nisse ein einziges "medizinisches Globaldatum" zu entwickeln, dem dann eine Steuerungsfunktion zu- kommen könnte. Um so wichtiger ist aber gerade deshalb die weitere exakte Untersuchung von Schwer- punktbereichen und deren konti- nuierliche Weiterentwicklung.

Aus den Ausführungen von Dr. Karsten Vilmar vor der Konzertierten Aktion

12 (12) Heft 1/2 vom 9. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

ven Atemwegserkrankungen, Selbstschädigung durch Alko- holmißbrauch und zur onkologi- schen Versorgung.

Der Vorsitzende der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung, Dr.

Hans Wolf Muschallik, trat vor al- lem dem Vorwurf entgegen, mit immer mehr Geld werde immer weniger Gesundheit finanziert.

Muschallik: "Der Slogan ist schlichtweg falsqh." Die Mortali- tätsstatistik belege sein Urteil.

Der Sektor Gesundheit trage, fuhr Muschallik fort, erheblich zum Bruttosozialprodukt bei, auch wenn das in der volkswirt- schaftlichen Gesamtrechnung nicht in Mark und Pfennig aus- gewiesen werde. Das Gesund- heitswesen leiste nämlich infol- ge seiner präventiven und wie- derherstellenden, seiner be- schäftigungspolitischen und in- vestitionsfördernden Wirkungen einen erheblichen Beitrag zu unserer Volkswirtschaft.

Bundesarbeitsminister Dr. Nor- bert Blüm sieht, was die medizi- nischen Orientierungsdaten an- geht, einen Nachholbedarf.

Blüm: "Kostendämpfung allein kann nämlich keine Gesund- heitspolitik sein. Die Ausgaben der Krankenkassen sind deshalb allein kein Maßstab für die Ver- sorgungsfähigkeit des Gesund- heitswesens. Wir dürfen mit der Kostendämpfung keine Vermin- derung der Qualität der medizi- nischen Versorgung vorneh- men, andererseits müssen wir uns davor hüten, ein hohes Aus- gabenniveau als Ausweis beson- derer Qualität zu buchen."

Der Bundesarbeitsminister er- hofft sich von medizinischen Orientierungsdaten vor allem Aufschluß über drei Problem- kreise:

..,. Ausbau ambulanter Versor- gungsangebote, vor allem für Pflegebedürftige (Biüm: "Ein weißer Fleck")

..,. neue Initiativen für die Ge- sundheitsvorsorge

(3)

), I

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Konzertierte Aktion: Krankenkassen und medizinischer Fortschritt

Konzertierte Aktion in Bonn: der Regierungsbank (links) gegenüber die Bänke der Beteiligten (im Vordergrund: Ärztevertreter). Bild rechts: Mini- ster Blüm im Gespräch mit Vilmar und Muschallik Fotos: Darchinger ..,.. Verbesserungen bei der Ver-

sorgung psychisch Kranker.

Auch Blüm liegt allerdings an Kostenneutralität: "ln allen drei Gebieten bedeuten Fortschritte nicht zwangsläufig eine Auswei- tung der Kosten."

Medizinische und ökonomische Orientierungsdaten wurden als gleichwertig erkannt

Was haben nun die Beratungen der Konzertierten Aktion kon- kret, im Hinblick auf die Ausga- benempfehlungen der Konzer- tierten Aktion gebracht? Vor al- lem, daß die medizinischen Da- ten als gleichwertig gegenüber den ökonomischen Daten (im wesentlichen: Bruttolohnsum- me) bestätigt wurden. Alle Be- teiligten stimmten allerdings darin überein, daß es nicht mög- lich sei, einen Globalfaktor für den medizinischen Fortschritt zu entwickeln. Die ökonomi- schen Orientierungsdaten, die bisher die Ausgabenempfehlun- gen allein (und entgegen dem Gesetzeswortlaut!) bestimmten, sind da weitaus einfacher fest- zulegen.

Im Frühjahr freilich, wenn die Ausgabenempfehlungen anste- hen, wird, was die Medizin an- geht, allenfalls eine gewisse Sensibilisierung der Beteiligten zu erreichen sein. (BdO-Haupt- geschäftsführer Dr. Franz-Josef Oldiges beugte schon vor: "Eine zusätzliche Quote brauchen wir im Frühjahr 1984 nicht.") Die Entwicklung aussagekräftiger medizinischer Daten ist eine eher mittelfristige Aufgabe. Bei der Dezember-Sitzung wurde beschlossen, mit der Untersu- chung umrissener Einzelberei- che einen Anfang zu machen. Zwei solcher Teilfragen standen bereits auf der Tagesordnung der letzten Sitzung: Die demo- graphische Entwicklung und ih- re Auswirkungen auf die medizi- nische Versorgung sowie der Arzneimittelverbrauch bei älte- ren Patienten.

Ein aufschlußreiches Beispiel, welch unterschiedliche Inter- pretationen auf einer noch rela- tiv harten Datenbasis aufgebaut werden können, bot sich bei dem demographischen Thema:

Der Krankenkassenvertreter Jo-

sef Endres (Arbeitnehmervertre- ter im Vorstand des BdO) kam zu dem "erstaunlichen Ergeb- nis", so Endres selbst, daß die demographische Entwicklung auf die Entwicklung der Lei- stungsausgaben der gesetzli- chen Krankenversicherung kei- nen wesentlichen Einfluß habe.

Endres blickte allerdings nur bis ins Jahr 2000 hinüber. Das Bun- desinstitut für Bevölkerungsfor- schung, das für den Bundesar- beitsminister bis 2030 begutach- tet hatte, kam dagegen zu gera- dezu dramatischen Ergebnis-

~.en, die sich aus der rapiden Uberalterung der Bevölkerung Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 1/2 vom 9. Januar 1984 (13) 13

(4)

DEUTSCHES

~ZTEBLATT

Konzertierte Aktion

:

Krankenkassen und medizinischer Fortschritt

ergeben. Als KBV-Hauptge- schäftsführer Eckart Fiedler den Optimisten diese Aussagen der Bevölkerungsforscher entge- genhielt, wollte niemand von ih- nen, nicht einmal der Bundesar- beitsminister, der von Berufs wegen eigentlich weitblickend sein sollte, über das Jahr 2000 hinaussehen

.

Belastung oder Entlastung durch die

Bevölkerungsentwicklung?

Doch auch die optimistische Prognose, bis zum Jahr 2000 werde

-

vom Demographischen her- alles gutgehen, stieß in der Konzertierten Aktion auf Zwei- fel. Die unterschiedliche Inter- pretation rührte daher, wie die entlastenden Fakten (Rückgang des Anteils der Kinder und Jugendlichen, Ansteigen der re- lativ gesunden Jahrgänge bis 45) und die belastenden Fakto- ren (Überalterung, Zunahme der Zahl der kränkeren Männer) be- wertet werden. Prof. Dr. Hans- Werner Müller, der Hauptge- schäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, mal- te, als Kontrast zu Endres, ein düsteres Gemälde. Im Kranken- hausbareich sei die "im weite- ren Sinne demographisch indu- zierte Ausgabenentwicklung im

Zeit

raum von 1970 bis 1980 stär-

ker ausgefallen, als sie bei Be- trachtung der veränderten Al- tersstruktur der Gesamtbevölke- rung zum Ausdruck kommt."

Und warum sollte es bis zum Jahre 2000 anders sein?

Die altersbedingte, überpropor- tionale Belastung der Solidar- gemeinschaft zeigt sich auch beim Arzneimittelverbrauch

.

Das überrascht eigentlich nicht.

Und muß von einer Versicher- tengemeinschaft nicht erwartet werden, daß sie für ihre älteren Mitglieder relativ mehr aufzu- bringen hat? Dr. Fiedler: Es sei doch geradezu Ausdruck des Solidaritätsprinzips, daß die Jüngeren für die Älteren einste- hen.

Erfolge

ln der ärztlichen und kassenärzt- lichen medizinischen Versor- gung sind inzwischen Erfolge zu verzeichnen, die in der Kasten- dämpfungsdiskussion bislang entweder zu wenig oder gar nicht beachtet wurden

. Der Slo-

gan jedenfalls, mit immer mehr Geld werde immer weniger Ge- sundheit finanziert, ist schlicht- weg falsch. Solche Sprüche ver- leiten oft zu der irrigen Annah- me

,

daß jede beliebige Spar- maßnahme

im Gesundheitswe-

sen per se sinnvoll und un- schädlich sei.

Richtig und belegbar ist viel- mehr, daß den gestiegenen Aus- gaben auch verbesserte Ergeb- nisse gegenüberstehen

.

Diese schlagen sich, wie das Zentralin- stitut für die kassenärztliche Ver- sorgung nachgewiesen hat

, qua-

litativ vor allem in der Mortali- tätsentwicklung nieder. Ich ver- weise

..,.. auf den deutlichen Rückgang der perinatalen Sterblichkeit;

..,.. auf das Absinken der Krebs- mortalität;

..,.. auf den kontinuierlichen Rückgang der Sterbeziffern bei Herz-Kreislauf-Krank- heiten in fast allen Alters- gruppen;

~

und als Fazit auf die verbes- serte Lebensqualität bei stei- gender Lebenserwartung

.

Aus den Ausführungen von Dr. Hans Wolf Muschallik vor der Konzertierten Aktion

Wie hoch die Belastung heute ist, erläuterte Dr. Kurt Friede vom Bundesverband der Be- triebskrankenkassen

.

Nach ei- ner von den Krankenkassen (mit Unterstützung der Kassenärzte) soeben abgeschlossenen Analy- se werden für Rentner dreimal so viel Arzneimittel verordnet wie für die anderen Versi-

14 (14)

Heft

1/2

vom

9.

Januar

1984 81.

Jahrgang Ausgabe A

cherten. Besonders hohe Ver- ordnungshäufigkeit gibt es bei Herzglykosiden

,

durchblu- tungsfördernden Mitteln, Antidi- uretika und Tranquilizern. Auch die Ausgaben je Arzneimittel- packung liegen bei den Rent- nern wesentlich höher als bei den übrigen Versicherten.

Diese Ergebnisse haben bereits zu vorschnellen Vorwürfen ge- führt; die deutschen Ärzte ver- ordneten "zu viel Digitalis", hieß es zum Beispiel in der Presse.

Dr. Fiedler erläuterte in der Kon- zertierten Aktion

:

die

Digit~lis­

Verordnung sei in der Bundes- republik zwar achtmal höher als im internationalen Vergleich.

Das liege aber an einer anderen Verordnungsstruktur. ln anglo- amerikanischen Ländern etwa würden statt Digitalis mehr Di- uretika verordnet. Die Arzneimit- telkommission der deutschen Ärzteschaft habe, mit Unterstüt- zung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung, Ratschläge zur Digitalis-Verordnung herausge- geben. Eine grundlegende Um- stellung brauche aber ihre Zeit, denn die Kassenärzte seien über Jahrzehnte durch die Wis- senschaft belehrt worden: ein- mal Digitalis, immer Digitalis.

C>

Fiedler erinnerte auch daran,

daß ältere Patienten allein des- halb schon teurere Arzneimittel- packungen bekämen

,

weil die für diese Altersgruppen typi- schen Arzneimittel "teureren"

Indikationsgruppen angehören, weil ältere Patienten oft unter Dauermedikation stehen und deshalb größere Packungen be- nötigen

.

Im internationalen Ver- gleich liege die Bundesrepublik, was die Zahl der verordneten Packungen angehe, im Mittel- feld.

Zweifel äußerte Fiedler an gut gemeinten Ratschlägen, statt Arzneim

itteln alternative Thera-

p

ien (Bewegungstherapie) an-

zuwenden

.

Solche Therapien

e Textfortsetzung auf Seite 17

(5)

DEUTSCHES XRZTEBLATT

Bundesrat änderte

die Gebührenordnung für Ärzte

Seit dem 1. Januar dürfen die Krankenhäuser den selbstzah- lenden Krankenhausbenutzern (Privatpatienten) keine geson- derten Rechnungen mehr zur unmittelbaren Erhebung von Sach- und Personalkosten (im Sinne des § 2 Nr. 1 des Kran-

kenhausfinanzierungsgeset- zes) bei ambulanter privatärzt- licher Behandlung durch liqui- dationsberechtigte Kranken- hausärzte ausstellen.

Am 31. Dezember 1983 ist die bereits in der GOÄ '82 in § 14 vorgesehene Übergangsfrist insoweit ausgelaufen, als der li- quidationsberechtigte Kran- kenhausarzt bis zu diesem Zeitpunkt die vom Kranken- haus unmittelbar erhobenen Sach- und Personalkosten von den von ihm nach § 5 GOÄ be- rechneten Gebühren abzuzie- hen und in der Liquidation den Umfang der Minderung bei den einzelnen Leistungen anzuge- ben hatte.

Nach der vom Bundesrat am 16. Dezember gebilligten und von der Bundesregierung am 19. Dezember 1983 angenom- menen "Ersten Verordnung zur Änderung der Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ)" sind demnach seit dem 1. Januar 1984 die Sach- und Personalko- sten im ambulanten Bereich der privatärztlichen Behand- lung des Krankenhausarztes bereits mit dem Honorar abge- golten.

Gleichzeitig beschloß der Bun- desrat auf Empfehlung der die Novelle mitberatenden Bun- desratsausschüsse für Jugend, Familie und Gesundheit sowie

für Kultur, daß erstmals für die stationäre privatärztliche Be- handlung im Krankenhaus eine neue Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 1984 eingeführt wird. Demnach gilt auch bei stationärer privatärztlicher Be- handlung im Krankenhaus die für den ambulanten Sektor ab 1. Januar 1984 geltende Rege- lung ab dem 1. Januar 1985 analog.

Der liquidationsberechtigte Arzt muß jedoch bis zu diesem Zeitpunkt die vom Kranken- haus unmittelbar erhobenen Sach- und Personalkosten von seinen Gebühren abziehen und in der Rechnung den Um- fang der Minderung bei den einzelnen Leistungen ange- ben.

Der Bundesrat ist somit nicht dem Vorschlag des federfüh- renden Bu ndesratsaussch us- ses für Arbeit und Sozialord- nung gefolgt, der lediglich empfahl, die in der GOÄ '82 in

§ 14 Absatz 2 Satz 1 vorgesehe- ne Übergangsfrist um ein Jahr (also bis zum 31. Dezember 1984) zu verlängern.

Daß die Umsetzung der neugefaßten GOÄ-Vorschriften über die Erhebung von Sach- und Personalkosten bei privat- ärztlicher Liquidation auch für den stationären Krankenhaus- bereich erhebliche verfas- sungs- und arbeitsrechtliche Probleme, aber auch Schwie- rigkeiten bei der Koordinie- rung von anderen Bundesge- setzen, Verordnungen und Vor- schriften mit sich bringen wür- de, hat denn auch der Bundes- rat in einer am 16. Dezember

NACHRICHTEN

1983 gefaßten Entschließung konstatiert. Darin wird bezeich- nenderweise festgestellt:

~ Probleme, die sich aus der Anwendung der GOÄ im statio-

nären Bereich ergeben, wer- den durch die (erste) Ände- rungsverordnung nicht gelöst.

~ Die GOÄ und die geltende Bundespflegesatzverordnung (BPfiV) passen nach wie vor nicht "nahtlos" zueinander.

Verwiesen wird dabei darauf, daß die Länder bei der Bemes- sung der einjährigen Über- gangstrist in§ 14 GOÄ im Jahr 1982 davon ausgegangen sind, daß innerhalb dieser Frist auch eine entsprechende Klarstal- lung und Überarbeitung der

Bundespflegesatzverordnung erfolgen würde. Dies ist bisher jedoch nicht der Fall gewesen.

~ Deshalb appelliert der Bun- desrat an die Bundesregie- rung, so bald als möglich den Ländern Vorschläge vorzule- gen, um dieses dringende Koordinierungs- und Synchro- nisierungsproblem zu lösen.

Darüber hinaus sei es erforder- lich, auch das Nebentätigkeits- recht für beamtete Ärzte der neuen Rechtslage anzupassen.

~ Darüber hinaus wird vorge- schlagen, die durch die Verlän- gerung der Übergangsfrist ge- wonnene Zeit dazu zu nutzen, um durch eine spezielle neu einzuberufende Bund-Länder- Kommission die Probleme zu harmonisieren und zu klären. Dies gelte- soweit nötig- auch für den ambulanten Bereich. (Auf die durch die Änderungs- verordnung aufgeworfenen, völlig ungelösten strukturellen Probleme im Verhältnis von Arztkosten zu Sachkosten wird noch zu einem späteren Zeit- punkt einzugehen sein.) DÄ

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 1/2 vom 9. Januar 1984 (15) 15

(6)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Konzertierte Aktion: Empfehlungen zu Strukturfragen des Gesundheitswesens

Entwicklung medizinischer Orientierungsdaten

1.

Medizinische Orientierungsdaten sind neben ökonomischen wesentliche Grundlage, um einerseits eine bedarfs- gerechte dem Stand der medizin

ischen

Wissenschaft entsprechende Versor- gung und andererseits eine ausgewo- gene Belastungsverteilung im Gesund- heitswesen herzustellen.

2.

Die Weitläufigkeit des Begriffs me- dizinische Orientierungsdaten sowie das bislang vorliegende Material erlau- ben noch keine abschließende Aussage über allgemeingüitige Entwicklungs- tendenzen

.

3. Die Konzertierte Aktion empfiehlt den unmittelbar Beteiligten, das Thema weiter aufzuarbeiten und Empfehlun- gen zunächst für Teilbereiche vorzule- gen

.

Hierbei sollten folgende Bereiche zu- nächst erörtert werden:

~

Auswirkungen von neueren Ent- wicklungen in Diagnostik und Therapie

~

Auswirkungen der demographi- schen Entwicklung auf die medizini- sche Versorgung

~

Fragen der medizinischen Notwen- digkeit und der Wirtschaftlichkeit

, der

Effektivität und Effizienz sowie der An- gebotsstruktur; dies gi

lt vor allem für

die Arzneimittelversorgung

Auswirkungen

der demographischen Entwicklung auf die medizinische Versorgung

1.

Die demographische Entwicklung wird voraussichtlich zu einer Erhöhung des Anteils kranker Personen an der Gesamtbevölkerung führen

.

Dennoch wird nach vorliegenden Un- tersuchungen bis zum Jahre 2000 aus der demograph

ischen Entwicklung nur

mit einem geringen Anstieg der Ausga- ben der gesetzlichen Krankenversiche- rung gerechnet. Neben dem Rückgang der Gesamtbevölkerung ergeben sich Be- und Entlastungseffekte aus Verän- derungen in de

r

Alters- und Ge- schlechtsstruktur der Bevölkerung

.

2. Die schwer abschätzbare Entwick- lung der Zahl der Erwerbstätigen

, der

Zahl der Frührentner und der Zahl der mitversicherten Familienangehörigen lassen es möglich erscheinen

, daß sich

das Verhältnis der Beitragszahler zu den Leistungsberechtigten verschlech- tert und sich die Finanzierungsmög- lichkeiten weiter einengen

.

3.

Die medizinische Versorgung sollte in Zukunft stärker als bisher am Bedarf älterer Menschen orientiert werden.

Arzneimittelverbrauch bei älteren Patienten

1.

Den krankenversicherten Rentnern

in der GKV werden dreimal so viele

Arzneimittel verordnet wie ande

ren

Versicherten. Besonders hohe Verord- nungshäufigkeiten sind vor allem bei Herzglykosiden

,

durchblutungsför- dernden Mitteln, Antidiabetika und Tranquilizern feststellbar. D

ie Ausga-

ben je Arzneimittelpackung liegen bei den Rentnern um ein Drittel höher als bei den übrigen Versicherten

. Das ist

hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß die den krankenversicherten Rent- nern verordneten Arzneimittel teuren Indikationsgruppen angehören

,

und daß innerhalb der Indikationsgruppen stärker als bei den übrigen Versicher- ten teurere Stärken

,

Darreichungsfor- men und Packungsgrößen verordnet werden

.

2. Den Kassenärzten wird empfohlen

,

unter Hinweis auf die genannten Fest- stellungen im Bereich de

r

Rentner- Krankenversicherung

,

den therapeuti- schen Nutzen der oben genannten Prä- parategruppen

,

die Verordnungsweise und -häufigkeit sowie die Wirtschaft- lichkeit der Verordnungen verstärkt zu überprüfen und dabei in geeigneten Fällen

nichtmed!~amentösen

Therapie- verfahren

, wie Anderung der Lebens-

weise durch Diätnahrung

,

körperliche Bewegung usw.

,

besondere Beachtung zu schenken.

Den Herstellern von Arzneimitteln wird empfohlen, bei Arzneimitteln

, die vor-

wiegend älteren Patienten verordnet werden, äußerste Zurückhaltung bei der Preisgestaltung zu üben

.

Den Krankenkassen wird empfohlen

,

erneut die älteren Versicherten zu mehr Zurückhaltung bei den Wünschen nach der Verordnung von Arzneimitteln und

16 (16) Heft 1/2

vom

9. Januar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

beim Arzneimittelkonsum anzuhalten

,

auf diätetische Lebensführung im Alter hinzuweisen und nachdrücklich zu empfehlen

, die ärztlichen Anordnungen

strikt zu befolgen

.

Transparenz in der gesetzlichen

Krankenversicherung

1.

Transparenzbemühungen in der ge- setzlichen Krankenversicherung müs- sen zum Ziel haben

,

Schwachstellen aufzudecken

,

gemeinsame Ursachen- analysen zu ermöglichen und Verant- wortlichkeilen sowie Handlungsspiel- räume auf der Leistungs- und Nachfra- geseite sichtbar zu machen.

Bei den Bemühungen

u

m Leistungs- und Kostentransparenz in der gesetzli- chen Krankenversicherung muß das Persönlichke

itsrecht

des einzelnen stets gewahrt bleiben

. Der versicherte

Patient muß darauf vert

rauen können,

daß seine Daten vor mißbräuchlicher Verwendung geschützt sind.

2. Leistungs- und Kostentransparenz müssen

~

die Planung eines bedarfsgerechten Leistungsangebots im Gesundheitswe- sen verbessern helfen

,

~

zur Entwicklung von Elementen ei- ner Q

u

alitätssicherung in der medizini- schen Versorgung beitragen sowie

~

zu sozialmedizinisch

-epidemiologi-

schen Erkenntnissen führen

.

3. Die Vertragspartner sollen unter Be- achtung von Kosten-Nutzen-Gesichts- punkten nach Möglichkeiten einer ko- stensparenden Zusammenarbeit su- chen und Vorschläge zur Verbesserung der Transparenz machen

. Modellversu-

che werden dabei als nützlich angese- hen

.

Aufwand und Nutzen der Datenerhe-

bung, -Verarbeitung und -Verwendung

müssen in einem angemessenen Ver-

hältnis zueinander steh en. Bei allen

Transparenzvorhaben sollte deshalb

bereits in der Vorbereitungsphase

sorgfältig geprüft werden

,

welcher per-

sonelle und sächliche Aufw(!nd erfor-

derlich ist und in welchem Verhältnis

dieser zu dem angestrebten bzw. er-

wartbaren Nutzen steht. ·Dies betrifft

auch schon die Frage

, welche Daten in

welchem Umfang und für welchen

Zweck erhoben werden.

D

(7)

e

Textfortsetzung von Seite 14 kämen oft wesentlich teurer.

Fiedler forderte die Krankenkas- sen, die vor allem nach Alternati- ven rufen, auf, selbst praktische Angebote für ihre älteren Versi- cherten zu machen -bis hin zur Förderung von Selbsthilfegrup- pen.

Neben diesen Fragen, die dem großen Thema der medizini- schen Orientierungsdaten zuzu- rechnen sind, beschäftigten die Konzertierte Aktion auch drei politische, zum Teil sehr brisan- te Themenkomplexe: Entwick- lung der Arztzahlen, Transpa- renz in der gesetzlichen Kran- kenversicherung und die Psych- iatrie-Enquete. Die Beratung über die "Umsetzung der Psych- iatrie-Enquete" war auf Wunsch des Bremer Gesundheitssena- tors Herbert Brückner auf die Tagesordnung gekommen. An- laß ist das Auslaufen des Modell- Programms der Bundesregie-

rung, mit dem ein loses Netz von

ambulanten und teilstationären Einrichtungen geknüpft werden sollte, im Jahre 1985. Manche Bundesländer haben die Mo- dell-Mittel offenbar in der stillen Hoffnung genommen, nach Aus- laufen des Programms werde sich schon ein Finanzier finden;

und das eine oder andere Bun- desland hat dabei wiederum an den Bund gedacht. ln der Kon- zertierten Aktion wurden derer- lei Hoffnungen zerstört. Staats- sekretär Werner Chory vom Bundesgesundheitsministerium sagte zwar die Unterstützung des Bundes bei der Übergangs- finanzierung zu, er dachte dabei aber vor allem an die Koordina- tion der Gesetzgeber in Bund und Ländern. "Die Lösung wird nicht darin liegen, daß der Bund sein Programm verlängert", ver- sicherte er. Das war nicht nach Brückners Geschmack, dessen Stadtstaat besonders aktiv Mo- delle aufgebaut hat (auch in der Absicht, via Psychiatrie modell- haft Strukturveränderungen im Gesundheitswesen vorzuexer-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Konzertierte Aktion: Krankenkassen und medizinischer Fortschritt

zieren). Brückner dramatisch: wenn es nicht gelinge, die Mo- delle weiterzufinanzieren, stehe das Renommee der deutschen Psychiatrie auf dem Spiel.

Hinter dem trockenen Titel "Fra- gen im Zusammenhang mit der Entwicklung der Zahl der Ärzte und Zahnärzte" steckten ver- trackte Probleme: Numerus clausus, Zulassung zur Kassen- praxis, Bedarfsplanung und schließlich auch Einkommens- erwartungen. Die Krankenkas- sen, vor Jahren beredte Befür- worter einer steigenden Zahl von Ärzten, um, wie es damals hieß, Versorgungslücken zu schließen und die ärztliche Ver- sorgung der Versicherten zu verbessern, sind schon seit ge- raumer Zeit ins Lager derer ge- wechselt, die vor den weiter steigenden Arztzahlen warnen und Konsequenzen fordern.

Zulassungssperren

oder Einkommenseinbußen?

Karl Kaula, der Vorsitzende des Verbandes der Angestellten Krankenkassen, klagte die ver- fehlte Bildungspolitik an, die

"Ärzteschwemme" verursacht zu haben! "Daß die Krankenver- sicherung den Preis für diese Politik bezahlen soll", erklärte er, "kann nicht als selbstver- ständlich angesehen werden". Steigende Arztzahlen könnten nicht mit steigenden Beitrags- sätzen finanziert werden. Das heiße, daß die Realeinkommen der Ärzte sinken müßten. Kaula machte eine simple Rechnung auf: "Wenn für den Umsatz von 35 Prozent mehr Ärzten ein Spielraum geschaffen werden soll, muß sich der Umsatz bei den schon bestehenden Arzt- praxen auf etwa 75 Prozent re- duzieren." Mit der Zunahme von Ärzten werde außerdem die ein- zelne ärztliche Leistung finan- ziell Zug um Zug abgewertet. Als

"Ultima ratio" sieht Kaula die Abkehr von der Einzelleistungs- vergütung.

Als Alternative bot Krankenkas- senvertreter Kaula "eine gene- relle Zulassungsbeschränkung"

an. Er forderte energisch, die bestehende Bedarfsplanung, die nach geltendem Recht ledig- lich auf Unterversorgung ab- stellt, alsbald zu ändern, und zwar mindestens im Sinne des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen; dieser hat- te Zulassungsbeschränkungen

"zur Gewährleistung einer gleichmäßigeren Versorgung"

vorgeschlagen. Karl Kaula und andere Kassenvertreter ließen aber deutlich durchblicken, daß ihnen diese noch relativ mode- rate Steuerung eigentlich zu we- nig ist. Ihnen wären wohl schär- fere Zulassungsbestimmungen lieber. Doch darüber haben sich die Kassen mit der Kassenärzt- lichen Bundesvereinigung nicht einigen können.

..,.. ln der Konzertierten Aktion bekräftigte KBV-Vorsitzender Muschallik, daß mit ihm und mit der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung nur Zulassungs- sperren im Sinne jener gleich- mäßigen Versorgung zu machen seien, weitergehende Beschrän- kungen seien nicht diskutabel.

..,.. Bundesarbeitsminister Blüm versicherte mehrfach, er wolle die Niederlassungsfreiheit der Ärzte nicht beschneiden. Blüm:

"Das wäre nicht nur verfas- sungsrechtlich unzulässig, son- dern auch ordnungspolitisch un- denkbar." Blüm blieb bei seiner ordnungspolitischen Maxime, obwohl er von Kassenseite hart bedrängt wurde, seine Auffas- sung zu überdenken.

Kaula begrüßte im übrigen ein- mal mehr die Verlängerung der kassenärztlichen Vorberei- tungszeit. Die Initiative des Bun- desgesundheitsministers ("Zwei Jahre Praxisphase") lehnte er hingegen namens der Kranken- kassen ab. Die Kassen haben sich inzwischen für ein anderes Modell erwärmt- die Pflichtwei- terbildung.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 1/2 vom 9. Januar 1984 (17) 17

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Konzertierte Aktion: Krankenkassen und medizinischer Fortschritt

Transparenz mit

beschränktem Datenschutz?

Schlichte Gemüter mögen von

"Transparenz in der gesetzli- chen Krankenversicherung" viel- leicht erwarten, nun solle der bürokratische Apparat durch- leuchtet werden, als der die ge- setzliche Krankenversicherung den Versicherten oft vorkommt, oder dem Patienten sollten die Leistungen, die der Arzt und an- dere an ihm vollbringen, spezifi- ziert werden. Die Konzertierte Aktion beriet zu diesem Thema etwas ganz anderes.

Für schlichte Gemüter wird, was der Sprecher der Kassen in die- ser Frage, der Geschäftsführer des Bundesverbandes der ln- nungskrankenkassen, Werner Gerlach, vorbrachte, kaum ver- ständlich gewesen sein. Die Insi- der freilich wußten, was hinter den verhüllenden Formeln stand.

Und darum ging es: Die Trans- parenz der Arztrechnungen ist nur ein Punkt. BdO-Vorsitzender Dr. Baizer sprach zwar davon, ihm als Kaufmann sei der Ge- danke einer spezifizierten Rech- nung sehr geläufig, doch schon Gerlach merkte an, daß solche

"Leistungs- und Kostentrans- parenz" den Nebeneffekt hät- ten, "Abweichungen zwischen den von Leistungserbringern abgerechneten Leistungen und den tatsächlich erbrachten Lei- stungen festzustellen". Trans- parenz also als Instrument der Kontrolle. Transparenz auch und vor allem aber als Instru- ment der Steuerung des Ge- sundheitswesens, der Aufdek- kung von Schwachstellen, wie es hieß, und dem Aufzeigen von Handlungsspielräumen. Altred Schmidt vom DGB, dem an de- rerlei Transparenz besonders liegt: "Die Prozesse müssen be- wußter gesteuert werden." Ger- lach umschrieb die Sache so: Die Auswertung der anfallenden

"Prozeßdaten" würde die Kran-

kenkassen in die Lage verset-

zen, "über ihre Rolle als Kosten-

träger hinaus wichtige Pla- nungs- und Steuerungsfunktio- nen ausüben zu können". Lei- stungs- und Kostentransparenz würden vor allem:

..,... die Planung von Einrichtun- gen und Leistungsangeboten im Gesundheitswesen im Sinne ei- ner bedarfsgerechten Versor- gung der Versicherten verbes- sern;

..,... Elemente einer Qualitätskon- trolle medizinischer Leistungen entwickeln;

..,... zusätzliche sozialmedizi- nisch-epidemiologische Er- kenntnisse gewinnen.

Bisher können die Krankenkas- sen nicht über sämtliche Patien- tendaten verfügen. Bekanntlich ist ein gewichtiger Teil jener Da- ten beim Arzt unter Verschluß.

Diese Daten kommen via Ab- rechnung allenfalls bis zu den kassenärztlichen Vereinigun-

Spendenaufruf der

Deutschen Dermatologen

Die Deutsche Dermatologische Gesellschaft sowie der Berufsver- band der Deutschen Dermatolo- gen e. V. haben gemeinsam alle Dermatologen deutscher Grade aufgerufen, einen finanziellen

Beitrag zum XVII. Weltkongreß für

Dermatologie 1987 in Berlin zu lei- sten. Eine jährliche Spende von etwa 100,- DM soll die Teilnahme von vielen, auch jungen Dermato- logen aus europäischen und au- Bereu ropäischen Ländern ermög- lichen. Die Spenden sind steuer- lich abzugsfähig, d. h. entspre- chende Quittungen werden zuge- stellt. Erbeten werden Spenden an: Dermatologischer Weltkon- greß Berlin 1987; Commerzbank Frankfurt (BLZ 500 400 00) Konto Nr. 58 93 235; Bezug: DER Con-

gress 87 161. WZ

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gen. Sie bleiben damit im ärzt- lichen Kreislauf. Die Kranken- kassen streben schon seit län- gerem danach, an diesen Kreis- lauf angeschlossen zu werden.

Modellversuche dazu gibt es.

Von der Konzertierten Aktion wurden solche Modellversuche - auf Antrag des Vertreters der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, Fritz Schnabel - ausdrücklich befür- wortet. Wieder ein Schrittehen

zur "Transparenz" .. .

Der Datenschutz, so versicherte auch bei dem Bonner Treffen je- dermann, werde selbstverständ- lich bei alldem gewahrt. Es blieb freilich beim Bekenntnis. Wie der Schutz genau aussehen soll, wurde in der Konzertierten Ak- tion nicht beschrieben, wohl aber, daß die Krankenkassen

"zur Erfüllung der ihnen durch Gesetz übertragenen vielfälti- gen Aufgaben Daten in perso- nenbezogener Form (benöti- gen)". Und: "Die Schaffung von mehr Transparenz bedingt ebenfalls die Erfassung der mit der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen aufgenommenen Daten" (Gerlach).

Dr. Eckart Fiedler legte offen, wie wenig Datenschutz unter

"Transparenz" wert sein kann.

Einige Krankenkassen, berichte- te Fiedler, hätten innerhalb von zwei Jahren mit Forschungsför- derungsmitteln des Bundes ihre Datenbestände in aller Stille so ausbauen können, daß ihnen ei- ne, wie es im Zwischenbericht über einen Modellversuch heißt,

"nahezu vollständige Abbildung

von Behandlungsursachen und Behandlungsverläufen" gelun- gen sei. Fiedler: "Also eine per- fekte Überwachung der Versi- cherten und des Verordnungs- verhaltens der Ärzte". Sein Re- sümee: Je umfangreicher und vollständiger solche Datenbe- stände würden, desto größer werde auch die Gefahr der miß- bräuchlichen Verwendung nicht nur bei den Krankenkas- sen. Norbert Jachertz

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ne Leistungs- und Kostentrans- parenz gegeben werden sollte- nicht nur zur Kontrolle, sondern auch zu seiner Information als mündiger Bürger über das, was für ihn an