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Archiv "Hauptversammlung des NAV-Virchowbundes „Offensiv-Programm“ zur Strukturreform" (26.11.1993)

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LITIK TAGUNGSBERICHT

D

er Vorsitzende des NAV- Virchowbundes (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e. V.), Dr.

med. Erwin Hirschmann, Kinderarzt aus München, gab .zum Auftakt der Bundeshauptversammlung seines Verbandes in Berlin eine Losung aus, die von den 87 Delegierten nicht im- mer beachtet wurde: „Der Blick zu- rück im Groll bringt im allgemeinen wenig, bis auf einige exemplarische Ausnahmefälle, mit denen müssen wir uns schon noch eingehend be- schäftigen." „Nur nicht unterkriegen lassen, den Blick nach vorn und nach allen Seiten offen", war denn auch die Devise während der dreitägigen Bundeshauptversammlung des NAV- Virchowbundes in der traditionsrei- chen Charit6 zu Berlin.

Ein vom Vorstand kurzfristig er- arbeiteter Leitantrag zu Sachthemen der Strukturreform ist durch State- ments und ein Konvolut von 80 An- trägen ergänzt und fundiert worden.

Am Ende des fünfzehnstündigen Sit- zungsmarathons ist der Leitantrag des Bundesvorstandes zum Beschluß erhoben worden. Die Delegierten be- kundeten: Die Ärzteschaft befindet sich in einem Dauerdilemma. Einer- seits solle der Arzt den Patienten im ambulanten und im stationären Be- reich unverzüglich die Errungen- schaften des medizinischen und tech- nischen Fortschritts in einer Art Vollversorgung über die Krankenver- sicherungen zugänglich machen, an- dererseits habe der Arzt den „Schlüs- sel zum Geldschrank der Kranken- kassen" in der Hand, er sei hauptver- antwortlich für die veranlaßten Lei- stungen, für Krankenhausüberwei- sungen und AU-Bescheinigungen, ihm obliege die Verantwortung für Effizienzkontrollen und die Quali- tätssicherung. Die Ärzteschaft müsse sich damit abfinden, daß sie ständig als Buhmann für alles und jedes her- halten müsse und für die anhaltende Kostenexpansion trotz der Kosten- dämpfungs- und Strukturgesetze ver- antwortlich gemacht werde. Wenn jetzt von der Bonner Regierungskoa- lition landauf, landab verkündet wer- de, daß Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer eine schwierige Auf- gabe erhalten und diese inzwischen hervorragend gelöst habe, so müsse

Hauptversammlung des

die Ärzteschaft darauf hinweisen, daß dies allerdings ausschließlich auf dem Rücken der Patienten und der Leistungserbringer, vor allem auch der Ärzte und der Pharmaindustrie, geschehen sei. Dies müsse sich än- dern und der Öffentlichkeit verdeut- licht werden, daß die dritte Reform- stufe sich nicht wieder in hecken- schnittartigen interventionistischen Sparaktionen und Kostendämpfungs- orgien erschöpfen dürfe.

Blick nach vorn

In seinem Programm zur Struk- turreform konstatiert der NAV-Vir- chowbund: „Fundamentalistische Haltungen von ärztlichen Körper- schaften und ärztlichen Verbänden zur Zementierung des Status quo"

seien zunehmend obsolet, „denn mit Rezepten der Vergangenheit ist die Zukunft nicht zu gestalten".

Der Verband der Niedergelasse- nen warnt davor, die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und ih- re tragenden Prinzipien zur Spielwie- se für Reformexperimente und zur Profilierung von machtbewußten Po- litikern zu mißbrauchen. Der NAV- Virchowbund will an den Leitprinzi- pien der sozialen Krankenversiche- rung nicht gerüttelt wissen. Vor al- lem müsse Tendenzen zur Auflösung der Krankenversicherung und einer Entmischung und Entsolidarisierung gemeinsam zu finanzierender Ge- sundheitsrisiken Widerstand entge- gengesetzt werden. Allerdings dürfe dies nicht so starr und schematisch geschehen, daß notwendige Flexibili- sierungen unterbunden und die not- wendige Öffnung für Alternativge- staltungsformen verbaut werden. Dr.

Hirschmann empfahl, in die reform- politischen Überlegungen auch das Health Maintenance Organization- System (HMO), wie es in den USA seit mehr als zehn Jahren praktiziert

wird, einzubeziehen. Sollte dadurch allerdings die Freiberuflichkeit und die freie Arztwahl der Patienten auf- gehoben werden, käme dies für den Verband der niedergelassenen Ärzte nicht in Frage. Das HMO-System dürfe im bundesdeutschen Gesund- heitswesen nicht dazu eingesetzt wer- den, um einen exzessiven Wettbe- werb zu Lasten der Leistungserbrin- ger und der Patienten zu inszenieren.

Keinesfalls dürften mit Hilfe von Health Maintenance Organizations eine Atomisierung der Vertragsbe- ziehungen von Vertragsärzten und Krankenkassen einhergehen und die Krankenkassen instand gesetzt wer- den, ihre „Einkaufstheorie" zu La- sten der Ärzteschaft durchzusetzen.

Neue

Finanzierungsbasis

Ähnlich wie die politischen Par- teien und Bundesgesundheitsmini- ster Horst Seehofer spricht sich auch der NAV-Virchowbund dafür aus, die Finanzierungsbasis der Kranken- versicherung (lohnbezogene Sozial- abgaben) zu überprüfen. Die Bei- tragsfinanzierung solle unter Berück- sichtigung der Leistungsfähigkeit al- ler Beitragszahler ausgewogen neu geordnet werden.

Der NAV-Virchowbund plädiert dafür, die GKV auf ihre ureigensten Aufgaben zurückzuführen und sie von versicherungsfremden und -fer- nen Leistungen zu entfrachten. Fa- milien- und bevölkerungspolitische Leistungen, wie etwa Mutterschafts- hilfen, seien politisch gewollt. Deren Kosten und Folgen dürften nicht aus- schließlich der Krankenversicherung aufgebürdet werden.

Hatte der Vorstandsentwurf noch eine Aufteilung der ärztlichen Versorgung in Regel- und Wahllei- stungen strikt abgelehnt, so wurde in der beschlossenen Leitantragsfas-

NAV-Virchowbundes

„Offensiv-Programm"

zur Strukturreform

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 47, 26. November 1993 (21) A1-3113

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POLITIK

E

sung postuliert, eine Aufteilung der ärztlichen Versorgung so lange abzu- lehnen, „bis eine eindeutige medizi- nische und fiskalische Definition die- ser Kategorie erfolgt ist". In einem Entschließungsantrag heißt es, wer für ein Verbundsystem ambulant-sta- tionär plädiere, müsse auch Vor- schläge zur gemeinsamen Finanzie- rung und zur gleichgerichteten Orga- nisation unterbreiten. Nur so könn- ten Rationalisierungsreserven mobi- lisiert werden. Ein vom Vorsitzenden des Landesverbandes Bayern des NAV-Virchowbundes, Dr. med.

Manfred Blinzler, Kronach, initiier- ter Antrag postuliert die Aufhebung der herkömmlichen Trennung von ambulanter und stationärer Versor- gung und die Beseitigung der zwei völlig unterschiedlichen Finanzie- rungs- und Rechtssysteme. Statt des- sen sollte zwischen medizinischer und pflegerischer Versorgung unter- schieden werden.

Patientenbezogene Versorgungsstruktur

Der NAV-Virchowbund progno- stiziert, daß der Risikostrukturaus- gleich und die Wahlfreiheit auch für versicherte Arbeiter ab 1996/97 den Wettbewerb zwischen den Kranken- kassen und Kassenarten verschärfen mit der Möglichkeit für die Ärzte, neue patientenbezogene Versor- gungsstrukturen zu entwickeln und dort, wo sie sich bewährt haben, aus- zubauen. Das „Verzahnungsmodell"

(nicht: „Verbeißung") sieht eine durchgängige, gestufte (nicht paralle- le) Patientenversorgung vor: Im Mit- telpunkt der ambulanten Versorgung sollen neben der traditionellen Solo- praxis vermehrt Praxisgemeinschaf- ten und fachgebietsgleiche und fach- gebietsverbindende Gemeinschafts- praxen stehen. Sie seien in vieler Hinsicht der Einzelpraxis überlegen, nicht nur was die Kostensituation und die Qualität der Leistungserbrin- gang sowie die Versorgung rund um die Uhr betrifft. Die „so aktivierten Rationalisierungsreserven könnten auch dazu beitragen, Honoraraus- gleiche unter den verschiedenen Fachgruppen erträglich zu gestal- ten", heißt es in einem Beschluß. Er-

TAGUNGSBERICHT

gänzend wurden kooperative Praxis- formen (Schwerpunkt- und „Satelli- tenpraxen") empfohlen.

Kompromißlos wurden die durch das GSG verhängten Zugangs- drosselungen und absoluten Zulas- sungssperren (ab 1999) abgelehnt.

Besonders extrem gelagerte „Fälle"

sollen vor den Sozialgerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht ideell und materiell unterstützt werden.

Seit langem streitet der NAV- Virchowbund für ein funktionieren- des, modernes, kooperatives Beleg- arztwesen und die Förderung des ambulanten Operierens im Bereich der niedergelassenen Praxis. Um die vorhandenen Operationseinrichtun-

Dr. Erwin Hirschmann: Vorsitzender des NAV-Vir- chowbundes

gen im stationären Bereich besser auszulasten, sollten die Kranken- hausärzte und ambulant tätige Ärzte enger kooperieren; Niedergelassene sollten geeignete Klinikstrukturen für ambulantes Operieren gemein- sam mit den Krankenhausärzten nut- zen. Umgekehrt sollten Kranken- hausärzte an von niedergelassenen Ärzten eingerichteten Operations- einrichtungen mitwirken können.

Doppelarbeit, Doppelvorhaltun- gen und Doppeldiagnosen und -un- tersuchungen dürfe es schon aus fi- nanziellen Erwägungen nicht mehr geben, so Dr. med. Klaus-Michael Hahn, Delegierter aus München, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Belegärzte, zugleich Vor- sitzender des Bundesarbeitskreises

„Ambulantes Operieren" im NAV-

Virchowbund. Das bundesdeutsche Gesundheitswesen vertrage keine

„doppelläufige Entwicklung". Der vielbeschworene Graben zwischen ambulanter und stationärer Versor- gung müsse zugeschüttet werden.

Essentials zur Honorarpolitik

Die von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geplante Umstel- lung beim Einheitlichen Bewertungs- maßstab (EBM) wird vom Verband der Niedergelassenen unterstützt.

Dadurch könnten sich — bei befri- stet gedeckeltem Honorar/Budget — Perspektiven ergeben, den bislang nicht zu bremsenden Punktwertver- fall aufzuhalten und die Leistungsfä- higkeit von Praxen zu sichern. Die Delegierten aus den neuen Bundes- ländern appellierten an die inner- ärztliche Solidarität bei der Honorar- politik. Dr. med. Carola Paul, Eilen- burg/Sachsen, berichtete, daß allein in ihrem KV-Bereich mehr als 5 000 Praxen existentiell bedroht seien.

Hier tendiere der Punktwert auf sechs bis fünf Pfennige, ein existenz- vernichtender Level, der zur Resi- gnation führt. Der NAV ist für die Einführung von Grundhonoraren zur Vergütung sogenannter hausärztli- cher Leistungen, die Zusammenfas- sung bestimmter Leistungen zu Ge- bührenkomplexen, spricht sich aber strikt gegen eine Totalpauschalie- rung aus, weil dies zu Qualitäts- und Leistungsverlusten führe und den Freien Beruf sozialisiere. Der Arzt müsse „aus einer kompatiblen und begrenzten Vielfalt von Vergütungs- formen" diejenige frei wählen kön- nen, die seiner Praxissituation ent- spricht — also ein Mix aus Einzellei- stungsvergütung, Pauschalvergütun- gen und Komplexgebühren. Komple- xe Vertragsgestaltungen für Ärzte- gruppen könnten — ähnlich dem HMO-System — lokal eine sinnvolle Variante darstellen. Die Kranken- kassen werden aufgefordert, für die Vergütung hausärztlicher Leistun- gen, Leistungen des ambulanten Operierens und der psychotherapeu- tischen Behandlung zusätzliche Mit- tel (außerhalb des Budgets) zur Ver- fügung zu stellen. Dr. Harald Clade

A1-3114 (22) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 47, 26. November 1993

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