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Archiv "Sterbehilfe: Diskurs selbst schafft Akzeptanz" (28.06.2013)

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A 1314 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 26

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28. Juni 2013

T H E M E N D E R Z E I T

STERBEHILFE

Diskurs selbst schafft Akzeptanz

Experten diskutierten bei einer Tagung in Alt Rehse über aktuelle Probleme der Medizin am Lebensende.

T

he road to hell is paved with good intentions“ – dies könnte leitmotivisch über der Veranstaltung

„Euthanasie, Palliation, Sterbehilfe.

Die alte und neue Debatte über Euthanasie und die Medizin am Lebensende“ stehen, die Anfang Ju- ni in der „Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse“

nahe Neubrandenburg stattfand. Wenn es rechtsverbindliche Regelungen zur aktiven Sterbehilfe gibt, befindet man sich offenbar sehr rasch auf ei- ner schiefen Ebene, auf der es kein Halten mehr gibt. Dies machten bei- spielsweise die Ausführungen von Dr. Michael Wunder, Mitglied des Deutschen Ethikrats, deutlich.

Schrittweise Ausweitung

Gerade der Blick auf die Niederlan- de zeige, wie automatisch in einem gut gemeinten Gleichheitsbestreben die Regelung zur Sterbehilfe Schritt für Schritt ausgeweitet werde und auf immer mehr Gruppen Anwen- dung finde. „Es gibt keine stabile Grenze“, betonte Wunder mit Ver- weis auf die Entwicklung im Nach- barland. Euthanasie gelte in den Nie- derlanden als ein Zeichen persönli- cher Freiheit; nicht zuletzt deshalb

sei die Euthanasie dort im Jahr 1999 straffrei gestellt und 2002 gesetzlich erlaubt worden. „Wenn es einmal er- laubt ist, gibt es aber immer wieder Grenzfälle“, führte Wunder aus. So formuliert das Groningen-Protokoll von 2004 die Kriterien, nach denen aktive Sterbehilfe bei nicht einwil - ligungsfähigen Neugeborenen und Kindern bis zwölf Jahre geleistet werden darf, ohne strafrechtlich be- langt zu werden. Inzwischen gebe es in den Niederlanden Diskussionen um die Einbeziehung von weiteren Bevölkerungsgruppen in die straf- freie aktive Sterbehilfe, etwa von sterbewilligen 16- bis 18-Jährigen oder von Demenzkranken. Disku- tiert werde über die frei erhältliche Euthanasiepille und mobile Eutha- nasieteams. Die Zahl der gemelde- ten und dokumentierten Euthanasie- fälle in den Niederlanden sei im Zeitraum von 2005 bis 2010 konti- nuierlich gestiegen, von 2 325 auf 3 136 jährlich. In einer Grauzone – statistisch nicht erfasst – werde die palliative Sedierung verstärkt einge- setzt. Wunder sieht hier die Gefahr einer um sich greifenden terminalen Behandlungsweise ohne ausreichen- de Dokumentation.

Wunder empfiehlt gleichwohl den Deutschen etwas Zurückhaltung bei der Beurteilung der niederländi- schen Verhältnisse. Auch hierzulan- de seien im Grunde aktive und pas - sive Euthanasie nicht mehr scharf voneinander abgrenzbar, wenn der mutmaßliche Wille herangezogen werde. Habe man früher unter passi- ver Sterbehilfe die Unterlassung oder den Abbruch medizinischer Maßnahmen, wenn der Sterbepro- zess unmittelbar bevorstand, ver- standen, so finde heute passive Ster- behilfe bereits bei schwerwiegenden

Erkrankungen statt – unabhängig vom Krankheitszustand. Wunder konstatiert die Tendenz zur Auswei- tung der absetzbaren Maßnahmen.

Gegen präzise Regelungen

Doch wie soll die ärztliche Selbst- verwaltung mit diesem Sachverhalt umgehen? „Was ist besser: geregel- te Normen, die notwendigerweise immer mehr zu einer Ausweitung führen, oder schweigen, im Wissen darum, dass es mehr oder weniger legitimierte Tötung gibt?“, fragte auf der Tagung in Alt Rehse der Geschäftsführer der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Wolfgang Klitzsch.

Es komme darauf an, die Anzahl der Verstöße möglichst gering zu halten; und wenn man davon ausge- he, dass der Diskurs über die Ster- behilfe allein schon Akzeptanz schaf - fend sei, gebe es gute Argumente dafür, es dabei zu belassen, dass nicht alles klar geregelt sei. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies nach Klitzsch: „Klarheit in der Dogmatik und Barmherzigkeit im Einzelfall.“

Auch der Präsident der Bundes- ärztekammer fürchtet die schiefe Ebene, wenn der ärztlich assistier- ten Suizid zum öffentlichen Thema wird. „Wenn Sie einmal in diese Debatte einsteigen, werden Sie auf einem niedrigeren Niveau wieder herauskommen“, erklärte Prof. Dr.

med. Frank Ulrich Montgomery.

Vor dem Hintergrund der Entwick- lung in den Niederlanden wendet er sich gegen ein präzises Regelungs- werk. Als ein Kernproblem sieht auch er aktuell den Vorgang der palliativen Sedierung. Hier müsse sichergestellt sein, dass sich diese nicht zu einer verschleierten Form der Euthanasie entwickele.

Thomas Gerst Die Grenze zwi-

schen aktiver und passiver Sterbehilfe wird markant, wenn der mutmaßliche Wille herangezogen wird.

Foto: picture alliance

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