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Archiv "Euthanasie gestern – Sterbehilfe heute?: ... das persönliche Schicksal" (25.02.1988)

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Ärztliche Anmaßung

Prof. Dörner hat in dankens- werter Weise die historische Ent- wicklung des Euthanasie-Gedankens im Laufe der vergangenen 100 Jahre offengelegt und die von den jeweili- gen Verfechtern dieser Idee zur Be- gründung angeführten „Philoso- phien" dargestellt. Es beeindruckt, wie diese sich durchgehend als be- sonders liberal-fortschrittlich und ebenso souverän wie überheblich ge- rierten. Bemerkenswerterweise hat es offenbar immer wieder und noch dazu namhafte Vertreter des ärzt- lichen Standes gegeben, die sich ein Urteil über Sinn und Wert des Le- bens der ihnen anvertrauten kran- ken oder behinderten Menschen mit absoluter Sicherheit zutrauten — oder anmaßten. Offensichtlich gibt es sie auch heute noch, wenn auch in anderem, dem Geschmack der Zeit angepaßten Gewande. Oder war es etwa nicht eine Verstiegenheit sagen zu wollen, was die für unheilbar ge- haltenen psychisch Kranken für sich wünschten oder gewünscht hätten, falls sie dies zu artikulieren im Stan- de gewesen wären? Und wie frag- würdig und kurzlebig hat sich die

„wissenschaftlich gesicherte" Defi- nition der Unheilbarkeit doch schließlich erwiesen!

Die Anmaßung, für den alten und kranken, aber durchaus noch le- bens- und erlebnisfähigen Menschen die Entscheidung über die Akzep- tanz des durch mitmenschliche „Hil- fe" herbeigeführten Todes treffen zu können, erscheint auch in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft kei- neswegs unvorstellbar. In einer Zeit, in der mehr als je zuvor hilfsbedürf- tige alte und kranke Menschen aus den Familien ausgegliedert oder, wenn ohne Angehörige, erst recht als soziale Belastung empfunden werden. Sehr treffend erscheint mir eine in dem Artikel über den „Al- ternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe" im Deutschen Ärzte- blatt 39/84 gewählte Formulierung:

nämlich daß bestimmte Umstände dazu führen könnten, daß der Pa- tient den Eindruck gewinnt, man er- warte . . . von ihm die erlösende Willenserklärung. Man könnte er- gänzen, daß der in seinem Lebens-

willen geschwächte, aber im Grunde doch noch leben wollende alte Mensch einem solchen Ansinnen na- türlich nicht mehr viel Widerstand entgegensetzen würde. Damit wäre aber in der Tat der Gedanke der Schutzwürdigkeit menschlichen Le- bens als Wert an sich endgültig auf- gegeben . . . Ob uns die in den letz- ten Jahren so häufig bemühte Besin- nung auf die ärztliche Ethik vor ei- ner solchen Entwicklung wird be- wahren können?

Dr. med. G. Kautz Arzt für Neurologie und Psychiatrie Rohrbacher Straße 71 6900 Heidelberg

Recht des Patienten — Pflicht des Arztes

Die uralte Thematik der Eutha- nasie nach heutigen Vorstellungen neu beleuchtet zu haben, erscheint verdienstvoll. Um einen festen Standpunkt zu gewinnen, sollte man jedoch nur von zwei Größen ausge- hen, nämlich 1. von dem Recht des Patienten auf Selbstbestimmung, und 2. von der Pflicht des Arztes zu heilen, aber nicht zu töten. Hier als eine weitere Größe noch einen

„gleichermaßen fundamentalen Ge- genwert" einzuführen, „der etwa als Schutz des Leben zu bezeichnen wäre", wie es Dörner vorschlägt, heißt, die Frage nach dem Sinn des Lebens aufwerfen, die zu beantwor- ten der heutige Stand unserer Zere- bration nicht ausreicht, und die des- halb hier gegenstandslos bleibt.

Nur der Patient allein vermag aufgrund seines bisherigen Lebens- schicksals abzuwägen, ob er sein En- de einem weiteren Leiden vorzieht.

Nur der Arzt allein vermag aufgrund seines Wissens um dieses Schicksal und um den weiteren Verlauf der Erkrankung zu erkennen und zu er- fühlen, inwieweit hier der große Notstand eines Lebensendes vor- liegt, wo er noch helfen und heilen kann. Denn auch das Ende des Le- bens bedarf der Heilkunst. Auf dem weiten Feld des Rechtes des Patien- ten und der Pflicht des Arztes, wo sich wie überall auch Mißbegriffe und Mißbräuche einstellen können,

gibt es keine kollektiven Richtlinien Es findet dort eine Begegnung zwei- er Menschen desselben Kulturkrei- ses in jener Einsamkeit statt, wo sich Qual und Barmherzigkeit begegnen.

Welcher Arzt angibt, er hätte noch nie aktive Sterbehilfe geleistet, entbehrt der Selbstkritik. Wahr- scheinlich hat er noch nie volle Eu- thanasie geübt, gewiß aber 1/2, 1/4,

1/8, 1/16 Euthanasie, wie er sie einer leidenden Kreatur in wiederholten schmerzstillenden Injektionen zuteil werden und damit gleichzeitig deren Leben über die damit verbundene Dämpfung von Kreislauf- und Atemzentrum früher erlöschen ließ.

In der Frage der Sterbehilfe steht je- der Arzt seinem Patienten immer nur allein gegenüber. Nur er vermag zu übersehen, wie weit er gehen kann, nein muß. Diese Individual- Situation regeln zu wollen, doku- mentiert Weltfremdheit und Heu- chelei.

Dr. med. habil. August Vogt Mattenweg 7

CH-9403 Goldach

... das persönliche Schicksal

Herrn Dörner ist meines Erach- tens insoweit zuzustimmen, als mit der Auseinandersetzung um ein grundsätzliches Gerechtfertigtsein von Sterbehilfe ein Diskussionsthe- ma öffentlich gemacht wird, das für Pauschalisierungen und Simplifizie- rungen im Sinne der Bild-Zeitung sehr anfällig ist. Was im öffentlichen Moralverständnis das Endergebnis sein wird, ist für die, die die Diskus- sion initiiert haben, tatsächlich nicht mehr zu kontrollieren. Dennoch ist das Problem damit nicht gelöst.

Denn der Arzt, der von seinem lei- denden Patienten um Sterbehilfe ge- beten wird, wird sich abseits von sei- nen Prognosen über die gesamtge- sellschaftliche Entwicklung ethi- scher Vorstellungen mit einem per- sönlichen Schicksal auseinanderset- zen müssen. Der Versuchung, dem Bitten eines Patienten nachzukom- men, werden dabei vermutlich be- sonders die Ärzte erliegen, die sich in die Situation des Patienten verset- zen und zu dem Schluß gelangen, daß sie selbst sich an dessen Stelle ebenfalls umbringen würden. Da A-418 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 8, 25. Februar 1988

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aber der Patient nicht die Mittel zum humanen (?) Sterben zur Verfügung hat, wie der „allmächtige" Arzt, mag der Arzt den moralischen Druck verspüren, dem Patienten das zur Verfügung zu stellen, was auch er selbst für sich nutzen würde. Der Arzt, der die Situation als hoff- nungslos, qualvoll und sinnlos er- lebt, wird seinen Patienten auch den von Dörner geforderten Zuspruch nicht geben können — und vielleicht nicht geben wollen, weil er befürch- ten muß, unwahrhaftig zu sein.

Abseits davon brauchen wir uns nichts vorzumachen: Der Arzt ist in weiten Bereichen schon zum Herrn über Leben und Tod geworden, wenn er dem schwer zerebral ge- schädigten Unfallopfer die Antibio- se verweigert oder dem ateminsuffi- zienten Karzinom-Patienten die Be- atmung vorenthält. Letztlich ist auch dies Töten durch Unterlassen, und wer glaubt, er lasse nur der Natur seinen freien Lauf, macht sich selber etwas vor. Die Zeiten, wo die Natur den Zeitpunkt des Sterbens be- stimmt hat, sind in den Krankenhäu- sern meist vorbei. Dies soll kein Vo- tum sein für eine gesetzlich geregelte Euthanasie. Statt dessen sollte deut- lich werden, daß die Entscheidung zur Sterbehilfe — wie zum Selbst- mord — immer eine subjektive Ent- scheidung sein wird, die man gesetz- lich sanktionieren, die man auch ge- sellschaftlich ächten kann, die aber oft für sich in Anspruch nehmen kann, in der Auseinandersetzung mit dem Sinn des eigenen Lebens getroffen worden zu sein. Ob all die, die dogmatische Durchhalteparolen für elend sterbende Patienten ausge- ben, diese Sinn-Frage für den Pa- tienten überzeugend beantworten können, vermag ich aus meiner Er- fahrung nicht zu beurteilen.

Martin Reeker Assistenzarzt

v. Bodelschwinghsche Anstalten Maraweg 21

4800 Bielefeld 13

Absolutwert

. . .

Sie sprechen von der Ver- schränkung der beiden Grundwerte, des Rechts auf Selbstbestimmung

und des Lebensschutzes, die in dem Satz „Das Leben gehört mir, doch ich gehöre auch dem Leben" zum Ausdruck kommt. Auf der einen Seite eine Forderung, deren Durch- setzung und Inanspruchnahme uns

„selbstverständlich" erscheint, auf der anderen Seite aber die absolute, über menschlicher Entscheidungsge- walt liegende Wertigkeit des Le- bens. Daß diese beiden Positionen so ungleich gewichtet sind . . . oder gar nicht mehr als zwei Seiten der- selben Münze wahrgenommen wer- den, ist das Grundproblem . . . Von der Lösung dieses Grundproblems oder wenigstens von seinem „Be- wußt-Werden" hängt für jeden von uns nicht nur die Haltung zur Ster- behilfe ab, sondern sehr viel mehr.

Schauen wir uns aber nun ein- mal die beiden Grundwerte ganz ge- nau an: Wie ist es denn mit der .. .

„Selbstbestimmung" bestellt? An die Stelle der offensichtlichen, dikta- torischen Autorität des Staates und der Kirche sind, zumindest in der

„Ersten Welt", wie sie ja wohl ge- nannt werden will . . . , nun die stän- dig anwesenden Sachzwänge, der übermächtige Druck der „Normali- tät", die schleichenden Verführer, das Modediktat des „in" und „out"

und die allgegenwärtige Macht der Medien. Die Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft ist eine Illu- sion, freilich eine, die sehr hoch im Kurse steht.

Nun die andere Seite: der Wert des Lebens an sich, über das dem Menschen keine Entscheidung ob- liegt. Ich glaube: Nur wenn ich die- sen Absolutwert anerkenne, kann ich überhaupt Arzt sein. Es ist dem Menschen gesagt: „Du sollst nicht töten. " Auch wenn er noch so oft versagen mag vor diesem Anspruch, er muß sich seines Versagens wenig- stens bewußt werden! Ich meine da- mit auch: Es liegt vielleicht gar nicht in juristischer Entscheidungsgewalt, Straffreiheit oder Strafbarkeit von Handlungen festzusetzen, die an die Grundsubstanz, „ans Leben" ge- hen. In einem Staat, der für alles und jedes Gesetze hat, ein sicherlich irritierender Gedanke.

Aber: Wie noch einen Wert, vielleicht gar einen Absolutwert in einer Zeit erklären, in der die Ent-

Wertung eben dieses Begriffes schon lange zum Alltag gehört? — Die Ent- wertung des menschlichen Lebens, das wegen politischer Ideologien, re- ligiöser Zwistigkeiten oder aus pu- rem Gewinnstreben überall auf der Welt leichthin geopfert wird — als lo- gische Konsequenz dieser Entwer- tung dann die industrielle Vernich- tung, ein Gedanke, nein: eine Tatsa- che!, die eigentlich kein Mensch fas- sen können dürfte. . . . Was Wun- der, wenn den Menschen ihr eigenes Leben, ihr Recht auf Sterben und auf Töten immer selbstverständ- licher zu werden scheint? . . . Noch ein Gedanke zum Begriff „lebens- unwertes Leben": Wir alle sind ge- neigt, die Entwicklung des Lebens gleichsam als „von unten nach oben", vom Niederen zum Höheren zu sehen. Wie aber, wenn diese Sichtweise falsch, ja sogar die Ursa- che unseres Dilemmas wäre? In der Entwicklung des Menschen scheint uns dieses „vom Niederen zum Hö- heren" wiederzukehren: vom Zell- haufen zum intelligenten Wesen, das sich die Erde untertan macht. Und die Skrupel, Leben zu „beseitigen", nehmen ab, je „tiefer" es steht .. . Wer dürfte das Wort „lebensun- wert" aussprechen? Außer Gott, der aus der Mode gekommen ist?

Ich als Arzt jedenfalls nicht, ob das Gesetz mir nun Straffreiheit zusi- chert oder nicht.

Nein, wir als Ärzte müssen wo- anders ansetzen. Wie muß es um un- sere Medizin, um unsere Kranken- häuser bestellt sein, wenn darin so große Einsamkeit und Angst herrscht, daß ein Mensch sicher eher den vom Arzt verabreichten Tod wünscht als sein eigenes Sterben in Leid und Schmerzen zu ertragen?

Das Leiden und das Sterben können Ärzte dem Menschen nicht abneh- men, wir können nur lindern, aber dazu sind wir auch verpflichtet! Und unerträgliche Schmerzen muß kein Mensch heute mehr erdulden! .. . Den behutsamen Umgang mit der Seele des Menschen müssen wir ler- nen, denn um diese geht es, wenn

ein Mensch vom Leben zum Tode

kommt

Dagmar Kitta, Ärztin Reinhard-Hoppe-Straße 17 6900 Heidelberg

Ärztebl. 85, Heft 8, 25. Februar 1988 (31) A-419 Dt.

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