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Archiv "Sterbehilfe: „Schmerzfreiheit ist immer möglich“" (01.09.2014)

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A 1446 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 35–36

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1. September 2014

STERBEHILFE

„Schmerzfreiheit ist immer möglich“

Äußerungen des EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider haben die Debatte über organisierte Sterbehilfe neu entfacht. Politiker und Ärzte beziehen Stellung.

A

nne Schneider und ihr Mann Nikolaus sind sich alles ande- re als einig. „Ich hoffe, wenn ich selbst an den Punkt kommen sollte, sterben zu wollen, dass mein Mann mich dann in die Schweiz begleitet.

Dass er neben mir sitzen und meine Hand halten würde, wenn ich das Gift trinke“, sagte Anne Schneider, die vor kurzem an Brustkrebs er- krankte Frau des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Nikolaus Schneider vertritt da- gegen die Position: „Begleitung bei weitgehender Schmerzfreiheit – die muss gesichert sein. Aber ein Giftcocktail ist ausgeschlossen.“

Er hat sich damit von der offiziel- len Haltung seiner Kirche nicht entfernt. In der zweiten Auflage der gemeinsam von der EKD und der katholischen Deutschen Bi- schofskonferenz veröffentlichten Stellungnahme „Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe“ aus dem Jahr 2011 heißt es: „Es gibt einen entscheidenden ethischen Unter-

schied zwischen Töten und Ster- benlassen, der nicht eingeebnet werden darf. Jede vorzeitige, di- rekte und gewollte Beendigung des Lebens bedeutet, das unantastbare Recht des Menschen auf sein Da- sein zu verletzen, und stellt damit einen Verstoß gegen die Men- schenwürde dar.“

Dennoch will Schneider dem Wunsch seiner Frau entsprechen.

Die Liebe sei für ihn entscheidend:

„Am Ende würde ich sie wohl ge- gen meine Überzeugung begleiten.“

Für diese Aussage erhielt der EKD- Vorsitzende, der wegen der Erkran- kung seiner Frau im November sein Amt aufgeben wird, viel Verständ- nis. So fragte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, ob es nicht ein

„großer Unterschied ist, ob jemand aus Mitgefühl und lebenslanger Verbundenheit mit einem Schwerst- kranken dessen letzten Wunsch er- füllt oder ob man aus dem Wunsch vieler Menschen, aus Angst vor un- erträglichen Schmerzen oder lan- gem Siechtum ein Geschäftsmodell macht und hierfür auch noch öffent-

lich wirbt?“. Die meisten Menschen wüssten allerdings zu wenig von den vielen Möglichkeiten, welche die Medizin zur Begleitung Ster- bender hat, gibt Prof. Dr. med.

Frank Ulrich Montgomery zu be- denken. Der Präsident der Bundes- ärztekammer: „Da müssen wir an- setzen und Hilfe zum Leben geben, nicht Hilfe zum Sterben.“

Bundesgesundheitsminister Her- mann Gröhe (CDU) maßt sich kein Urteil an über Menschen, die in schwerster Not eine solche Ent- scheidung treffen. Er warnte im

„Tagesspiegel“ aber auch davor, die

„Selbsttötung zu einem Akt wahrer Freiheit“ zu verklären. Der Pallia- tivmediziner und Vorsitzende der Deutschen Palliativstiftung, Tho- mas Sitte, erklärte, dass er seine Frau ebenfalls in die Schweiz be- gleiten würde. „Und ich würde sie bis zum Schluss bitten: Tu es nicht.“ Sitte fragt sich allerdings, warum Schneider und seine Frau ihre Überzeugung in zwei großen Interviews mitgeteilt hätten. „Es könnte Unsicherheit sein, es könnte aber auch die übergroße Betroffen- heit sein.“

Zum Sterben in die Schweiz Die Äußerungen des EKD-Vorsit- zenden und eine jetzt veröffentlich- te Studie haben die Debatte über eine gesetzliche Regelung der Ster- behilfe neu beflügelt. Die Zahl der Menschen, die in die Schweiz rei- sen, um dort einen assistierten Sui- zid in Anspruch zu nehmen, hat sich nämlich innerhalb von drei Jahren verdoppelt. Das berichten Autoren um Dr. Saskia Gauthier vom Institut für Rechtsmedizin in Zürich. Ihre Untersuchung ist im

„Journal of Medical Ethics“ er- schienen. Deutsche und Engländer sind laut der Erhebung die beiden größten Gruppen unter den auslän- Von den vielen

Möglichkeiten, die die Medizin zur Be- gleitung Sterbender

hat, wissen die meisten Menschen zu wenig.

Foto: Laurent Villeret Picturetank/Agentur Focus

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A 1448 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 35–36

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1. September 2014 dischen „Selbstmordtouristen“. Die

Forscher diskutieren, ob das Phäno- men des „Selbstmord-Tourismus“

in Deutschland, Großbritannien und anderen Ländern eine Diskussion über Sterbehilfe angeregt hat. Zahl- reiche Politiker hierzulande haben jedenfalls im Vorfeld einer gesetz- lichen Regelung zum assistierten Suizid zu dieser Thematik Stellung bezogen. So betonte Gröhe, dass er Angebote einer kommerziellen Sterbehilfe als „Geschäftemachen mit dem Tod“ ablehnt.

Der CDU-Bundestagsabgeord- nete Michael Brand, der für die Union die fraktionsübergreifenden Gruppenanträge koordiniert, mach- te in einem Interview mit dem Deutschlandradio darauf aufmerk- sam, dass Menschen, die sich schwach und alt fühlen, Sorge ha- ben könnten, dass auf sie Druck ausgeübt würde. „Die Entwicklung in anderen europäischen Ländern zeigt das ja. Sie haben in den Nie- derlanden ein Recht auf Töten auf Verlangen. Sie haben in Belgien in den letzten Monaten erlebt, dass es einen weltweiten Tabubruch gege- ben hat, dass mittlerweile Kinder unter die Sterbehilfe fallen, dass man dort die Initiative ergriffen hat, auch die Demenzkranken unter die Sterbehilfe fallen zu lassen. Ich behaupte, dass aus Deutschland niemand in die Schweiz fahren muss, um die Schmerzen lindern zu müssen.“

Diese Meinung teilt Palliativme- diziner Sitte: „Das oft herbeizitierte Leiden wegen der Unwirksamkeit der stärksten Schmerzmittel gibt es jedenfalls nicht. Man kann jedem Menschen seine Schmerzen hun- dertprozentig nehmen mit dem Ri- siko, dass er dann vielleicht immer müder wird und letztendlich viel- leicht sanft in den Tod hinein- schläft. Ein Versterben als uner- wünschte Wirkung ist nichts ande- res als das Versterben eines Patien- ten am Lebensende mit Darmver- schluss auf dem OP-Tisch oder kurz nach der Operation. Man will therapieren, es gibt aber Komplika- tionen, die man nicht beherrschen kann.“ Den meisten Menschen, die sich für Sterbehilfe aussprächen, geht es nach Auffassung von Sitte

vorrangig um ein Recht auf das Festlegen des Todeszeitpunkts.

Möglicherweise ist das auch beim CDU-Abgeordneten und Bun- destagsvizepräsidenten Peter Hint- ze der Fall. Weil er „stets für die Selbstbestimmung“ eintrete, hält er es für geboten, Menschen selbst entscheiden zu lassen. Hintze kann es sich nach eigener Aussage gut vorstellen, mit der SPD-Politikerin Carola Reimann einen gemeinsa- men Gruppenantrag ins Parlament einzubringen. Reimann hält ein Verbot der organisierten Suizidbei- hilfe für ein „verheerendes Signal des Gesetzgebers an die Bürger“.

Häufig falle es dann noch schwerer als bisher, Wünsche nach Leidens- verkürzung vorzubringen. „Schon heute wagen es viele schwerkranke Menschen nicht, mit ihrem Arzt vertrauensvoll über eine Beendi- gung ihrer Leiden zu sprechen, während umgekehrt Ärzte fürchten, sie würden sich strafbar machen.“

Solche Ängste der Bürger vor Ge- sprächen über Sterbewünsche und eine solche Verunsicherung der Ärzte würden dramatisch verstärkt, wenn der Bundestag ein strafrecht- liches Verbot beschlösse. Brand vertritt dagegen die Auffassung, dass „wir mit unserem Vorstoß, die organisierte Sterbehilfe zu verbie- ten, offene Türen bei der Ärzte- schaft einrennen“. Bundesärzte- kammer und auch Landesärztekam-

mern wollten schließlich nicht in den Ruf kommen, dass Ärzte „nicht hin zum Leben arbeiten würden“.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin unterstützt das in der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer zum Aus- druck gebrachte Verbot einer ärztli- chen Mitwirkung am Suizid. „In den ganz seltenen Fällen, in denen man sich als Arzt dazu verpflichtet fühlt, dennoch beim Suizid eines Patienten Hilfestellung zu leisten, muss ich mich dann berufsrechtlich dafür auch verantworten. Und das müsste dann auch geahndet wer- den“, ergänzt Sitte gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.

Ärzte als Profis für das Leben

„Wir möchten nicht die Profis für den Tod sein. Wir sind die Profis für das Leben“, sagt Montgomery. Statt den klinisch sauberen, qualitätsge- sicherten Tod zu vermitteln, sollten Ärztinnen und Ärzte aufklären und ein würdevolles Sterben in Kliniken und Hospizen ermöglichen. Aus diesem Grund habe auch der Deut- sche Ärztetag in Düsseldorf die Be- reitstellung der notwendigen finan- ziellen Mittel für eine bessere Be- treuung von schwerstkranken und sterbenden Menschen, den flächen- deckenden Ausbau der Palliativver- sorgung sowie eine Stärkung der Suizidprävention gefordert.

Gisela Klinkhammer

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider, hat vor weni- gen Jahren seine Tochter an Leukämie verloren.

Jetzt ist seine Frau an Brustkrebs erkrankt, und

er hat sich in zwei Interviews bereiterklärt, sie in die Schweiz zu begleiten, wenn sie sich dort mit Hilfe einer Sterbehilfeorganisation das Leben nehmen wolle. Und das, obwohl er – ganz im Sinne der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland – organisierte Sterbehilfe ablehnt.

Diese Haltung ist über jede Kritik erhaben.

Dennoch darf sie nicht dazu führen, organisierte oder gewerbsmäßige Sterbehilfe in einem fal- schen Licht zu sehen. Gerade die Palliativmedi- ziner werden nicht müde zu betonen, dass sie den Menschen ihre Schmerzen nehmen und die Leiden lindern können. Nur eine hervorragende Palliativmedizin kann davor bewahren, nicht aus unnötiger Verzweiflung heraus die falschen Ent- scheidungen zu treffen. Aufgabe der Politik wäre es deshalb, eine flächendeckende palliativmedi- zinische Versorgung sicherzustellen und nicht, die organisierte Sterbehilfe zu legalisieren und damit letztlich aufzuwerten.

KOMMENTAR

Gisela Klinkhammer, DÄ-Redakteurin

Leiden lindern

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