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Archiv "Brisantes Forschungsprojekt: Sterbehilfe bei Menschen im Wachkoma?" (29.07.2005)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A2082 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 3029. Juli 2005

dem fehlenden gesellschaftlichen Kon- sens über die Bewertung eines Lebens im PVS sollten sich Entscheidungen über die Fortsetzung lebensverlängernder Maßnahmen nach Möglichkeit an den Präferenzen der Patienten orientieren.

Der vorab erklärte Wille,zum Beispiel im Rahmen einer Patientenverfügung, ist daher sehr wichtig. Möglicherweise hätte eine Patientenverfügung die Serie von Gerichtsprozessen im Fall Schiavo ver- kürzen können. Ob man damit auch die politischen und medialen Interventionen hätte verhindert können, bleibt unklar, da sich in ihnen ein fundamentaler gesell- schaftlicher Dissens über die Frage der Lebensverlängerung bei PVS-Patienten manifestiert.

Aber auch im Einzelfall stoßen Vor- ausverfügungen an ihre Grenzen: Nur wenige Menschen werden bereits in frühen Lebensjahren eine entsprechen- de Verfügung verfassen. Selbst wenn ei- ne Vorausverfügung vorliegt, kann ihre Anwendung bei Entscheidungen zur Therapiebegrenzung dennoch proble- matisch sein. Denn es ist kaum möglich, die subjektiven Präferenzen für einen unbestimmten künftigen Zeitpunkt mit nur schwer einschätzbaren gesundheitli- chen Einschränkungen und medizini- schen Therapiemodalitäten so klar zu bestimmen und in einer Patientenverfü- gung schriftlich zu fixieren, dass Inter- pretationsprobleme bei der Anwendung durch stellvertretende Entscheidungs- träger verlässlich vermieden werden (22). Offenheiten – und damit ethische Kontroversen – werden also bleiben.

Hierfür sollten diesseits gerichtlicher Entscheide Institutionen wie zum Bei- spiel ein klinisches Ethik-Komitee vor- handen sein, um eine fallnahe Konflikt- lösung zu erarbeiten, die das Wohlerge- hen und den (erklärten oder mutmaßli- chen) Willen der betroffenen Patienten in angemessener Weise respektiert.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 2079–2082 [Heft 30]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit3005 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Matthis Synofzik

Institut für Ethik und Geschichte in der Medizin Schleichstraße 8, 72076 Tübingen

E-Mail: M.Synofzik@gmx.de

Spätestens seitdem das Schicksal von Terri Schiavo weltweit öffentliches Interesse erregt hat, wird auch in Deutschland verstärkt über den Umgang mit Menschen im Wachkoma de- battiert. In der deutschen Bevölkerung wird die aktive Sterbehilfe mit deutlicher Mehrheit be- fürwortet (1). Für die Gesundheitsberufe lie- gen vergleichbare Einstellungsuntersuchungen kaum vor (2). Im Rahmen eines Forschungspro- jektes an der Universität Witten/Herdecke wur- de mit einem Fragebogen die Einstellung von Ärztinnen und Ärzten, von Krankenschwestern und -pflegern und von Altenpflegerinnen und Altenpflegern zur aktiven Sterbehilfe bei Men- schen im Wachkoma untersucht (3). Die Frage- bögen wurden im Oktober 2002 an sämtliche Krankenhäuser und Reha-Abteilungen ver- sandt, die mehr als 15 intensivmedizinische Bet- ten vorhielten oder eine Abteilung für Unfall- chirurgie, Neurologie, Neurochirurgie oder Neu- ropädiatrie hatten. Überdies wurde der Frage- bogen an alle deutschen Rehabilitationseinrich- tungen für Wachkomapatienten verschickt.

Es beteiligten sich 2 652 Ärztinnen und Ärz- te, 5 785 Krankenschwestern und -pfleger so- wie 397 Altenpflegerinnen und Altenpfleger an der Untersuchung. Es zeigte sich, dass die mei- sten Befragten (54,88 Prozent) für eine Verän- derung der Gesetzeslage in Deutschland nach niederländischem Vorbild und damit für die Le- galisierung der aktiven Sterbehilfe votierten.

Die Mehrheit (64,79 Prozent) war der Überzeu- gung, dass es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sei, das Leben eines Menschen im Wachkoma aktiv zu beenden. Die aktive Sterbehilfe an Menschen im Wachkoma wird häufiger von den pflegerischen Berufsgruppen befürwortet. 70,38 Prozent der Krankenschwe- stern und -pfleger sind der Überzeugung, dass es unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist, das Leben eines Menschen im Wachkoma aktiv zu beenden; bei den Ärztinnen und Ärzten ist diese Überzeugung mit 51,53 Prozent weni- ger ausgeprägt. Die Befürwortung ist signifi- kant häufiger bei Untersuchungsteilnehmern, die jung, konfessionslos, mit ihrer beruflichen Situation unzufrieden und erst seit kurzem im Beruf sind. Befragte aus den neuen Bundeslän- dern, solche, die getrennt leben oder geschie- den sind, plädierten häufiger für die aktive Sterbehilfe bei Menschen im Wachkoma als je- ne, die ein höheres Alter haben, konfessionell

gebunden, mit ihrer beruflichen Situation zu- frieden sind und über eine längere Berufs- erfahrung verfügen. Die Befürwortung der akti- ven Sterbehilfe fällt in den alten Bundesländern und bei verheirateten oder verwitweten Unter- suchungsteilnehmern weniger deutlich aus.

Die Untersuchung liefert Belege dafür, dass die Einstellung zur aktiven Sterbehilfe in ho- hem Maße von patientenbezogenen und per- sönlichen Faktoren beeinflusst wird. Es lässt sich leicht erkennen, wie abhängig die indivi- duelle Einstellung von „Umgebungseinflüs- sen“ ist, zum Beispiel von offen geführten Dis- kussionen über die „fortschrittliche Regelung in Holland“, über „Soziallasten“, die „Kosten- explosion im Gesundheitswesen“, „sinnloses Leiden“ oder das „uneingeschränkte Selbst- bestimmungsrecht“ des Menschen. Und so be- darf es mit einiger Wahrscheinlichkeit auch in Deutschland nicht mehr allzu vieler Entwick- lungsschritte zur Kürzung von Mitteln, Entwer- tung von alten und kranken Menschen, Verab- solutierung des Selbstbestimmungsrechtes – bis man zu der Überzeugung gelangt ist, dass es „human“ und „würdig“ ist, menschliches Leiden mit den Mitteln der Medizin „schnell und schmerzlos“ zu beenden. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Hospizbewe- gung und die Palliativmedizin längst den Be- weis dafür erbracht haben, dass der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe so gut wie gar nicht vorkommt bei Menschen, deren Schmerzen er- träglich sind, die kompetent und menschlich therapiert und gepflegt werden und die in tragfähigen Beziehungen leben.

Literatur

1. Helou A, Wende A, Hecke T, Rohrmann S, Buser M, Dierks ML: Das öffentliche Meinungsbild zur aktiven Sterbehilfe. Dtsch med Wochenschr 2000; 125:

308–315.

2. Beine K: Sehen Hören Schweigen. Patiententötungen und aktive Sterbehilfe. Freiburg: Lambertus Verlag 1998.

3. Böttger-Kessler G: Die Einstellung von Ärzten und Pflegepersonen zur aktiven Sterbehilfe bei Menschen im Wachkoma. Inaugural Dissertation. Private Univer- sität Witten/Herdecke 2004.

Prof. Dr. med. Karl H. Beine Grit Böttger-Kessler St. Marien-Hospital Hamm

Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie Universität Witten/Herdecke

Knappenstraße 19, 59071 Hamm/Westfalen

Brisantes Forschungsprojekt

Sterbehilfe bei Menschen

im Wachkoma?

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