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Archiv "Diskussion über Sterbehilfe: Breite Ablehnung aktiver Euthanasie" (04.05.2001)

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elten erfährt die Gesetzgebung in einem Nachbarland eine derart breite Resonanz wie jetzt die Ver- abschiedung des niederländischen Eu- thanasiegesetzes („Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei der Hilfe bei der Selbsttötung“).

Gleichzeitig wurde auch die dazu not- wendige Änderung des Strafgesetzbu- ches und des „Gesetzes über das Lei- chen- und Bestattungswesen“ beschlos- sen. Die Tendenz der Stellungnahmen dazu ist deutlich: Das Gesetz stößt auf breite Ablehnung. „Die Entscheidung des niederländischen Parlaments, das Tötungsverbot in bestimmten Fällen aufzuheben und ärztlich gestützte Eu- thanasie zuzulassen, rührt an den Grundfesten einer humanen Gesell- schaft. Die Folgen dieser Gesetzesän- derung sind noch gar nicht abzusehen“, sagte der Präsident der Bundesärzte- kammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe.

„Zutiefst unethisch“

Scharf protestierte der BÄK-Präsident auch gegen die neuesten Bestrebungen der niederländischen Gesundheitsmini- sterin Els Borst, die in einem Interview gesagt hatte, sie persönlich habe keine Einwände gegen die freie Abgabe von Selbsttötungspillen an Hochbetagte, wenn diese wirklich für sich „mit dem Leben abgeschlossen“ hätten. Hoppe bezeichnete den Vorstoß der Ministerin als „zutiefst unethisch“.

Die modernen Methoden der Pallia- tivmedizin spielten in Holland offen- sichtlich eine untergeordnete Rolle, so Hoppe. Es sei noch zu wenig bekannt, dass die Palliativmedizin in der Lage sei, Schmerzen und andere Symptome auf ein erträgliches Maß zu reduzieren und damit unnötiges Leid zu verhin- dern. „Deshalb ist nicht die so genannte aktive Sterbehilfe, also Euthanasie,

sondern der rückhaltlose Schutz chro- nisch kranker und pflegebedürftiger Patienten sowie die adäquate menschli- che und medizinische Begleitung Ster- bender ärztliche Aufgabe und Ver- pflichtung“, betonte Hoppe.

Tatsächlich besteht offenbar in der Bevölkerung ein Wissensdefizit über die Möglichkeiten der Palliativmedizin.

In einer von der Deutschen Gesell- schaft für Humanes Sterben in Auftrag gegebenen repräsentativen Forsa-Um- frage lehnte nur etwa jeder Dritte das niederländische Gesetz ab. Auch die an Brustkrebs erkrankte

ehemalige Sozialmi- nisterin Branden- burgs, Regine Hil- debrandt, bedauerte im „stern“, „dass wir in Deutschland keine Möglichkeit der akti- ven Sterbehilfe ha- ben. Nur noch ausge- liefert sein, nur noch leiden, ohne zu wis- sen, zu welchem Ziel hin – das ist für mich ein Horrorszenario.“

Die Niederländer sei- en „uns da voraus“.

Doch mit einer Re- gelung nach holländi- schem Vorbild mache man es sich zu einfach,

sagte der Palliativmediziner, Prof. Dr.

med. Eberhard Klaschik, in der Frank- furter Rundschau: „80 Prozent der Pati- enten, die in Holland euthanasiert wer- den, sind Tumorpatienten. Ich behan- dele seit fast 20 Jahren Krebspatienten, die nicht heilbar sind. Viele Patienten, die zu uns kommen, sagen: So kann ich nicht mehr leben, so will ich nicht mehr leben, die Schmerzen sind zu groß, der Gestank ist zu groß, das soziale Elend ist zu groß. All diesen Patienten haben wir helfen können. Wir hatten keinen Einzigen, der, nachdem wir ihm ausrei-

chend Schmerz reduziert haben, noch nach aktiver Sterbehilfe gefragt hätte.“

Die Präsidentin der Ärztekammer Bremen und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. med. Ursula Auerswald, forderte die Politik und Krankenkassen auf, die Palliativmedi- zin in Deutschland stärker zu fördern, zusätzliche Hospize einzurichten und Netzwerke zur besseren Versorgung schwerstkranker und sterbender Men- schen zu schaffen.

Diese Auffassung wird von den bei- den großen christlichen Kirchen in Deutschland geteilt.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofs- konferenz, Kardinal Karl Lehmann, hält es für „unbegreiflich, dass sich angesichts der heutigen medizi- nischen Möglichkei- ten Ärzte in den Nie- derlanden zur Verfü- gung stellen, den vor- zeitigen Tod kranker Menschen gezielt her- beizuführen, statt sie in dieser schwierigen Situation zu beglei- ten“. Die Legalisie- rung der aktiven Ster- behilfe sei ein Damm- bruch, der den Re- spekt vor dem menschlichen Leben re- lativiere. Die Landesbischöfin von Hannover, Margot Käßmann, betonte:

„Für mich liegen Lebensbeginn und Le- bensende in Gottes Hand, und kein Mensch hat das Recht, einem anderen das Leben zu nehmen.“

Bundesjustizministerin Herta Däub- ler-Gmelin (SPD) wies darauf hin, dass Patienten bereits jetzt die Verfügungs- macht über die letzte Phase ihres Le- bens haben: „Jeder kann selbst bestim- men, an lebensverlängernde und damit sterbensverlängernde Maschinen nicht P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 18½½4. Mai 2001 AA1157

Diskussion über Sterbehilfe

Breite Ablehnung aktiver Euthanasie

Ärzte und Politiker weisen auf die Möglichkeiten der Palliativmedizin hin.

Die niederländische Gesundheitsmini- sterin Els Borst hat keine Einwände gegen die Abgabe von Sebsttö- tungspillen an Hochbetagte. Foto: dpa

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angeschlossen zu werden.“ Aufgabe des Arztes sei es, die letzte Lebenspha- se so schmerzfrei wie möglich zu gestal- ten. „Und da geht heute sehr viel, auch unter Inkaufnahme, dass man das Le- ben verkürzt. Aber der Arzt darf nicht aktiv Leben beenden.“ Schon der Be- griff aktive Sterbehilfe sei eine Ver- harmlosung, sagte Däubler-Gmelin in der Süddeutschen Zeitung. „Gerade wir Deutsche wissen aus unserer Ge- schichte, dass so etwas nicht Fortschritt zu mehr Menschlichkeit, sondern ein Rückschritt zu mehr Unmenschlichkeit wäre.“

„Der Missbrauch ist vorprogrammiert“

Die Europaabgeordneten Hiltrud Brey- er (Grüne) und Dr. med. Peter Liese (CDU) stimmen in einer gemeinsamen Erklärung der Bundesjustizministerin zu. „Wenn der Staat einmal zulässt, dass Ärzte ihren Patienten Tabletten oder Spritzen verabreichen, die als einziges Ziel haben, Patienten umzubringen, ist der Missbrauch vorprogrammiert. Wir befürchten, dass Euthanasie als Aus- weg aus den finanziellen Problemen an- gesehen werden könnte, die mit der Überalterung zusammenhängen. Schon heute gibt es Kosten-Nutzen-Analysen bezüglich des Lebensrechtes von kran- ken, behinderten und alten Menschen.

Unsere Sorge ist, dass das vermeintli- che Recht, Tötung auf Verlangen in An- spruch nehmen zu können, zur Pflicht wird.“

Ganz anders beurteilt dies die Deut- sche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS), die auch in Deutschland eine gesetzliche Regelung von Sterbebe- gleitung und -hilfe anstrebt: „Meist kirchenorientierte Gruppen oder Per- sonen sehen bereits die Tötungsmaschi- nerie mordgieriger NS-Schergen vor der Haustüre, wenn ein freiheitlich-de- mokratischer Rechtsstaat wie die Nie- derlande genau das gesetzlich zu regeln versucht, was andere – nicht nur eu- ropäische – Staaten unter den Teppich kehren.“ Die Abgabe von Selbsttö- tungspillen an lebensmüde alte Men- schen geht allerdings auch der DGHS wegen der „Missbrauchsgefahren“ zu

weit. Gisela Klinkhammer

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A1158 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 18½½4. Mai 2001

Honorare für niedergelassene Ärzte

Das Geld soll nach dem

„Wohnortprinzip“ fließen

Bundesgesundheitsministerin legt Referentenentwurf vor.

M

it der Einführung des Wohnort- prinzips steht das Geld dort zur Verfügung, wo die Menschen le- ben.“ So hat Bundesgesundheitsmini- sterin Ulla Schmidt (SPD) das Ziel ei- nes Referentenentwurfs ihres Hauses erläutert. Er soll als Gesetz 2002 in Kraft treten. Dann würden Verträge über Arzthonorare und die Strukturen der ärztlichen Versorgung grundsätzlich zwischen der Kassenärztlichen Vereini- gung (KV), in deren Einzugsbereich ein GKV-Versicherter wohnt, und dem je- weiligen Landesverband seiner Kran- kenkasse geschlossen. Dieses Prinzip gilt bisher nur für die Ersatzkassen. Es würde künftig auch bei Betriebs-, Orts- und Innungskrankenkassen angewen- det. Sie vereinbaren Arzthonorare bis- lang allein mit der KV, in deren Region sie selbst ihren Sitz haben (Kassensitz- prinzip). So verhandelt die BKK für Heilberufe Honorare mit der KV Nord- rhein, obwohl ihre Mitglieder über das ganze Bundesgebiet verteilt sind.

Kritik an Einzelheiten

Zur Kompensation erhalten alle ande- ren KVen, in deren Einzugsbereich Ver- sicherte der fernen Kasse behandelt werden, Honorarzahlungen über den Fremdkassenzahlungsausgleich. Seit immer mehr Versicherte ihre Kranken- kasse wechseln, hat er ein Volumen von rund sieben Milliarden DM angenom- men, 16 Prozent der vertragsärztlichen Gesamtvergütung. Viele Ärzte empfin- den das Verfahren als ungerecht, ob- wohl es die Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV) im vergangenen Jahr bereits verbessert hat.

Manche Krankenkassen nutzen das Kassensitzprinzip zudem geschickt aus.

So wählte die frisch fusionierte Innungs-

krankenkasse Berlin/Brandenburg nicht etwa Berlin, sondern Potsdam als ihren Sitz, weil sie mit der KV Brandenburg eine niedrigere Kopfpauschale verein- bart hatte als mit der KV Berlin. Derar- tige Strategien sollen der Vergangen- heit angehören, sobald das Wohnort- prinzip gilt. Die KBV begrüßt denn auch seine Einführung, fordert jedoch weiterhin morbiditätsbezogene Kopfpauschalen. Kritik übt sie an Ein- zelheiten des Entwurfs.

Karl-Heinz Schönbach, Leiter der Abteilung „Verträge“ beim BKK-Bun- desverband, sieht ebenfalls einige Pro- bleme. Nach dem Wohnortprinzip müss- te es beispielsweise die BKK Siemens mit Sitz in München hinnehmen, dass der BKK-Landesverband Nordrhein- Westfalen mit der KV Nordrhein Verträ- ge für ihre Versicherten dort abschließt.

Der Gesetzentwurf hat noch einen Haken. Nach der Wende wuchsen etliche Betriebskrankenkassen im Westen durch neue Mitglieder aus dem Osten. Wegen der Trennung der Rechtskreise gab es für jede Versichertengruppe getrennte Ho- norartöpfe. Nicht jeder West-KV gelang es offenbar bei Verhandlungen mit der BKK, die Kopfpauschale Ost über die Jahre im Sinne der Kollegen aus den neu- en Ländern zu erhöhen. Dr. med. Wolf- gang Eckert, Vorsitzender der KV Meck- lenburg-Vorpommern, nennt Beispiele:

Die BKK Post zahlte 1999 für Ost-Versi- cherte 683 DM, für West-Versicherte hin- gegen 936 DM. Bei der BKK Bahn wa- ren es 600 DM gegenüber 1 049 DM.

Wenn das Wohnortprinzip greift, müssen diese Pauschalen gemittelt wer- den. Dann hätten etliche westdeutschen Ärzte das Nachsehen. Das wolle man nicht, beteuert Eckert. Die KBV hat sich des Problems angenommen und verhandelt mit dem BKK-Bundesver- band über eine Lösung. Sabine Rieser

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