Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 45½½½½10. November 2000 AA2965
S E I T E E I N S
D
as weltweit erste Gesetz zur akti- ven Sterbehilfe wird zurzeit in den Niederlanden vorbereitet. Es gilt als sicher, dass in einem Monat eine klare Mehrheit im Parlament für dieses Vorhaben stimmen wird.Nach dem Gesetz soll aktive Sterbe- hilfe straffrei sein, wenn folgende Kriterien beachtet werden: Der Pa- tient muss „unerträglich und aus- sichtslos“ leiden. Bedingung ist außerdem, dass der Arzt den Pati- enten über seine „Perspektive“ in- formiert hat. Der Kranke muss ei- nen „freiwilligen, wohlerwogenen, langfristigen Todeswunsch“ hegen.
Der Arzt hat einen unabhängigen Kollegen hinzuzuziehen. Die Been- digung des Lebens soll „medizinisch
sorgfältig“ erfolgen. Die Sterbehilfe ist meldepflichtig.
De facto wird aktive Euthanasie bereits jetzt in den Niederlanden ge- duldet. Bisher prüfen Ausschüsse die Rechtmäßigkeit der Fälle und geben routinemäßig ihre Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiter. Das fiele nach der Neuregelung weg.
Nach niederländischen Schätzungen sind nur rund 50 Prozent der Ärzte bereit, Sterbehilfe zu melden.
Es besteht die Gefahr, dass die In- dikationen für Sterbehilfe immer weiter ausgedehnt werden. So wur- de bereits 1999 bei 913 Fällen (mei- stens todkranken Babys oder Men- schen im Koma) ohne ausdrückli- chen Wunsch der Patienten aktive
Euthanasie geleistet. Die liberalen niederländischen Parteien sprechen sich sogar dafür aus, dass auch De- menz als Grund für aktive Sterbehil- fe gelten soll. Ein Gericht in Haar- lem sprach kürzlich einen Hausarzt frei, der einem 86-Jährigen Sterbe- hilfe geleistet hatte. Der Patient hat- te als Grund für den Todeswunsch körperliche Leiden und den Verlust des sozialen Umfelds angegeben.
Der niederländischen Ärzteorga- nisation KNMG gehen solche Be- strebungen zu weit. Sie befürchtet sicherlich zu Recht, dass bei einem Fortschreiten dieser Entwicklung Ärzte bald zur Abgabestelle für Sterbehilfe-Präparate werden kön-
nen. Gisela Klinkhammer
Euthanasie in den Niederlanden
Sterbehilfe für Demente B
ei seiner 98. Hauptversammlungam vergangenen Wochenende in Berlin stellte der Marburger Bund (MB) fest, dass die Bundesländer den Investitionsstau im Krankenhausbau in Höhe von acht bis zehn Milliarden DM abbauen müssten, um den Kran- kenhäusern in der Vorbereitungszeit bis zum Jahr 2003 Gelegenheit zu geben, Strukturverwerfungen und die bisher überwiegend durch die Unterfinanzierung bedingten Ko- stenstrukturen rasch an die neue Ausgangssituation anzupassen. Al- lerdings warnt der MB davor, ein im Ausland funktionierendes System im Hauruck-Verfahren aufzupfropfen.
Auch müssten durch Zu- und Ab- schläge die Unterschiede zwischen den Uniklinika mit Hochleistungs- medizin und der flächendeckenden Akutversorgung durch Krankenhäu- ser der Grund- und Regelversorgung abgefangen werden. Risiken berge das DRG-System auch insoweit, als dieses flächendeckend für alle Kran-
kenhausleistungen und alle Kliniken – mit Ausnahme der Psychiatrie – ab dem Jahr 2003 gelten und zumindest im Startjahr budget- und damit ko- stenneutral umgesetzt werden soll.
Entscheidend ist das Jahr 2001, das der MB zum „Jahr der Dokumen- tation“ und der Verifizierung der Istkosten-Rechnung ausgerufen hat.
Sämtliche Überstunden und unent- geltlich geleistete Mehrarbeit müss- ten exakt kalkuliert und in den Stellenplänen berücksichtigt werden, denn sonst liefen die Klinikärzte Ge- fahr, sich selbst wegzurationalisieren.
Nur auf einer stimmigen Istkosten- Kalkulation fußend und wenn alle stationär versorgten Krankheitsbil- der zu leistungsgerechten Preisen kalkuliert werden, könne eine flä- chendeckende stationäre Versorgung aufrechterhalten werden.
Mehr Transparenz und Leistungs- preise bedingten aber, dass die zu eng bemessenen Krankenhausbud- gets suspendiert werden. Jedenfalls
dürfe die DRG-Implementierung nicht dazu missbraucht werden, die knappen finanziellen Mittel auf das einzelne Krankenhaus „herunterzu- brechen“ – ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.
Als überfällig hat der MB das Urteil des EuGH (vom 3. Oktober) begrüßt, den Bereitschaftsdienst der Ärzte als Arbeitszeit und nicht mehr als Ruhezeit zu definieren. Unauf- schiebbarer Handlungsdruck laste deshalb auf der Politik, dem Gesetz- geber und vor allem den öffentlichen Arbeitgebern, die Auswüchse bei den schier unmenschlichen und ver- sorgungsabträglichen Arbeitszeiten abzustellen. Die Regelung, die in Deutschland auch für Ärzte in der Weiterbildung gilt, erfordert kran- kenhausspezifische Arbeitszeitrege- lungen und Änderungen des BAT.
Das Mehr an Leistungen müsse zu einer höheren Vergütung oder einem adäquaten Ausgleich durch Freizeit führen. Dr. rer. pol. Harald Clade