Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
beiter. Es werden, so offenbar kürzlich wieder, riesige Summen zur sorgfältigen Betonierung der falschen diagnostischen Straßen von der Regierung bereitgestellt.
Wir betreiben unter der Flagge des Sozialismus die Expropriierung ge- rade der Ärmsten, die ihr Geld da- für am wenigsten aufbringen kön- nen, sich selbst vorsätzlich zu schädigen, und für die Kosten des allgemeinen wohlstandsbedingten Unverstandes dennoch mitleidslos zur Kasse gebeten werden.
Das ist die nüchterne Wahrheit, eine Teilwahrheit natürlich, wie das für alle Aussagen über Teilproble- me zutrifft, welche letztlich nur im größeren Zusammenhang beurteil- bar sind.
Die Prognose der Medizin
Um sich der Wahrheit des Ganzen besser anzunähern, gelte es also, der Medizin eine Art totaler Pro- gnose zu stellen. Nun möchte ich gerade diese Totalprognose mit ei- ner Wahrscheinlichkeitsbetrach- tung beginnen, welche den Totalef- fekt dieser Medizin im Auge hat. Es wird in Zukunftsbetrachtungen im- mer wieder behauptet, wir gingen teils einer besseren Welt entgegen, teils werde unser Leben sich schon bald auf 100, wenn nicht 150 Jahre verlängern und dabei lebenswert bleiben.
Es kann aber nicht eindringlich genug gesagt werden, daß es auch nicht den Schatten eines Hinwei- ses dafür gibt, daß diese beiden Prognosen berechtigt sind. Die Menschheit hat noch nie so viel von sich, der Struktur ihrer Gesell- schaft. den soziologischen und physiologischen Grundlagen ihres Verhaltens, von Friedens- und Kon- fliktbedingungen gewußt wie heute.
Wie jeder Blick in eine Tageszei- tung lehrt, nehmen Kriminalität und Bestialität fast auf mittelalterliche Größenordnungen zu, schwindet die Hoffnung auf die Realisierung dessen, was sanftmütige Philoso- phen Humanismus nennen, weiter dahin. Der Terror feiert überall
Die Zukunft der Medizin
Triumphe. Die Kriege sind trotz des nuklearen Patt nicht ausgerot- tet, sondern bestehen in konventio- neller Form weiter, Revolutionen überall an der Stelle von Reformen, das geistige Element der Bevölke- rung ist ohnmächtig wie eh und je, es sei denn, Politiker verstünden sich als Repräsentanten des Gei- stes, was sie nur in wenigen Aus-
nahmen sind.
Die Chancen des Chaos wachsen.
Die Lebenserwartung sinkt, das heißt, die Mortalitäten steigen bei einigen Krankheiten so sehr, daß sie den Gewinn überspielen, der in der Senkung der Mortalität der meisten (freilich meist der seltene- ren) Krankheiten liegt. Das trifft auch auf die weiblichen Individuen zu.
Ich weiß nicht, ob es ein Grund zu Optimismus oder zu Pessimismus sein könnte, wenn man mit guten Gründen feststellen kann, daß für alle diese deletären Entwicklungen realisierbare Gegenmaßnahmen zur Verfügung stünden.
Ich will das „weite Feld" der po- litischen Utopien hier ausklam- mern. Aber ich glaube daran, daß Katastrophen nicht im Sinne des physischen Zwanges notwendig sind. Nicht einmal für unsere Um- weltprobleme trifft das zu, wie ein soeben erscheinendes Buch einer von mir geleiteten Arbeitsgruppe im Umschau-Verlag darlegt. Kei- nesfalls aber ist das Absinken der Lebenserwartung physisch be- gründbar. Es ist eine Folge unse- rer Mentalität.
Wird fortgesetzt
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Hans Schaefer 69 Heidelberg
Im Neuenheimer Feld
AUS DEM BUNDESTAG
Kein neues
Sterbehilfe-Recht
Unter "passiver Sterbehilfe" kann man sehr verschiedene ärztliche Handlungen und Unterlassungen verstehen, deren rechtliche Beur- teilung vom Einzelfall abhängt.
Dies erklärte der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesjustizmi- nisteriums, Dr. Hans de With, auf Grund einer Anfrage der CSU-Bun- destagsabgeordneten Frau Ursula Schleicher. De With sagte: „Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Arzt eine Behandlung seines Patienten fortsetzen muß, hängt jeweils von der Ausgestal- tung des konkreten Einzelfalles ab.
Denn nur soweit er im Einzelfall eine Rechtspflicht zum Handeln hat, kommt hier eine Strafbarkeit des Arztes wegen eines Unterlas- sens in Betracht ... In welchem Maße der behandelnde Arzt die heute vorhandenen technischen Möglichkeiten zu einer unter Um- ständen geringen, aber qualvollen Lebensverlängerung nutzen muß, wird man nur von Fall zu Fall ent- scheiden können. Bemerken kann ich hierzu, daß mir aus der höchstrichterlichen Rechtspre- chung keine Urteile bekannt ge- worden sind, die für das Bedürfnis nach einer korrigierenden gesetzli- chen Regelung sprechen würden."
In jüngster Zeit seien in der Dis- kussion auch jene Fälle erfaßt wor- den, in denen den Sterbenden schmerzlindernde, jedoch infolge ihrer Nebenwirkungen zugleich le- bensverkürzende Medikamente verabreicht worden sind. Soweit derartige Mittel aus ärztlicher Sicht zur Schmerzlinderung gegeben werden müssen, scheide nach herrschender Meinung eine Straf- barkeit des Arztes aus. Dagegen werde sich derjenige wegen eines Tötungsdeliktes zu verantworten haben, der seinem unheilbaren Pa- tienten eine Überdosis eines ent- sprechenden Medikamentes gibt, nicht um die Schmerzen zu lindern, sondern um ihn durch den Tod endgültig von seinem Leiden zu
befreien. HC
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 8 vom 20. Februar 1975 523