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Archiv "Euthanasie gestern – Sterbehilfe heute?: Absolutwert" (25.02.1988)

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aber der Patient nicht die Mittel zum humanen (?) Sterben zur Verfügung hat, wie der „allmächtige" Arzt, mag der Arzt den moralischen Druck verspüren, dem Patienten das zur Verfügung zu stellen, was auch er selbst für sich nutzen würde. Der Arzt, der die Situation als hoff- nungslos, qualvoll und sinnlos er- lebt, wird seinen Patienten auch den von Dörner geforderten Zuspruch nicht geben können — und vielleicht nicht geben wollen, weil er befürch- ten muß, unwahrhaftig zu sein.

Abseits davon brauchen wir uns nichts vorzumachen: Der Arzt ist in weiten Bereichen schon zum Herrn über Leben und Tod geworden, wenn er dem schwer zerebral ge- schädigten Unfallopfer die Antibio- se verweigert oder dem ateminsuffi- zienten Karzinom-Patienten die Be- atmung vorenthält. Letztlich ist auch dies Töten durch Unterlassen, und wer glaubt, er lasse nur der Natur seinen freien Lauf, macht sich selber etwas vor. Die Zeiten, wo die Natur den Zeitpunkt des Sterbens be- stimmt hat, sind in den Krankenhäu- sern meist vorbei. Dies soll kein Vo- tum sein für eine gesetzlich geregelte Euthanasie. Statt dessen sollte deut- lich werden, daß die Entscheidung zur Sterbehilfe — wie zum Selbst- mord — immer eine subjektive Ent- scheidung sein wird, die man gesetz- lich sanktionieren, die man auch ge- sellschaftlich ächten kann, die aber oft für sich in Anspruch nehmen kann, in der Auseinandersetzung mit dem Sinn des eigenen Lebens getroffen worden zu sein. Ob all die, die dogmatische Durchhalteparolen für elend sterbende Patienten ausge- ben, diese Sinn-Frage für den Pa- tienten überzeugend beantworten können, vermag ich aus meiner Er- fahrung nicht zu beurteilen.

Martin Reeker Assistenzarzt

v. Bodelschwinghsche Anstalten Maraweg 21

4800 Bielefeld 13

Absolutwert

. . .

Sie sprechen von der Ver- schränkung der beiden Grundwerte, des Rechts auf Selbstbestimmung

und des Lebensschutzes, die in dem Satz „Das Leben gehört mir, doch ich gehöre auch dem Leben" zum Ausdruck kommt. Auf der einen Seite eine Forderung, deren Durch- setzung und Inanspruchnahme uns

„selbstverständlich" erscheint, auf der anderen Seite aber die absolute, über menschlicher Entscheidungsge- walt liegende Wertigkeit des Le- bens. Daß diese beiden Positionen so ungleich gewichtet sind . . . oder gar nicht mehr als zwei Seiten der- selben Münze wahrgenommen wer- den, ist das Grundproblem . . . Von der Lösung dieses Grundproblems oder wenigstens von seinem „Be- wußt-Werden" hängt für jeden von uns nicht nur die Haltung zur Ster- behilfe ab, sondern sehr viel mehr.

Schauen wir uns aber nun ein- mal die beiden Grundwerte ganz ge- nau an: Wie ist es denn mit der .. .

„Selbstbestimmung" bestellt? An die Stelle der offensichtlichen, dikta- torischen Autorität des Staates und der Kirche sind, zumindest in der

„Ersten Welt", wie sie ja wohl ge- nannt werden will . . . , nun die stän- dig anwesenden Sachzwänge, der übermächtige Druck der „Normali- tät", die schleichenden Verführer, das Modediktat des „in" und „out"

und die allgegenwärtige Macht der Medien. Die Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft ist eine Illu- sion, freilich eine, die sehr hoch im Kurse steht.

Nun die andere Seite: der Wert des Lebens an sich, über das dem Menschen keine Entscheidung ob- liegt. Ich glaube: Nur wenn ich die- sen Absolutwert anerkenne, kann ich überhaupt Arzt sein. Es ist dem Menschen gesagt: „Du sollst nicht töten. " Auch wenn er noch so oft versagen mag vor diesem Anspruch, er muß sich seines Versagens wenig- stens bewußt werden! Ich meine da- mit auch: Es liegt vielleicht gar nicht in juristischer Entscheidungsgewalt, Straffreiheit oder Strafbarkeit von Handlungen festzusetzen, die an die Grundsubstanz, „ans Leben" ge- hen. In einem Staat, der für alles und jedes Gesetze hat, ein sicherlich irritierender Gedanke.

Aber: Wie noch einen Wert, vielleicht gar einen Absolutwert in einer Zeit erklären, in der die Ent-

Wertung eben dieses Begriffes schon lange zum Alltag gehört? — Die Ent- wertung des menschlichen Lebens, das wegen politischer Ideologien, re- ligiöser Zwistigkeiten oder aus pu- rem Gewinnstreben überall auf der Welt leichthin geopfert wird — als lo- gische Konsequenz dieser Entwer- tung dann die industrielle Vernich- tung, ein Gedanke, nein: eine Tatsa- che!, die eigentlich kein Mensch fas- sen können dürfte. . . . Was Wun- der, wenn den Menschen ihr eigenes Leben, ihr Recht auf Sterben und auf Töten immer selbstverständ- licher zu werden scheint? . . . Noch ein Gedanke zum Begriff „lebens- unwertes Leben": Wir alle sind ge- neigt, die Entwicklung des Lebens gleichsam als „von unten nach oben", vom Niederen zum Höheren zu sehen. Wie aber, wenn diese Sichtweise falsch, ja sogar die Ursa- che unseres Dilemmas wäre? In der Entwicklung des Menschen scheint uns dieses „vom Niederen zum Hö- heren" wiederzukehren: vom Zell- haufen zum intelligenten Wesen, das sich die Erde untertan macht. Und die Skrupel, Leben zu „beseitigen", nehmen ab, je „tiefer" es steht .. . Wer dürfte das Wort „lebensun- wert" aussprechen? Außer Gott, der aus der Mode gekommen ist?

Ich als Arzt jedenfalls nicht, ob das Gesetz mir nun Straffreiheit zusi- chert oder nicht.

Nein, wir als Ärzte müssen wo- anders ansetzen. Wie muß es um un- sere Medizin, um unsere Kranken- häuser bestellt sein, wenn darin so große Einsamkeit und Angst herrscht, daß ein Mensch sicher eher den vom Arzt verabreichten Tod wünscht als sein eigenes Sterben in Leid und Schmerzen zu ertragen?

Das Leiden und das Sterben können Ärzte dem Menschen nicht abneh- men, wir können nur lindern, aber dazu sind wir auch verpflichtet! Und unerträgliche Schmerzen muß kein Mensch heute mehr erdulden! .. . Den behutsamen Umgang mit der Seele des Menschen müssen wir ler- nen, denn um diese geht es, wenn

ein Mensch vom Leben zum Tode

kommt

Dagmar Kitta, Ärztin Reinhard-Hoppe-Straße 17 6900 Heidelberg

Ärztebl. 85, Heft 8, 25. Februar 1988 (31) A-419 Dt.

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