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Archiv "Sterbehilfe, Euthanasie und Sterbebegleitung: Eine steigende Dunkelziffer" (03.09.2004)

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A2360 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 363. September 2004

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ür das Jahr 2003 wurden 1 815 Fälle von aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden gemeldet, was einen Rückgang von 300 Fällen im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.Was sich wie eine gute Nachricht anhört, bedeutet jedoch, dass es eine steigende Dunkelziffer gibt. Es ist anzunehmen, dass in weit mehr als den gemeldeten Fällen aktive Sterbehilfe vorgenommen wird. Auch die Staatssekretärin im niederlän- dischen Gesundheitsministerium, Clé- mence Ross-van Dorp, geht von einem nachlassenden Meldeverhalten der beteiligten Ärzte aus und kündigte in einem Schreiben an das niederlän- dische Parlament eine Untersuchung der Hintergründe an.

Es ist davon auszugehen, dass diese Fälle deshalb nicht an die regionalen Kontrollkommissionen gemeldet wur- den, weil die gesetzlichen Vorausset- zungen nicht erfüllt wurden. Besonders bedenklich stimmt, so die Bayerische Stiftung Hospiz, die relativ geringe Zahl der aus Krankenhäusern und Pflegehei- men gemeldeten Fälle, da es sich dabei in der Regel um Personen handele, die auf die Pflege und Fürsorge anderer an- gewiesen seien und die häufig nicht mehr in der Lage seien, ihren Willen frei zu äußern. Die Stiftung Hospiz berich- tet, dass in Belgien und den Niederlan- den inzwischen immer mehr Menschen eine so genannte Lebensverfügung bei sich tragen, mit der sie sich vor Maß- nahmen zur ungewollten Lebensbe- endigung schützen wollen.

Nach dem im Jahr 2001 in Kraft ge- tretenen niederländischen Euthanasie- Gesetz, mit dem die seit 1994 geltende Sterbehilferegelung neu gefasst wurde, bleiben aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Voraus-

setzungen von einer Strafverfolgung befreit. Danach hat ein Arzt bestimmte Sorgfaltskriterien zu erfüllen: Er muss zu der Überzeugung gelangt sein, dass der Patient „freiwillig und nach reifli- cher Überlegung“ um Sterbehilfe gebe- ten hat. Er muss außerdem davon aus- gehen können, dass der Zustand des Pa- tienten „aussichtslos und sein Leiden

unerträglich war“. Der Patient sollte über seinen Zustand und sein Leiden informiert sein, und der Arzt musste zu der Überzeugung gelangt sein, dass es in dem Stadium, in dem sich der Patient befand, keine andere Lösung gab. Ein Kollege musste zu Rate gezogen wer- den, und er hatte nachzuweisen, dass er

„die Lebensbeendigung medizinisch sorgfältig ausgeführt hat“. Ob ein Arzt die gesetzlich vorgeschriebene Sorg- faltspflicht verletzt hat, überprüft eine regionale Prüfkommission. Dieser gehören ein Arzt, ein Jurist und ein Ethiker an. Auch Minderjährige dürfen um „Lebensbeendigung oder Hilfe bei Selbsttötung“ bitten, Minderjährige un- ter 16 Jahren benötigen das Einver-

ständnis der Eltern.

Sterbehilfe, Euthanasie und Sterbebegleitung

Eine steigende Dunkelziffer

In den Niederlanden werden immer weniger Euthanasiefälle gemeldet. Ausgehend von dieser Entwicklung, veröffentlicht das DÄ jetzt zu dieser Thematik erschienene Beiträge sowie zahlreiche Dokumente in einem neuen Dossier.

Auch in den Niederlanden ist die Euthanasiege- setzgebung nicht unumstritten. Bereits 1993 organisierte die Stiftung „Schrei um Leben“

einen Protestmarsch.

Foto:dpa

gestoßen und durchgesetzt. Das Gleiche gilt für den Internetauftritt dieser Zeit- schrift, der weiter an Bedeutung ge- winnt. Noch vor dem Umzug des Parla- ments und der Regierung von Bonn an die Spree 1999 hatte Jachertz den Auf- bau einer Berliner Redaktion vorberei- tet, die heute auf ein fünfköpfiges Team angewachsen ist. Die mit diesem Heft beginnende Ausweitung des redaktio- nellen Angebots um Aufsätze Online (siehe unter Themen der Zeit) wurde ebenso unter seiner Verantwortung auf den Weg gebracht wie die Artikel zur zertifizierten Fortbildung, die den Le- sern in Kürze zur Verfügung stehen.

„Ein Blatt zu machen, das bei unseren Lesern ankommt“ sei sein Ziel gewesen, sagt Jachertz rückblickend. Dabei hatte er nichts weniger im Sinn als einen Ge- fälligkeitsjournalismus nach dem Motto

„allen wohl und niemand wehe“. Zu sei- nem journalistischen Anspruch gehört es vielmehr, auch heiße Eisen aufzugrei- fen und eindeutig Position zu beziehen.

Hier sind die Artikelserie „Medizin im

‚Dritten Reich‘ “ zu nennen, die auch als Buch erschien. Immer wieder ist Ja- chertz im Deutschen Ärzteblatt dafür eingetreten, der Fortpflanzungsmedizin und der Stammzellforschung klare ethi- sche Grenzen zu setzen. So warnte er 2000 in einem Kommentar davor, auch mit einer von der Bundesärztekammer zur Diskussion gestellten restriktiven Zulassung der Präimplantationsdiagno- stik werde die „Grenze zur Selektion un- geborenen Lebens“ überschritten mit der Folge, dass die Entwicklung nicht mehr zu steuern sei.

Dass Jachertz mit seinen Beiträgen auch mal von der offiziellen Linie der Herausgeber abwich, war durchaus kein Einzelfall. Dafür bekundeten die Herausgeber jetzt dem Journalisten, der sich kritische Distanz bewahrt und gesellschaftspolitische Debatten ange- stoßen habe, ihren Respekt. Er hat so seinem Nachfolger Heinz Stüwe und der Redaktion eine gute Ausgangsbasis für die künftige Arbeit verschafft. Ja- chertz will sich verstärkt dem Schreiben widmen. Seine Verdienste hat die Re- daktion auf ihre Art gewürdigt: in ei- nem ihrem etwas abergläubischen früheren Chef gewidmeten Sonderheft mit dem Titel „12+1 Jahre Chefredak- teur Norbert Jachertz“. Heinz Stüwe

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Bereits in früheren Studien waren

„Fehlentwicklungen“ zu erkennen, aus denen aber offenbar keine Konsequen- zen gezogen worden sind. So bezifferte bereits im Jahr 1996 das nieder- ländische Gesundheitsministerium die Anzahl der nicht gemeldeten Fälle auf 60 Prozent. Die meisten Ärzte setzten und setzen sich offenbar aus Angst vor Konsequenzen und wegen des langwie- rigen juristischen Prüfverfahrens über die Meldevorschrift hinweg. Die nie- derländische Ärztezeitschrift „Medisch Contact“ kündigte inzwischen eine neue Regierungsrichtlinie an, die den Ärzten mehr Rechtssicherheit geben und die Meldebereitschaft fördern soll.

Außerdem sollen die Prüfkommissio- nen mehr Bedeutung erlangen.

Bei Umsetzung dieser Richtlinie wer- den möglicherweise künftig mehr Fälle gemeldet werden, zu einem Rückgang der Euthanasiefälle wird sie jedoch wohl nicht führen. Und es besteht die Gefahr, dass die Indikationen für Sterbehilfe immer weiter ausgedehnt werden. Die liberalen niederländischen Parteien sprachen sich sogar dafür aus, dass auch Demenz als Grund für aktive Ster- behilfe gelten soll (DÄ, Heft 45/2000).

Eine Tendenz, die auch in anderen Ländern zunehmend zu lockereren Ge- setzen geführt hat. So begründete die Schweizerische Akademie der Wissen- schaften (SAMW) die von ihr im letz- ten Jahr vorgelegten Richtlinien und Empfehlungen mit der „demographi- schen Entwicklung“. Die Zahl älterer Menschen sei wesentlich rascher ge- wachsen als diejenige der übrigen Be- völkerung: Mitte des Jahrhunderts

würden in der Schweiz zehn Prozent der Bevölkerung älter als 80 Jahre sein.

Wenn ältere Menschen Beihilfe zum Suizid wünschen, soll ein „externer, in diesen Fragen speziell kompetenter Arzt“ hinzugezogen werden, empfiehlt die SAMW. Im Jahr 2001 hatte der eidgenössische Bundesrat die Neure- gelung gebilligt, wonach Bewohner und Patienten von städtischen Alten- und Krankenheimen in Zürich Suizid mit- hilfe einer Sterbehilfeorganisation be- gehen können.

Doch auch in Deutschland wird ge- rade unter ökonomischen Gesichts- punkten die Frage diskutiert, ob alte Menschen überhaupt noch aufwendige oder kostenintensive Behandlungen erhalten sollten. „Solche Überlegungen

sind zutiefst unethisch und fordern un- seren deutlichen Widerspruch heraus“, sagte beim letztjährigen Deutschen Ärztetag in Köln die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. med.

Ursula Auerswald. Die Ärztetags- Delegierten erteilten der aktiven Eu- thanasie eine deutliche Absage.

Diese Auffassung spiegelt allerdings offenbar nicht die breite Bevölkerungs- meinung wider, wie Auerswald berich- tete. 70 Prozent der deutschen Bevölke- rung wünschten, dass aktive Sterbehilfe zugelassen werden sollte. Sogar 48 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte ge- hörten zu den Befürwortern aktiver Euthanasie. Nicht zuletzt die Entwick- lung in den Niederlanden und Belgien veranlasste jetzt die Bundesärztekam- mer, die im Jahr 1998 formulierten

„Grundsätze zur ärztlichen Sterbebe- gleitung“ neu zu formulieren. „Danach

hält die deutsche Ärzteschaft weiterhin trotz aller Umfrageergebnisse an ihrem strikten ,Nein‘ zur aktiven Sterbehilfe fest“, schrieb Prof. Dr. med. Eggert Be- leites, der Vorsitzende des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen der Bundesärztekam- mer, im Deutschen Ärzteblatt. In aus- weglosen Situationen sollten Ärzte nicht mehr mit dem Ziel zu heilen be- handeln, sondern mit dem Ziel, Leid zu lindern (DÄ, Heft 19/2004). „Die Kon- sequenz aus diesem Problemkreis heißt nicht Resignation oder Hoffnungslosig- keit, sondern aktives palliativmedizi- nisches Handeln“, lautete auch die Ant- wort der Ärztetags-Delegierten auf die immer wieder aufkommende Forde- rung nach aktiver Euthanasie.

Das Deutsche Ärzteblatt hat sich entschlossen, die „Grundsätze zur Ster- bebegleitung“ aus dem Jahr 1998 und aus diesem Jahr in einem neuen Internetdossier zu veröffentlichen (www.

aerzteblatt.de/dossiers/sterbehilfe). Dar- in sind auch zahlreiche weitere Do- kumente wie die „Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patienten- verfügungen“ der Bundesärztekam- mer, Muster für Patientenverfügungen sowie das niederländische Euthanasie- gesetz abrufbar. Außerdem können sämtliche Beiträge zum Thema Ster- behilfe, aber auch zur Sterbebeglei- tung und Palliativmedizin herunter- geladen werden, die seit Heft 39/1998 erschienen sind.

Dass die heutige Diskussion nicht von der deutschen Vergangenheit losgelöst gesehen werden kann, ver- deutlichte der Berliner Medizin- historiker Prof. Dr. phil. Dr. med. Rolf Winau auf einer Veranstaltung der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (DÄ, Heft 28–29/2003): „Der lange Atem der Eugenik weht auch in das 21. Jahrhundert hinein. Mit der Präimplantationsdiagnostik kommt der Wunsch nach dem designten Kind auf.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland hat das ,Kind als Scha- den‘ anerkannt. In den Niederlanden und in Belgien wurde die Tötung auf Verlangen freigegeben.“ Im neuen Dossier des Deutschen Ärzteblattes sind alle Beiträge auch zur NS- Euthanasie veröffentlicht, die seit 1998 erschienen sind. Gisela Klinkhammer P O L I T I K

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A2362 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 363. September 2004

www.aerzteblatt.de/dossiers/sterbehilfe

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