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Archiv "Euthanasie gestern – Sterbehilfe heute?: Schlußwort" (25.02.1988)

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Schlußwort

Die bis heute anhaltende Flut von Leserbriefen zu meinem Beitrag

„Euthanasie gestern — Sterbehilfe heute" beeindruckt mich tief. Daß die Äußerungen weit überwiegend zustimmend sind, insbesondere von seiten jüngerer Leser, erleichtert mich ein wenig; denn ich habe mei- nen Artikel durchaus „mit Zittern und Zagen" geschrieben. Dies möchte ich mir auch erhalten, wenn ich jetzt auch mehr Vertrauen dazu habe, daß es wieder mehr Ärzte gibt, die aus der Reflexion der Ver- gangenheit für sich selbst und für die

— im Gegensatz zu der zweckratio- nal-vernünftigen lebensverachten- den Position der Fraktion Hacke- thal/Atrott — Albert Schweitzers

„Ehrfurcht vor dem Leben" nicht nur eine Sonntagsfloskel ist, sondern gerade auch in Situationen Richt- schnur des Handelns ist, wo dies un- vernünftig zu sein scheint. Nun zu einigen der abgedruckten Leser- briefe:

Dem von mir ungemein ge- schätzten Prof. Dieter Janz möchte ich zu bedenken geben, daß ich mit meinem Artikel daran erinnern wollte, daß es seit der industriellen Revolution und der „sozialen Fra- ge" einen breiten Strom medizini- schen Denkens gibt, an dem wir alle auch heute noch teilhaben, wonach das Leben von Menschen nach sei- nem Wert bemessen wird — etwa im Hinblick auf seine Leistungsfähig- keit, auf seinen Nutzen für die Ge- sellschaft, auf seine Mitmenschlich- keit oder die Unerträglichkeit seines Leidens, was ich für unerlaubt halte.

Die NS-Mediziner haben diese allge- meine Denkströmung nur radikali- siert, so daß wir sie jetzt leichter auch in uns selbst erkennen können.

Wie man in den Akten des Nürnber- ger Ärzteprozesses nachlesen kann, war die Vernichtungs-Ethik des Hit- ler-Leibarztes und Euthanasie-Or- ganisators Prof. Brandt im Sinne dieser allgemeinen Denkströmung durchaus ehrenwert (irgendwann hört der Mensch doch auf, Mensch zu sein!). Sie ist der Vernichtungs- lehre von Viktor von Weizsäcker, die Herr Janz dankenswerterweise selbst zitiert, nicht ganz fremd; denn

von Weizsäcker konstituiert den Menschen gerade auch mit Gegen- seitigkeit, Solidarität und Mit- menschlichkeit, während die „Ehr- furcht vor dem Leben" oder der Le- bensschutz als absoluter Wert sich gerade da bewähren müssen, wo wir den Eindruck haben, daß Gegensei- tigkeit, Solidarität und Mitmensch- lichkeit fehlen.

Frau Dr. Winkler kann ich nur recht geben darin, daß die Würde des Menschen mißachtet wird, wo der Mensch nur in die oberste Stufe der Säugetiere eingeordnet wird.

Herrn Dr. Leonhardt möchte ich die Frage stellen: Wenn Sie schon auf christliche Grundsätze als Leitlinien Ihres Handelns verzichten wollen, sind Sie damit zugleich auch der Mü- he entbunden, sich auf andere Weise eine situationsübergreifende Meta- Position zur Orientierung Ihres Handelns zu erarbeiten? Herrn Dr.

Beier pflichte ich bei, daß medizini- sche Ethik in der Tat wieder Gegen- stand des medizinischen Unterrichts zu werden hat, wie dies auch bis zur modernisierenden Revolution von 1848 immer der Fall gewesen ist.

Wenn ich wie Dr. Vogt positivistisch die Frage nach dem Sinn des Lebens als gegenstandslos beiseite schieben würde, müßte ich fürchten, späte- stens in Grenzsituationen mensch- liches Leben wie eine Sache zu be- werten und zu behandeln. Herrn Reeker möchte ich sagen, daß der Arzt dem Patienten nur so lange im Sinne einer Begegnung nützt, wie er sich nicht nur in den Patienten, son- dern sich mehr noch in sich selbst hineinversetzt; jedenfalls wenn ich Mitleid als Motiv meines Handelns in mir spüre, werde ich mißtrauisch, da man mitleidig eigentlich nur ei- nem Tier oder einer Sache gegen- über sein kann; ich bin dann nie si- cher, ob mein Mitleid mit dem Pa- tienten nicht in Wirklichkeit Selbst- mitleid ist, weil ich etwas für uner- träglich halte. Herrn Dr. Kautz und Frau Kitta möchte ich beson- ders danken: Sie haben meine Ge- danken zum Teil mit wesentlich treffenderen Worten zum Ausdruck gebracht.

Abschließend noch folgendes:

Wenn man den Meinungsumfragen glauben kann, sind zur Zeit fast 80

Prozent der Bevölkerung begeistert von dem Gedanken, daß unerträg- lich, sinnlos oder unnütz, also le- bensunwert gewordenes Leben von Ärzten beendet werden sollte. Wo dies nicht schnell genug erfolgt, tun dies heute schon Laienhelfer. Wie gehen wir mit einer solchen Faszina- tion um? Kurzfristig wäre vom Ge- setzgeber zu fordern, Beihilfe zum Suicid unter Strafe zu stellen, wie dies auch in anderen Ländern der Fall ist. Wenn wir uns aber von Hans Jonas' Buch „Das Prinzip Verant- wortung" anregen lassen, wonach wir in der technisierten Welt uns zu unserer Nah-Ethik eine Fern-Ethik zulegen müssen, da heutige Ent- scheidungen schon darüber befin- den, ob und wie Menschen in 50 oder 100 Jahren leben werden, dann erst stellt sich das Problem in voller Härte: Wenn nämlich im Jahre 2030 ein Drittel der Gesellschaft über 65 Jahre alt ist und wenn ein weiteres Drittel durch die fortschreitende Automatisierung für einen Arbeits- platz zu dumm und unbrauchbar sein wird, dann werden wir keine Zweidrittel-Gesellschaft, sondern nur noch eine Eindrittel-Gesell- schaft haben. Zwei Drittel der Ge- sellschaft werden unnütz und über- flüssig sein. Wenn es uns also heute nicht gelingt, den Schutz des Lebens mit oder ohne christlicher Begrün- dung zum absoluten Orientierungs- wert für unser Handeln zu machen, stellen wir möglicherweise heute die Weichen dafür, daß wir im Jahre 2030 keinen ruhigen Lebensabend mehr haben werden, vom Schicksal der Behinderten zu schweigen. In dieser Situation macht es mich frei- lich hoffnungsvoll, daß in den letz- ten Jahren aus zahlreichen kleinen Initiativen auch in der Bundesrepu- blik eine Hospiz-Bewegung sich ent- wickelt und ausweitet, die dafür Sor- ge tragen will, daß alle sterbenden, schwer kranken und chronisch kran- ken Menschen in unserer Gesell- schaft nach Möglichkeit zu Hause soviel und solange Begleitung haben werden, wie sie benötigen. Am 24.

Januar 1988 ist aus einem Zusam- menschluß solcher Initiativen die

„Deutsche Hospizhilfe" gegründet worden.

Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner A-420 (32) Dt. Ärztebl. 85, Heft 8, 25. Februar 1988

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